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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AHG 1949 §1 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator und die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über den Antrag des Landesgerichts Klagenfurt in 9020 Klagenfurt, Dobernigstraße 2, betreffend Feststellung der Rechtswidrigkeit des gewerbebehördlichen Betriebsanlagengenehmigungsbescheids des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Klagenfurt vom 2. September 1991 (Parteien im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof: 1. Bürgermeister der Landeshauptstadt Klagenfurt, Neuer Platz 1, 9020 Klagenfurt am Wörthersee; 2. Aversicherungsanstalt in G, 3. Kkrankenkasse K, 4. Pversicherungsanstalt K, zweite bis vierte Partei jeweils vertreten durch Dr. Peter Schaden, Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Sporgasse 2; 5. G GmbH in K, vertreten durch Mag. Cornelia Strauß, Rechtsanwältin in 9020 Klagenfurt, Dr. A. Lemisch Platz 2; 6. Mag. A L in G, vertreten durch Dr. Thomas C. Mair, Rechtsanwalt in 4820 Bad Ischl, Kohausstraße 9; 7. K GmbH in M, vertreten durch die Wiedenbauer Mutz Winkler und Partner Rechtsanwälte GmbH in 9020 Klagenfurt, Gabelsbergerstraße 5; 8. Landeshauptstadt Klagenfurt, vertreten durch Dr. Gerhard Fink, Dr. Peter Bernhard, Dr. Bernhard Fink, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Bahnhofstraße 5), den Beschluss gefasst:
Spruch
Der Feststellungsantrag des Landesgerichts Klagenfurt vom 13. Juni 2019, eingelangt beim Verwaltungsgerichtshof am 19. Juni 2019, wird im Umfang der beantragten Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Klagenfurt vom 2. September 1991, GW-300/297/91, mit welchem die gewerbebehördliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Servicestation am Standort K, Parzelle Nr. X, KG E, erteilt wurde, zurückgewiesen.
Begründung
1 1. Mit dem vorliegenden, auf Art. 133 Abs. 2 B-VG iVm §§ 64 ff VwGG iVm § 11 AHG gestützten Antrag begehrt das Landesgericht Klagenfurt - soweit für die hier vorliegende Entscheidung von Relevanz - die Überprüfung und Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheids des „Magistrats Klagenfurt“ (richtigerweise: des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Klagenfurt) vom 2. September 1991, mit welchem die Betriebsanlagengenehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Servicestation auf einer bestimmt bezeichneten Parzelle der KG Ehrental in Klagenfurt erteilt wurde.
2 Insofern der Feststellungsantrag die Überprüfung des baurechtlichen Bewilligungsbescheids des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Klagenfurt vom 12. Juli 1991 betrifft, ist dieser Gegenstand eines anderen Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof (protokolliert zu Fe 2022/06/0001).
3 Den Anlass für den Feststellungsantrag bildet ein bei dem antragstellenden Gericht - im zweiten Rechtsgang nur noch - gegen die Landeshauptstadt Klagenfurt anhängiges Amtshaftungsverfahren. Die in den Amtshaftungsverfahren klagenden Parteien sind Träger der gesetzlichen Unfall-, Kranken- und Pensionsversicherung, die jeweils den Ersatz der dem Opfer eines Arbeitsunfalls geleisteten Sach- und Geldleistungen in Höhe der Klagsbeträge unter Berufung auf § 332 ASVG begehren.
4 Ursprünglich richtete sich die Amtshaftungsklage - neben der jetzigen Beklagten - auch gegen das Land Kärnten und die Republik Österreich (Bund) als zweit- bzw. drittbeklagte Partei. Gegen diese beiden Rechtsträger wurde die Klage bereits im ersten Rechtsgang rechtskräftig abgewiesen.
5 2.1. Den Ausführungen des Landesgerichts Klagenfurt in seinem Antrag an den Verwaltungsgerichtshof zufolge liegt dem beim antragstellenden Gericht anhängigen Amtshaftungsverfahren folgender Sachverhalt zu Grunde:
6 Die Nebenintervenientin der beklagten Partei im zivilgerichtlichen Verfahren (hier siebtgenannte Partei) habe seit 1991 auf einem in Bestand genommenen Grundstück eine Servicestation zur Durchführung von Schlosser- und Instandsetzungsarbeiten an LKW-Ladekränen, LKW-Aufbauten und Anhängern betrieben. Auf dem Betriebsareal habe sich unter anderem ein Waschplatz zum Reinigen verschmutzter Ersatzteile und der LKW-Ladekräne befunden, wobei die Abwässer über einen Kompaktschlammfang und Benzinabscheider abgeleitet und anschließend versickert worden seien.
