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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
BAO §303 Abs1 litb idF 2013/I/014Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn sowie die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der H GmbH in B, vertreten durch Mag. Ralph Kilches, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Laudongasse 25/III, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 29. Juli 2021, Zl. RV/2100822/2019, betreffend Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Haftung für Kapitalertragsteuer 2012, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Bei der Revisionswerberin, einer GmbH, wurde eine Außenprüfung durchgeführt. Im Anschluss an die Prüfung zog das Finanzamt die Revisionswerberin mit Bescheid vom 28. Oktober 2014, der in Rechtskraft erwuchs, zur Haftung für Kapitalertragsteuer für das Jahr 2012 heran.
2 Mit Schriftsatz vom 31. Dezember 2017 brachte die Revisionswerberin beim Finanzamt einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Kapitalertragsteuer für das Jahr 2012 ein.
3 Das Finanzamt wies den Wiederaufnahmeantrag mit Bescheid vom 3. September 2018 als unbegründet ab, wogegen die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 3. Oktober 2018 Beschwerde erhob.
4 Nach Ergehen einer abweisenden Beschwerdevorentscheidung und einem Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Verwaltungsgericht legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde keine Folge und stellte im Erwägungsteil des angefochtenen Erkenntnisses fest, bei der Revisionswerberin habe eine Außenprüfung stattgefunden, die mit den in der Niederschrift über die Schlussbesprechung vom 13. Oktober 2014 dargestellten Feststellungen beendet worden sei. In einer gesondert aufgenommenen Niederschrift gleichen Datums habe der Geschäftsführer der Revisionswerberin auf die Erhebung eines Rechtsmittels verzichtet.
6 Mit Erkenntnis des Spruchsenats vom 25. September 2017 sei ein gegen den Geschäftsführer der Revisionswerberin wegen des Verdachts der vorsätzlichen Verkürzung von Kapitalertragsteuer geführtes Finanzstrafverfahren gemäß §§ 136 ff FinStrG eingestellt worden. Die maßgeblichen Gründe für die Verfahrenseinstellung seien der gekürzten Ausfertigung nicht zu entnehmen.
7 In ihrem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stütze sich die Revisionswerberin kumulativ auf alle drei Wiederaufnahmetatbestände des § 303 BAO. Sie moniere Pflichtverletzungen des Prüfers (mangelnde Sachverhaltsermittlung, missbräuchliche Qualifikation eines Geschäftsführerdarlehens als verdeckte Ausschüttung) und beziehe sich auf Umstände, die zur Einstellung des gegen den Geschäftsführer geführten Finanzstrafverfahrens geführt hätten. Weiters wende sie Verjährung ein und erkläre den vom Prüfer festgestellten Kassenfehlbetrag mit Malversationen eines Angestellten in Höhe von 55.500 €. Dieser Betrag sei mit Vereinbarung vom 2. Mai 2013 in ein Darlehen umgewandelt worden. Im Übrigen werde darauf verwiesen, dass das Finanzamt die seinerzeitige rechtliche Beurteilung relativiert habe und für das Vorliegen des Vorfragentatbestandes das Erkenntnis des Spruchsenats heranzuziehen sei. Hilfsweise werde den Organen des Finanzamts Befangenheit vorgeworfen, weil sie telefonisch eine andere rechtliche Würdigung eines vergangenen Sachverhalts eingeräumt und Konkursanträge gegen die Revisionswerberin gestellt hätten.
8 Nach Wiedergabe der für eine Wiederaufnahme auf Antrag einer Partei maßgeblichen Bestimmungen und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führte das Bundesfinanzgericht sodann aus, die Wiederaufnahme wegen gerichtlich strafbarer Taten setze keine gerichtliche Verurteilung voraus. Diese Frage sei vielmehr als Vorfrage (§ 116 BAO) von der Abgabenbehörde zu beurteilen. Voraussetzung sei, dass die objektive und subjektive Tatseite der gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt sei. Ein bloßer Verdacht reiche nicht aus. Die Revisionswerberin sei den Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung, wonach jede Entnahme aus der Gesellschaft einen rückzahlungspflichtigen Vorgang darstelle und der Prüfer bei dem Versuch, die Rahmenbedingungen von Geldmittelüberlassungen zu klären, gescheitert sei, weil ihm keine Verträge und Vereinbarung vorgelegt worden seien, nicht entgegentreten. Auch den Ausführungen, der Geschäftsführer habe die Barabhebungen von der Bank (Anm: die zu einem Kassastand von 49.707,02 € per 31. Dezember 2012 geführt haben) mit Privatbehebungen zwecks Bestreitung des Lebensunterhalts erklärt, habe die Revisionswerberin nicht widersprochen. Sie übersehe auch, dass die amtswegige Ermittlungspflicht - hinsichtlich der näheren Umstände ihrer wirtschaftlichen Gestionen - in den Hintergrund trete, zumal sie wohl am besten Auskunft über ihre Gebarung geben könne.
