TE Vwgh Erkenntnis 1996/6/19 95/01/0238

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Veröffentlicht am 19.06.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16;
AVG §58 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Dolp und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde des L in B, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. Juni 1995, Zl. 4.339.854/8-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. Juni 1995 wurde in Erledigung der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 31. August 1992, mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer - ein Staatsangehöriger der "Jugosl. Föderation" aus dem Kosovo mit albanischer Nationalität, der am 26. April 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am darauffolgenden Tag den Asylantrag gestellt hat - die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, abgewiesen und ausgesprochen, er sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Anläßlich seiner am 27. August 1992 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung hat der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt im wesentlichen angegeben, er sei römisch-katholisch und habe seine Religion in der Heimat nie ausüben können. Es gebe zwar eine Kirche in seiner Heimatgemeinde, doch habe er die Religion selbst nie ausüben wollen. Er sei seit 1990 Mitglied der LDK (Demokratische Partei im Kosovo für die Freiheit der Albaner) und habe fallweise und freiwillig Mitgliedsbeiträge bezahlt. Er gehöre der albanischen Minderheit an und habe seit 1981 größte Probleme mit den serbischen Behörden seiner Region bekommen. Man wolle die albanische Sprache verhindern, man habe die Schulen geschlossen und man gebe ihnen (gemeint: den Kosovo-Albanern) keine Arbeit. Freie Arbeitsplätze würden grundsätzlich nur durch Serben besetzt und die Unterdrückung durch die serbischen Behörden sei immer spürbar.

Hausdurchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehle seien durch diese Behörden immer möglich. Er selbst habe solche mit seiner Familie auch über sich ergehen lassen müssen. Im Jänner 1992 seien einige Milizionäre in der Nacht in sein Haus gekommen und hätten das ganze Haus nach Waffen durchsucht. Man habe ihn beschuldigt, solche Waffen versteckt zu halten, obwohl er niemals eine Waffe im Besitz gehabt habe, und sei zur Herausgabe aufgefordert worden. Dabei habe man ihm auch eine Haftstrafe angedroht. Er habe niemals die Absicht gehabt, Waffen zu besorgen oder zu besitzen, doch sei ihm dies nicht geglaubt worden. Im Februar 1992, an einem Nachmittag, sei es zu einer weiteren Hausdurchsuchung gekommen, dabei sei das ganze Haus abermals durchsucht, jedoch nichts gefunden worden. Am 12. März 1992 sei es nochmals zu einer solchen Aktion gekommen. Dabei sei er unter Setzung eines Ultimatums aufgefordert worden, binnen 48 Stunden die versteckten Gewehre in Peje bei der Miliz abzuliefern. Da man ihm nicht geglaubt habe, daß er keine Waffen besäße, sei er auch geschlagen worden. Seine Eltern hätten zuschauen müssen. Zugleich sei ihm auch ein Einberufungsbefehl zur serbischen Armee übermittelt worden, wonach er sich zusammen mit den geforderten Waffen, die er jedoch nicht besessen habe, hätte melden müssen. Es sei ihm auch angedroht worden, daß er bei Nichtbefolgung dieses Befehls ein "toter Mann" sei. Daraufhin habe er sich bis zu seiner Flucht (Anmerkung: etwa 6 Wochen) in der näheren Umgebung seines Heimatortes bei verschiedenen Bekannten versteckt gehalten. Seine Familie habe sich zu diesem Zeitpunkt bereits in der Schweiz befunden. Er sei unter diesen Umständen im Kosovo in Lebensgefahr und überzeugt, daß die Miliz ihn verhaftet hätte. Er hätte mit Sicherheit eine lange Haftstrafe als geringste Strafe zu erwarten gehabt, eine zwangsweise Einziehung zum serbischen Militär sei noch immer möglich. Deswegen habe er sich zur Flucht entschlossen und in Österreich um Asyl angesucht. In seiner Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer dieses Vorbringen und ergänzte es dahingehend, der Einberufung zur Bundesarmee habe er aus politischer Überzeugung keine Folge geleistet. Diese Verweigerung sei auch jetzt noch mit einer Gefängnisstrafe von 10 Jahren oder der Todesstrafe bedroht. Es sei ihm aber auch jetzt aus Überzeugung nicht möglich, diese Armee zu unterstützen und einer Einberufung Folge zu leisten. Aus beiden Gründen, weil er verdächtig erscheine und konsequent aus politischen Gründen (ergänze: den Militärdienst) verweigere, wäre er in seiner Heimat ernsthaft bedroht.

Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid (nach Aufhebung des Bescheides der belangten Behörde vom 28. Februar 1994 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes durch hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 1994, Zl. 94/01/0304, infolge unrichtiger Anwendung der Rechtslage nach dem AsylG 1991) verneinte die belangte Behörde die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers im wesentlichen mit der Begründung, in der Bundesrepublik Jugoslawien, und damit auch im Kosovo, bestehe grundsätzlich allgemeine Wehrpflicht, wobei nach den gesetzlichen Bestimmungen keine ethnischen Unterschiede vorgesehen seien, also die Einberufungen gleichermaßen an serbische wie kosovoalbanische Volksgruppenangehörige ergingen. Für die Zeit der allgemeinen Mobilmachung vom 3. Oktober 1991 bis 26. Mai 1992 gebe es Anhaltspunkte, daß Angehörige von nationalen Minderheiten (Kosovo-Albaner, Moslems, Ungarn und Roma) in überproportionalem Umfange als Reservisten aufgeboten worden seien, doch sei festzuhalten, daß kosovoalbanische Wehrpflichtige nach Ausbruch des Kroatien-Krieges im Herbst 1991 diesen Aufgeboten kaum mehr Folge geleistet hätten. Daraufhin seien konkrete Einberufungen an Albaner aus dem Kosovo ab diesem Zeitpunkt kaum mehr ergangen. Hinsichtlich der Volksgruppenzugehörigkeit würde bei der Verwendung der einrückenden Wehrpflichtigen grundsätzlich keine Unterschiede gemacht, es könne aber nicht ausgeschlossen werden, daß für spezifische Ausbildungen Angehörige der albanischen Volksgrppe nicht herangezogen würden. Führungsfunktionen würden kaum mit Kosovo-Albanern besetzt. Auch fehlten jegliche Anhaltspunkte dafür, daß kosovoalbanische Reservisten in den Kriegsgebieten eingesetzt worden seien. Ebenso würden Kosovo-Albaner nur mehr in technischen Einheiten, nicht mehr an Waffen ausgebildet. Refraktion und Desertion würden nach dem Militärpflichtgesetz Bußen und Gefängnisstrafe von bis zu 30 Tagen, nach dem jugoslawischen Strafgesetzbuch Gefängnisstrafen von 3 Monaten bis 10 Jahren nach sich ziehen können. Ende Juni 1993 sei die Todesstrafe, soweit sie im jugoslawischen Bundesrecht vorgesehen gewesen sei, abgeschafft worden. Das Gesetz mache keine Unterschiede in der Strafverfolgung und -bemessung hinsichtlich ethnischer Kriterien. Der Beschwerdeführer habe zwar angegeben, Mitglied der LDK gewesen zu sein, damit seien aber seine Ausführungen bezüglich seiner "politischen Aktivitäten auch schon von Ihnen erschöpfend behandelt". Er habe mit keinem Wort dargetan, daß er für die LDK auch aktiv tätig gewesen sei. Ebensowenig habe er geltend gemacht, daß seine politische Orientierung den Behörden seines Heimatstaates überhaupt zur Kenntnis gelangt sei. Das gleiche gelte für seine religiöse Zugehörigkeit. Betreffend seine Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe merkte die belangte Behörde an, daß die Trennung, die Ab- und Ausgrenzung, das Nebeneinander von albanischer Mehrheitsbevölkerung und serbischer Minderheit für sich allein genommen keine Verletzung der Menschenrechte darstelle, insbesondere daß weite Teile der Bevölkerung sich mit dieser Art "Parallel-Gesellschaft" abgefunden hätten. Trotz der schlechten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedingungen und des serbisch-dominierten Polizeiapparates drohe den Kosovo-Albanern wegen ihrer Volkszugehörigkeit bei unauffälligem, nicht qualifiziert politischem Verhalten noch keine Gruppenverfolgung. Verfolgungsmaßnahmen durch die Polizei seien anlaßgeprägt. In bezug auf die allgemeinen Lebensbedingungen müsse festgehalten werden, daß die Entwicklung im Kosovo nicht von der Situation in Exjugoslawien losgelöst betrachtet werden könne und der Lebensstandard durch den Zusammenbruch des innerjugoslawischen Handels und Austausches schleichend sinke. Tausende von Arbeitnehmern seien arbeitslos, wovon auch ländliche Gebiete und die Vorstadtsiedlung der größeren Städte im Kosovo betroffen seien. Entlassungen erfolgten jedoch nicht willkürlich, sondern betriebsbedingt. Nach einem allgemein gehaltenen Diskurs über die Zustände im Bildungsbereich gelangte die belangte Behörde zum Schluß, der Beschwerdeführer habe keinen konkreten Bezug von dieser allgemeinen Situation zu seiner Person hergestellt, seinem Vorbringen sei nicht entnehmbar gewesen, daß er Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention auf Grund seiner Volkszugehörigkeit ausgesetzt gewesen sei oder daß er wohlbegründete Furcht gehabt habe, in Zukunft auf Grund seiner Volkszugehörigkeit Verfolgung in diesem Sinne erdulden zu müssen. Die von ihm ins Treffen geführten mehrmaligen Durchsuchungen seiner Wohnung ließen noch nicht die Folgerung zu, er habe mit Grund gegen ihn gerichtete Verfolgungsmaßnahmen im Sinne der Konvention zu fürchten. Derartigen Hausdurchsuchungen durch Milizionäre sei die gesamte Zivilbevölkerung gelegentlich ausgesetzt und könnten, sofern sie nicht durch in der Person des durch einen derartigen Übergriff Betroffenen gelegene Gründe im Sinne der Konvention motiviert seien, nicht als Verfolgung angesehen werden. Die anläßlich der letzten Hausdurchsuchung angeblich stattgefundene Mißhandlung stelle mangels Intensität keinen ernsthaften Nachteile im Sinne der Genfer Konvention dar. Hinsichtlich der behaupteten Einberufung zum Militärdienst könne seinen Angaben nicht entnommen werden, daß diese durch ethnische, politische oder religiöse Gründe motiviert gewesen sei. Die an ihn ergangene Einberufung stelle keine Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention dar, sondern sei eine an alle Staatsangehörigen gleichlautend und aus den gleichen Motiven ergangene Aufforderung, mitzuhelfen, den ursprünglichen Zustand des Staatsgebildes wiederherzustellen.

