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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Legitimation der Grundeigentümer zur Anfechtung einer Verordnung betreffs die Öffentlicherklärung eines Weges; Gesetzwidrigkeit der Erklärung eines Fußweges zu einem Gemeindeweg mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen; kein ausreichendes Verfügungsrecht der Gemeinde über die fragliche VerkehrsflächeSpruch
Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Alpbach vom 4. März 1992, AZ 612/1992, wird insoweit als gesetzwidrig aufgehoben, als der Fußweg zum "Traterfeld" auf der Gp. 14/1 auf einer 1,20 m breiten Trasse zum Gemeindeweg erklärt wird.
Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.
Die Gemeinde Alpbach ist schuldig, den Antragstellern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 17.250,- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Gemeinderat der Gemeinde Alpbach beschloß am 4. März 1992 unter der Zahl 612/1992 gemäß §13 Abs1 Tiroler Straßengesetz (Tir. StrG), LGBl. 13/1988, folgende Verordnung:
"Der Fußweg zum 'Traterfeld' wird gem. §13 Tiroler Straßengesetz (TStG), LGBl. Nr. 13/1989, zum Gemeindeweg ('Traterfeldweg') erklärt.
Die Weganlage beginnt bei der Abzweigung von der Alpbacher Landesstraße (Gp. 1994) und erstreckt sich auf einer 1,20 m breiten Trasse gegen Südwesten auf der Gp. 14/1, sodann entlang der Nordostgrenze auf der Gp. 14/8 (Breite 1,20 m) und entlang der Grenze zwischen den Parzellen 14/8 und 14/9 (jeweils in einer Breite von 60 cm) bis zur Gp. 14/3. Die Wegtrasse ist im Lageplan des Dipl.Ing. Jankowitsch vom 27.11.1989, GZl. 266/1989 dargestellt.
Die Benützung des Weges (§4 TStG) ist ausschließlich für den Fußgängerverkehr beschränkt.
Begründung:
Die Gemeinde Alpbach ist Eigentümer des Grundstückes Gp. 14/3 auf dem sich der öffentliche Kinderspielplatz der Gemeinde befindet.
Die Gemeinde Alpbach hat die zivilrechtliche Verfügungsgewalt zur Benützung dieses Weges aufgrund des Tauschvertrages vom 18.12.1989 und des Kauf- und Wegregelungsvertrages vom 20.12.1989.
Durch diesen Weg wird der gesamte Siedlungsbereich, insbesondere der öffentliche Kinderspielplatz für Fußgänger verkehrssicher erschlossen und ist somit die Erklärung zum Gemeindeweg im öffentlichen Interesse.
RECHTSMITTELBELEHRUNG:
Wer sich durch diesen Beschluß in seinen Rechten verletzt erachtet, kann innerhalb der Kundmachungsfrist von 2 Wochen gem. §53 Abs2 der Tiroler Gemeindeordnung 1966 eine schriftliche Aufsichtsbeschwerde einbringen.
Der Bürgermeister:"
Diese Verordnung wurde durch Anschlag an der Gemeindeamtstafel vom 10. März 1992 bis 26. März 1992 kundgemacht.
2. Gestützt auf Art139 Abs1 B-VG begehren die Antragsteller als die Eigentümer des Grundstückes 14/1 in EZ 585, KG 83101 Alpbach, die Aufhebung der einleitend zitierten Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit insoweit, als diese Verordnung den Fußweg zum "Traterfeld" auf dem Grundstück Nr. 14/1 auf einer 1,20 m breiten Trasse zum Gemeindeweg ("Traterfeldweg") erklärt. Der Verfassungsgerichtshof möge der Gemeinde Alpbach auch den Ersatz der Verfahrenskosten auferlegen.
Nach Ausführungen zur Antragslegitimation begründen die Antragsteller die behauptete Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnung im wesentlichen damit, daß die Gemeinde deshalb nicht dazu berechtigt gewesen sei, den betreffenden Weg zum Gemeindeweg zu erklären, weil sie über diesen Weg nicht verfügungsberechtigt gewesen sei. Die Erklärung zum Gemeindeweg bewirke, daß an dem bisherigen Privatweg Gemeingebrauch begründet werde; die Benützung des Weges stehe somit jedermann zu und dürfe auch vom Eigentümer nicht behindert werden (§2 Abs5, §4 Abs4 Tir. StrG). Straßenverwalter eines Gemeindeweges - und daher für dessen Erhaltung und Verwaltung verantwortlich - sei die Gemeinde (§2 Abs7, §14 Tir. StrG). Diese müsse sich zunächst entweder mittels Vertrag oder mittels Enteignung gemäß §§61ff. Tir. StrG die Verfügungsgewalt über einen bestehenden Privatweg sichern, bevor sie dessen Umwandlung in einen Gemeindeweg vornehmen könne.
Die Antragsteller hätten der Gemeinde zwar mit einem Kauf- und Wegeregelungsvertrag vom 20.12.1989 eine Servitut in Form eines Gehrechtes über die relevante Wegstrecke eingeräumt, dies bedeute jedoch nicht, daß an diesem Weg Gemeingebrauch begründet worden sei. Der genannte Vertrag biete keine ausreichende rechtliche Grundlage für die bekämpfte Verordnung, da er der Gemeinde nicht die Verfügungsgewalt über den betreffenden Weg eingeräumt habe.
3. Die Gemeinde Alpbach erstattete eine Äußerung, in der sie zunächst die Zulässigkeit des Antrages mit der Begründung bestreitet, daß an dem maßgeblichen Weg aufgrund der zugunsten der Gemeinde bestehenden Servitut auch bereits vor Erlassung der bekämpften Verordnung Gemeingebrauch bestanden habe. Die Verordnung bewirke daher keinen zusätzlichen Eingriff in die Rechtssphäre der Antragsteller. Im übrigen verteidigt die Gemeinde die Rechtmäßigkeit der bekämpften Verordnungsbestimmung im wesentlichen damit, daß die Erklärung des Weges zum Gemeindeweg im öffentlichen Interesse erfolgt sei. Der vom Verfassungsgerichtshof zu prüfende Antrag möge daher zurück-, in eventu abgewiesen werden.
4. Auch die Tiroler Landesregierung erstattete eine Äußerung, mit der sie die Abweisung des Antrages begehrt. Es sei im wesentlichen unbestritten, daß der maßgebliche Weg an und für sich die Voraussetzungen einer Gemeindestraße erfülle, da die Erschließung des Kinderspielplatzes eindeutig in einem örtlichen Raumordnungsinteresse der Gemeinde gelegen sei (s. §13 Abs2 litc Tir. StrG). Was die Verfügungsgewalt der Gemeinde an diesem Weg betreffe, so sei diese durch das der Gemeinde im Jahr 1989 vertraglich eingeräumte Gehrecht gegeben. Aufgrund dieser Servitut sei die Allgemeinheit bereits vor Erlassung der bekämpften Verordnung zur Benützung des betreffenden Weges berechtigt gewesen. Dessen Erklärung zum Gemeindeweg sei nun lediglich die korrekte öffentlich-rechtliche Umsetzung der bisher nur zivilrechtlich begründeten Rechtslage. Da die Gemeinde bereits aufgrund des genannten Vertrages die erforderliche zivilrechtliche Verfügungsgewalt über den betreffenden Weg besessen habe, sei die Durchführung einer Enteignung nicht erforderlich gewesen. Im übrigen hätte auch eine Enteignung im Hinblick auf §63 Abs3 Tir. StrG nur die Einräumung einer Dienstbarkeit, nicht aber die Übertragung des Eigentums an dem in Rede stehenden Weg zum Gegenstand haben können.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. ua. VfSlg. 8156/1977, 9375/1982, 9877/1983, 10754/1986, 12133/1989) greift eine Verordnung, mit der ein in der Natur bereits vorhandener und daher benützbarer Weg zur öffentlichen Verkehrsfläche erklärt wird, in die Rechtssphäre des betreffenden Grundeigentümers aktuell und nicht bloß potentiell ein; zur Konkretisierung der Wirkung der Verordnung bedarf es keines weiteren behördlichen Aktes.
Die Antragsteller sind die Eigentümer des Grundstückes Nr. 14/1, über das ein Weg führt. Dieser Weg ist unter anderem Gegenstand der bekämpften Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Alpbach vom 4. März 1992, mit der gemäß §13 Abs1 Tir. StrG eine näher bestimmte Wegstrecke zur Gemeindestraße, also zu einer öffentlichen Straße (s. §2 Abs3 und §6 Z2 Tir. StrG) erklärt wurde.
Laut dem diesbezüglich übereinstimmenden Vorbringen der Parteien und den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Unterlagen verfügt die Gemeinde seit einem am 20. Dezember 1989 mit den Antragstellern geschlossenen Kauf- und Wegeregelungsvertrag über ein Gehrecht auf der in Rede stehenden und von der Verordnung erfaßten Wegstrecke. Diese der Gemeinde eingeräumte Servitut kann also bereits durchaus der Allgemeinheit zugute gekommen sein.
b) Dennoch greift die bekämpfte Verordnung in die Rechtssphäre der Antragsteller ein: Die Ausübung ihres Eigentumsrechtes an dem in Rede stehenden Weg wird durch dessen Erklärung zum Gemeindeweg nämlich weitgehend unmöglich gemacht. Die Antragsteller sind zwar nach wie vor grundbücherliche Eigentümer der maßgeblichen Wegstrecke, durch Inkrafttreten der bekämpften Verordnung wurde jedoch im Hinblick auf §14 Abs1 iVm §2 Abs7 Tir. StrG die Gemeinde zur Straßenverwalterin und damit für die Erhaltung und Verwaltung des nunmehrigen Gemeindeweges zuständig. Die bloße Einräumung einer Servitut - mag diese möglicherweise in bestimmtem Ausmaß Gemeingebrauch begründen - beschneidet die Eigentümerbefugnisse hingegen in geringerem Ausmaß, da sie den Grundeigentümer ausschließlich dazu verpflichtet, die Ausübung der Dienstbarkeit durch die Berechtigten zu dulden, seine Rechtsposition aber darüber hinaus unberührt läßt. Der Umstand, daß der Weg aufgrund einer der Gemeinde eingeräumten Servitut bereits von der Allgemeinheit als Fußweg benutzt werden konnte, vermag also nicht darüber hinwegzutäuschen, daß sich die Rechtsstellung der Antragsteller insbesondere im Hinblick auf die Ausübung ihrer Verfügungsgewalt als Eigentümer durch Inkrafttreten der bekämpften Verordnung jedenfalls verändert hat.
Der Antrag ist daher, da auch die übrigen Voraussetzungen vorliegen, zulässig.
2. Der Antrag ist auch begründet.
a) Die maßgebliche Rechtslage nach dem Tir. StrG stellt sich wie folgt dar:
Gemäß §1 Abs2 gelten die Vorschriften des Tir. StrG über öffentliche Straßen auch für öffentliche Wege. Laut §2 Abs3 sind öffentliche Straßen und Wege dem Gemeingebrauch gewidmet, was gemäß §2 Abs5 bedeutet, daß sie von jedermann unter den gleichen Bedingungen ohne besondere Ermächtigung zu Verkehrszwecken im Rahmen der Widmung benützt werden können. Laut §6 Z2 stellen Gemeindestraßen eine Gruppe der öffentlichen Straßen dar. Die Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße erfolgt laut §13 Abs1 durch Verordnung der Gemeinde. Dies kann unter anderem dann geschehen, wenn eine Straße überwiegend für eine Erschließung, die in einem örtlichen Raumordnungsinteresse der Gemeinde gelegen ist, von Bedeutung ist (§13 Abs2 litc).
Die §§61ff. enthalten Vorschriften über die Enteignung: §63 Abs1 lita sieht vor, daß durch Enteignung nicht nur das Eigentum, sondern auch Dienstbarkeiten an Grundstücken eingeräumt werden können. Eine Enteignung durch Einräumung des Eigentums an einem Grundstück ist nur dann zulässig, wenn der Zweck der Enteignung nicht auch durch Einräumung einer derartigen Dienstbarkeit verwirklicht werden kann (§63 Abs3).
Die Erklärung eines Weges zum Gemeindeweg bewirkt nicht nur dessen Gemeingebrauch (§2 Tir. StrG), sondern auch, daß die Gemeinde zum Straßenverwalter wird (§14 Abs1 Tir. StrG). Zur Straßenverwaltung gehören nach §2 Abs7 leg.cit. der Bau, die Erhaltung und die Verwaltung der Straße, nach §46 insbesondere die dort aufgezählten Maßnahmen der Straßenerhaltung.
b) Selbst wenn man davon ausgeht, daß nach dem Wegeregelungsvertrag vom 20. Dezember 1989 im Ergebnis ein Gemeingebrauch des Weges begründet wurde (was hier nicht geprüft werden muß), müssen die Antragsteller diesfalls zwar die Benützung des Weges durch jedermann in Kauf nehmen, es verbleibt ihnen jedoch die Entscheidung über die Art und Weise der Gestaltung, die Methoden und Mittel der Erhaltung des Weges und ebenso die Abwehr von mißbräuchlichen Verwendungen des Weges (etwa die Benützung nicht nur zu Fuß). Alle diese Maßnahmen obliegen bei einem Gemeindeweg aber nicht mehr dem Grundeigentümer, sondern dem Straßenverwalter (so zB die Entscheidung über eine Asphaltierung oder sonstige Formen der Ausgestaltung des Weges). Schon daraus ist zu ersehen, daß der Gemeinde aufgrund des Wegeregelungsvertrages kein Verfügungsrecht über das Grundstück Gp. 14/1 in jenem Ausmaß zusteht, welches das Tir. StrG für einen öffentlichen Weg erfordert.
c) Da die Gemeinde Alpbach somit über das Grundstück Gp. 14/1 weder durch eine ausreichende Dienstbarkeit noch durch einen Eigenerwerb ein Verfügungsrecht der Art erhalten hat, welches nach dem Tir. StrG eine Voraussetzung für die Erklärung zum Gemeindeweg bildet, entspricht die angefochtene Verordnung insoweit nicht dem Gesetz.
3. Die bekämpfte - auch planlich abgrenzbare - Verordnungsbestimmung ist somit als gesetzwidrig aufzuheben.
Der Ausspruch über die Kundmachungspflicht stützt sich auf Art139 Abs5 erster Satz B-VG.
Der Kostenausspruch beruht auf §61a VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.875,-
enthalten.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nicht öffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Individualantrag, Straßenverwaltung, Gemeindestraße, Öffentlicherklärung (einer Straße), Widmung (einer Straße)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1994:V10.1993Dokumentnummer
JFT_10059377_93V00010_00