TE OGH 2022/2/22 8ObA99/21y

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Veröffentlicht am 22.02.2022
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Dr. Dieter Gallistl, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei O* GmbH, *, vertreten durch Dr. Gerhard W. Huber LL.M., Rechtsanwalt in Linz, wegen 3.182,49 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. November 2019, GZ 11 Ra 64/19i-16, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. Juli 2019, GZ 10 Cga 34/19f-12, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Das Verfahren wird fortgesetzt.

II. Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 761,45 EUR brutto samt 4% Zinsen seit 22.12.2018 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 2.421,04 EUR brutto samt 4% Zinsen seit 22.12.2018 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 718,81 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 232,59 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 120,14 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die Klägerin war bei der Beklagten als Reinigungskraft mit einem monatlichen Bruttogehalt von 1.500 EUR beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis findet der Kollektivvertrag für ArbeiterInnen im Hotel und Gastgewerbe Anwendung.

[2]       Am 21. Dezember 2018 sollte die Klägerin um 21:00 Uhr ihren Dienst antreten. Sie befand sich an diesem Tag auf dem Heimweg von Rumänien und hatte eine Autopanne. Um ca 10:50 Uhr rief sie daher bei der Beklagten an, um bekanntzugeben, nicht rechtzeitig kommen zu können. In der Folge erhielt sie eine SMS von der Beklagten mit folgendem Inhalt: „Wenn Sie den vereinbarten Dienst nicht antreten, werden wir Sie umgehend kündigen!“

[3]       Die Klägerin traf erst gegen Mitternacht im Lokal der Beklagten ein. Sie nahm ihren Dienst jedoch nicht auf, sondern setzte sich mit ihrem Gatten und ihrer Tochter an die Bar im Lokal und bestellte sich ein Getränk. Der Geschäftsführer der Beklagten war zu diesem Zeitpunkt im Dienst, die Klägerin sprach ihn aber nicht an. Aufgrund der großen Anzahl der Gäste im Lokal nahm der Geschäftsführer die Klägerin nicht wahr, sondern erfuhr erst im Nachhinein von einer Mitarbeiterin, dass die Klägerin im Lokal gewesen war. Nach ca einer halben Stunde verließ die Klägerin das Lokal wieder.

[4]            Ihren nächsten Dienst, der am 22. 12. 2018 um 21:00 Uhr begonnen hätte, trat die Klägerin nicht an, weil sie glaubte, durch das SMS gekündigt worden zu sein. Am 23. 12. 2018 kam sie ins Büro der Beklagten, wo auch der Geschäftsführer der Beklagten anwesend war, gab ihre Arbeitsbekleidung zurück und sagte, dass sie nicht mehr in die Arbeit komme. Sie wurde am 27. 12. 2018 mit 20. 12. 2018 von der Beklagten bei der Sozialversicherung mit dem Grund „unberechtigter vorzeitiger Austritt“ abgemeldet.

[5]       Die Klägerin begehrt 3.182,49 EUR sA. Das Arbeitsverhältnis sei von der Beklagten fristwidrig beendet worden. Ihr stehe daher das Entgelt für 1. bis 21. 12. 2018 von 1.050 EUR, Urlaubsersatzleistung für 15 Arbeitstage von 1.193,18 EUR, Kündigungsentschädigung von 891,35 EUR und 47,96 EUR Beitrag zur Mitarbeitervorsorgekasse zu.

[6]       Die Beklagte bestreitet. Die Klägerin sei unberechtigt vorzeitig ausgetreten, weshalb ihr keine Kündigungsentschädigung und Abfertigung nach dem BMSVG, keine Sonderzahlungen und keine Urlaubsersatzleistung zustünden. Da ihr die ihr aufgrund des unberechtigten Austritts nicht gebührende Weihnachtsremuneration bereits im November 2018 ausbezahlt worden sei, sei dieser Betrag bei der Dezemberabrechnung in Abzug gebracht worden, weshalb für Dezember kein Entgeltanspruch bestehe.