7 Am 26. Juli 2001 habe sich auf diesem Betriebsgelände der verfahrensgegenständliche Arbeitsunfall ereignet, bei welchem der bei den im zivilgerichtlichen Verfahren als Kläger auftretenden Parteien pflichtversicherte Mitarbeiter eines Wartungsunternehmens, das mit Überprüfungs- und Wartungsarbeiten betreffend den auf dem Betriebsgelände befindlichen Sickerschacht beauftragt worden war, auf Grund der im Sickerschacht herrschenden hohen Kohlendioxydkonzentration und extrem niedrigen Sauerstoffkonzentration schwerste neurologische Schäden erlitten habe und dadurch so schwer verletzt worden sei, dass er über Jahre hinweg im Wachkoma gelegen und später an den Verletzungsfolgen verstorben sei. Ein weiterer Arbeiter, der dem Bewusstlosen zu Hilfe habe kommen wollen, sei drei Monate nach dem Arbeitsunfall auf Grund der seinerseits erlittenen Gesundheitsschädigung ebenfalls verstorben.
8 Ein verantwortlicher Mitarbeiter der Wartungsfirma sei in Zusammenhang mit diesem Arbeitsunfall wegen fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung strafgerichtlich rechtskräftig verurteilt worden. Außer Streit stehe, dass die klagenden Parteien des zivilgerichtlichen Verfahrens den mittlerweile Verstorbenen Sach-und Geldleistungen in Höhe der Klagsbeträge erbracht hätten.
9 Dem Unfall seien folgende Geschehnisse vorangegangen:
10 Mit Bescheid des Landeshauptmanns des Landes Kärnten vom 23. November 1967 sei der Landeshauptstadt Klagenfurt die wasserrechtliche Bewilligung erteilt worden, auf den Grundstücken, auf welchen die verfahrensgegenständliche Betriebsanlage viele Jahre später genehmigt worden sei, einen Müllablagerungsplatz zu errichten. Die genannten Grundflächen lägen in einem dreiecksförmigen ausgebildeten Geländebereich im Norden der Stadt. Im als Müllablagerungsplatz bewilligten Grubenbereich sei in den folgenden Jahren Müll unterschiedlicher Art - auch Hausmüll - abgelagert worden. Teilweise seien auch „wilde“ Ablagerungen erfolgt. Eine bauliche Sperre zwischen den Grundstücken habe es nicht gegeben. Unter den vorhandenen geologischen Bedingungen habe „Deponiegas“ über Entfernungen von 60 bis 80 m migrieren können.
11 Nach Beendigung der Müllablagerungen sei durch die Landeshauptstadt Klagenfurt eine Planierung und Humusierung der dortigen Bodenfläche durchgeführt worden, weshalb sich das Gelände in der Folge als eine mit Gras bewachsene ungenutzte Wiese dargestellt habe. Die betreffenden Grundstücke seien im Flächenwidmungsplan der Landeshauptstadt Klagenfurt aus dem Jahre 1968 als „Wiese und Brachland“ ausgewiesen gewesen. Im Jahr 1975 sei eine Neuauflage des Flächenwidmungsplans erfolgt, in deren Zug es zu einer Widmungsänderung der Grundstücke in „Bauland- gemischtes Baugebiet, Sonderwidmung gewerbliche Betriebe“ gekommen sei. Im Rahmen einer Erhebung von Verdachtsflächen bzw. Altlasten im Zusammenhang mit dem im Jahr 1989 in Kraft getretenen Altlastensanierungsgesetz seien die oben beschriebenen Grundstücke nicht angegeben worden. Es sei zu keiner Erfassung der seinerzeit wasserrechtlich bewilligten Müllablagerungen oder der Aushebung der einzelnen, seinerzeit in diesem Zusammenhang erlassenen Bescheide, gekommen. Nach dem Unfall vom 26. Juli 2001 sei aufgrund von Erhebungen durch Amtssachverständige der Verdacht auf das Vorhandensein von Deponiegas aufgekommen.