9 Die Erklärungsversuche der Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung seien hinsichtlich der Malversationen eines Angestellten und deren Folgen undeutlich geblieben. Die vom Angestellten veruntreuten Provisionen hätten sich nicht auf den Kassastand ausgewirkt und das nachträgliche Ausstellen von Rechnungen über diese Provisionen habe zu keiner Vereinnahmung von Barmitteln durch die Revisionswerberin geführt. Auch der Geschäftsführer habe erklärt, dass die Revisionswerberin die vom Angestellten kassierten Beträge nicht erhalten habe. Wie all diese nunmehr relevierten Umstände vom Prüfer - ohne entsprechende Mitwirkung der Revisionswerberin - hätten ermittelt werden können, bleibe offen. Abgesehen davon indizierten hohe buchmäßige Bargeldbestände, die nicht weiter nachgewiesen worden seien, das Vorliegen verdeckter Ausschüttungen, weil anzunehmen sei, dass diese mit Wissen und Wollen der verantwortlichen Organe den Gesellschaftern oder Personen, die den Gesellschaftern nahe stünden, zugekommen seien.
10 Das Finanzamt habe gemäß § 161 Abs. 1 BAO die Abgabenerklärungen zu prüfen und soweit nötig zu veranlassen, dass die Abgabepflichtigen unvollständige Angaben ergänzten und Zweifel beseitigten. Sinngemäßes gelte im abgabenrechtlichen Prüfungsverfahren. Da sich die Revisionswerberin im wiederaufzunehmenden Verfahren gegenüber dem anfragenden Prüfer zurückhaltend gezeigt habe, habe sie von ihren Parteienrechten - aus welchen Gründen auch immer - nicht Gebrauch gemacht. Im Gegenteil seien die in der Niederschrift über die Schlussbesprechung zusammengefassten Feststellungen des Prüfers unter Rechtsmittelverzicht zur Kenntnis genommen worden. Die Revisionswerberin hätte bereits vor Ergehen des wiederaufzunehmenden Bescheides Ausführungen erstatten können, die gegen das Vorliegen verdeckter Ausschüttungen sprächen.
11 Der Verwaltungsgerichtshof vertrete in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt, dass die als Wiederaufnahmegrund herangezogenen Tatsachen bei einer beantragten Wiederaufnahme für den Antragsteller neu hervorgekommen sein müssten. Tatsachen, die diesem schon immer bekannt gewesen seien, reichten dafür nicht aus. Es sei nicht anzunehmen, dass die nunmehr relevierten Tatsachen für die Revisionswerberin neu hervorgekommen seien. Vielmehr gehe das Bundesfinanzgericht davon aus, dass der Revisionswerberin die für eine Wiederaufnahme des Verfahrens ins Treffen geführten Tatsachen (Darlehensbeziehung zwischen Revisionswerberin und ihrem Geschäftsführer, Kassenbestände und deren Verwendung, Malversationen eines Angestellten) bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des wiederaufzunehmenden Bescheides vom 28. Oktober 2014 bekannt gewesen seien.
12 Allfällige abgabenrechtliche Fehlbeurteilungen stellten, ebenso wie eine unterschiedliche Beweiswürdigung durch eine Verwaltungsbehörde einerseits und durch eine Verwaltungsstrafbehörde oder ein Gericht andererseits, keine Wiederaufnahmegründe dar. Eine abweichende Vorfragenentscheidung liege im Revisionsfall nicht vor, weil es in einem Finanzstrafverfahren überwiegend um die Beurteilung eines vorwerfbaren Verhaltens des Beschuldigten an einer Abgabenverkürzung gehe und die allenfalls andere abgabenrechtliche Qualifikation eines Sachverhalts durch die Finanzstrafbehörde keine wie immer geartete Bindungswirkung für die Abgabenbehörde auslöse (Hinweis auf VwGH 20.1.1988, 86/13/0019; und 16.2.1994, 90/13/0011, 0013).
13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
14 Das Finanzamt hat über Aufforderung hierzu eine Revisionsbeantwortung erstattet.
15 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
16 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
17 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
18 In der Revision wird zur Zulässigkeit vorgebracht, das Bundesfinanzgericht stützte das angefochtene Erkenntnis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus Sicht des Antragstellers zu beurteilen wäre (Hinweis auf VwGH 29.3.2017, Ro 2016/15/0036; 26.4.2017, Ro 2015/13/0011).
