Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Antonia Oberwalder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei N*, vertreten durch Dr. Ursula Rath, Rechtsanwältin in Wien, diese vertreten durch Mag. Elisabeth Mace, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Oktober 2021, GZ 7 Rs 98/21i-50, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Soweit für das Revisionsverfahren relevant, wiesen die Vorinstanzen das Begehren der Klägerin, ihr ab 1. März 2020 die Berufsunfähigkeitspension zu gewähren, ab. Die Klägerin genieße keinen Berufsschutz im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG, weshalb sie nach dessen Abs 2 auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei. Dort könne sie aufgrund ihres medizinischen Leistungskalküls noch eine Reihe von Verweisungstätigkeiten ausüben.
Rechtliche Beurteilung
[2] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[3] 1. Zwar bilden Verfahrensverstöße vom Gewicht einer Nichtigkeit grundsätzlich eine vom Obersten Gerichtshof schon im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RIS-Justiz RS0042743 [T2]). Ein außerordentliches Rechtsmittel ist aber nicht schon deshalb als zulässig zu behandeln, weil ein Nichtigkeitsgrund bloß behauptet wird, dieser tatsächlich aber nicht vorliegt (RS0043067). Die Klägerin wiederholt unter dem Revisionsgrund der Nichtigkeit nach § 503 Abs 1 Z 1 ZPO lediglich Teile ihrer das erstinstanzliche Verfahren betreffenden Mängelrüge.
[4] 2. Nach ständiger Rechtsprechung kann – auch in Sozialrechtssachen (RS0043061) – ein vom Berufungsgericht verneinter Mangel des Verfahrens erster Instanz in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (RS0042963). Allerdings liegt dann, wenn sich das Berufungsgericht mit der Mängelrüge in der Berufung überhaupt nicht, bloß unzureichend oder nicht auf aktenmäßiger Grundlage befasst hat, ein Mangel des Berufungsverfahrens selbst vor (RS0043144 [T7, T8]). Der Vorwurf der Klägerin, das Berufungsgericht habe die Verneinung der von ihr geltend gemachten Verfahrensmängel erster Instanz nicht überzeugend begründet, trifft nicht zu, weil das Berufungsgericht die Mängelrüge der Klägerin in der Berufung, die von ihr vorgelegten Befunde seien nicht beachtet worden, ausführlich behandelt hat. Die in der Revision angestrebte inhaltliche Prüfung der vom Berufungsgericht herangezogenen Gründe für die Verneinung der Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens hat nicht zu erfolgen (10 ObS 150/21p mwN).
[5] 3. Der von der Klägerin gewünschten Überprüfung des medizinischen Gutachtens steht entgegen, dass der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist (RS0042903 [T7]), weshalb Fragen der Beweiswürdigung nicht an ihn herangetragen werden können (RS0069246 [T2]; RS0043414 [T11]). Dazu zählt auch die Beurteilung der Beweiskraft eines Sachverständigengutachtens, also der Frage, ob es die getroffenen Feststellungen rechtfertigt (RS0043163). Diese Rechtsmittelbeschränkung kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass ein unerwünschtes Ergebnis der Behandlung der Beweisrüge als Mangel des Berufungsverfahrens releviert wird (RS0043371 [T28]; RS0043150 [T8]).
[6] 4. In der Berufung nicht gerügte Verfahrensmängel erster Instanz (hier: unterlassene Beweisaufnahmen, Verletzung der Anleitungspflicht und Nichtzulassung einer ergänzenden Befragung des Sachverständigen) können nach ständiger Rechtsprechung in dritter Instanz nicht mehr aufgegriffen werden (RS0074223).
[7] 5. Bei ihrer Kritik, das Berufungsgericht habe das Ersturteil bestätigt, ohne sich mit den von ihr vorgebrachten Berufungsgründen im Detail auseinanderzusetzen, lässt die Klägerin außer Acht, dass das Berufungsgericht von der Möglichkeit der Begründungserleichterung nach § 500a ZPO Gebrauch gemacht hat und sich daher auf eine kurze Zusatzbegründung beschränken konnte. Für den Obersten Gerichtshof ist nicht erkennbar, welche relevanten Argumente in der Berufung vom Berufungsgericht nicht oder unzureichend behandelt worden wären.
[8] 6.1. Da die Klägerin aus den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen ein anderes Leistungskalkül ableitet und dann auf dieser Grundlage argumentiert, geht sie nicht vom festgestellten, sondern einem „Wunschsachverhalt“ aus. Die Rechtsrüge ist insofern daher nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043312 [T14]).
[9] 6.2. Soweit die Klägerin rügt, es sei nicht festgestellt worden, dass sie (verkürzt) keiner Vollzeitbeschäftigung mehr nachgehen könne, sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtert habe sowie häufige und regelmäßige Krankenstände zu erwarten seien, negiert sie die dazu getroffenen gegenteiligen Feststellungen. Dass diese von ihren Vorstellungen abweichen, betrifft die Beweiswürdigung und kann nicht als rechtlicher Feststellungsmangel geltend gemacht werden (RS0053317 [T1]).
[10] 7. Die außerordentliche Revision der Klägerin ist daher zurückzuweisen.
Textnummer
E134396European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00195.21F.0222.000Im RIS seit
13.04.2022Zuletzt aktualisiert am
13.04.2022