TE Vfgh Beschluss 1994/6/24 G39/92

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.06.1994
beobachten
merken

Index

L5 Kulturrecht
L5015 Schulzeit

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
Vlbg PflichtschulzeitG §4
SchulpflichtG 1985 §2, §3, §5, §9, §24

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des Vlbg PflichtschulzeitG bzw des SchulpflichtG 1985 betreffend die Schulfreierklärung der Samstage bzw die Verantwortlichkeit der Erziehungsberechtigten für die Erfüllung der Schulpflicht mangels rechtlicher Betroffenheit der antragstellenden Erziehungsberechtigten und Schüler; keine Ausweitung des Anhörungsrechtes der Erziehungsberechtigten und Lehrer bei Schulfreierklärung der Samstage durch die angefochtenen, primär an die Schulverwaltung gerichteten Bestimmungen des Vlbg PflichtschulzeitG

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die Antragsteller begehren mit ihrem auf Art140 (Abs1 letzter Satz) B-VG gestützten (Individual-)Antrag mit näherer Begründung, folgende Bestimmungen als verfassungswidrig aufzuheben:

"1. die Worte 'von zwei Dritteln' in §4 Abs1 lita) vbg PflichtschulzeitG idF LGBl 24/1990,

in eventu,

2. §4 Abs1 lita) vbg PflichtschulzeitG idF LGBl 24/1990,

in eventu,

3. §4 Abs1 vbg PflichtschulzeitG idF LGBl 24/1990 zur Gänze,

in eventu,

4. §4 Abs1 bis Abs7 vbg PflichtschulzeitG idF LGBl 24/1990,

in eventu,

5. die Worte 'von zwei Dritteln' in §4 Abs1 lita) iVm §2 Abs5 vbg PflichtschulzeitG idF LGBl 24/1990,

in eventu,

6. §4 Abs1 lita) iVm §2 Abs5 vbg PflichtschulzeitG idF LGBl 24/1990 zur Gänze,

in eventu,

7. §4 Abs1 vbg iVm §2 Abs5 PflichtschulzeitG idF LGBl 24/1990 zur Gänze,

in eventu,

8. §4 Abs1 bis Abs7 iVm §2 Abs5 vbg PflichtschulzeitG idF LGBl 24/1990,

in eventu,

9. die Worte 'von zwei Dritteln' in §4 Abs1 lita) iVm §2 Abs5 vbg PflichtschulzeitG idF LGBl 24/1990, iVm §§2, 3, 5, Abs 1, 9 sowie 24 Abs1 u 4 SchulpflichtG,

in eventu,

10. §4 Abs1 lita) iVm §2 Abs5 vbg PflichtschulzeitG idF LGBl 24/1990, iVm §§2, 3, 5, Abs1, 9 sowie 24 Abs1 u 4 SchulpflichtG,

in eventu,

11. §4 Abs1 iVm §2 Abs5 vbg PflichtschulzeitG idF LGBl 24/1990 zur Gänze, iVm §§2, 3, 5 Abs1, 9 sowie 24 Abs1 u 4 SchulpflichtG,

in eventu,

12. §4 Abs1 bis Abs7 iVm §2 Abs5 vbg PflichtschulzeitG idF LGBl 24/1990, iVm §§2, 3, 5 Abs1, 9 sowie 24 Abs1 u 4 SchulpflichtG".

2. Die im Antrag angeführten gesetzlichen Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:

a) (Vbg.) Pflichtschulzeitgesetz, LGBl. 23/1979, idF der Novelle LGBl. 24/1990:

"§2

Schuljahr

....

(5) Alle Tage des Unterrichtsjahres, die nicht nach den Bestimmungen der §§3 und 4 schulfrei sind, sind Schultage.

§4

Schulfreier Samstag

(1) Für einzelne Volksschulen und Sonderschulen - ausgenommen jene, die nach dem Lehrplan der Hauptschule geführt werden - sind die Samstage schulfrei zu erklären, wenn

a) sich die Erziehungsberechtigten der Schüler, die im nächsten Schuljahr voraussichtlich die Schule besuchen werden, mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen dafür aussprechen,

b) sich die Lehrer der Schule mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen dafür aussprechen und

c) der gesetzliche Schulerhalter aus Gründen der Schulerhaltung dagegen keinen Einwand erhebt.

