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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des M O, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. Juli 2021, I406 2239855-1/10E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der 1975 geborene Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, der hier schon im Zeitraum November 2008 bis März 2010 unter einer bis Mitte 2018 verwendeten Alias-Identität zweimal erfolglos die Gewährung von internationalem Schutz beantragt hatte, lebt (nach einem im Dezember 2016 beginnenden Aufenthalt in Ungarn) seit März 2018 wieder durchgehend in Österreich. Er war zwischen 30. Mai 2018 und 31. Mai 2021 mit einer slowakischen Staatsangehörigen verheiratet, mit der er einen am 15. Dezember 2016 geborenen, slowakischen Sohn hat, der bei seiner Mutter in Wien lebt.
2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7. Jänner 2020 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 (erster und achter Fall) StGB sowie des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 zweiter Fall StGB zu einer bedingt nachgesehenen zehnmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Danach habe er in mehreren Angriffen zwischen 8. und 17. September 2018 in Wien Vertreter öffentlicher Einrichtungen wie Polizeidienststellen und anderer Behörden durch Zusenden von E-Mail-Nachrichten gefährlich mit dem Tod bzw. mit der Gefährdung durch Sprengmittel bedroht, wobei er unter Verwendung von ihm selbst angelegter, auf seine Ehefrau und deren damaligen Lebensgefährten hinweisender E-Mail-Adressen unter anderem darstellte, Österreich für ein „teuflisches Volk“ zu halten, das er hasse, zerstören und terrorisieren wolle; er werde (unter anderem) das Land im Zuge seiner Dschihad-Pläne bombardieren, Österreich und seine Regierung stürzen und das Land komplett zerstören. Seine damalige Ehefrau sowie deren Lebensgefährten hatte er dadurch der Gefahr einer behördlicher Verfolgung wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB (wozu die Staatsanwaltschaft Wien ein entsprechendes Ermittlungsverfahren einleitete) falsch verdächtigt, wobei er wusste, dass diese Verdächtigung falsch war.
3 Im Hinblick darauf erließ das - von der Niederlassungsbehörde, wo der Revisionswerber die Dokumentation seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts beantragt hatte, befasste - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 25. Jänner 2021 gegen den Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
4 Entsprechend dem in der dagegen erhobenen Beschwerde gestellten Antrag beraumte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) für den 29. Juli 2021 eine mündliche Verhandlung an, zu der der Revisionswerber unentschuldigt nicht erschien. Hierauf erging das angefochtene Erkenntnis vom 30. Juli 2021, mit dem das BVwG die Beschwerde als unbegründet abwies. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Das BVwG ging davon aus, dass die häusliche Gemeinschaft des Revisionswerbers mit seiner damaligen slowakischen Ehefrau bereits am 17. Juli 2018 aufgehoben worden sei. Zwischen Juni 2017 und März 2018 habe er sich um seinen (nach der Aktenlage deutsch und slowakisch sprechenden) Sohn gekümmert, als dessen Mutter zwischen ihrem früheren Wohnort in Ungarn (Sopron) und Wien gependelt sei, um hier als Kellnerin zu arbeiten. Nachdem sie im Jahr 2018 eine neue Lebensgemeinschaft begründet habe, seien weitere Kontakte zum Kind unterblieben und wegen der Weigerung der Mutter vom Revisionswerber erst im Jänner 2021 im Weg näher beschriebener (eingeschränkter) Besuche wieder aufgenommen worden.
Der Revisionswerber habe 2016 den Pflichtschulabschluss erworben, sei aber nie einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen, sei nicht selbsterhaltungsfähig und habe für seinen Sohn zu keinem Zeitpunkt Unterhaltszahlungen geleistet. Er spreche gut Deutsch auf dem Niveau A2 und habe verschiedene - näher dargestellte - Sozialkontakte in Österreich aufgebaut.
6 Rechtlich bejahte das BVwG die Verwirklichung des Gefährdungsmaßstabes nach § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG, wobei es auf den besonders hohen Unrechtsgehalt des beschriebenen deliktischen Verhaltens und das Fehlen jeglicher Reue oder Schuldeinsicht hinwies. Dazu komme, dass die Wortwahl des Revisionswerbers in den inkriminierten Nachrichten auf seine überaus ausgeprägte persönliche Abneigung gegenüber Österreich und dessen rechtlich geschützte Werte schließen lasse. So habe er Österreich - wenn auch in fremdem Namen - beispielsweise als nutzloses, unsinniges, rassistisches und schmutziges Land bezeichnet, das er von ganzem Herzen hasse, woran er den Wunsch geknüpft habe, das Land komplett zu zerstören, zu bombardieren und die Regierung zu stürzen. Aus dieser Geisteshaltung sei ein Gesamtbild abzuleiten, das eine künftige schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit begründe. Der Zeitraum seines Wohlverhaltens dauere nicht lang genug an, um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können.
Die Kontakte zu seinem Sohn, für den er keine Hauptbezugsperson darstelle, seien zuletzt sehr stark eingeschränkt gewesen. Fallbezogen stehe das Kindeswohl somit einer Aufenthaltsbeendigung nicht entgegen. Insgesamt schlage die Interessenabwägung zu Lasten des Revisionswerbers und zu Gunsten der öffentlichen Interessen an seiner Außerlandesbringung aus; der Eingriff in sein Privat- und Familienleben sei daher iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig anzusehen.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.
8 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
10 Unter diesem Gesichtspunkt wendet sich der Revisionswerber gegen die Interessenabwägung des BVwG. Er verweist dabei insbesondere auf das Wohl seines im Dezember 2016 geborenen Sohnes und macht geltend, für ihn Unterhalt „in der Form von Kleidung und Spielzeuge“ geleistet zu haben.
11 Bei den nunmehr vorgetragenen Behauptungen zur Erbringung von Unterhaltsleistungen des (unbestritten) einkommens- und mittellosen Revisionswerbers handelt es sich jedoch um eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unzulässige Neuerung. Ebenso sind die Revisionsausführungen nicht nachvollziehbar, soweit sie daran anknüpfend unterstellen, sein Kind wäre als Unionsbürger bei Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Revisionswerber „gezwungen, das Unionsgebiet zu verlassen, um meine Unterhaltsleistungen weiterhin genießen zu können“.
12 Der in der Revision behaupteten Anwendbarkeit des fünften Satzes des § 67 FPG steht schon entgegen, dass der Revisionswerber - wie sich aus Rn. 1 ergibt - in den letzten zehn Jahren keinen durchgehenden rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte (vgl. dazu etwa VwGH 18.1.2021, Ra 2020/21/0511, Rn. 12/13, mwN).
13 Unter Berücksichtigung der in den letzten Jahren nur sehr eingeschränkten Kontakte zum Sohn sowie der erheblichen Straffälligkeit des Revisionswerbers erscheint die Interessenabwägung des BVwG - entgegen der Meinung in der Revision - insgesamt nicht unvertretbar (siehe zu diesem Maßstab für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0484, Rn. 18; VwGH 30.4.2021, Ra 2021/21/0071, Rn. 20, und VwGH 5.8.2021, Ra 2021/21/0213, Rn. 22, mwN). Den in der Revision erwähnten, für den Revisionswerber sprechenden Gesichtspunkten wie dem Erwerb von Sozialkontakten in Österreich und vor allem dem vom BVwG in seiner Entscheidung ausreichend berücksichtigten Kindeswohl wurde im Übrigen ohnehin auch durch die geringe Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes mit zwei Jahren entsprechend Rechnung getragen.
14 Schließlich argumentiert der Revisionswerber mit dem Urteil EuGH 11.3.2021, C-112/20, aus dem er ableitet, dem Kindeswohl müsse „eine übergeordnete Rolle über andere entscheidungsrelevante Umstände zugesprochen“ werden.
Dem ist zu entgegnen, dass aus dem eben zitierten Urteil lediglich abgeleitet werden kann, dass das Kindeswohl „gebührend“ zu berücksichtigen ist (siehe dazu insbesondere die Rn. 19, 26, 31 und 43 dieses Urteils). Das entspricht auch der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa nur VwGH 3.12.2021, Ra 2021/18/0299, Rn. 17, wo auch auf das genannte EuGH-Urteil Bezug genommen wird). Dieser Judikatur hat das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis - wie erwähnt - ausreichend Rechnung getragen.
15 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 15. März 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021210286.L00Im RIS seit
13.04.2022Zuletzt aktualisiert am
05.05.2022