[7]       Das Erstgericht ging von einem unberechtigten Austritt der Klägerin aus und wies das Klagebegehren ab.

[8]       Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin gegen diese Entscheidung nicht Folge. Es teilte die Auffassung des Erstgerichts, dass die Klägerin unberechtigt ausgetreten sei. Eine Kündigungsentschädigung stehe daher nicht zu. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) könne nicht entnommen werden, dass der in § 10 Abs 2 UrlG normierte Entfall des Anspruchs auf Urlaubsersatzleistung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Austritt des Arbeitnehmers ohne wichtigen Grund in Widerspruch zu Art 7 Abs 2 Arbeitszeit-Richtlinie stünde. Nach dem KV entfalle der Anspruch auf Jahresremuneration bei unberechtigtem vorzeitigen Austritt zur Gänze. Da diese bereits ausbezahlt gewesen sei, habe die Beklagte zu Recht eine Gegenverrechnung mit dem offenen Lohnanspruch für Dezember vorgenommen. Der Klägerin stünden daher aus dem Dienstverhältnis keine Ansprüche mehr zu.

[9]       Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, da keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Vereinbarkeit des § 10 Abs 2 UrlG mit den unionsrechtlichen Regelungen vorliege.

[10]     Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass der Klage stattgegeben wird.

[11]     Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

[12]     Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig und auch teilweise berechtigt.

[13]     1. Das Verfahren wurde mit Beschluss vom 27. 5. 2020 im Hinblick auf ein bereits vom Obersten Gerichtshof zu 9 ObA 137/19s beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anhängig gemachtes Verfahren zur Frage der Vereinbarkeit des § 10 Abs 2 UrlG mit dem Unionsrecht unterbrochen. Da die Entscheidung des EuGH nunmehr vorliegt, war das Revisionsverfahren fortzusetzen.

[14]     2. In ihrer Revision wendet sich die Klägerin dagegen, dass die Vorinstanzen von einem unberechtigten Austritt ausgegangen sind.

Rechtliche Beurteilung

[15]     Die Austrittserklärung ist an keine bestimmte Form gebunden und kann daher schriftlich, mündlich oder konkludent (§ 863 ABGB) erfolgen. Die Erklärung muss den Arbeitgeber als Erklärungsempfänger zweifelsfrei erkennen lassen, dass der erklärende Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist vorzeitig auflöst (RS0014496). Wie auch sonst ist dabei der objektive Erklärungswert maßgeblich (RS0014160). Es entspricht dabei der ständigen Judikatur, dass das bloße Nichterscheinen am Arbeitsplatz im Allgemeinen für sich allein noch nicht den Schluss rechtfertigt, dass der Arbeitnehmer vorzeitig ausgetreten ist, vielmehr noch weitere Umstände hinzutreten oder besondere Verhältnisse vorliegen müssen (vgl RS0028657).

[16]     Im konkreten Fall ist die Klägerin an zwei aufeinanderfolgenden Arbeitstagen nicht zum Dienst erschienen, wobei sie sich am ersten Abend im dazugehörigen Lokal aufgehalten hat, ohne ihren Dienst anzutreten, hat dann ihre Arbeitskleidung zurückgebracht und erklärt, nicht mehr zur Arbeit zu kommen. Dieses Verhalten lässt bei objektiver Beurteilung selbst unter Anlegung eines strengen Maßstabs keinen Zweifel daran, dass die Klägerin das Arbeitsverhältnis beenden wollte.

[17]     Richtig ist, dass zuvor der Geschäftsführer der Beklagten der Klägerin per SMS mitgeteilt hat, dass sie für den Fall, dass sie ihren Dienst nicht antritt, „umgehend gekündigt wird“. Diese Erklärung stellt aber weder eine Kündigung dar, noch hat in der Folge ein Gespräch zwischen den Parteien über eine Kündigung stattgefunden. Für den Geschäftsführer der Beklagten gab es daher keine Veranlassung, davon auszugehen, dass das Verhalten der Klägerin auf einem Missverständnis beruhte. Insbesondere hätte es für die Klägerin selbst im Fall einer Kündigung keinen Grund gegeben, ihren Dienst nicht während der Kündigungsfrist zu verrichten.