(2) Ein Verfahren nach Abs1 ist durchzuführen, wenn dies das Schulforum oder die Erziehungsberechtigten eines Viertels der Schüler, die im nächsten Schuljahr voraussichtlich die Schule besuchen werden, bis spätestens zum 31. Mai beantragen.

(3) Die Schulfreierklärung der Samstage hat vor Beginn jenes Schuljahres zu erfolgen, welches auf eine Antragstellung nach Abs2 folgt. Sie gilt jeweils bis zum Ablauf des Schuljahres, in dem ein neuerlicher Antrag nach Abs2 gestellt wird.

(4) Vor der Befragung nach Abs1 ist den Erziehungsberechtigten eine umfassende mündliche und schriftliche Information über die Auswirkungen der Schulfreierklärung, insbesondere in pädagogischer, stundenplanmäßiger, gesundheitlicher und sozialer Sicht, zu erteilen. Der Schularzt und ein allenfalls bestehender Elternverein der Schule sind zur Teilnahme an der mündlichen Informationsveranstaltung einzuladen. Außerdem sind sie vor Festlegung der schriftlichen Information zu hören.

(5) Die Befragung der Erziehungsberechtigten und der Lehrer hat in Form einer geheimen und brieflichen Abstimmung zu erfolgen. Die Erziehungsberechtigten haben für jedes ihrer Kinder an der betreffenden Schule eine Stimme. Die Stimmzettel und die Abstimmungskuverts sowie die schriftliche Information nach Abs4 sind den Stimmberechtigten spätestens zwei Wochen vor Ablauf der Frist für die Stimmabgabe zuzuleiten. Die Vorbereitung und Leitung des Abstimmungsvorganges sowie die Ermittlung des Ergebnisses obliegen dem Schulforum.

(6) Die Rechte nach den Abs2 und 5 stehen mehreren Erziehungsberechtigten desselben Schülers gemeinsam zu. Die Ausübung der Rechte durch einen Erziehungsberechtigten erfolgt mit Wirkung auch für den anderen.

(7) Die Schulfreierklärung nach Abs1 hat durch Verordnung des Schulleiters zu erfolgen. Sie ist der Bezirkshauptmannschaft unverzüglich zur Kenntnis zu bringen. Die Landesregierung kann durch Verordnung nähere Bestimmungen über das Verfahren zur Schulfreierklärung, insbesondere über die Abstimmung nach Abs5, erlassen.

...."

b) Schulpflichtgesetz 1985, BGBl. 76, idF der Novellen BGBl. 161/1987 und 456/1992:

"Beginn der allgemeinen Schulpflicht

§2. Die allgemeine Schulpflicht beginnt mit dem auf die Vollendung des sechsten Lebensjahres folgenden 1. September.

Dauer der allgemeinen Schulpflicht

§3. Die allgemeine Schulpflicht dauert neun Schuljahre.

....

Schulbesuch in den einzelnen Schuljahren

§5. (1) Die allgemeine Schulpflicht wird durch den Besuch von allgemeinbildenden Pflichtschulen der nachstehend angeführten Schularten erfüllt:

1. in den ersten vier Schuljahren der allgemeinen Schulpflicht durch den Besuch einer Volksschule;

2. im 5. bis 8. Schuljahr der allgemeinen Schulpflicht

a) durch den Besuch einer Volksschule oder

b) durch den Besuch einer Hauptschule;

3. im 9. Schuljahr der allgemeinen Schulpflicht

a) durch den Besuch eines Polytechnischen Lehrganges oder (BGBl. Nr. 322/1975, ArtI Z19)

b) durch den Weiterbesuch einer Volks- oder Hauptschule;

....