12 2.2. Aus dem Antrag des Landesgerichts Klagenfurt in Zusammenschau mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 9. März 2010, 1 Ob 120/09t, ergibt sich folgender Verfahrensgang im zivilgerichtlichen Verfahren:
13 Mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 24. September 2008 gab dieses dem Klagebegehren gegenüber der Landeshauptstadt Klagenfurt und dem damals noch zweitbeklagten Land Kärnten statt, während das Klagebegehren gegenüber der (damals) drittbeklagten Partei, der Republik Österreich, abgewiesen wurde.
14 Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 31. März 2009 wurde die Amtshaftungsklage gegenüber allen drei Parteien abgewiesen.
15 Mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 9. März 2010, 1Ob 120/09t, erklärte dieser die gegen das Berufungsurteil erhobenen Revisionen für zulässig, in Ansehung des Landes Kärnten und der Republik Österreich jedoch für nicht berechtigt. Hinsichtlich der gegen die Landeshauptstadt Klagenfurt gerichteten Ansprüche, stellte der Oberste Gerichtshof einen Verordnungsprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof, der jedoch mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 6. Oktober 2010, VfSlg. 19.201/2010, zurückgewiesen wurde.
16 In seiner Begründung zur Abweisung des Amtshaftungsanspruchs gegen die Republik Österreich und der die Urteile der Vorinstanzen insofern bestätigenden Entscheidung, führte der Oberste Gerichtshof wörtlich auszugsweise aus:
„1.) Zum Begehren gegen die Drittbeklagte (Bund): (...)
Ebenso muss nicht abschließend untersucht werden, ob im gewerbebehördlichen Verfahren bei der Bewilligung des Betriebs der Zweitnebenintervenientin nicht ausreichend auf den Schutz der Arbeitnehmer vor Gesundheitsgefahren geachtet wurde und ob sich die erforderliche Bedachtnahme auf den Arbeitnehmerschutz auch auf Arbeitnehmer von dritten Spezialunternehmen bezieht, die vom Gewerbetreibenden deshalb beigezogen werden, weil für die Arbeiten Spezialkenntnisse erforderlich sind, über die die eigenen Arbeitnehmer nicht verfügen und die daher auch nicht in die Lage kommen können, sich einer allfälligen, mit diesen Arbeiten verbundenen Gefahr auszusetzen. In diesem Zusammenhang ist nämlich zu beachten, dass die Gewerbebehörde nicht verpflichtet ist, nach möglichen Gefahrenquellen zu forschen, die auch für mit ausreichendem Fachwissen (Gewerberecht, Arbeitnehmerschutz, ...) ausgestattete Organe nicht erkennbar sind. Liegt eine entsprechende Flächenwidmung (einschließlich Baubewilligung) vor, hat die Gewerbebehörde insbesondere nicht selbständig zu prüfen, ob die Widmung zu Recht erfolgt ist oder die Baufläche möglicherweise gar nicht zur gewerblichen Nutzung geeignet wäre, sofern es keine deutlichen Anhaltspunkte für das Bestehen von besonderen - im Flächenwidmungsverfahren nicht beachteten - Gefahren gibt. Dass den mit dem Bewilligungsverfahren befassten Organen des im übertragenen Wirkungsbereich tätig gewordenen Magistrats der Erstbeklagten (Abteilung Gewerberecht/Wasserrecht) entsprechende Informationen über Gefahrenquellen vorgelegen wären, behaupten die Revisionswerber selbst nicht. Es besteht auch kein Anlass, diesen einen Verschuldensvorwurf etwa deshalb zu machen, weil sie es unterlassen hätten, Erkundigungen über die Vornutzung der Liegenschaft einzuholen, durften sie doch davon ausgehen, dass die Eignung der Liegenschaft zu gewerblichen Zwecken bereits im Flächenwidmungsverfahren ausreichend überprüft worden ist. (...)“
17 3. In Hinblick auf die vom Verwaltungsgerichtshof vorrangig zu prüfende Zulässigkeit des vorliegenden Antrags ist Folgendes festzuhalten:
18 3.1. Die hier relevanten Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes (AHG) lauten auszugsweise:
„Haftpflicht
§ 1. (1) Der Bund, die Länder, die Gemeinden, sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts und die Träger der Sozialversicherung - im folgenden Rechtsträger genannt - haften nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben; dem Geschädigten haftet das Organ nicht. Der Schaden ist nur in Geld zu ersetzen.
(2) ...
