Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §19 Abs3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision des A B in C, vertreten durch Mag. Friedrich Poppmeier, Rechtsanwalt in 9470 St. Paul, Hauptstraße 4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 6. September 2021, Zl. W136 2244033-1/10E, betreffend Disziplinarstrafe der Entlassung nach dem BDG 1979 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesdisziplinarbehörde; weitere Partei: Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der im Jahr 1962 geborene Revisionswerber steht als Exekutivbeamter in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen war er Streifenkommandant am Grenzübergang X.
2 Mit Disziplinarerkenntnis der Bundesdisziplinarbehörde vom 8. Juni 2021 wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, er habe 1. am 20. Oktober 2020, von ca. 15:30 bis 16:30 Uhr, im Dienst und als Streifenkommandant am Grenzübergang X auf einem unmittelbar bei der Einreise nach Österreich befindlichen und für alle Einreisenden aus Y sichtbaren Schild „Polizei-Grenzkontrolle“ ein DIN-A4 großes Blatt mit der formatfüllenden Aufschrift „Für Jugos gesperrt, da Österreicher sich auch nicht frei bewegen dürfen!!!“ angebracht und dort belassen sowie er habe es 2. als verantwortlicher Streifenkommandant am 20. Oktober 2020, von ca. 18:15 bis 18:25 Uhr, unterlassen, für eine weisungsgemäße Vollziehung der Grenzkontrolle am Grenzübergang X zu sorgen, indem er den Grenzkontrolldienst um ca. 18:15 Uhr abgebrochen und den Dienstort gemeinsam mit der Polizeischülerin Z verlassen habe, obwohl die ablösende Streife noch nicht eingetroffen gewesen sei und indem er den Dienstort bzw. die Dienststelle (Abfertigungskojen) mit eingeschalteter EDV-Anlage, eingeschaltetem Funk, eingeschalteten dienstlichen Mobiltelefonen und dem Zentralschlüssel für sämtliche Grenzkontrollstellen in K unversperrt und für jedermann zugänglich verlassen habe. Der Revisionswerber habe dadurch seine Dienstpflichten nach §§ 43 Abs. 1 und 2 sowie § 44 Abs. 1 BDG 1979 iVm. dem Befehl vom 29. August 2020 gemäß § 91 BDG 1979 schuldhaft verletzt, weshalb über ihn die Disziplinartstrafe der Entlassung gemäß § 92 Abs. 1 Z 4 BDG 1979 verhängt wurde.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung (in Abwesenheit des Revisionswerbers) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet abgewiesen. Die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
4 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst und soweit von Relevanz aus, es stehe unzweifelhaft fest, dass der Revisionswerber die angelasteten Dienstpflichtverletzungen begangen habe, diese seien in der Beschwerde zugestanden worden. Was die Strafzumessung betreffe, so sei der Bundesdisziplinarbehörde zu folgen, wenn diese aufgrund der Schwere der Pflichtverletzungen in Zusammenhalt mit der dem Revisionswerber zu bescheinigenden negativen Zukunftsprognose die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt habe. Der Revisionswerber habe schwerwiegendste dienstliche Verfehlungen begangen, bei denen grundsätzlich eine Entlassung in Betracht zu ziehen sei. Aufgrund der Persönlichkeit des Revisionswerbers sei der Bundesdisziplinarbehörde zu folgen, wenn diese die Entlassung als alternativlos erachtet habe. Der Revisionswerber weise seit Jahren eine unterdurchschnittliche Dienstleistung auf, in der Vergangenheit habe es wiederholt Beschwerden aufgrund seiner Unfreundlichkeit und Aggressivität im Rahmen der Dienstausübung gegeben. Er sei wiederholt verwaltungsstrafrechtlich, strafrechtlich und disziplinär in Erscheinung getreten.
5 Zwar habe der Revisionswerber, so das Verwaltungsgericht weiter, erstmals in der Beschwerde gegen den Bescheid der Bundesdisziplinarbehörde Einsicht und Reue erkennen lassen, dies sei jedoch nicht geeignet, eine andere Strafe als die Entlassung als vertretbar erscheinen zu lassen. Da der Revisionswerber weder zur Disziplinarverhandlung noch zur Beschwerdeverhandlung erschienen sei, entstünden gewisse Zweifel an seiner ausschließlich schriftlich gezeigten Schuldeinsicht.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch das Verwaltungsgericht und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
7 Soweit der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung moniert, die Verhandlung sei trotz rechtzeitig erfolgter Verständigung des Verwaltungsgerichtes von seiner Krankheit in seiner Abwesenheit durchgeführt worden, erweist sich die vorliegende außerordentliche Revision als zulässig; sie ist auch begründet:
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass bei Erstellung einer Prognose über das zukünftige Verhalten einer natürlichen Person der Verschaffung eines - im Rahmen einer mündlichen Verhandlung gewonnenen - persönlichen Eindrucks besondere Bedeutung zukommt. Bei der Entscheidung über eine Schuld und Strafe, bei welcher es gemäß § 93 Abs. 1 BDG 1979 u.a. darauf ankommt, inwieweit die beabsichtigte Strafe erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten, ist eine solche Prognoseentscheidung zu treffen (vgl. VwGH 21.4.2015, Ra 2015/09/0009). Weiters wurde in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bereits mit näherer Begründung dargelegt, dass mit einer Entscheidung über die Schuld und Strafe eines Beamten in der Regel eine Entscheidung über eine zivilrechtliche Streitigkeit im Sinn des Art. 6 Abs. 1 EMRK getroffen wird (vgl. zuletzt VwGH 11.3.2021, Ra 2020/09/0017; 9.9.2014, Ro 2014/09/0049, VwSlg. 18918 A, mwN).
9 Das Verwaltungsgericht hat im Revisionsfall trotz - zwar kurzfristig, aber dennoch rechtzeitig (nämlich am Tag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung) eingelangter - Krankenstandbestätigung des Revisionswerbers die Verhandlung in dessen Abwesenheit durchgeführt. Aus der Krankenstandbestätigung geht nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes u.a. aufgrund der Diagnose „depressive Episode“ hervor, dass der Revisionswerber einen zwingenden Grund für sein Nichterscheinen hatte und an der Teilnahme gehindert war (vgl. zur Erforderlichkeit des Vorliegens eines triftigen Grundes z.B. VwGH 15.12.2016, Ra 2016/02/0242, mwN). Eine Begründung, weshalb es das Verwaltungsgericht für zulässig erachtet hat, trotzdem in Abwesenheit des Revisionswerbers die Verhandlung durchzuführen, lässt sich dem angefochtenen Erkenntnis nicht entnehmen. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht die - entschuldigte - Nichtteilnahme des Revisionswerbers an eben dieser Verhandlung insofern bewertet, als es Zweifel an der Schuldeinsicht des Revisionswerbers damit begründet hat.
10 Indem das Verwaltungsgericht trotz Entschuldigung des Revisionswerbers die Verhandlung ohne nachvollziehbare Begründung in seiner Abwesenheit durchgeführt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Vorbringen einzugehen war.
11 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 21. März 2022
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete Verfahrensbestimmungen BerufungsbehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021090234.L00Im RIS seit
13.04.2022Zuletzt aktualisiert am
17.05.2022