Schulbesuch und Fernbleiben vom Unterricht

§9. (1) Die in eine im §5 genannte Schule aufgenommenen Schüler haben den Unterricht während der vorgeschriebenen Schulzeit regelmäßig und pünktlich zu besuchen, auch am Unterricht in den unverbindlichen Lehrgegenständen, für die sie zu Beginn des Schuljahres angemeldet wurden, regelmäßig teilzunehmen und sich an den verpflichtend vorgeschriebenen sonstigen Schulveranstaltungen zu beteiligen.

....

Verantwortlichkeit für die Erfüllung der Schulpflicht

und Strafbestimmungen

§24. (1) Die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten sind verpflichtet, für die Erfüllung der Schulpflicht, insbesondere für den regelmäßigen Schulbesuch und die Einhaltung der Schulordnung durch den Schüler bzw. in den Fällen der §§11, 13 und 22 Abs4 für die Ablegung der dort vorgesehenen Prüfungen zu sorgen. Minderjährige Schulpflichtige treten, sofern sie das 14. Lebensjahr vollendet haben, hinsichtlich dieser Pflichten neben die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten. Sofern es sich um volljährige Berufsschulpflichtige handelt, treffen sie diese Pflichten selbst.

....

(4) Die Nichterfüllung der in den Abs1 bis 3 angeführten Pflichten stellt eine Verwaltungsübertretung dar und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis 3.000 S, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Arrest bis zu zwei Wochen zu bestrafen."

c) Die durch §4 des (Vbg.) Pflichtschulzeitgesetzes ausgeführte grundsatzgesetzliche Vorschrift des §8 Abs9 des Schulzeitgesetzes 1985, BGBl. 77, idF der Novellen BGBl. 144/1988 und 279/1991, lautet:

"(9) Für Volksschulen, Sonderschulen - ausgenommen jene, welche nach dem Lehrplan der Hauptschule geführt werden - und für Polytechnische Lehrgänge kann der Samstag schulfrei erklärt werden. Die Schulfreierklärung kann für den Bereich des Landes, für einzelne Schulen, einzelne Schulstufen oder einzelne Klassen erfolgen. Dabei sind zumindest die Erziehungsberechtigten und Lehrer zu hören."

3. Dem Antragsvorbringen zufolge sind die Antragsteller zum Teil Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigte von schulpflichtigen Kindern (1.- bis 65.-Antragsteller), die im Schuljahr 1991/92 verschiedene Klassen der öffentlichen Volksschule Bregenz Augasse besuchten, im übrigen handelt es sich bei den Antragstellern um die betreffenden Kinder (66.- bis 116.-Antragsteller).

Zur Begründung der Antragslegitimation bringen die Antragsteller zunächst - zusammengefaßt - folgendes vor:

Im Juni 1991 sei an der Volksschule Bregenz Augasse ein (in mehrfacher Hinsicht nicht dem Gesetz entsprechendes) Verfahren nach §4 Abs1 des (Vbg.) Pflichtschulzeitgesetzes durchgeführt worden. Dabei hätten sich zwar die Mehrheit der Lehrer, aber weniger als zwei Drittel der Erziehungsberechtigten für die Schulfreierklärung des Samstags ausgesprochen. Angesichts dieses Ergebnisses sei für die Volksschule Bregenz Augasse eine Verordnung, mit der die Samstage schulfrei erklärt werden, nicht erlassen worden. Eine solche Verordnung hätte bei Erreichen einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Erziehungsberechtigten erlassen werden müssen, da der gesetzliche Schulerhalter dagegen keinen Einwand erhoben habe (§4 Abs1 litc des (Vbg.) Pflichtschulzeitgesetzes).

