Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H*, 2. M*, ebenda, beide vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei J*, vertreten durch Linsinger & Partner Rechtsanwälte OG in St. Johann im Pongau, wegen 1.000 EUR sA, Feststellung (Streitwert 7.000 EUR) und Unterlassung (Streitwert 7.000 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 17. November 2021, GZ 53 R 189/21g-14, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 26. Juli 2021, GZ 18 C 76/21a-9, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.205,96 EUR (darin 200,99 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Kläger sind Hälfteeigentümer einer Liegenschaft mit dem Grundstück .66. Der Beklagte ist Alleineigentümer der Nachbarliegenschaft mit dem Grundstück 284. Die einzige Hofzufahrt des Beklagten verläuft seit jeher zunächst über das Grundstück 284 und dann in einer leichten Linkskurve über das Grundstück .66. Die Zufahrt zum Hof der Kläger führt ebenfalls seit jeher zunächst über Grundstück 284 und zweigt auf dem Grundstück .66 nach einer kurzen gemeinsam genutzten Wegstrecke nach rechts ab.
[2] Die Liegenschaften der Streitteile standen ursprünglich im Miteigentum ihrer Rechtsvorgänger, die 1994 einen Realteilungsvertrag abschlossen. Während dem Rechtsvorgänger der Kläger die Liegenschaft mit dem Grundstück .66 zugeschrieben wurde, erhielt der Rechtsvorgänger des Beklagten die Liegenschaft mit dem Grundstück 284. Während im Realteilungsvertrag dem Rechtsvorgänger der Kläger die Dienstbarkeit eines Geh- und Fahrtrechts am Grundstück 284 eingeräumt wurde, unterblieb die Vereinbarung eines Geh- und Fahrtrechts am Grundstück .66 zugunsten des Rechtsvorgängers des Beklagten aus nicht feststellbaren Gründen.
[3] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage des Bestehens einer Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens auf dem Grundstück .66 der Kläger zugunsten des Beklagten als Eigentümer der Nachbarliegenschaft.
[4] Das Erstgericht wies das Begehren der Kläger auf Feststellung, dass keine solche Dienstbarkeit besteht, auf Unterlassung des Begehens und Befahrens des Grundstücks und auf Zahlung eines Nutzungsentgelts in Höhe von 1.000 EUR mit der Begründung ab, bei Abschluss des Realteilungsvertrags sei durch den Realakt der Übereignung nach Aufhebung der Eigentümeridentität eine solche Dienstbarkeit entstanden, die die Rechtsvorgänger der Streitteile im Realteilungsvertrag nicht ausgeschlossen hätten.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision – nach Abänderungsantrag der Kläger – mit der Begründung zu, der Oberste Gerichtshof habe noch nicht zu beurteilen gehabt, welchen Einfluss eine vor Abschluss des Realteilungsvertrags getroffene mündliche Vereinbarung, die Zufahrtssituation wie bisher zu belassen, auf das Entstehen einer Wegedienstbarkeit habe, wenn diese keinen Eingang in den schriftlichen Vertrag gefunden habe.
[6] In ihrer Revision streben die Kläger die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen dahin ab, dass dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben werde, hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.
[7] Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig, sie kann keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen.
