TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/22 Ra 2019/13/0058

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.03.2022
beobachten
merken

Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E15102020
E3L E15103030
E6J
83 Naturschutz Umweltschutz

Norm

ALSAG 1989 §10
ALSAG 1989 §3 Abs1 Z1
ALSAG 1989 §3 Abs2 Z2
ALSAG 1989 §3 Abs2 Z3 idF 2004/I/136
AWG 2002 §3 Abs1 Z1 idF 2006/I/034
EURallg
31975L0442 Abfallrahmen-RL Art1 litd
31975L0442 Abfallrahmen-RL Art15
31975L0442 Abfallrahmen-RL Art2 Abs1 litb
31975L0442 Abfallrahmen-RL Art4
31975L0442 Abfallrahmen-RL Art8
31991L0271 Abwasser-RL
32006L0012 Abfall-RL Art2 Abs1 litb Unterabsatz iv
32008L0098 Abfall-RL Art2 Abs2 lita
62005CJ0252 Thames Water Utilities VORAB
62019CJ0629 Sappi Austria Produktion und Wasserverband "Region Gratkorn-Gratwein" VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der M GmbH in K, vertreten durch Dr. Andreas Bernegger, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Lederergasse 16/3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 11. April 2019, Zl. LVwG-AV-807/001-2017, betreffend Feststellung nach § 10 AlSAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Amstetten; mitbeteiligte Partei: Bund, vertreten durch das Zollamt Österreich, Conrad von Hötzendorf-Straße 14-18, 8010 Graz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit aufgehoben, als darin über die Feststellungen, ob der Abfall dem Altlastenbeitrag unterliegt, ob eine beitragspflichtige Tätigkeit vorliegt und welche Abfallkategorie vorliegt, abgesprochen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Auf Antrag des Bundes, vertreten durch das Zollamt, stellte die Bezirkshauptmannschaft mit Bescheid vom 20. April 2017 fest, dass der am 6. Oktober 2008 auf einem näher bezeichneten Grundstück ausgetretene und zur Versickerung gebrachte Dünnschlamm Abfall im Sinne des § 2 Abs. 4 Altlastensanierungsgesetz (AlSAG) sei. Hinsichtlich des in der Zeit von Frühjahr 2007 bis 5. Oktober 2008 auf dem Grundstück zur Versickerung gebrachten Abwassers der Revisionswerberin (Prozesswasser und Schlamm vermischt mit Oberflächenwasser) wurde festgestellt, dass es sich dabei ebenfalls um Abfall im Sinne des § 2 Abs. 4 AlSAG handle (SP I). Weiters wurde festgestellt, dass die gegenständlichen als Abfall einzustufenden Abwässer bzw. der Dünnschlamm dem Altlastenbeitrag gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 AlSAG unterlägen (SP II) und eine beitragspflichtige Tätigkeit vorliege. Die beitragspflichtige Tätigkeit sei aber gemäß § 3 Abs. 2 Z 2 AlSAG von der Beitragspflicht ausgenommen, da die Abwässer und der Schlamm eine untrennbare Verbindung mit dem Boden eingegangen seien und eine Entsorgung des Erdreiches erfolgt sei (SP III). Die Inhaltstoffe der gegenständlichen Abwässer und der Schlamm seien eine untrennbare Verbindung mit dem Boden eingegangen, sohin liege die Abfallkategorie Erdaushub gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 lit. a AlSAG vor (SP IV). Der Antrag, es möge festgestellt werden, ob Abwässer als Abfall im Sinn des AWG zu qualifizieren seien, wurde als unzulässig zurückgewiesen (SP V).

2        Der Bund, vertreten durch das Zollamt, erhob gegen die Spruchpunkte III) zweiter Satz und IV) innerhalb offener Frist rechtzeitig Beschwerde und beantragte die Aufhebung dieser Spruchpunkte. Weiters erhob die Revisionswerberin gegen diesen Feststellungsbescheid fristgerecht Beschwerde gegen die Spruchpunkte I) (zweiter Absatz), II und III (erster Satz).

3        Das Landesverwaltungsgericht führte eine mündliche Verhandlung durch und änderte mit dem angefochtenen Erkenntnis den Bescheid dahingehend ab, dass in Spruchpunkt III der zweite Satz ersatzlos zu entfallen habe und änderte in Spruchpunkt IV die Abfallkategorie. Darüber hinaus wies es die Beschwerden als unbegründet ab.