[18]           Wenn die Klägerin moniert, dass nicht klar ist, zu welchem Zeitpunkt die Beklagte von einem Austritt ausgehen durfte, so ist ihr zuzugestehen, dass das bloße Nichterscheinen noch nicht als Austritt angesehen werden durfte. Die Rückgabe der Arbeitskleidung mit der Erklärung, nicht mehr zur Arbeit zu kommen, beendete aber das Arbeitsverhältnis mit diesem Zeitpunkt. Das ändert jedoch an der Beurteilung der zustehenden Ansprüche nichts, da der Klägerin für die Tage, an denen sie unentschuldigt nicht zum Dienst erschienen ist, kein Entgelt zusteht.

[19]           Zu Recht sind daher die Vorinstanzen von einem unberechtigten vorzeitigen Austritt der Klägerin ausgegangen. Damit besteht kein Anspruch auf die geltend gemachte Kündigungsentschädigung.

[20]     3. Nach § 10 Abs 2 UrlG gebührt dem Arbeitnehmer keine Urlaubsersatzleistung, wenn er ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt. Ausgehend von dieser Gesetzeslage sahen die Vorinstanzen den Anspruch auf Urlaubsersatzleistung als nicht gerechtfertigt an.

[21]           Inzwischen hat der EuGH zur Frage der Vereinbarkeit von § 10 Abs 2 UrlG mit dem Unionsrecht in einem ähnlich gelagerten Fall Stellung genommen. Mit Urteil vom 25. 11. 2021, C-233/20, hat der EuGH die dort gestellten Vorlagefragen wie folgt beantwortet:

„1. Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung in Verbindung mit Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Vorschrift entgegensteht, wonach eine Urlaubsersatzleistung für das laufende letzte Arbeitsjahr nicht gebührt, wenn der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin das Arbeitsverhältnis ohne wichtigen Grund vorzeitig einseitig beendet.

2. Der nationale Richter braucht nicht zu prüfen, ob der Verbrauch der Urlaubstage, auf die der Arbeitnehmer Anspruch hatte, für diesen unmöglich war.“

[22]     In seiner Begründung führte der EuGH unter anderem aus, dass Art 7 Abs 2 der Richtlinie 2003/88/EG für das Entstehen des Anspruchs auf eine finanzielle Vergütung keine andere Voraussetzung aufstelle als die, dass zum einen das Arbeitsverhältnis beendet sei und dass zum anderen der Arbeitnehmer bzw die Arbeitnehmerin nicht den gesamten Jahresurlaub genommen habe, auf den er bzw sie bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch gehabt habe. Somit sei der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Hinblick auf den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung nach Art 7 Abs 2 der Richtlinie 2003/88/EG nicht maßgeblich (Rn 31 f).

[23]           3.1Aufgrund dieses Erkenntnisses des EuGH steht fest, dass der in § 10 Abs 2 UrlG normierte Entfall des Anspruchs auf Urlaubsersatzleistung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch (unberechtigten) Austritt des Arbeitnehmers ohne wichtigen Grund in Widerspruch zu Art 7 Abs 2 der Richtlinie 2003/88/EG und Art 31 GRC steht, die für jeden Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen vorsieht. Ist – wie hier – eine mit den Anforderungen dieser Richtlinie und dem Grundrecht nach Art 31 GRC im Einklang stehende Auslegung und Anwendung der nationalen Regelung nicht möglich, ist eine unionsrechtswidrige nationale Regelung, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts unangewendet zu lassen (9 ObA 147/21i unter Verweis auf RS0109951 [T3, T6, T7]; Mayr/Erler, UrlG³ § 10 UrlG Rz 7). Im horizontalen Rechtsverhältnis zu einem privaten Arbeitgeber kann sich der Arbeitnehmer zwar nicht unmittelbar auf die Richtlinie berufen, im Anwendungsbereich des Unionsrechts entfaltet das Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub nach Art 31 Abs 2 GRC aber unmittelbare Wirkung, sodass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten einerseits direkt darauf stützen kann und andererseits nationale Gerichte verpflichtet sind, dieses Grundrecht direkt anzuwenden.

