TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/30 Ra 2019/11/0161

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Veröffentlicht am 30.03.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §56
AVG §68 Abs1
B-VG Art133 Abs6
VwGG §33 Abs1
VwGVG 2014 §28 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmanns von Steiermark, vertreten durch Mag. Dr. Edwin Mächler, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Glacisstraße 67, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 9. Juli 2019, Zl. LVwG 48.30-5251/2014-31, betreffend Bewilligung nach dem Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (mitbeteiligte Partei: P GmbH in G, vertreten durch Prutsch & Partner, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Joanneumring 6/III), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses dahingehend abgeändert, dass die Beschwerde der mitbeteiligten Partei als gegenstandslos geworden erklärt und das Beschwerdeverfahren eingestellt wird.

Das Kostenersatzbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid des Revisionswerbers vom 29. August 2014 wurde der mitbeteiligten Partei die Bewilligung vom 28. März 2012 zur Führung einer Schule für allgemeine und psychiatrische Gesundheits- und Krankenpflege gemäß § 50 Gesundheits- und Krankenpflegegesetz - GuKG entzogen. Das den Entziehungsbescheid aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 1. Februar 2016 wurde mit dem hg. Erkenntnis vom 4. April 2019, Ra 2016/11/0051, wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben. Bereits mit Bescheid vom 9. März 2018 sowie mit Bescheid vom 14. Mai 2018 hatte die belangte Behörde jeweils neuerlich eine Entziehung der Bewilligung vom 28. März 2012 verfügt. Die Revision gegen das den Bescheid vom 9. März 2018 bestätigende Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 9. Oktober 2018 wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. April 2021, Ra 2019/11/0030, zurück. Die Revision gegen jenes Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 31. Oktober 2018, mit dem der Bescheid vom 14. Mai 2018 wegen (mit Bescheid vom 9. März 2018) entschiedener Sache aufgehoben worden war, wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. Februar 2021, Ra 2018/11/0246, zurück.

2        Mit dem vorliegend angefochtenen, im zweiten Rechtsgang ergangenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid des Revisionswerbers vom 29. August 2014 Folge und behob den Bescheid wegen entschiedener Sache. Gleichzeitig sprach es gemäß § 25a VwGG aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.

3        Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, dass es aufgrund des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofs vom 4. April 2019, Ra 2016/11/0051, an die dort vertretene Rechtsansicht gebunden sei, den Fall aber anhand der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zu überprüfen habe. Eine Bewilligung zur Führung einer Schule für Gesundheits- und Krankenpflege könne nur einmal zurückgenommen werden. Der vorliegenden Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid vom 29. August 2014 sei wegen entschiedener Sache stattzugeben gewesen, weil die Bewilligung vom 28. März 2012 bereits (mit Bescheid vom 9. März 2018) rechtskräftig zurückgenommen worden sei.

4        Gegen dieses (Ersatz-)Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. Sowohl die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (als oberste Verwaltungsbehörde im Sinne des § 29 VwGG) als auch die mitbeteiligte Partei erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung.

5        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6        Die Revision ist zulässig und im Ergebnis begründet, weil entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts „entschiedene Sache“ nur dann vorliegen kann, wenn die materielle Rechtskraft eines Bescheides einer neuerlichen, d.h. späteren, Entscheidung in derselben Sache entgegensteht (vgl. etwa VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050, sowie Hengstschläger/Leeb, AVG § 68, insb. Rz 20 ff., jeweils mwN).

7        Im Revisionsfall ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass der später erlassene rechtskräftige Bescheid vom 9. März 2018 dem früheren vom 29. August 2014 entgegenstehe, weshalb es letzteren wegen entschiedener Sache aufhob.

8        Dabei hat das Verwaltungsgericht jedoch außer Acht gelassen, dass nach der ständigen hg. Rechtsprechung dann, wenn zwei rechtswirksame Bescheide im Widerspruch stehen, der später erlassene Bescheid dem früher erlassenen derogiert. Identität der Sache, über die abgesprochen wurde, vorausgesetzt, tritt der spätere Bescheid zur Gänze an die Stelle des früheren (vgl. etwa VwGH 22.5.2014, Ro 2014/15/0008, sowie Hengstschläger/Leeb, AVG § 68, Rz 49 ff., jeweils mwN).

9        Entgegen der vom Revisionswerber vertretenen Ansicht lag Identität der Sache vor, da sowohl mit Bescheid vom 29. August 2014 als auch mit Bescheid vom 9. März 2018 die Entziehung derselben Bewilligung verfügt worden war, und es auf die unterschiedlichen Begründungen für die Entziehungen nicht ankam (vgl. dazu den dieselben Verfahrensparteien betreffenden Beschluss vom 23. Februar 2021, Ra 2018/11/0246). Der Bescheid vom 9. März 2018 hat somit jenem vom 29. August 2014 derogiert, diesen also zur Gänze ersetzt.

10       Der Verwaltungsgerichtshof vertrat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass ein bei ihm anhängiges Beschwerdeverfahren auch im Falle einer Amtsbeschwerde (Art. 131 Abs. 2 B-VG aF) bei Wegfall des rechtlichen Interesses an einer meritorischen Entscheidung in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG wegen Gegenstandslosigkeit einzustellen war. Diese Rechtsprechung hat er auch für eine Revision nach Art. 133 Abs. 6 B-VG gegen eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes für maßgebend erklärt (vgl. VwGH 28.1.2016, Ra 2015/11/0027, mwN). Ebenso vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass sich § 33 Abs. 1 VwGG entnehmen lasse, dass der Gesetzgeber das Rechtsschutzbedürfnis als Prozessvoraussetzung für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof versteht. Liegt diese Voraussetzung schon bei Einbringung einer Revision nicht vor, ist diese unzulässig, fällt die Voraussetzung erst nach Einbringung einer zulässigen Revision weg, so führt dies zu einer Einstellung des Verfahrens. Diese Überlegungen können auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht übertragen werden (vgl. etwa VwGH 24.9.2020, Ra 2019/03/0048 bis 0051, Rn. 39, mwN).

11       Im Revisionsfall war die Beschwerde der Mitbeteiligten im Zeitpunkt ihrer Erhebung zwar zulässig, durch den nachträglichen Wegfall des angefochtenen Bescheides vom 29. August 2014 im Wege der Derogation ist das Rechtsschutzbedürfnis (bzw. die Beschwerdelegitimation) der Mitbeteiligten jedoch nachträglich weggefallen. Das hat das Verwaltungsgericht verkannt.

12       Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Dies trifft im vorliegenden Fall zu.

13       Nach dem Gesagten war der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses dahin abzuändern, dass die Beschwerde der Mitbeteiligten als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt wird (vgl. erneut VwGH 28.1.2016, Ra 2015/11/0027).

14       Die beantragte Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG entfallen.

15       Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 Abs. 4 VwGG.

Wien, am 30. März 2022

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Maßgebender Bescheidinhalt Inhaltliche und zeitliche Erstreckung des Abspruches und der Rechtskraft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019110161.L00

Im RIS seit

25.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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