4        Nach Wiedergabe des Verfahrensganges traf es folgende Feststellungen: Die Revisionswerberin verfüge über die gewerberechtliche Bewilligung für die Errichtung und den Betrieb einer Kunststoffverwertungsanlage am Standort X. Von dieser Genehmigung sei die Einleitung von Abwässern von Dachflächen und Verkehrsflächen sowie Abschlämmwässern aus dem Kühlwasserprozess unter bestimmten Bedingungen in einen näher bezeichneten Fluss mit im Bewilligungsbescheid festgelegten Grenzwerten im Ablauf der Abscheideanlage mitumfasst. Der ursprünglich geplante (und bewilligte) Prozesswasserkreislauf als abgeschlossenes System habe nicht aufrechterhalten werden können, zumal es aufgrund der Verschmutzung des Prozesswassers und der Zufuhr von Frischwasser sowie des Eintrages von Kühlwasser aus dem benachbarten Extruderbereich immer wieder zu Prozesswasserüberschüssen gekommen sei, die in das Absetzbecken abgepumpt werden mussten. Im September 2006 seien seitens der Revisionswerberin u. a. mit Cadmium belastete Abwässer aus dem Absetzbecken in das öffentliche Kanalnetz des GAV ohne dessen Zustimmung eingeleitet worden. Dadurch sei der Klärschlamm verunreinigt worden und habe nicht mehr landwirtschaftlich verwertet werden können. Ab diesem Zeitpunkt sei der Revisionswerberin bekannt gewesen, dass die im Absetzbecken enthaltenen Wässer schwermetallhaltig seien. Zur Erfassung überschüssiger Abwässer sei zu Beginn des Jahres 2007 ausgehend vom Absetzbecken eine Schlauchleitung an eine PVC-Leitung angekoppelt worden, die zu zwei Stahltanks als Pufferspeicher geführt habe. Eine wasserrechtliche Bewilligung für diese anlagentechnischen Änderungen sei nicht erteilt worden.

5        Im Frühjahr 2007 bis Sommer 2008 sei seitens verschiedener Mitarbeiter der Revisionswerberin, insbesondere bei Starkregenereignissen, das im Absetzbecken enthaltene Oberflächen- und Prozesswasser über die konsenswidrig errichtete Schlauch- bzw. Rohrleitung mit Hilfe einer Tauchpumpe auf näher bezeichnete Grundstücke entleert und dort zur Versickerung gebracht worden. Zum Teil seien die im Absetzbecken und in den Pufferbehältern gesammelten Abwässer einer fachgerechten Entsorgung zugeführt worden, wobei das anfangs übliche Entsorgungsintervall in diesem Zeitraum stark abnahm. Die im Absetzbecken enthaltenen Abwässer seien mit Feststoffen, Schwermetallen, Kohlenwasserstoffen und organischen Verunreinigungen in unterschiedlichen Konzentrationen verunreinigt gewesen, welche durch anfallende Niederschlagswässer verwässert worden seien. Anfang 2007 für zwei Monate sowie vom Sommer 2008 bis 6. Oktober 2008 sei es ebenfalls zum automatischen Abfließen und Versickern von Abwässern in oben beschriebener Weise gekommen. Die Revisionswerberin habe sich durch diese Art der Abwasserausleitung von diesen Abwässern entledigen wollen, um Entsorgungskosten zu sparen. Durch die Ausleitung der Abwässer auf die festgestellten Grundstücke habe die Revisionswerberin diese aus ihrer Gewahrsame entlassen. Auf diese Weise sei es auch am 6. Oktober 2008 zum Austritt von kontaminierten Abwässern und Schlamm gekommen. Das auf einem der Grundstücke durch die austretenden Oberflächen- und Prozesswässer bzw. Schlamm verunreinigte Erdreich im Ausmaß von rund 295,8 Tonnen sei abgetragen und durch die Fa. G GmbH fachgerecht auf einer Reststoffdeponie entsorgt und für diese Entsorgung der Altlastenbeitrag bezahlt worden.