Die Auffassung, daß den Antragstellern einer jeden der beiden Gruppen sowohl für sich allein als auch gemeinsam die Antragslegitimation zustehe, wird im wesentlichen mit folgenden Ausführungen näher begründet:

"a) Hinsichtlich der 1.- bis 65.-Antragsteller ist im einzelnen auszuführen:

aa) Unmittelbare Verletzung von Rechten der AST

Gem §24 Abs1 iVm §9 Abs1 SchulpflichtG sind die Eltern und sonstigen Erziehungsberechtigten verpflichtet, für die Erfüllung der Schulpflicht während der vorgeschriebenen Schulzeit zu sorgen, und droht bei Nichterfüllung dieser Verpflichtung den Eltern eine Verwaltungsstrafe (§24 Abs4 SchulpflichtG). Diese Verpflichtung stellt für sich selbst ein subjektives Recht dar, aus ihr leitet sich aber auch der subjektive Rechtsanspruch der 1.- bis 65.-Beschwerdeführer ab, für die Einhaltung der Schulpflicht nur im Rahmen der rechtmäßig vorgeschriebenen Schulzeit verantwortlich zu sein.

ab) Unmittelbares, tatsächliches Wirksamwerden des Gesetzes

Das Gesetz ist für die 1.- bis 65.-Antragsteller auch tatsächlich (ohne individuellen Rechtsetzungsakt) wirksam geworden. Aufgrund der im Juni 1991 durchgeführten Abstimmung (gegen die Ansicht, es handle sich lediglich um einen Anhörungsakt, spricht der Wortlaut des §4 Abs1 vbg PflichtschulzeitG, wonach die Samstage schulfrei zu erklären sind und daher keinerlei Ermessensspielraum der Behörde besteht; auch die Abgeordneten haben in der Debatte die Bestimmung eindeutig als "Abstimmung" verstanden) und des hiebei erzielten Ergebnisses ergibt sich nämlich, daß bei verfassungskonformer Gesetzeslage (einfache Mehrheit der Eltern) die Samstage im Schuljahr 1991/92 bereits schulfrei erklärt wären. Aufgrund der inkriminierten Gesetzeslage sind die Samstage jedoch im Schuljahr 1991/92 an der Volksschule Bregenz Augasse nicht schulfrei erklärt worden. Die Schulpflicht an Samstagen und die damit einhergehende Verpflichtung der Eltern gem §24 Abs1 SchulpflichtG, für die Erfüllung dieser Schulpflicht zu sorgen, wird aber unmittelbar aufgrund des Gesetzes wirksam (§1, 2 Abs4, 5 vbg SchulzeitG; §9 Abs1, 24 SchulpflichtG). Sie unterwirft die Kinder und die Eltern einer Verpflichtung, die gem §24 Abs4 SchulpflichtG sanktioniert ist.

Das tatsächliche unmittelbare Wirksamwerden der inkriminierten Gesetzeslage ist aber auch im Hinblick auf die behauptete Verletzung des Rechtstaatlichkeitsprinzips dadurch, daß für den Fall der Nichtschulfreierklärung als Ergebnis des Abstimmungsverfahrens keine Rechtsmäßigkeitskontrolle vorgesehen ist, gegeben. Wäre nämlich eine Rechtsmäßigkeitskontrolle des Abstimmungsverfahres gemäß dem Rechtstaatlichkeitsprinzip möglich, so wäre die Falschinformation der "Elterninformation zum vbg PflichtschulzeitG" aufgezeigt und eine mängelfreie Wiederholung des Anhörungs- (Abstimmungs-)verfahrens durchgeführt worden, wodurch sich eine 2/3-Mehrheit ergeben hätte und die Samstage im Schuljahr 1991/92 schulfrei erklärt worden wären.

ac) Der nachteilige Eingriff in die Rechtsphäre der Antragsteller besteht darin, daß diese ihre Kinder am Samstag in die Schule schicken müssen und dadurch verschiedene gemeinsame Freizeitgestaltungsmöglichkeiten an Samstagen bzw Samstagvormittagen unmöglich sind. Die Freiheit, über die zur Verfügung stehende Zeit frei zu verfügen (Privat- und Familienleben), wird beschränkt.

ad) Das Gesetz selbst greift tatsächlich in die Rechtssphäre der 1.- bis 65.-Antragsteller unmittelbar ein. Der Eingriff ist nach Art und Ausmaß durch das Gesetz eindeutig bestimmt, nämlich die Verpflichtung, für die Einhaltung der Schulpflicht an Samstagen zu sorgen, bei sonstiger Verwaltungsstrafe in Höhe von