[24]           Kann eine nationale Regelung nicht im Einklang mit Art 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art 31 Abs 2 der GRC ausgelegt werden, ergibt sich aus Art 31 Abs 2 der GRC, dass das mit einem Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem früheren privaten Arbeitgeber befasste nationale Gericht diese nationale Regelung nicht zu berücksichtigen hat (EuGH 6. 11. 2018 C-684/16, Max Planck-Gesellschaft, Rn 81). Das nationale Gericht hat dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer für den nicht genommenen Jahresurlaub eine finanzielle Vergütung erhält (9 ObA 147/21i, 8 ObA 62/18b [Pkt 3] unter Hinweis auf EuGH C-569/16 und C-570/16, Stadt Wuppertal/Bauer, Willmeroth/Broßonn).

[25]           3.2. Auf dieser Grundlage hat die unberechtigt vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausgetretene Klägerin grundsätzlich einen Anspruch auf Abgeltung des zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht verbrauchten Urlaubsrests gemäß § 10 Abs 1 UrlG.

[26]           3.3. Art 7 Abs 2 der Richtlinie 2003/88 räumt dem Arbeitnehmer im Unterschied zum UrlG einen Mindesturlaubsanspruch von nur vier Wochen ein. Die innerstaatliche Rechtslage geht daher über die unionsrechtlich erforderlichen Mindestansprüche hinaus und ist insoweit günstiger als das Unionsrecht. Um den unionsrechtlichen Vorgaben des EuGH (C-233/20) zur Auslegung des Art 7 Abs 1 der Richtlinie 2003/88/EG im Anlassfall gerecht zu werden und dafür Sorge zu tragen, dass die Klägerin für den zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses offenen Resturlaub eine finanzielle Vergütung erhält, genügt es nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, § 10 Abs 2 UrlG (nur) insoweit unangewendet zu lassen, als der Klägerin eine Urlaubsersatzleistung auf Grundlage des unionsrechtlich garantierten Mindesturlaubs von vier Wochen erhält (9 ObA 147/21i mwN).

[27]           3.4. Die der Klägerin gebührende Urlaubsersatzleistung errechnet sich daher auf Basis des unionsrechtlichen Mindesturlaubs von vier Wochen wie folgt: 20 Urlaubstage (Arbeitstage) : 365 x 310 Tage (Beschäftigungszeitraum) = 17 Urlaubstage.

[28]           Die Klägerin ist davon ausgegangen, dass ihr nach innerstaatlichem Recht noch 15 Arbeitstage Urlaub zustehen, hat daher selbst einen Urlaubsverbrauch von 6 Arbeitstagen ihrer Berechnung zugrunde gelegt. Ausgehend von den zuvor errechneten, unionsrechtlich garantierten 17 Urlaubstagen, ergibt sich bei einem Verbrauch von 6 Urlaubstagen ein Anspruch auf Urlaubsersatzleistung für 11 Tage.

[29]           Nach der, von der Klägerin herangezogenen Berechnungsgrundlage, gegen die sich die Beklagte inhaltlich nicht gewendet hat, errechnet sich ein Ersatzbetrag von 749,98 EUR brutto.

[30]           Dazu kommen die Beiträge von 1,53 % gemäß § 6 Abs 3 BMSVG, 11,47 EUR (vgl auch Resch in Mayr/Resch BMSVG2 § 6 Rz 84).

[31]           4. Art 14 lit g KV sieht vor, dass der Anspruch auf Jahresremuneration entfällt, wenn ein Arbeitnehmer gemäß § 82 Gewerbeordnung 1859 entlassen wird oder ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt oder die vorgesehene Kündigungsfrist nicht einhält.