[9] 1.1. Nach einhelliger – von der Lehre überwiegend gebilligter (vgl Hofmann in Rummel, ABGB3 § 480 Rz 2; Koch in KBB6 § 480 Rz 1) – Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entsteht bei der Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, eine Dienstbarkeit auch ohne besondere Vereinbarung und Verbücherung. Dabei wird im Zweifel angenommen, dass die Dienstbarkeit unmittelbar durch den Übertragungsakt entsteht, weil der bestehende Zustand aufrecht bleiben und die Eigentümerbefugnis als Grunddienstbarkeit fortbestehen soll. Der Erwerber der dienenden Liegenschaft muss die bisher faktisch bestehende Dienstbarkeit entweder gekannt haben oder wegen ihrer Offenkundigkeit zumindest kennen müssen (4 Ob 74/07x; 1 Ob 271/03i). Nach der nun vorherrschenden Rechtsprechungslinie (vgl RIS-Justiz RS0011618) entsteht die Dienstbarkeit durch die Übereignung ohne weiteres und ohne besondere vertragliche Grundlage außerbücherlich. Die in der älteren Rechtsprechung ebenfalls vertretene Auffassung, sie entstehe durch stillschweigende Einräumung (vgl RS0011643), lehnte der Oberste Gerichtshof (8 Ob 65/17t) mit der Begründung ausdrücklich ab, dies würde ein eindeutiges Erklärungsverhalten des Eigentümers des nunmehr belasteten Grundstücks voraussetzen, das objektiv als Einverständnis zur Begründung einer Dienstbarkeit gedeutet werden kann, ein derartiger Erklärungswert könne bei Aufhebung der Eigentümeridentität aber nicht ohne weiteres unterstellt werden. Nach der nun herrschenden Rechtsprechungslinie ist es daher auch unerheblich, ob der Veräußerer den Erwerber auf die offenkundige Dienstbarkeit bei Vertragsabschluss ausdrücklich aufmerksam machte oder ihm die – ohnehin gegebene – bücherliche Lastenfreiheit zusicherte (4 Ob 74/07x; 1 Ob 271/03i). All dies gilt nach gesicherter Rechtsprechung (4 Ob 74/07x; 1 Ob 220/20i; 1 Ob 30/21z) auch im Fall der Teilung einer Liegenschaft, sofern eine der dadurch entstandenen „neuen“ Liegenschaften erkennbar einer Dienstbarkeit (meist eines Wegerechts) bedarf.
[10] 1.2. Die für das Entstehen der Dienstbarkeit durch die Übereignung erforderliche Offenkundigkeit ist dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Eigentumsübertragung die Inanspruchnahme der einen Liegenschaft zum Nutzen der anderen durch offenkundige Vorgänge, ersichtliche Anlagen oder Einrichtungen erkennbar ist (RS0011547; RS0011633) oder der Erwerber davon positive Kenntnis hat (1 Ob 220/20i). Die Vertragsparteien können zwar ausdrücklich oder schlüssig etwas anderes vereinbaren und so das Entstehen einer Grunddienstbarkeit vertraglich auch ausschließen (vgl RS0011643 [T4]; RS0011618 [T18]; 1 Ob 220/20i), im Zweifel ist dies aber nicht anzunehmen (1 Ob 220/20i). Ob von der grundsätzlichen Auslegungsregel, dass bei Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen eine offenkundig der anderen dient, der faktische Zustand aufrecht bleiben und die bisherige Eigentümerbefugnis als Grunddienstbarkeit fortbestehen soll, ausdrücklich oder schlüssig abgegangen wurde, ist eine nach den Umständen des Einzelfalls zu beantwortende Auslegungsfrage, deren Bedeutung nicht über den Anlassfall hinausgeht, sofern nicht ein geradezu unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (6 Ob 212/05b). Dies gilt auch für die Frage, ob eine schlüssige Vereinbarung zustande gekommen ist (6 Ob 212/05b; RS0043253 [T2, T8, T14, T17, T21]). Eine auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen, die sich auf die in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Grundsätze gestützt haben, ist nicht zu erkennen.
[11] 2.1. In ihrem Zulassungsantrag führen die Revisionswerber ins Treffen, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob aufgrund einer in einem Realteilungsvertrag nicht ausdrücklich ausgeschlossenen Dienstbarkeit diese im Umkehrschluss als schlüssig vereinbart anzusehen sei und meinen, hier sei nicht von einer konkludenten Zustimmung zur Einräumung der nunmehr strittigen Dienstbarkeit auszugehen. Dabei übersehen sie, dass das Berufungsgericht – im Sinn der nunmehr herrschenden Rechtsprechung – gar nicht von einer Begründung der Dienstbarkeit durch stillschweigende Vereinbarung, sondern durch den Übereignungsakt selbst ausging. Auf die Frage, ob der Rechtsvorgänger der Kläger dem Rechtsvorgänger der Beklagten anlässlich der Realteilung konkludent die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens auch über das Grundstück .66 eingeräumt hat, kommt es daher nicht an.