S 3.000,- bzw. Ersatzfreiheitsstrafe von 2 Wochen (mangels Kumulationsprinzip im Verwaltungsstrafrecht wäre jede einzelne Verweigerung der Erfüllung dieser Verpflichtung eigens mit diesem Strafsatz strafbar). Die rechtlich geschützten Interessen der 1.- bis 65.-Antragsteller, nämlich das Recht auf ein ungestörtes Familienleben und das Recht auf freie Freizeitgestaltung, sind aufgrund der Ergebnisse der Abstimmung im Juni 1991 und des Verlaufes dieser Abstimmung derzeit aktuell beeinträchtigt. Schließlich steht den Antragstellern kein zumutbarer Weg zur Abwehr des rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung (so auch VfSlg 10359).

Die 1.- bis 65.- Antragsteller werden daher durch das angefochtene Gesetz verpflichtet, im Schuljahr 1991/92 für die Einhaltung der Schulpflicht durch ihre Kinder an Samstagen zu sorgen. Damit wird ihnen ein künftiges Verhalten geboten, zu welchem sie bei verfassungskonformer Gesetzeslage nicht verpflichtet wären, weil dann die Samstage im Schuljahr 1991/92 schulfrei erklärt wären, einerseits, weil die einfache Mehrheit der Eltern erreicht war, andererseits, weil bei mängelfreiem Abstimmungsverfahren die 2/3-Mehrheit erreicht worden wäre.

§4 iVm §2 Abs5 vbg PflichtschulzeitG sowie §24 Abs1 u 4 SchulpflichtG greifen sohin jedenfalls insoweit aktuell in die Rechtsphäre der 1.- bis 65.- ASt ein (vgl VfSlg 11726 bei II.1.).

b) Zulässigkeitsvoraussetzungen betreffend die 66.- bis 116.-Antragsteller:

ba) Wie in den Beschlüssen des angerufenen Gerichtshofes vom 25.11.1991, G101/91 und Folgebeschlüssen, ausgeführt, beziehen sich die Vorschriften über die Schulzeit auf das Verhältnis zwischen Schule und Schüler. Sämtliche Antragsteller gehen davon aus, daß sich aus der objektiven Rechtslage, wonach gem §4 Abs1 vbg SchulpflichtzeitG bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen (sämtliche Voraussetzungen lagen, mit Ausnahme der 2/3-Mehrheit der Erziehungsberechtigten, für das Schuljahr 1991/92 vor) die Samstage schulfrei zu erklären sind, auch ein subjektiver Rechtsanspruch der Schüler (66.- bis 116.-Antragsteller) auf Schulfreierklärung der Samstage und damit einhergehend auf Befreiung von der Schulpflicht an Samstagen, sowie für die 1.- bis 65.-Antragsteller auf Befreiung von der Verpflichtung, für die Einhaltung der Schulpflicht an Samstagen zu sorgen, ergibt (vgl §2 Abs5 vbg PflichtschulzeitG). Die Verpflichtung gem §9 Abs1 SchulpflichtG, den Unterricht während der vorgeschriebenen Schulzeit zu besuchen, impliziert das subjektive Recht der Schüler, während der nicht rechtmäßig vorgeschriebenen Schulzeit den Unterricht nicht besuchen zu müssen und diesem Unterricht fernbleiben zu dürfen. Die Schüler haben weiters einen Rechtsanspruch auf unentgeltlichen Schulbesuch (§4f SchulorganisationsG), auf Aufnahme in die Volksschule (§6 SchulpflichtG) sowie auf Darbietung des Lehrstoffes während der rechtmäßig vorgeschriebenen Schulzeit.

bb) Die tatsächliche Wirksamkeit ohne Erlassung eines individuellen Rechtsaktes ergibt sich wie unter oben ab).

bc) Der nachteilige Eingriff besteht auch bei den Schülern darin, daß in die freie Gestaltung des Familienlebens und der Freizeit an Samstag Vormittagen eingegriffen und diese untersagt wird.