[32]     Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach – auch im Zusammenhang mit dem hier anzuwendenden Kollektivvertrag für das Hotel- und Gastgewerbe für Arbeiter – ausgesprochen, dass es den Kollektivvertragsparteien unbenommen ist, das Entstehen des Anspruchs auf Sonderzahlungen, auf die kein gesetzlicher Anspruch besteht, an bestimmte Bedingungen zu knüpfen. Ist vorgesehen, dass bei einem vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers ohne wichtigen Grund der Anspruch entfällt, bedeutet dies, dass dieser Anspruch bei einem unberechtigten vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers gar nicht erworben ist (9 ObA 6/15w; RS0048332). Sieht der Kollektivvertrag nichts anderes vor, dann ist in diesen Fällen eine bereits erhaltene Jahresremuneration (bezogen auf das jeweilige Kalenderjahr [9 ObA 140/07i]) auch ohne ausdrückliche Rückzahlungsverpflichtung zurückzuzahlen (9 ObA 97/08t; 9 ObA 82/13v ua; RS0048332).

[33]           Richtig ist zwar, wie in der Revision ausgeführt, dass einige Autoren sich für eine analoge Anwendung des § 16 AngG aussprechen – so zB Löschnigg, Arbeitsrecht13, [2017] 6/174; Preiss in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm², § 16 AngG Rz 9). Eine Analogie setzt jedoch eine planwidrige Lücke voraus. Gerade die von der Klägerin angesprochene in den letzten Jahren erfolgte Annäherung der Regelungen für Angestellte und Arbeiter zeigt, dass der Gesetzgeber, wenn auch eine schrittweise Angleichung vorgenommen wird, die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern nicht generell aufgehoben hat. Wenn daher in verschiedenen Materien eine Gleichstellung erfolgt, ist dies nicht ohne weiteres auf alle Bereiche zu übertragen. Nach wie vor besteht kein gesetzlicher Anspruch auf Sonderzahlungen für alle Arbeitnehmer. Damit bleibt es den Kollektivvertragsparteien aber unbenommen, das Entstehen des Anspruches auf Sonderzahlungen an bestimmte Bedingungen zu knüpfen (RS0048332 [T1]). Es besteht daher kein Grund, von der bisherigen Rechtsprechung abzugehen.

[34]           Soweit die Revision sich darauf stützt, dass einzelvertraglich von der kollektivvertraglichen Regelung abgegangen wurde, handelt es sich um eine unzulässige Neuerung. Ein derartiges Vorbringen wurde in erster Instanz nicht erstattet. Darauf ist daher nicht weiter einzugehen.

[35]           Die Beklagte war daher berechtigt, die bereits ausbezahlte Weihnachtsremuneration mit dem Dezembergehalt gegenzuverrechnen. Weiters stehen der Klägerin auch keine Sonderzahlungen zur Urlaubsersatzleistung zu.

[36]           5. Der Revision der Klägerin war daher teilweise Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren im Umfang von 761,45 EUR stattgegeben wird. Im Übrigen war die Klagsabweisung zu bestätigen.

[37]           6. Aufgrund der Abänderung in der Hauptsache sind auch die Kosten neu zu bestimmen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 43, 50 ZPO. Die Klägerin hat mit ca 25 % ihrer Forderung obsiegt. In erster Instanz hat sie daher der Beklagten 50 % ihrer Vertretungskosten sowie 75 % der Zeugengebühren zu ersetzen. Selbst hat sie Anspruch auf 25 % der Pauschalgebühr. In zweiter und dritter Instanz hat die Klägerin 50 % der Vertretungskosten der Beklagten zu ersetzen und erhält selbst jeweils 25 % der Pauschalgebühr. Die Differenz war jeweils zuzusprechen.

Textnummer

E134384

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00099.21Y.0222.000

Im RIS seit

12.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

12.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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