[12] 2.2. Warum die Vorinstanzen nicht davon ausgingen, die Rechtsvorgänger der Streitteile hätten das durch den Akt der Realteilung ex lege bewirkte Entstehen der Dienstbarkeit ausdrücklich oder auch schlüssig abbedungen, haben sie nachvollziehbar begründet. Dies ist nicht korrekturbedürftig. Nach den Feststellungen haben beide Rechtsvorgänger der Streitteile für die Hofzufahrt zunächst das Grundstück 284 des Beklagten und im Anschluss daran das Grundstück .66 der Kläger genutzt, was nicht nur den Rechtsvorgängern der Streitteile sondern auch diesen selbst bekannt war. Eine jeweils eigene Hofzufahrt besprachen die Rechtsvorgänger der Streitteile im Vorfeld der Errichtung des Realteilungsvertrags zwar, dazu kam es aber nicht. Sie vereinbarten vielmehr, die Zufahrt trotz Realteilung wie bisher zu belassen. Weshalb – so die Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts – daraus abzuleiten sein könnte, die durch den Übereignungsakt ex lege entstehende Dienstbarkeit sollte damit ausgeschlossen werden, ist für den erkennenden Senat nicht erkennbar. Aus dem Umstand allein, dass der schriftliche Vertrag zwar eine Dienstbarkeitseinräumung zugunsten des Rechtsvorgängers der Kläger auf Grundstück 284 des Beklagten vorsah, aus nicht feststellbaren Gründen eine solche für das Grundstück .66 hingegen unterblieb, im Sinn der bereits zitierten Rechtsprechung nicht zweifelsfrei (§ 863 Abs 1 ABGB) abzuleiten, damit hätten die Rechtsvorgänger der Streitteile einen Ausschluss der bei Offenkundigkeit und/oder Kenntnis von Gesetzes wegen entstehenden Wegedienstbarkeit vereinbaren wollen, bedarf keiner Korrektur im Einzelfall. Soweit die Revisionswerber mit einer Vereinbarung der Rechtsvorgänger der Streitteile argumentieren, getrennte Hofzufahrten zu errichten, geht die Rechtsrüge nicht von den Feststellungen aus und ist insoweit daher nicht gesetzesgemäß ausgeführt.
[13] 2.3. Auch die Frage der Offenkundigkeit einer nicht im Grundbuch eingetragenen Wegedienstbarkeit für den Erwerber einer Liegenschaft ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0107329 [T1]). Auch insoweit zeigt die Revision keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung auf. Nach den Feststellungen wurde die Zufahrtsstraße nach Abschluss des Realteilungsvertrags – unverändert – von den Rechtsvorgängern des Beklagten und ihren Besuchern fast täglich befahren und begangen, die Realteilung bewirkte keine Änderung der Zugangs-Zufahrtssituation, was die Kläger, die auf der Nachbarliegenschaft bereits seit 1982 leben, auch wahrgenommen haben. Davon auszugehen, die Benutzung eines Teils des Grundstücks .66 der Kläger als einzige Hofzufahrt des Beklagten sei offenkundig, jedenfalls aber den Klägern bekannt gewesen, ist daher nicht zu beanstanden. Dass nach der Vereinbarung der Rechtsvorgänger der Streitteile die Zufahrtssituation nach Realteilung unverändert bleiben sollte, unterstützt dieses Ergebnis.
[14] 3. Damit war die Revision zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).
[15] 4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Kläger haben dem Beklagten, der auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat, die tarifgemäß verzeichneten Kosten seiner Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Textnummer
E134515European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00026.22T.0303.000Im RIS seit
25.04.2022Zuletzt aktualisiert am
25.04.2022