bd) Wenn auch die noch nicht 14-jährigen Schulpflichtigen nicht von einer Verwaltungsstrafe bedroht sind, wenn sie die im Schulzeitrecht einzeln festgelegten schulpflichtigen Zeiten nicht einhalten, so ergibt sich durch das angefochtene Gesetz trotzdem ein eindeutiger Eingriff mit aktueller Beeinträchtigung der rechtlich geschützten Interessen. Der aufgrund des inkriminierten Gesetzes erfolgende Eingriff besteht in der Schulpflicht an Samstagen (im Schuljahr 1991/92), also der Verpflichtung, an diesen Samstagen die Schule pünktlich und regelmäßig zu besuchen. Würden sich die 66.- bis 116.-Antragsteller dieser Verpflichtung (§9 Abs1 SchulpflichtG iVm §1 Abs3 1. Satz vbg PflichtschulzeitG) widersetzen und an Samstagen den Unterricht nicht besuchen, so hätte dies zur Folge, daß die Schüler den Lernstoff nicht vollständig erführen und zwangsläufig in Konflikt mit den Lehrern kämen, da dies natürlich für Unruhe sorgen und den Unterricht und das schulische Fortkommen der AST wesentlich erschweren würde. Das rechtlich geschützte Interesse besteht im Recht auf Schulbesuch und auf Präsentation des gesamten Lehrstoffes während der rechtmäßigen Schulzeit. Auch den 66. bis 116.- Antragstellern ist kein anderer Weg zur Abwehr zumutbar (VfSlg 10359).

Die 66.- bis 116.-ASt werden sohin durch das angefochtene Gesetz verpflichtet, im Schuljahr 1991/92 an Samstagen die Schule zu besuchen. Damit wird ihnen ein künftiges Verhalten geboten, zu welchem sie bei verfassungskonformer Gesetzeslage nicht verpflichtet wären, da diesfalls die Samstage im Schuljahr 1991/92 schulfrei erklärt worden wären, weil nämlich einerseits eine einfache Mehrheit der Eltern erreicht war, andererseits, weil bei mängelfreiem Abstimmungsverfahren die 2/3-Mehrheit erreicht worden wäre. §4 iVm §2 Abs5 vbg PflichtschulzeitG sowie §9 Abs1 SchulpflichtG greifen sohin jedenfalls insoweit aktuell in die Rechtssphäre der 66.- bis 116.-ASt ein (zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen in diesem Sinne VfSlg 11726).

c) Antragslegitimation von Eltern und Kindern gemeinsam:

Die inkriminierte Regelung der Schulpflicht an Samstagen richtet sich zum Teil an die Eltern, zum Teil an die Kinder. So werden beispielsweise die Mitbestimmungsrechte den Eltern eingeräumt, die Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Schulzeit wird den Eltern auferlegt. Andererseits heißt es in §1 Abs3 1. Satz PflichtschulzeitG, daß sich diese Vorschriften auf das Verhältnis zwischen Schule und Schüler beziehen. Nach Auffassung der ASt soll dadurch hervorgehoben sein, daß die Lehrer und das sonstige Schulpersonal von der Schulzeit keine Rechte ableiten können (siehe §1 Abs3 2. Satz PflichtschulzeitG). Insoweit die Eltern für die Einhaltung der Schulzeit verantwortlich sind (§24 Abs1 u 4 iVm §9 SchulpflichtG) richten sich die Schulzeitregeln auch an die Eltern. Da noch nicht 14jährige Kinder nach dem österreichischen Rechtsverständnis nur in Ausnahmefällen, die hier nicht vorliegen, für die Einhaltung bestimmter Normen strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können und sie auch nicht als Anhörungsberechtigte für die politische Willensbildung in Frage kommen, könnte argumentiert werden, daß weder die Eltern allein noch die Kinder allein in Wahrheit Normadressaten der inkriminierten Regelungen sind.

Bei sachgerechter Betrachtung kann man durchaus zur Auffassung gelangen, daß die Normen über Schulpflicht und Schulzeit sich gemeinschaftlich an Kinder und Eltern wenden und daß diese daher gemeinschaftlich von den inkriminierten Regelungen betroffen sind, wie oben unter a) und b) im einzelnen ausgeführt. Der Gesetzesprüfungsantrag wird daher für diesen Fall von sämtlichen Antragstellern gemeinschaftlich gestellt.