Zutreffend weist der Beschwerdeführer darauf hin, daß die belangte Behörde mit diesen Ausführungen keineswegs in ausreichender Weise darauf eingegangen ist, daß der Beschwerdeführer die von ihm geschilderten näheren Umstände seiner Einberufung durchaus in einem Zusammenhang mit seiner politischen Gesinnung als Mitglied der LDK und ethnischen Abstammung (Kosovoalbaner) in ausreichender Art und Weise im Sinne des Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, dargestellt hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß die von einem Asylwerber geschilderten Umstände des Einzelfalles in einer Gesamtschau, so auch u.a. vor dem Hintergrund der bekannten politischen Verhältnisse im Heimatland eines Asylwerbers, zu beurteilen sind. Die belangte Behörde stellt zwar (offenbar basierend auf den sogenannten "Länderberichten") fest, daß für die Zeit der allgemeinen Mobilmachung vom 3. Oktober 1991 bis 26. MAI 1992 (also dem hier relevanten Zeitraum) Anhaltspunkte gegeben gewesen seien, daß Angehörige von nationalen Minderheiten (Kosovo-Albaner, Moslems, Ungarn und Roma) in überproportionalem Umfang als Reservisten aufgeboten worden seien, zieht jedoch aus dieser Feststellung keinerlei für den vorliegenden Fall verständliche Schlüsse. Ebensowenig ist dem Akteninhalt zu entnehmen, der Beschwerdeführer sei jemals expressis verbis gefragt worden, ob, wenn ja, aus welchen Erwägungen, er für die LDK auch aktiv tätig gewesen sei bzw. ob, wenn ja, wodurch die Behörden seines Heimatlandes von dieser politischen Anschauung unterrichtet gewesen seien. Ohne diesbezügliche Befragung kann aus dem Umstand, daß er selbst dies nicht betont hat, kein ihm zum Nachteil gereichender Gegenschluß gezogen werden. Im übrigen wird auch auf die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 31. Mai 1995, Zl. 94/01/0769, verwiesen, in dem die belangte Behörde in dem dort angefochtenen Bescheid ebenfalls mit den hier vorliegenden wortgleichen Ausführungen zur allgemeinen Lage im Kosovo sowie zur - vom Beschwerdeführer gar nicht aufgegriffenen - Frage der Gruppenverfolgung geantwortet hat. Auch im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde unterlassen, über allgemeine Feststellungen hinaus konkret zu erfragen und festzustellen, ob der Beschwerdeführer für die LDK "aktiv tätig" geworden ist und ob er durch sein damit wohl "qualifiziert politisches Verhalten" im besonderen Maß "auffällig" geworden ist. Insbesonders hat die belangte Behörde auf die vom Beschwerdeführer geschilderte Bedrohung angesichts des Umstandes, daß er die bei ihm vermuteten Waffen nicht besaß, sie daher anläßlich der Stellung zum Militärdienst auch nicht hätte vorlegen können, wodurch eine asylrelevante Verfolgung jedenfalls ohne Kenntnis der näheren Umstände nicht von der Hand zu weisen war, mit keinem Wort geantwortet. Gerade ihr Hinweis auf Hausdurchschuchungen, denen die Zivilbevölkerung "gelegentlich" ausgesetzt sei, "SOFERN SIE

NICHT DURCH IN DER PERSON DES DURCH EINEN DERARTIGEN ÜBERGRIFF

BETROFFENEN GELEGENE GRÜNDE IM SINNE DER KONVENTION MOTIVIERT

SEIEN", läßt unbeachtet, daß der Beschwerdeführer gerade eine derartige Behauptung aufgestellt hat.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994. An Bundesstempel konnte lediglich ein Betrag von S 330,-- (S 240,-- Beschwerdeausfertigungen, S 90,-- Beilage) zuerkannt werden.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995010238.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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