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10/11 Vereins- und VersammlungsrechtNorm
EMRK Art10Leitsatz
Verletzung im Recht auf Versammlungsfreiheit durch Untersagung einer Versammlung in Wien zum Thema "Kundgebung für Frieden und Demokratie in Kurdistan" auf Grund der Ankündigung, die nach dem Symbole-Gesetz verbotene Fahne der PKK (Kurdische Arbeiterpartei) zu verwenden; vorbeugendes und auf Fakten beruhendes symbolegesetzliches Verbot der Verbreitung demokratiegefährdender Ideologien durch Verwendung derer Symbole im Lichte des Rechtes auf Meinungsäußerungsfreiheit im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers; Unterlassung der gebotenen Einzelfallprüfung der Verwendung des verbotenen Symbols als Stilmittel des Protests gegen das Symbole-GesetzRechtssatz
Keine Bedenken gegen das Symbole-Gesetz und die Symbole-BezeichnungsV:
Der Gesetzgeber führt als Begründung der Erweiterung des Symbolekataloges an, dass die PKK, die von der Europäischen Union als terroristische Organisation eingestuft werde, nach ihrer Intention dem liberal-demokratischen Rechtsstaat zuwiderlaufe und den gesamtstaatlichen Zusammenhalt und sozialen Frieden in Österreich gefährde. Dies deshalb, weil auf Grund der engen kommunikativen Vernetzungen zwischen im Bundesgebiet lebenden türkischstämmigen Österreichern bzw türkischen Staatsbürgern mit der Türkei bei sicherheitsrelevanten Entwicklungen in der Türkei und innertürkischen Konflikten mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Österreich zu rechnen sei, wie etwa die Kundgebungen in Österreich nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 gezeigt hätten. Er bezieht sich dabei auf den Verfassungsschutzbericht aus 2017, demgemäß mit spontanen Gewalteskalationen, etwa am Rande von Demonstrationen, zu rechnen sei.
Dieser - sich auf Fakten berufenden - Annahme des Gesetzgebers, der Verbreitung demokratiegefährdender Ideologien dadurch zu begegnen, die Verwendung einschlägig erachteter Symbole zu verbieten, ist im Hinblick auf die Zielsetzung nicht entgegenzutreten: Mit seinen Ausführungen formuliert der Gesetzgeber von den Eingriffsschranken des Art10 Abs2 EMRK gedeckte Ziele.
Den vom EGMR postulierten Erfordernissen hat der Gesetzgeber insofern Rechnung getragen, als er in den Ausnahmefällen zum Verwendungsverbot in §2 Abs3 Symbole-Gesetz darauf abstellt, ob das Ideengut einer Gruppierung in §1 Symbole-Gesetz gutgeheißen oder propagiert wird. Konkretisierend wird in den Materialien zur Stammfassung des Symbole-Gesetzes ausgeführt, dass allein die spezifische Verwendung der Symbole für verfassungswidrige Zwecke in spezifischem Kontext mit der Anwendung von Gewalt verboten werde. Es muss daher - iSd Rsp des EGMR und mit Blick auf Art11 EMRK - mit der Verwendung des verbotenen Symboles das spezifische zur Anwendung von Gewalt aufrufende Ideengut der Gruppierung gutgeheißen oder propagiert werden.
Dass der Gesetzgeber der Gefahr damit begegnet, nicht die Gruppierung selbst zu verbieten, sondern bereits im Vorfeld der symbolhaften Verbreitung ihrer Ideologien entgegentritt, liegt in seinem, ihm im Hinblick auf die Auswahl eines geeigneten Mittels zustehenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum, den er im vorliegenden Fall nicht überschritten hat.
Da im Hinblick auf die dem vorliegenden Fall zugrunde liegenden Rechtsvorschriften zur Verwendung des verbotenen Symboles - die hier im Schwenken der in Z21 des Anhanges der Symbole-BezeichnungsV als Symbol der PKK abgebildeten Fahne als "bildliche Darstellung" gemäß §2 Abs3 Z2 Symbole-Gesetz liegt - das Gutheißen oder Propagieren des - gewaltspezifischen - Ideengutes der PKK eine Voraussetzung für einen zulässigen Eingriff in Art10 EMRK bildet, liegt eine Verletzung im Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit oder in einem anderen verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht nicht vor.