6        In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Landesverwaltungsgericht aus, die Handlungen der Revisionswerberin seien von den wasserrechtlichen Vorschriften nicht gedeckt gewesen; der Feststellungsantrag beziehe sich nur auf die zur Versickerung gebrachten Abwässer (und nicht auf jene, welche konsenswidrig in den Kanal eingeleitet worden seien). Aus diesem Grund sei der Sachverhalt in Überstimmung mit § 2 Abs. 4 AlSAG nach abfallrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Die (bewusste) Ausleitung und Versickerung von Abwässern in einer wasserrechtswidrigen Weise führe auch bei europarechtlicher Betrachtung zu keinem anderen Ergebnis, als dass die Ausnahmebestimmung des § 3 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 in der im entscheidungsrelevanten Zeitraum geltenden Fassung im Revisionsfall nicht zur Anwendung gelange. Aus dem festgestellten Betriebszweck der Anlage der Revisionswerberin, nämlich dem Recycling von Kunststoffabfällen, ergebe sich unzweifelhaft, dass diese als Behandlungsanlage iSd § 2 Abs. 7 Z 1 AWG 2002 zu qualifizieren sei.Im Revisionsfall sei durch die konsenslose Ableitung und Versickerung der Abwässer unstrittig der subjektive Abfallbegriff erfüllt, da sich die Revisionswerberin durch die von ihr zu verantwortenden Handlungen eindeutig von diesen Abwässern habe entledigen wollen.

7        Die Abwässer seien von der Revisionswerberin mit der Intention ausgeleitet worden, um diese auf den Grundstücken auf Dauer durch Versickerung zu belassen. Die Lagerung von Abfällen (außerhalb des Anfallsortes) sei grundsätzlich von der Ablagerung von Abfällen zu unterscheiden. Unter Lagerung sei etwas Vorübergehendes, unter Ablagerung hingegen etwas Langfristiges zu verstehen. Die festgestellte Tathandlung sei demnach nicht als „lagern“, sondern als „ablagern“ zu werten, unabhängig von der Frage, ob die auf den Grundstücken abgeleiteten Abwässer eine untrennbare Verbindung mit dem Boden eingegangen seien und durch den Abtrag von 295,8 Tonnen entfernt worden seien, oder ob Teile der Abwässer bzw. Abwasserinhaltsstoffe auch andere physikalische oder chemische Prozesse durchlaufen hätten.

8        Der Rechtsansicht, wonach flüssige Abfälle (gemeint anscheinend aus technischer Sicht) nicht „abgelagert“ werden könnten, sei entgegenzuhalten, dass der Sachverhalt nach dem AlSAG rechtlich zu beurteilen sei. Soweit die Revisionswerberin § 2 Abs. 2 1. Satz letzter Halbsatz AWG 2002 ins Treffen führe, sei festzuhalten, dass auch solche Abfälle, die eine umweltbeeinträchtigende Verbindung mit dem Boden eingegangen seien, als Abfall im objektiven Sinn anzusprechen seien. Entscheidungserheblich sei, ob das konsenslose Ausleiten der Abwässer mit der Intention der Versickerung als Ablagern eine beitragspflichtige Tätigkeit darstelle. Deshalb könne an der von der belangten Behörde zu Spruchpunkt II. getroffenen Feststellung keine Rechtswidrigkeit erkannt werden. Wesentlich sei, dass die Abwässer nicht getrennt von den anderen Oberflächenwässern, sondern mit diesen vermischt, in unterschiedlicher Konzentration, ausgeleitet worden seien. Die Vermengung von Abfall mit Nichtabfall führe dann zur Abfalleigenschaft des Gesamtgemenges, wenn eine Separierung der vermengten Stoffe nicht mehr möglich ist. Demgegenüber könne die Rechtsmeinung des abfallchemischen Amtssachverständigen, welche er im behördlichen Verfahren geäußert habe, wonach das Abwasser durch die Einleitung eine untrennbare Verbindung eingegangen und als ein Stoff anzusehen sei, nicht geteilt werden, da Antragsgegenstand nur das ausgeleitete und zur Versickerung gebrachte Abwasser (samt dessen Bestandteilen) sei.

9        Gemäß § 3 Abs. 2 AlSAG gebe es eine Ausnahme von der Beitragspflicht, soweit für diese Abfälle bereits ein Altlastenbeitrag entrichtet worden sei. Das Entstehen der Altlastenbeitragsschuld in dem in § 7 Abs. 1 AlSAG genannten Zeitpunkt könne durch Verwirklichung einer weiteren beitragspflichtigen Tätigkeit nicht wieder rückgängig gemacht werden. Die erste, die Beitragspflicht auslösende Tätigkeit sei nach § 3 Abs. 2 AlSAG für die Ausnahme der Beitragspflicht relevant. Die von der Revisionswerberin ins Treffen geführten (Teil-)Entsorgungen, verbunden mit der Bezahlung des Altlastenbeitrages für diese Deponierungen, könnten die ursprünglich entstandene Beitragsschuld nicht zum Erlöschen bringen.