(3) Mit dem im Abs. 1 genannten Rechtsträger haftet zur ungeteilten Hand auch derjenige, als dessen Organ die handelnde Person gewählt, ernannt oder sonstwie bestellt worden ist. Hat dieser Rechtsträger auf Grund dieser Haftung Zahlungen geleistet, so hat er an den im Abs. 1 genannten Rechtsträger einen Anspruch auf Rückersatz.
...
§ 11. (1) Ist die Entscheidung des Rechtsstreites von der Frage der Rechtswidrigkeit des Bescheides einer Verwaltungsbehörde oder des Erkenntnisses oder Beschlusses eines Verwaltungsgerichtes abhängig, über die noch kein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes oder des Verfassungsgerichtshofes vorliegt, und hält das Gericht den Bescheid bzw. das Erkenntnis oder den Beschluss für rechtswidrig, so hat es, sofern die Klage nicht gemäß § 2 abzuweisen ist, das Verfahren zu unterbrechen und beim Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides bzw. des Erkenntnisses oder des Beschlusses zu beantragen. Nach Einlangen des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes hat das Gericht das Verfahren fortzusetzen und den Rechtsstreit unter Bindung an die Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes zu entscheiden.“
19 3.2. Das antragstellende Gericht bezieht sich - insoweit es die vorliegende Entscheidung betrifft - auf das Vorbringen eines rechtswidrigen Verhaltens des Magistrats (richtigerweise: des Bürgermeisters) der Landeshauptstadt Klagenfurt als Gewerbebehörde.
20 3.2.1. Angelegenheiten des Gewerbes sind gemäß Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache, sodass der Bürgermeister der Landeshauptstadt Klagenfurt - betreffend den gewerbebehördlichen Bescheid, auf den sich die vorliegende Entscheidung bezieht - in mittelbarer Bundesverwaltung eingeschritten ist (Art. 102 Abs. 1 B-VG).
21 3.2.2. Gemäß § 1 Abs. 1 AHG haften die dort genannten Rechtsträger „für die als ihre Organe handelnden Personen“, was nach allgemein herrschender, auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes abzuleitender Auffassung bedeutet, dass es bei der Klärung der Frage, welcher Rechtsträger nach dem Amtshaftungsgesetz in Anspruch genommen werden kann, nicht darauf ankommt, wessen Organ in organisatorischer Hinsicht der angeblich Schuldtragende war, sondern, in wessen Namen und für wen - also funktionell - er im Zeitpunkt des angeblich schuldhaften Verhaltens tätig war. Entscheidend ist somit der Vollzugsbereich, innerhalb dessen das betreffende Organ im Zeitpunkt der schuldhaften Rechtsverletzung handelte. Die dargestellte „Funktionstheorie“ lässt sich zwangslos auch aus der Entstehungsgeschichte des die verfassungsrechtliche Grundlage des Amtshaftungsgesetzes bildenden Art. 23 B-VG ableiten, wurde doch durch die Bundes-Verfassungsnovelle BGBl Nr. 268/1925 bewusst auf das für den Rechtsträger handelnde Organ abgestellt, um die Haftpflicht von der Autorität, die die handelnde Person bestellt hat, auf die Autorität übergehen zu lassen, als deren Organ die Person tätig wurde. Die Änderung erschien deshalb notwendig, „weil andernfalls beispielsweise ein Land auch für die Amtshandlungen eines Landeshauptmanns in den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung haftpflichtig wäre, obwohl dieser allenfalls im konkreten Fall auf Weisung des vorgesetzten Bundesministers vorgegangen ist“ (RV 327 BlgNR 2. GP 8).
