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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §63 Abs5 idF 1990/357;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Dolp und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde der K in M, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Juni 1994, Zl. 4.293.689/7-III/13/93, betreffend Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 1.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 27. Juni 1991 wurde aufgrund des Asylgesetzes (1968) festgestellt, daß auf die Beschwerdeführerin - eine rumänische Staatsangehörige - die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention nicht zutreffen.
Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 20. August 1991 zugestellt. Diese erhob dagegen eine - handschriftliche - Berufung, welche sie nach dem Kopf des Schreibens zwar an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich richtete, jedoch in einem "an Bundesministerium für Inneres" adressierten Kuvert am 7. September 1991 zur Post gab. Mit Bescheid vom 20. Juli 1993 hat die belangte Behörde diese dort am 9. September 1991 eingelangte Berufung als verspätet zurückgewiesen.
Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 17. August 1993 eigenhändig zugestellt.
Mit dem am 31. August 1993 zur Post gegebenen, an die belangte Behörde gerichteten und dort am 1. September 1993 eingelangten Schriftsatz stellte die Beschwerdeführerin einen Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung der Berufungsfrist, in welchem sie im wesentlichen vorbrachte, daß ihr aufgrund unzureichender Sprachkenntnisse die Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 27. Juni 1991 unklar geblieben sei. Sie habe sich daher beim Asylwerberreferat Traiskirchen diesbezüglich erkundigt. Von einem dort anwesenden Beamten sei ihr, nachdem sie das richtige Datum der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides genannt habe, die unrichtige Auskunft erteilt worden, der letzte Tag für die Einbringung der Berufungsfrist sei der 10. September 1991. Erst durch die Zustellung des Bescheides, mit dem die Berufung zurückgewiesen worden war, habe sie von der Verspätung der Berufung Kenntnis erlangt.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 4. November 1993, mit welchem der Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen worden war, abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 63 Abs. 5 AVG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 357/1990 (wiederverlautbart mit Kundmachung BGBl. Nr. 51/1991) ist die Berufung von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat, oder bei der Behörde, die über die Berufung zu entscheiden hat. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 24. Juni 1994, G 20-23/94-6, die Wortfolge "oder bei der Behörde, die über die Berufung zu entscheiden hat" im ersten Satz dieser Gesetzesstelle als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, daß die Aufhebung mit Ablauf des 30. Juni 1995 in Kraft tritt (vgl. die Kundmachung BGBl. Nr. 686/1994). § 63 Abs. 5 AVG war im Beschwerdefall daher noch in der angeführten Fassung anzuwenden.
"Einbringung bei der Behörde" im Sinne des § 63 Abs. 5 AVG bedeutet, daß die Berufung - sei es persönlich, durch Boten oder per Post - der Behörde durch Übergabe an die von der Behörde bestimmte "Einbringungsstelle" oder Einwurf in einen "Einlaufkasten" überbracht wird (Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts6, Rz 519).
Vorliegend hat die Beschwerdeführerin die - verspätete - Berufung gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 27. Juni 1991 zwar im Kopf an die Sicherheitsdirektion gerichtet, jedoch per Post an den Bundesminister für Inneres übersandt. Die Berufung wurde somit bei der belangten Behörde "eingebracht". Diese Ansicht vertrat im übrigen auch die belangte Behörde, die der Erstbehörde per Telefax mitteilte, daß die Beschwerdeführerin "beim Bundesministerium für Inneres eine Berufung eingebracht" hat.
Nach § 71 Abs. 4 AVG ist zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Handlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.
Durch die Einbringung der Berufung bei der Berufungsbehörde, hat die Beschwerdeführerin ihr Wahlrecht gemäß § 63 Abs. 5 AVG ausgeübt. Dadurch wurde die Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag nach § 71 Abs. 4 AVG festgelegt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. November 1994, Zl. 94/09/0220, mwN).
Mangels anderer Regelung ist der Wiedereinsetzungsantrag bei der Behörde einzubringen, die darüber zu entscheiden hat (Ringhofer, die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I, S. 739). Die Beschwerdeführerin hat daher den - am letzten Tag der Frist zur Post gegebenen - Wiedereinsetzungsantrag zu Recht bei der belangten Behörde eingebracht.
Über den Wiedereinsetzungsantrag hat jedoch in erster Instanz nicht die dafür zuständige belangte Behörde, sondern - nach Übermittlung des Antrages "mit der Einladung zur weiteren Bearbeitung" durch die belangte Behörde - die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich entschieden.
Die Nichtbeachtung von Zuständigkeitsnormen einer Behörde erster Instanz stellt aus der Sicht der in zweiter Instanz entscheidenden Behörde, die über das Rechtsmittel jedenfalls zu entscheiden hat, formell eine Rechtswidrigkeit des Inhaltes, materiell aber eine Zuständigkeitsfrage dar. Der Verwaltungsgerichtshof hatte daher vor Behandlung des Beschwerdevorbringens die Frage zu prüfen, ob die Zuständigkeit der einschreitenden erstinstanzlichen Behörde gegeben war (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. September 1995, Zl. 94/05/0216, mwN).
War die Unterbehörde unzuständig, so ist die Berufungsbehörde allein dafür zuständig, diese Unzuständigkeit aufzugreifen und den bekämpften Bescheid zu beheben. Greift die Berufungsbehörde - auch wenn sie (etwa infolge des Übergangs der Sachentscheidungsbefugnis aufgrund einer bereits anhängigen Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG) selbst berufen wäre, über den zugrundeliegenden Antrag in erster Instanz zu entscheiden - die sich aus der Unzuständigkeit der Behörde, die in erster Instanz entschieden hat, ergebende Rechtswidrigkeit nicht auf, sondern entscheidet in der Sache selbst, begründet dies Rechtswidrigkeit des Berufungsbescheides, auch wenn dieser Umstand in der Berufung nicht geltend gemacht wurde (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 16. Dezember 1992, Zl. 91/12/0127, und vom 1. Juli 1974, Zl. 1358/73, sowie die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 576 und bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, S. 539 zitierte hg. Rechtsprechung).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die vorgelegte Vollmachtsurkunde den Namen des Bevollmächtigten nicht enthält und die dafür entrichtete Stempelgebühr daher zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich war.
Schlagworte
Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Inhalt der Berufungsentscheidung KassationEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1994010597.X00Im RIS seit
11.07.2001