TE Vwgh Beschluss 2022/3/18 Ra 2020/18/0232

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Veröffentlicht am 18.03.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

COVID-19-VwBG 2020 §1 Abs1
COVID-19-VwBG 2020 §2 Abs1 Z1
COVID-19-VwBG 2020 §6 Abs2
VwGG §26 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGG §46 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, in der Revisionssache des H U, vertreten durch Mag. A W, Rechtsanwalt, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2020, L502 2223555-1/10E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II. Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die vorliegende außerordentliche Revision wurde am 5. Juni 2020 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eingebracht.

2        Die Revision führt aus, das angefochtene Erkenntnis sei dem Revisionswerber am 4. März „2019“ (gemeint wohl: 2020) zugestellt worden. Gemäß § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG würden Fristen, die am Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes - am 22. März 2020 - noch nicht abgelaufen seien, bis zum Ablauf des 30. April 2020 unterbrochen und dann neu zu laufen beginnen. Die sechswöchige Revisionsfrist habe daher am 1. Mai 2020 neu zu laufen begonnen, weshalb die Revision rechtzeitig erhoben worden sei.

3        Der Verwaltungsgerichtshof hielt dem Revisionswerber mit verfahrensleitender Anordnung vom 16. Februar 2022 den Beschluss VwGH 17.3.2021, Ra 2020/11/0098, vor und räumte dem Revisionswerber die Möglichkeit ein, vor diesem Hintergrund zur Rechtzeitigkeit der Revision Stellung zu nehmen.

4        In seiner Eingabe vom 3. März 2022 vertrat der Revisionswerber die Rechtsauffassung, gemäß § 1 COVID-19-VwBG seien „alle Fristen nicht nur gehemmt, sondern unterbrochen“ gewesen. Die im Beschluss VwGH 17.3.2021, Ra 2020/11/0098, vertretene Auslegung dieser Bestimmung, dass Revisionsfristen bloß gehemmt, Fristen in bereits anhängigen Verfahren - etwa Fristen für eine Revisionsbeantwortung - dagegen unterbrochen worden seien, sei absurd.

5        Aus advokatorischer Vorsicht stellte der Revisionswerber in dieser Eingabe auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist. Er habe von der möglichen Verspätung der Revision erst im Zuge der Gewährung des Parteiengehörs erfahren. Sein allfälliger Irrtum bei der Prüfung der Rechtslage sei entschuldbar. Die „Kommunikation des Gesetzgebers, vor allem auch seitens der amtierenden Justizministerin“ habe „ganz klar von einer generellen Fristenunterbrechung gesprochen“. Überdies habe für den Rechtsvertreter des Revisionswerbers aufgrund gesundheitlicher Probleme mit der Lunge, die wenige Jahre vor der Pandemie bestanden hätten, ein „erhöhtes und damals auch völlig unklares Erkrankungsrisiko“ gegolten, weshalb er seine Kanzlei im ersten Lockdown heruntergefahren und die Fristenunterbrechung in Anspruch genommen habe.

Zu Spruchpunkt I:

6        Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

7        Die Frist zur Erhebung der Revision wurde versäumt (vgl. unten zu Spruchpunkt II.).

8        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat eine Partei, die einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist stellt, den behaupteten Wiedereinsetzungsgrund im Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft zu machen. Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur im Rahmen der Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers zu untersuchen (vgl. etwa VwGH 10.9.2020, Ra 2020/14/0230, mwN).

9        Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen, welches eine Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann. Wird ein solcher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die Partei an der Unkenntnis der Rechtslage bzw. am Rechtsirrtum ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden trifft (vgl. etwa VwGH 20.10.2015, Ra 2015/18/0190, mwN).

10       Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist dabei als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben. Das Verschulden des Parteienvertreters trifft nach ständiger Rechtsprechung die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige Personen (vgl. etwa VwGH 17.2.2021, Ra 2021/20/0004, mwN).

11       Unkenntnis einer neuen Gesetzeslage durch einen beruflichen Parteienvertreter stellt in der Regel keinen minderen Grad des Versehens dar, weil vor allem eine rezente Änderung der Rechtslage besondere Aufmerksamkeit verdient (vgl. VwGH 26.4.2018, Ra 2018/21/0030, mwN).

12       Wie der Verwaltungsgerichtshof (vgl. VwGH 25.8.2021, Ro 2020/05/0024, 0025) bereits ausgesprochen hat, lässt der Umstand, dass zum Zeitpunkt der Revisionserhebung noch keine hg. Rechtsprechung dazu vorlag, ob die Frist zur Einbringung einer Revision im Sinn des § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG „unterbrochen“ oder im Sinn des § 2 Abs. 1 leg. cit. „gehemmt“ ist, auf dem Boden der dargestellten Rechtsprechung für sich noch nicht auf einen bloß minderen Grad des Versehens schließen; ein Parteienvertreter, der sich in der Revision zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit ohne nähere Begründung auf § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG gestützt hat, hätte § 2 Abs. 1 leg. cit. nicht außer Acht lassen dürfen.

13       Der Rechtsvertreter des Revisionswerbers - der nach wie vor auf der Rechtsansicht beharrt, gemäß § 1 COVID-19-VwBG seien „alle Fristen nicht nur gehemmt, sondern unterbrochen“ gewesen, und damit weiterhin § 2 Abs. 1 leg. cit. außer Acht lässt - bringt insgesamt keine Umstände vor, die am Vorliegen eines nicht bloß minderen Grades des Versehens im Hinblick auf den ihm unterlaufenen Rechtsirrtum zweifeln lassen.

14       Da das dem Antragsteller zuzurechnende Verschulden seines Rechtsvertreters somit den minderen Grad des Versehens übersteigt, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II:

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 17. März 2021, Ra 2020/11/0098, ausgesprochen, dass die Erhebung der Revision nicht in einem bei ihm bereits anhängigen Verfahren erfolgt sei, sodass auf einen solchen Sachverhalt die Fristunterbrechung des § 1 COVID-19-VwBG nicht zur Anwendung gelange. Vielmehr sei die Revisionsfrist als Frist für einen verfahrenseinleitenden Antrag iSd § 2 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 2 COVID-19-VwBG anzusehen und nach dieser Bestimmung daher für die dort genannte Dauer nur gehemmt worden.

16       Die Sach- und Rechtslage des vorliegenden Revisionsfalles ist in den maßgeblichen Punkten mit jener des genannten Beschlusses vergleichbar, weshalb gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz iVm Abs. 9 VwGG auf die Begründung dieses Beschlusses verwiesen wird.

17       Aus dem Gesagten folgt, dass im vorliegenden Fall die Revisionsfrist mit der Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses am 4. März 2020 zu laufen begann und für die Zeit vom 22. März 2020 bis zum 30. April 2020 gehemmt war (vgl. § 2 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 2 COVID-19-VwBG).

18       Ausgehend vom Beginn der Revisionsfrist am Mittwoch, dem 4. März 2020, hätte die sechswöchige Frist des § 26 Abs. 1 VwGG mit Ablauf des Mittwochs, 15. April 2020, geendet (§ 32 Abs. 2 AVG). Unter Hinzurechnung der 40-tägigen Fristhemmung vom 22. März 2020 bis 30. April 2020 hat die Revisionsfrist im vorliegenden Fall erst mit Ablauf des 25. Mai 2020 geendet.

19       Die am 5. Juni 2020 eingebrachte Revision erweist sich daher als verspätet und war somit gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 18. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020180232.L00

Im RIS seit

18.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

20.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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