10       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit ausführt, es gebe keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob Abwasser (Prozesswasser vermischt mit Oberflächen- bzw Niederschlagswasser) als Abfall im Sinne des § 2 Abs. 4 AlSAG zu qualifizieren sei oder ob es unter die Ausnahmebestimmung des § 3 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 falle. Das Landesverwaltungsgericht verkenne zudem, dass nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 AlSAG nicht auf den Zeitpunkt abzustellen sei, zu dem eine beitragspflichtige Tätigkeit erfolgt sei, sondern alleine darauf, ob für die beitragspflichtige Tätigkeit bereits ein Altlastenbeitrag entrichtet worden sei. Das Landesverwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass das Ausleiten von Abwässern als Ablagerung anzusehen sein, dazu gebe es noch keine Rechtsprechung.

11       Nach Einleitung des Vorverfahrens hat der Bund, vertreten durch das Zollamt, eine Revisionsbeantwortung erstattet.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13       Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.

14       § 2 AWG 2002 idF BGBl. I Nr. 102/2002 lautet auszugsweise:

„(1) Abfälle im Sinne dieses Bundesgesetzes sind bewegliche Sachen, die unter die in Anhang 1 angeführten Gruppen fallen und

1.   deren sich der Besitzer entledigen will oder entledigt hat oder

2.   deren Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall erforderlich ist, um die öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3) nicht zu beeinträchtigen.

(2) Als Abfälle gelten Sachen, deren ordnungsgemäße Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall im öffentlichen Interesse erforderlich ist, auch dann, wenn sie eine die Umwelt beeinträchtigende Verbindung mit dem Boden eingegangen sind. Die Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall im öffentlichen Interesse kann auch dann erforderlich sein, wenn für eine bewegliche Sache ein Entgelt erzielt werden kann.

[...]“

15       § 3 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 idF BGBl. I Nr. 34/2006 lautet:

„(1) Dieses Bundesgesetz gilt nicht für

1.   Stoffe, die in Übereinstimmung mit den wasserrechtlichen Vorschriften in Gewässer oder in eine Kanalisation eingebracht werden,“

16       § 3 Abs. 1 und 2 AlSAG idF BGBl. I Nr. 136/2004 lauten auszugsweise:

„§ 3. (1) Dem Altlastenbeitrag unterliegen

1.   das Ablagern von Abfällen oberhalb oder unterhalb (dh. unter Tage) der Erde; [...]

[...]

(2) Von der Beitragspflicht ausgenommen ist:

[...]

3.   eine beitragspflichtige Tätigkeit, soweit für diese Abfälle bereits ein Altlastenbeitrag entrichtet wurde.“

17       Der EuGH hat in seinem Urteil vom 10. Mai 2007, C-252/05, Thames Water Utilities Ltd, ausgesprochen, dass Abwässer unter den Abfallbegriff der Richtlinie 75/442 fallen, und diese Richtlinie nur unter bestimmten Umständen nicht auf derartige Abfälle anzuwenden ist. Voraussetzung dafür ist, dass für diese Abwässer „andere Rechtsvorschriften“ gelten, wobei diese „anderen Rechtsvorschriften“ auch nationale Rechtsvorschriften erfassen können. Jedoch dürfen die fraglichen Regelungen, um im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b als „andere Rechtsvorschriften“ angesehen werden zu können, nicht nur bestimmte Stoffe betreffen, sondern müssen genaue Bestimmungen über ihre Bewirtschaftung als Abfall im Sinne von Art. 1 Buchst. d der Richtlinie 75/442 enthalten. Die fraglichen gemeinschaftlichen oder nationalen Regelungen müssen, um als „andere Rechtsvorschriften“ angesehen werden zu können, genaue Bestimmungen über die Bewirtschaftung der Abfälle enthalten und ein Schutzniveau gewährleisten, das demjenigen zumindest gleichwertig ist, das sich aus der Richtlinie 75/442 und insbesondere aus deren Art. 4, 8 und 15 ergibt. Die Richtlinie 91/271 etwa gewährleistet ein solches Schutzniveau nicht (vgl. Rn. 29, 31 - 35).