Verletzung im Recht auf Versammlungsfreiheit:
Bei der Verwendung eines nach dem Symbole-Gesetz verbotenen Symboles im Zuge einer geplanten Versammlung ist es im Lichte der Judikatur des EGMR geboten, im Einzelfall zu prüfen, ob damit die verpönten Zielsetzungen verwirklicht werden sollen.
§6 Abs1 Versammlungsgesetz sieht vor, dass Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der Behörde zu untersagen sind. Für die Auflösung der Versammlung selbst und mehr noch für eine auf §6 Versammlungsgesetz gestützte Untersagung im Vorfeld des Stattfindens einer Versammlung ist (ebenso wie bei der Frage, ob eine Versammlung iSd Art11 EMRK vorliegt) eine strengere Kontrolle geboten. Diese Maßnahmen beeinträchtigen die Freiheit der Versammlung in besonders gravierender Weise und berühren den Kernbereich des Grundrechtes. Sie sind daher nur zulässig, wenn sie zur Erreichung der in Art11 Abs2 EMRK genannten Ziele zwingend notwendig sind, sodass die Untersagung einer Versammlung stets nur ultima ratio sein kann.
Der Zweck der Versammlung war gemäß der Versammlungsanzeige des Beschwerdeführers die Kundgabe für Frieden und Demokratie in Kurdistan. Bei der Versammlung sollte - so die Angaben des Beschwerdeführers in der Versammlungsanzeige - ua die Fahne der PKK - ein nach dem Symbole-Gesetz verbotenes Symbol - gezeigt werden. Nach Information der Versammlungsbehörde von dem Verwendungsverbot des Symboles an den Veranstalter der Versammlung, den Beschwerdeführer, blieb dieser dabei, das verbotene Symbol verwenden zu wollen, was zur Untersagung der Versammlung führte, die vom Verwaltungsgericht Wien (VGW - LVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigt wurde.
Das VGW ging in seiner Entscheidung davon aus, dass das Symbole-Gesetz ein unmittelbar wirksames, auch von der Versammlungsbehörde zu beachtendes Verbot enthält; seiner Ansicht nach begründet allein schon das Zurschaustellen des verbotenen Symboles der Fahne der PKK die Untersagung der Versammlung, weil der Schutzzweck des Symbole-Gesetzes in Art11 Abs2 EMRK, konkret in der Gefährdung des Wohles und der Sicherheit, begründet sei.
Auch wenn dem Symbole-Gesetz im Hinblick auf seine Verbote für die Untersagung der Versammlung eine bestimmte Indizwirkung zukommt, greift die Untersagung der Versammlung allein unter Hinweis auf das Verbot des Symbole-Gesetzes und somit ungeachtet des zugrunde liegenden Falles zu kurz. Das VGW hätte nämlich insbesondere auch die beabsichtigte Verwendung des (verbotenen) Symboles gerade als Stilmittel des Protests gegen das Symbole-Gesetz berücksichtigen müssen. Auch trägt §6 Versammlungsgesetz eine Untersagung einer Versammlung allein wegen eines verwaltungsstrafbewehrten Verhaltens nicht; von einem derartigen "Automatismus" ist das VGW jedoch hier anscheinend ausgegangen. Es hat daher die für die Untersagung der Versammlung notwendige Prüfung im Hinblick auf Art11 EMRK unterlassen. Indem das VGW diese Prüfung unterlassen hat, hat es den seiner Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsvorschriften des Symbole-Gesetzes und der Symbole-BezeichnungsV einen verfassungswidrigen, gegen Art11 EMRK verstoßenden Inhalt unterstellt.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Versammlungsrecht, Entscheidungsbegründung, Meinungsäußerungsfreiheit, RechtspolitikEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E3120.2021Zuletzt aktualisiert am
05.05.2022