19 Diesen Judikaten lägen Fälle zugrunde, bei denen es aus Verschulden des Abgabepflichtigen nicht zur Geltendmachung „einer anderen Sachlage im Verfahren“ gekommen sei. Gegenständlich habe der Prüfer in einem der Steuerprüfung nachfolgenden Finanzstrafverfahren zugegeben, dass er nie geprüft und damit seine Amtspflicht verletzt habe. Der Geschäftsführer der Revisionswerberin sei in diesem Verfahren auch vom Vorwurf der Abgabenhinterziehung freigesprochen worden. Damit sei über die Vorfrage, ob im Revisionsfall die fünf- oder die zehnjährige Verjährungsfrist zum Tragen komme, bindend entschieden worden. Für den Revisionsfall ergebe sich daraus, dass hinsichtlich der Vorschreibung der Kapitalertragsteuer zumindest teilweise Verjährung vorgelegen sei. Im Finanzstrafverfahren sei auch geklärt worden, dass der offene Kassastand aus einer Veruntreuung von 55.500 € an Honorar herrühre. Dies sei vorher nicht hervorgekommen, weil der Prüfer nicht gefragt habe und der Revisionswerberin beim Prüfer befindliche Unterlagen nicht zugänglich gewesen seien. Der das Darlehenskonto des Geschäftsführers betreffende Vorwurf sei - nach der Entwicklung dieses Kontos - wissentlich falsch erhoben und die Hintergründe seien nie geklärt worden, auch nicht, ob Lohnsteuer zu erheben gewesen wäre. Zum Fehlbetrag in der Kassa habe der Prüfer ebenfalls keine einzige Frage gestellt. Die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Wiederaufnahme werde vom Bundesfinanzgericht verkannt, weil die Revisionswerberin ob dieser Vorgangsweise gar nicht rechtmäßig oder anders habe handeln können.
20 Im Fall der Erhebung einer außerordentlichen Revision obliegt es dem Revisionswerber, gesondert jene Gründe in hinreichend konkreter Weise anzuführen, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision erfolgt demnach anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung (VwGH 18.12.2019, Ra 2019/15/0154).
21 In den „gesonderten“ Gründen zur Zulässigkeit der Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG ist daher konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. VwGH 10.5.2021, Ra 2020/15/0023, mwN). Geht es um ein Abweichen von der Rechtsprechung, hat der Revisionswerber konkret darzulegen, dass der der gegenständlich angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt einer der von ihm ins Treffen geführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes gleicht, das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hat und es damit im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht (vgl. VwGH 26.8.2019, Ra 2018/17/0222, mwN).
22 Die vorliegende Zulässigkeitsbegründung erfüllt diese Anforderungen jedenfalls insoweit nicht, als sie das Vorbringen, der Geschäftsführer der Revisionswerberin sei in einem der Außenprüfung nachfolgenden Finanzstrafverfahren vom Vorwurf der Abgabenhinterziehung freigesprochen worden, und den Hinweis, in diesem Verfahren seien auch Fragen zum Kassastand sowie zur Entwicklung eines Darlehenskontos geklärt worden, betrifft.
23 Die Rechtsfrage zur Reichweite der antragsgebundenen Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO idF FVwGG 2012 und zur diesbezüglichen Bedeutung des Kenntnisstandes der Partei wurde bereits mit Erkenntnis vom 19. Oktober 2016, Ra 2014/15/0058, beantwortet. Demnach hat ein Antrag auf Wiederaufnahme - bei Geltendmachung des Wiederaufnahmetatbestandes der neu hervorgekommenen Tatsachen - insbesondere die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel für den Steuerpflichtigen „neu hervorgekommen sind“. Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 2 lit. b BAO ist somit abzuleiten, dass bei einem derartigen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist.
24 Soweit die Revisionswerberin im Vorbringen zur Zulässigkeit ausführt, sie habe im Rahmen der Außenprüfung keine Möglichkeit zur Geltendmachung „einer anderen Sachlage“ gehabt, weil der Prüfer nie geprüft und damit seine Amtspflicht verletzt habe, weicht sie - ohne entsprechend auf die Beweiswürdigung einzugehen - vom festgestellten Sachverhalt ab, zumal das Bundesfinanzgericht seiner Entscheidung die Sachverhaltsannahmen zu Grunde legte, dass es der Revisionswerberin unbenommen geblieben wäre, entsprechende Ausführungen, die gegen das Vorliegen verdeckter Ausschüttungen sprächen, zu erstatten. Schon deswegen wird mit diesem Vorbringen kein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgezeigt.
25 Die Revision erweist sich daher als unzulässig, weshalb sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG Sitzung zurückzuweisen war.
Wien, am 23. März 2022
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021150100.L00Im RIS seit
25.04.2022Zuletzt aktualisiert am
09.05.2022