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19/05 Menschenrechte;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. M. Fellner, über die Beschwerde des A in I, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. September 1994, Zl. 103.261/2-III/11/94, betreffend Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (belangte Behörde) vom 15. September 1994, mit welchem der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG, in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 351/1995) i.V.m. § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen wurde. Der angefochtene Bescheid wurde damit begründet, daß der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 9. Juli 1993 wegen §§ 142 Abs. 1, 127, 129 Z. 1, 15 sowie 12 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, bedingt auf drei Jahre, verurteilt worden sei. Zwar sei aufgrund dieser Verurteilung die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 FrG zu rechtfertigen; dies sei jedoch unter Bedachtnahme auf § 20 Abs. 2 FrG nicht möglich. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers habe aber zu einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG geführt. Der Beschwerdeführer habe eindeutig zu erkennen gegeben, daß er nicht gewillt sei, sich entsprechend den in Österreich geltenden Rechtsvorschriften zu verhalten. Zwar bestünden unabsprechbare private und familiäre Beziehungen des Beschwerdeführers zu Österreich, zumal er im Bundesgebiet geboren worden sei, seine Eltern und sein Bruder hier lebten und er hier einer geregelten Beschäftigung nachgehe. Jedoch lebten noch die Großeltern des Beschwerdeführers in seinem Heimatland. Es sei somit im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen des Beschwerdeführers Priorität einzuräumen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens - unter Abstandnahme von der Erstattung einer Gegenschrift - vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach dem - gemäß § 5 Abs. 1 AufG auch für die Erteilung von Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz maßgeblichen - § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, das Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB sowie das Verbrechen des teils versuchten, teils vollendeten Diebstahles durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z. 1 sowie § 15 und § 12 StGB begangen zu haben und deswegen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, bedingt auf drei Jahre, verurteilt worden zu sein. Er hält den angefochtenen Bescheid jedoch deswegen für rechtswidrig, weil er bis zu seiner Straftat alle Voraussetzungen zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft erfüllt habe und gemäß § 20 Abs. 2 FrG gegen ihn kein Aufenthaltsverbot erlassen werden könne. Die in dieser Bestimmung enthaltene Interessenabwägung sei in seinem Fall auch bei der Entscheidung über seine Aufenthaltsberechtigung vorzunehmen und falle zu seinen Gunsten aus. § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG müsse insofern im Hinblick auf Art. 8 MRK verfassungskonform ausgelegt werden, als ansonsten einerseits gemäß § 20 Abs. 2 FrG ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen, andererseits aber auch eine Bewilligung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG nicht erteilt werden dürfe. Der Beschwerdeführer lebe in geordneten familiären Verhältnissen; die über ihn verhängte Freiheitsstrafe sei deshalb auch zur Gänze für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden. Das zuständige Gericht gehe also eindeutig davon aus, daß keine Wiederholungsgefahr vorliege.
Mit diesen Ausführungen gelingt es dem Beschwerdeführer im Ergebnis, die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG hat die Behörde nämlich auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen, und zwar derart, daß sie zu prüfen hat, ob ein Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. September 1994, Zl. 94/18/0232).
Der Beschwerdeführer ist nach den Feststellungen der belangten Behörde in Österreich geboren, hat dem Akteninhalt zufolge hier die Schule besucht und intensive private und familiäre Beziehungen, zumal er bei seinen hier lebenden Eltern wohnt und auch einer geregelten Beschäftigung nachgeht. Die von der belangten Behörde gezogene rechtliche Schlußfolgerung auf ein Überwiegen der öffentlichen Interessen trifft nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu, vielmehr überwiegen - insbesondere unter Bedachtnahme auf den Aufenthalt seit seiner Geburt, den Schulbesuch in Österreich und die aufrechte Beschäftigung - die privaten Interessen des Beschwerdeführers.
Mit ihrer Auffassung, bei dieser Sachlage die Verlängerung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz im Grunde des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG versagen zu dürfen, verkannte die belangte Behörde daher die Rechtslage und belastete den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1994181098.X00Im RIS seit
02.05.2001