3. Subjektives Recht auf Schulfreierklärung der Samstage:

Aus dem Wortlaut des §4 Abs1 vbg PflichtschulzeitG ist der eindeutige Wille des Gesetzgebers zu entnehmen, eine rechtsverbindliche Regelung für die Einführung des schulfreien Samstages zu schaffen, wobei genau determiniert ist, unter welchen Vorausssetzungen Samstage schulfrei zu erklären sind. Daraus ist eindeutig abzuleiten, daß der Gesetzgeber niemandem, weder dem Schulleiter, noch der Bezirksverwaltungsbehörde noch einer anderen Schulbehörde ein Ermessen vorbehalten wollte. Der Gesetzgeber wollte eine die Vollzugsbehörden bindende und verpflichtende Regelung schaffen, welche auch einzuhalten ist.

Der Vorarlberger Landesgesetzgeber wollte keineswegs eine lex imperfecta schaffen, sondern hat in den Gesetzesmaterialien auch eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß eine erfolgte Schulfreierklärung im Falle der Fehlerhaftigkeit des Abstimmungsverfahrens mit Individualbeschwerde gem Art139 Abs1 B-VG vor dem VfGH angefochten werden kann (Bericht zur Regierungsvorlage Blg 3/1979 zu den Sitzungsberichten des XXII. vbg LT, Anm zu §2b Abs5 aE). Der Landesgesetzgeber geht daher offensichtlich von einem subjektiven Recht der Eltern und Schüler auf recht- und gesetzmäßige Schulzeit aus. Daß der Gesetzgeber für den Fall, daß infolge der Fehlerhaftigkeit des Abstimmungsverfahrens die erforderliche 2/3-Mehrheit nicht zustande gekommen ist, keinen bekämpfbaren (generellen) Rechtsetzungsakt vorgesehen hat, der auch bekämpfbar wäre, behaftet das Gesetz selbst mit einem verfassungswidrigen Fehler, den der Gesetzgeber vermutlich gar nicht bedacht hat."

4. Die Antragsteller bringen mit ausführlicher Begründung vor, daß die Festlegung des Erfordernisses einer Zwei-Drittel-Mehrheit in §4 Abs1 lita des (Vbg.) Pflichtschulzeitgesetzes in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig sei, und zwar wegen Verletzung des (sowohl bundes- als auch landesverfassungsrechtlich normierten) Grundsatzes des gleichen Wahlrechtes, wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und des demokratischen Prinzips sowie wegen Verletzung des rechtsstaatlichen Prinzips. Im Rahmen eines Eventualvorbringens machen die Antragsteller schließlich geltend, daß "die angefochtenen Gesetzesbestimmungen" (auch) deshalb verfassungswidrig seien, weil sie entgegen der maßgeblichen grundsatzgesetzlichen Vorschrift des §8 Abs9 des Schulzeitgesetzes 1985 nicht auch eine Schulfreierklärung der Samstage für den Bereich des Landes sowie für einzelne Schulstufen und einzelne Klassen ermöglichten; aber auch deshalb, weil die (Vbg.) Landesverfassung eine "direkte Mitbestimmung der Betroffenen auf Vollzugsebene" nicht vorsehe.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Frage der Zulässigkeit des Antrages erwogen:

1. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur - beginnend mit seinem Beschluß VfSlg. 8009/1977 - zu Art140 B-VG ausführte, setzt die Antragslegitimation nicht nur voraus, daß die antragstellende Partei behauptet, die als verfassungswidrig angefochtene Gesetzesbestimmung habe sie unmittelbar in ihren Rechten verletzt; Art140 B-VG verlangt überdies, daß dieses Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam wurde. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation bildet dabei der Umstand, daß das bekämpfte Gesetz die Rechtssphäre der einschreitenden Person berührt und - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Anfechtungsberechtigt ist also von vornherein nur ein Rechtsträger, an oder gegen den sich das angefochtene Gesetz wendet (s. etwa VfSlg. 12751/1991, 12909/1991, 13082/1992).

2. Der Verfassungsgerichtshof sprach bereits im Beschluß VfSlg. 12910/1991 aus, daß die Festlegung der Unterrichtszeit eine Angelegenheit der äußeren Organisation der Schulen ist (in diesem Sinn auch VfSlg. 10359/1985, S. 170) und somit hinsichtlich der Grundsatzgesetzgebung in die Zuständigkeit des Bundes, hinsichtlich der Erlassung von Ausführungsgesetzen und der Vollziehung in die Zuständigkeit der Länder fällt (Art14 Abs3 litb B-VG); ferner, daß sowohl nach der grundsatzgesetzlichen Bestimmung des §16 Abs1 des Schulzeitgesetzes 1985 als auch nach der ausführungsgesetzlichen Regelung des §1 Abs3 erster Satz des (Vbg.) Pflichtschulzeitgesetzes sich die Vorschriften über die Schulzeit auf das Verhältnis zwischen Schule und Schüler beziehen, die Erziehungsberechtigten demnach - von der sogleich zu erwähnenden Ausnahme abgesehen - nicht Adressaten der gesetzlichen Regelungen über die Festlegung der Schulzeit sind, mögen diese Regelungen auch faktische Auswirkungen auf sie haben. Wie der Verfassungsgerichtshof in dem zitierten Beschluß des weiteren aussprach, richten sich die Regelungen des §4 des (Vbg.) Pflichtschulzeitgesetzes primär an die Schulverwaltung; den Erziehungsberechtigten wird im Verfahren zur Schulfreierklärung der Samstage (nur) durch §4 Abs1 lita des (Vbg.) Pflichtschulzeitgesetzes das Recht, angehört zu werden, eingeräumt, sie sind also nur in bezug auf diese Regelung Normadressaten. Der Verfassungsgerichtshof gelangte aus diesen Erwägungen zum Ergebnis, daß die (damals) primär angefochtene Norm (die Worte "von zwei Dritteln" in §4 Abs1 lita des (Vbg.) Pflichtschulzeitgesetzes) ebenso wie die (damals) hilfsweise angefochtenen Normen (§4 Abs1 lita bzw. §4 Abs1 bzw. §4 Abs1 bis 7 des (Vbg.) Pflichtschulzeitgesetzes) nicht in die Rechtssphäre der Erziehungsberechtigten (ausschließlich solche waren damals Antragsteller) eingreifen.

Da die im vorliegenden (Individual-)Antrag angeführten Vorschriften des Schulpflichtgesetzes 1985 nicht die generelle Ausdehnung des Adressatenkreises der primär angefochtenen Bestimmungen des §4 des (Vbg.) Pflichtschulzeitgesetzes auf die Erziehungsberechtigten bewirken, berühren die angefochtenen Normen nicht die Rechtssphäre jener Antragsteller, die Erziehungsberechtigte sind. Es fehlt diesen Antragstellern daher die Antragslegitimation.

3. Da durch §4 des (Vbg.) Pflichtschulzeitgesetzes niemandem ein über das Recht der Erziehungsberechtigten und der Lehrer, angehört zu werden, hinausgehendes Recht eingeräumt wird, berühren die mit dem vorliegenden (Individual-)Antrag primär bzw. hilfsweise angefochtenen Vorschriften dieses Gesetzes weder für sich genommen noch im Zusammenhalt mit den übrigen im Antrag angeführten Vorschriften dieses Gesetzes und des Schulpflichtgesetzes 1985 die Rechtssphäre jener Antragsteller, die Schüler sind. Es fehlt somit auch diesen Antragstellern die Antragslegitimation.

4. Der Antrag war demnach schon aus den genannten Gründen mangels Legitimation der Antragsteller zurückzuweisen, ohne daß zu prüfen war, ob seiner meritorischen Erledigung noch andere Hindernisse entgegenstehen.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Schulen, Schulzeit, Schulpflicht, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:G39.1992

Dokumentnummer

JFT_10059376_92G00039_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten