TE OGH 2022/2/23 3Ob119/21b

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Veröffentlicht am 23.02.2022
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Familienrechtssache des Minderjährigen C*, geboren * 2014, Vater Di*, vertreten durch Dr. Günter Wappel, Rechtsanwalt in Wien, Mutter Ma*, vertreten durch Dr. Andrea Wukovits, Rechtsanwältin GmbH in Wien, wegen Obsorge und Kontaktrechts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 10. Juni 2021, GZ 20 R 70/21z-595, mit dem der Rekurs des Vaters gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Mattersburg vom 27. Jänner 2021, GZ 4 Ps 164/14k-558, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung:

[1]            Das Erstgericht entzog mit dem angefochtenen Beschluss dem Vater die Obsorge für den * 2014 geborenen Minderjährigen und übertrug diese zur Gänze an die Mutter. Außerdem räumte es dem Vater ein – näher geregeltes – Kontaktrecht ein, verpflichtete die Eltern zu einem Erstgespräch mit der Besuchsbegleitung sowie zur Kontaktaufnahme mit der Einrichtung und wies die Anträge des Vaters auf Einräumung unbegleiteter Kontakte, auf Beendigung der Besuchsbegleitung (mit verschiedenen Endterminen) sowie auf Einräumung eines zweimal täglichen Telefonkontaktrechts ab bzw zurück. Mit demselben Beschluss verpflichtete es die Mutter zur Information in regelmäßigen Abständen über wichtige Angelegenheiten des Kindes und übertrug die Zuständigkeit für die Pflegschaftssache an das Bezirksgericht M*.

[2]            Das Rekursgericht wies den Rekurs des Vaters als verspätet zurück (ON 595).

[3]            Der Rekurs sei – als bloßes Fragment – erst am 15. Februar 2021 und damit am letzten Tag der Frist ab 23:16 Uhr beim Erstgericht per Telefax eingebracht worden. In Anbetracht der zahlreichen, vom Vater im gegenständlichen Verfahren bereits erhobenen Rechtsmittel sei ein Verbesserungsverfahren (hinsichtlich des Formfehlers der fehlenden Unterschrift) nicht erforderlich gewesen, weil ein solches in aktenkundigen Fällen eines Rechtsmissbrauchs dieses Instituts nicht anzuwenden sei. Auch Erhebungen zur Zustellung seien nicht erforderlich, weil der Rechtsmittelwerber seine Ortsabwesenheit nur unsubstanziiert und nur für den 14. Februar 2021 behauptet habe.

[4]            In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs wegen Nichtigkeit, Aktenwidrigkeit, Verfahrensmängeln und unrichtiger rechtlicher Beurteilung behauptet der Vater nun erstmals, dass er schon in der Zeit zwischen 30. Jänner bis zum 5. Februar 2021 beruflich bedingt abwesend gewesen sei und „auch in der Folge (...) nicht an seinem Hauptwohnsitz genächtigt“ habe; dazu legt er Bescheinigungsmittel vor.

[5]            Die Mutter äußerte sich zu diesem Vorbringen dahin, dass sie über die Frage, wann sich der Vater zur Zeit der Zustellung des erstgerichtlichen Beschlusses wo aufgehalten habe, keine eigenen Wahrnehmungen habe und daher dazu nichts beitragen könne (ON 618).

Rechtliche Beurteilung

[6]            Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

[7]            1. Die Zustellvorschriften sind zwingendes Recht; ihre Einhaltung hat das Gericht von Amts wegen zu überprüfen (RS0036440). Rechtsmittelausführungen, die Umstände betreffen, die jederzeit von Amts wegen wahrzunehmen sind, verstoßen nicht gegen das Neuerungsverbot (vgl RS0108589 [T1], RS0006957 [T3]). Der – hier von einem als „Mitbewohner“ bezeichneten Übernehmer mit dem Nachnamen des Empfängers unterzeichnete, vom Zusteller gemäß § 22 Abs 1 ZustellG beurkundete – Zustellnachweis ist (wie das Rekursgericht zutreffend erkannte) eine öffentliche Urkunde mit den dieser zukommenden Wirkungen und macht zunächst vollen Beweis darüber, dass die darin beurkundeten Zustellvorgänge eingehalten wurden. Der Gegenbeweis ist allerdings zulässig (RS0040471; vgl auch RS0006957). Hat eine Partei – wie hier der Vater – nun Umstände vorgebracht, die im Hinblick auf ihre frühere zeitweilige Ortsabwesenheit Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zustellvorgangs aufkommen lassen, so ist dieser Zustellvorgang zu überprüfen.

[8]            2.1 Nach der Aktenlage wurde dem Vater der angefochtene Beschluss des Erstgerichts betreffend die Regelung der Obsorge und das Kontaktrecht für den Minderjährigen am 1. Februar 2021 durch Zustellung an seiner Wohnadresse an einen Mitbewohner mit gleichem Familiennamen zugestellt.

[9]            2.2 Aufgrund der Ergebnisse des im Auftrag des Obersten Gerichtshofs vom 25. November 2021 (ON 608) vom Erstgericht durchgeführten Bescheinigungsverfahrens betreffend die vom Vater behauptete Ortsabwesenheit in der Zeit zwischen 30. Jänner und 5. Februar 2021 geht der erkennende Senat davon aus, dass sich der Vater in diesem Zeitraum nicht an seiner Wohnadresse aufhielt, sondern einige Nächte im Caravan eines Bekannten übernachtete. Die Zustellung wurde daher nach der Bestimmung des § 17 Abs 3 dritter Satz ZustG erst mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag der Abholfrist (hier am 6. Februar 2021) wirksam (vgl RS0083966).

[10]           3. Der Rekurs des Vaters gegen den Beschluss des Erstgerichts vom 27. Jänner 2021, den er am 16. Februar 2021 per Fax (ON 568) und am 19. Februar 2021 (ON 570) persönlich einbrachte, ist daher nicht verspätet. Das Rekursgericht wird daher das Rechtsmittel des Vaters unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund zu erledigen haben.

Textnummer

E134462

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00119.21B.0223.000

Im RIS seit

20.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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