22 Mit Art. XXII Z 1 WGN 1989 wurde § 1 AHG ein dritter Absatz angefügt, nach dem neben dem Rechtsträger, für den das angeblich schuldtragende Organ handelte, zur ungeteilten Hand auch „derjenige“ haftet, als dessen Organ die handelnde Person gewählt, ernannt oder sonstwie bestellt worden ist. Gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetzesstelle hegte der Oberste Gerichtshof Bedenken, die jedoch vom Verfassungsgerichtshof nicht geteilt wurden (VfSlg. 13.476/1993): Die Begründung einer zusätzlichen, zur Haftung des funktionell zuständigen Rechtsträgers hinzutretenden solidarischen Haftung des Rechtsträgers, dem das den Amtshaftungsanspruch auslösende Organ organisationsrechtlich zugehört, verbessere nur die Rechtsstellung des Gläubigers, also des Geschädigten im Amtshaftungsverfahren. Die Regelung des § 1 Abs. 3 zweiter Satz AHG, die einen Rückersatzanspruch des für die Organbestellung verantwortlichen Rechtsträgers gegenüber dem funktionell zuständigen Rechtsträger normiere, wenn er auf Grund seiner Solidarhaftung Zahlung geleistet habe, berücksichtige das im Verhältnis der Gebietskörperschaften für die Wahrung ihrer Zuständigkeiten sowie der daraus fließenden Kostentragungspflichten bedeutsame verfassungsrechtliche Gebot des Art. 23 Abs. 1 B-VG hinlänglich. Es habe nämlich letztlich der Rechtsträger den Schaden zu tragen, zu dessen Vollzugsbereich das Verhalten eines Organs von Rechts wegen zählt, also der Rechtsträger, der jenes Verhalten im Wege der Weisung zu beeinflussen vermag und der deshalb auch dafür und den daraus entstandenen Schaden einzustehen hat. Der (lediglich) auf Grund der dargestellten Bestimmung des § 1 Abs. 3 AHG haftende Rechtsträger wird sohin für eine materiell fremde Schuld in Anspruch genommen (vgl. zu alldem OGH 13.12.2002, 1 Ob 8/02m, mit Verweis auf Gamerith in Rummel, ABGB³ § 896 Rz 6).
23 3.2.3. Der Oberste Gerichtshof hat - wie sich aus der Wiedergabe des unter Punkt 2. dargestellten Verfahrenshergangs im zivilgerichtlichen Verfahren ergibt - mit Entscheidung vom 9. März 2010, 1Ob 120/09t, das Amtshaftungsbegehren gegen die Republik Österreich (Bund), abgewiesen und dabei in seiner Begründung unter anderem ausdrücklich auf das mangelnde Verschulden der Gewerbebehörde Bezug genommen.
24 Die Haftung der als alleinige Beklagte im anhängigen Amtshaftungsprozess verbliebenen Landeshauptstadt Klagenfurt kann, insofern sich diese auf die dem Vorbringen im verfahrensgegenständlichen Feststellungsantrag zugrundeliegende Annahme der behaupteten Rechtswidrigkeit des gewerbebehördlichen Bescheids gründen will, in rechtlicher Hinsicht nur auf § 1 Abs. 3 AHG gestützt werden, da - wie bereits oben festgehalten - der Bürgermeister als Entscheidungsorgan in Gewerbeangelegenheiten als Vollzugsorgan in mittelbarer Bundesverwaltung handelte und sein Handeln daher funktionell dem Bund als Rechtsträger zuzuordnen war. Da jedoch die aus einer allfälligen Rechtswidrigkeit des gewerbebehördlichen Bescheides resultierende Haftung des Bundes bereits rechtskräftig mit höchstgerichtlichem Urteil abgewiesen wurde, kommt auch eine Haftung der als Beklagte im Verfahren verbliebenen Landeshauptstadt Klagenfurt aus diesem Haftungsgrund nicht in Frage, steht diese ja in dem Zusammenhang mit dem gewerbebehördlichen Bescheid gemäß § 1 Abs. 3 AHG allenfalls für die fremde Schuld des anderen Rechtsträgers ein, für den das handelnde Organ funktionell eingeschritten ist.
25 Davon ausgehend kann die Entscheidung über die Klage gegen die als einzige beklagte Partei im zivilgerichtlichen Verfahren verbliebene Landeshauptstadt Klagenfurt nicht auf ein rechtswidriges Handeln der Gewerbebehörde wegen der Genehmigung der Betriebsanlage gestützt werden, weshalb die Entscheidung des Zivilgerichts auch nicht von der Beantwortung der Frage der Rechtswidrigkeit des gewerbebehördlichen Bescheids vom 2. September 1991 abhängig sein kann.
26 Der vorliegende Feststellungsantrag erweist sich daher in seinem Umfang betreffend die Überprüfung des gewerbebehördlichen Bescheids vor dem Hintergrund des § 11 Abs. 1 AHG, der die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über die Rechtswidrigkeit von behördlichen Entscheidungen nur im Fall der Präjudizialität der Rechtsfrage für das beim antragstellenden Zivilgericht anhängige Verfahren vorsieht, als unzulässig. Der Feststellungsantrag war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.
Wien, am 18. März 2022
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:FE2019040001.H00Im RIS seit
21.04.2022Zuletzt aktualisiert am
16.05.2022