18       Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich somit, dass Abwässer Abfälle darstellen, diese aber unter bestimmten Voraussetzungen vom Anwendungsbereich der Richtlinie 75/442/EWG ausgenommen sind. Gleiches gilt auch für den hier zu beurteilenden Zeitraum; die in diesem Zeitraum anwendbare Richtlinie 2006/12/EG vom 5. April 2006 über Abfälle enthält eine völlig gleichlautende Bestimmung betreffend Abwässer (vgl. Artikel 2 Abs. 1 lit. b Unterabs. iv dieser Richtlinie). Zur nunmehr anwendbaren Richtlinie (2008/98/EG vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien) hat der EuGH bereits - unter Hinweis auf seine Entscheidung zu C-252/05 - dargelegt, dass Abwässer nicht aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen sind (vgl. EuGH 14.10.2020, Sappi Austria Produktion u.a., C-629/19, Rn. 39). Der Anregung der Revisionswerberin, zu diesem Thema dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, war daher nicht zu folgen.

19       § 3 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 sieht in diesem Sinne eine Ausnahme vom Anwendungsbereich des AWG 2002 vor, wenn es sich um Stoffe handelt, die in Übereinstimmung mit den wasserrechtlichen Vorschriften in Gewässer oder in eine Kanalisation eingebracht werden.

20       Im Revisionsfall sind die streitgegenständlichen Abwässer bzw. die in diesen Abwässern enthaltenen Stoffe unstrittig nicht in Übereinstimmung mit den wasserrechtlichen Vorschriften in ein Gewässer oder eine Kanalisation eingebracht, sondern auf ein Grundstück abgeleitet und dort zum Versickern gebracht worden. Die Ausnahmebestimmung des § 3 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 ist daher nicht anwendbar.

21       Zum Vorbringen betreffend die Ausnahme von der Beitragspflicht gemäß § 3 Abs. 2 AlSAG ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Frage, ob § 3 Abs. 2 Z 2 AlSAG zur Anwendung hätte kommen müssen, nicht in einem Feststellungsverfahren gemäß § 10 AlSAG, sondern im abgabenrechtlichen Verfahren zu klären ist (vgl. VwGH 29.7.2015, Ra 2015/07/0041).

22       Die Revision bringt weiters vor, das Landesverwaltungsgericht sei zu Unrecht von einer Ablagerung ausgegangen; Abwässer könnten schon begrifflich nicht abgelagert werden, sondern nur deren Inhaltsstoffe.

23       Dazu ist zunächst festzuhalten, dass das Landesverwaltungsgericht erkennbar nicht nur auf die Abwässer, sondern vor allem auf deren - schädliche - Inhaltsstoffe abgestellt hat. Es verweist diesbezüglich auch darauf, dass der Feststellungsantrag Abwasser (samt dessen Bestandteile) beinhaltet hat.

24       Gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 AlSAG unterliegt das Ablagern von Abfällen oberhalb oder unterhalb der Erde der Beitragspflicht. Die belangte Behörde ist - wie vom Landesverwaltungsgericht wiedergegeben - davon ausgegangen, dass sich durch das Versickern die schädlichen Inhaltsstoffe (z.B. Schwermetalle) aus dem Abwasser im Erdreich angereichert haben. Das Gesetz unterwirft allerdings nur das Ablagern von Abfällen oberhalb oder unterhalb (dh unter Tage) der Erde dem Altlastenbeitrag. Das Versickernlassen von Abwässern kann daher nicht als Ablagern von Abfällen in diesem Sinne beurteilt werden, wenn - wie im Revisionsfall - dabei schädliche Inhaltsstoffe im Erdreich angereichert werden.

25       Da das Landesverwaltungsgericht dies verkannt hat, hat es sein Erkenntnis insoweit, als über die Feststellungen, ob der Abfall dem Altlastenbeitrag unterliegt, ob eine beitragspflichtige Tätigkeit vorliegt und welche Abfallkategorie vorliegt, abgesprochen wurde, mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet. Es war daher in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Im Übrigen war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

26       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. März 2022

Gerichtsentscheidung

EuGH 62005CJ0252 Thames Water Utilities VORAB
EuGH 62019CJ0629 Sappi Austria Produktion und Wasserverband "Region Gratkorn-Gratwein" VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019130058.L00

Im RIS seit

25.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

06.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten