TE OGH 2022/2/22 10ObS172/21y

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Veröffentlicht am 22.02.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber, sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Antonia Oberwalder und Mag. Andrea Kehrer (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Dr. Longin Josef Kempf und Dr. Josef Maier, Rechtsanwälte in Peuerbach, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, vertreten durch Dr. Eva-Maria Bachmann-Lang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Betriebsrente, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. August 2021, GZ 11 Rs 67/21h-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. Juni 2021, GZ 18 Cgs 99/21a-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1]       Der Kläger erlitt am 21. 3. 2020 als selbständiger Landwirt einen Arbeitsunfall. Die durch die Folgen bewirkte Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt unstrittig 40 %.

[2]       Im Kalenderjahr vor dem Arbeitsunfall war der Kläger ab 1. 3. 2019 als Landwirt tätig. Daneben war er ua von 1. 1. 2019 bis 28. 2. 2019 als Angestellter unselbständig erwerbstätig, die Beitragsgrundlage betrug monatlich 2.358,36 EUR.

[3]       Mit Bescheid vom 19. 4. 2021 sprach die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. 3. 2020 auf Basis einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 % und einer Bemessungsgrundlage von 20.841,95 EUR (§ 148f Abs 1 ASVG) eine vorläufige Betriebsrente in Höhe von 402,94 EUR monatlich ab 22. 3. 2021 zu.

[4]       Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Zuerkennung einer vorläufigen Betriebsrente von monatlich 1.480 EUR ab 22. 3. 2021. Seine unselbständige Tätigkeit habe im Jahr 2019 mehr als sechs Wochen gedauert, sodass die Bemessungsgrundlage auf Basis des auf das ganze Jahr hochgerechneten Einkommens aus der unselbständigen Beschäftigung zu ermitteln sei.

[5]       Die Beklagte wandte ein, dass § 148f Abs 2 BSVG nur auf § 179 Abs 1 ASVG, nicht aber auf dessen weitere Absätze verweise. Für den Kläger sei hier die feste Bemessungsgrundlage gemäß § 148f Abs 1 BSVG (= 20.841,95 EUR im Jahr 2020) anzuwenden.

[6]       Das Erstgericht stellte den angefochtenen Bescheid wieder her und wies das Klagemehrbegehren ab.

[7]       Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Nach § 148f Abs 1 BSVG gelte für die – wie der Kläger – gemäß § 3 Abs 1 BSVG Versicherten als Bemessungsgrundlage für das Jahr 2020 ein jährlicher Betrag von 20.841,95 EUR, sofern nicht § 148f Abs 3 BSVG zur Anwendung komme. Nach § 148f Abs 2 BSVG sei abweichend von § 148f Abs 1 BSVG auch die Bemessungsgrundlage nach § 179 Abs 1 ASVG zu bilden und mit der Bemessungsgrundlage nach § 148f Abs 1 BSVG zu vergleichen. Als Bemessungsgrundlage für die Geldleistungen sei die höhere der beiden Bemessungsgrundlagen heranzuziehen. Gemäß § 179 Abs 1 ASVG gelte in der Unfallversicherung als Bemessungsgrundlage (soweit diese nicht nach § 181 ASVG zu ermitteln sei) die Summe der allgemeinen Beitragsgrundlagen im letzten Kalenderjahr vor dem Eintritt des Versicherungsfalls zuzüglich Sonderzahlungen, soweit von diesen Beiträge bereits fällig geworden seien. Habe die Versicherung im letzten Kalenderjahr vor dem Eintritt des Versicherungsfalls mindestens sechs Wochen gedauert, so sei gemäß § 179 Abs 2 ASVG Bemessungsgrundlage jener Betrag, der sich bei Anwendung des § 179 Abs 1 ASVG ergeben würde, wenn die Versicherung während des gesamten letzten Kalenderjahres vor dem Eintritt des Versicherungsfalls bestanden hätte.

[8]       Entsprechend der klaren gesetzlichen Anordnung des § 148f Abs 2 BSVG sei für die Vergleichsberechnung nur die Bemessungsgrundlagenbildung nach § 179 Abs 1 ASVG maßgeblich. Diese stelle auf die Summe der allgemeinen Beitragsgrundlagen im letzten Kalenderjahr vor dem Eintritt des Versicherungsfalls ab. Eine Hochrechnung von „unterjährigen Beitragsgrundlagen“ auf ein Jahr nach § 179 Abs 2 und 3 ASVG sei demnach nicht vorgesehen. § 148f Abs 2 BSVG verweise nicht nur nach seinem Wortlaut lediglich auf § 179 Abs 1 ASVG; diese Einschränkung in der Verweisung entspreche auch dem sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers. Die Korrektur allenfalls unbefriedigender Gesetzesbestimmungen sei nicht Aufgabe der Gerichte. Die Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof bislang zur Vergleichsrechnung des § 148f Abs 2 BSVG nicht Stellung genommen habe.

[9]       Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers, mit der er die Stattgebung des Klagemehrbegehrens anstrebt.

[10]     Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

 

[11]     1. Der Revisionswerber führt aus, dass die Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Vergleichsrechnung gemäß § 148f Abs 2 BSVG nicht existiere. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt jedoch dann keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RS0042656). Das ist hier in Bezug auf § 148f Abs 2 BSVG der Fall.

[12]     2. Der Revisionswerber hält der Berechnung der Beitragsgrundlage durch die Beklagte lediglich entgegen, dass sich die von ihm begehrte höhere Bemessungsgrundlage aus den Bestimmungen des § 179 Abs 2 und 3 ASVG ergebe. Dem ist der klare Wortlaut des § 148f Abs 2 BSVG entgegenzuhalten, der ausdrücklich für die Vergleichsrechnung nur auf § 179 Abs 1 ASVG verweist, nicht jedoch auf die weiteren Absätze dieser Bestimmung. Dass dieser Verweis den ausdrücklichen Intentionen des Gesetzgebers entspricht (ErläutRV 944 BlgNR 22. GP 7 und 13), hat das Berufungsgericht dargelegt.

[13]     3.1 Der Revisionswerber wiederholt sein – nicht näher begründetes – Argument, dass es keine sachliche Rechtfertigung bzw keinen Grund für eine Schlechterstellung von nach dem BSVG Versicherten gegenüber den nach dem ASVG Versicherten gebe.

[14]     3.2 Dem ist mit der Revisionsbeantwortung entgegenzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs die einzelnen Sozialversicherungssysteme wegen ihrer unterschiedlichen Gestaltungen des Beitrags- und Leistungsrechts nicht miteinander vergleichbar sind, sodass zufolge der bestehenden prinzipiellen Unterschiedlichkeit der einzelnen Sozialversicherungssysteme nicht der Gleichheitsgrundsatz als Grundlage für eine einheitliche Regelung ins Treffen geführt werden kann. Damit bestehen auch gegen den Umstand, dass die Bemessungsgrundlagen für Versicherte nach diesen Sozialversicherungsgesetzen unterschiedlich festgestellt werden, keine verfassungsrechtlichen Bedenken (RS0107985 [T1]).

[15]     3.3 Bereits das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass das Recht der bäuerlichen Unfallversicherung mit der 22. Novelle zum BSVG, BGBl I 1998/140, grundlegend neu gestaltet wurde. Die damals eingeführte Betriebsrente bezweckt vor allem die Aufrechterhaltung des bäuerlichen Betriebs. Geschaffen wurde eine gesamtsolidarische Bemessungsgrundlage für Voll- und Nebenerwerbslandwirte von 204.000 ATS pro Jahr, die dem durchschnittlichen Jahreseinkommen in der Land- und Forstwirtschaft inklusive außerlandwirtschaftlicher Einkünfte entsprach. Diese Höhe der Betriebsrente sollte daher alle in der Land-(Forst-)wirtschaft erzielbaren Erwerbseinkommen inklusive aller von Land-(Forst-)wirten üblicherweise ausgeübten Erwerbskombinationen berücksichtigen. Sie schließt auch Neben- und Zuerwerbssituationen ein, für die eine eigene Pflichtversicherung in der Unfallversicherung besteht. Im Ergebnis hatte die neue Bemessungsgrundlage eine Verdreifachung der monatlichen Rentenleistung zur Folge (vgl zu all dem ausführlich 10 ObS 72/13f SSV-NF 27/46). Daraus, dass der Gesetzgeber dennoch durch die Vergleichsrechnung nach § 148f Abs 2 BSVG in bestimmten Fällen – zB bei einem besonders hohen Nebenverdienst – die Zuerkennung einer höheren Betriebsrente ermöglicht, kann die vom Kläger behauptete Schlechterstellung durch diese Bestimmung nicht argumentiert werden.

[16]           4. Da der Revisionswerber keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist die Revision zurückzuweisen.

[17]     Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

Textnummer

E134392

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00172.21Y.0222.000

Im RIS seit

12.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

12.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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