TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/11 Ra 2021/08/0057

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Veröffentlicht am 11.03.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §35
AVG §58 Abs2
AVG §60
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin die Hofräte Mag. Stickler sowie Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des Ing. R P in W, vertreten durch Mag.a Petra Laback, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rotenturmstraße 27/5/6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 1. März 2021, VGW-041/036/14446/2019-3, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 3. Oktober 2019 wurde der Revisionswerber gemäß § 111 Abs. 1 Z 1 iVm. § 33 Abs. 1 ASVG bestraft, weil er es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener der P GmbH zu verantworten habe, dass es die genannte Gesellschaft als Dienstgeberin unterlassen habe, sechs namentlich bezeichnete, in der Krankenversicherung pflichtversicherte Dienstnehmer vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger zur Pflichtversicherung anzumelden. Es wurden sechs Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 910,- verhängt.

2        Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien der Beschwerde des Revisionswerbers gegen diesen Bescheid nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Schuld mit der Maßgabe keine Folge, dass es sich bei den von der P GmbH beschäftigten sechs Personen nicht um in der Krankenversicherung pflichtversicherte Dienstnehmer, sondern um „zumindest“ in der Unfallversicherung teilversicherte Dienstnehmer gehandelt habe und der Revisionswerber somit § 111 Abs. 1 Z 1 iVm. § 33 Abs. 1 und 2 ASVG verletzt habe. Hinsichtlich der Strafe gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde teilweise Folge und setzte die (sechs) Geldstrafen auf jeweils € 730,- herab. Es sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

3        In den Entscheidungsgründen des angefochtenen Erkenntnisses wird umfangreich der Verfahrensablauf dargestellt. Dazu gibt das Verwaltungsgericht - weitgehend wörtlich - diverse Aktenbestandteile, wie insbesondere die Anzeige sowie weitere Schreiben der Finanzpolizei, einen Bericht der Fremdenpolizei, Stellungnahmen sowie die Beschwerde des Revisionswerbers, Niederschriften samt darin enthaltenen Zeugeneinvernahmen und das Protokoll der öffentlichen mündlichen Verhandlung samt den Aussagen der vernommenen Personen, wieder.

4        Daran schließen unter der Überschrift „Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen“ eine Wiedergabe von gesetzlichen Bestimmungen sowie ein Verweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 23. Februar 2021, VGW-041/036/14450/2019-6, betreffend die Bestrafung des Revisionswerbers nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) an. Dazu werden Teile dieses Erkenntnisses wörtlich zitiert. Daran anschließend findet sich die Schlussfolgerung, es sei somit „nach dem festgestellten Sachverhalt“ davon auszugehen, dass die P GmbH „die sechs Dienstnehmer“ noch vor deren Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger hätte anmelden müssen. Aus den im Erkenntnis vom 23. Februar 2021, VGW-041/036/14450/2019-6, genannten Gründen treffe den Revisionswerber am Unterbleiben der Anmeldungen ein Verschulden.

5        Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem der Magistrat der Stadt Wien eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen:

6        Zur Zulässigkeit der Revision wird unter anderem geltend gemacht, die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses werde den Anforderungen, die der Verwaltungsgerichtshof in seiner (in der Revision näher bezeichneten) Judikatur dargestellt habe, nicht gerecht.

7        Die Revision ist aus dem genannten Grund zulässig und berechtigt.

8        Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Anforderungen an Form und Inhalt eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses, dass die Begründung in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche es im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Erkenntnisses geführt haben, erfordert. Die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen sohin erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung und drittens in der rechtlichen Beurteilung (vgl. etwa VwGH 16.12.2021, Ra 2020/08/0170, mwN). Die bloße Zitierung von Beweisergebnissen - wie etwa der Aussagen von Zeugen und Parteien - ist dagegen weder erforderlich noch für die Begründung der Entscheidung hinreichend (vgl. VwGH 5.6.2019, Ra 2019/08/0036, mwN).

9        Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht. Aus den Entscheidungsgründen, die eine Trennung der dargestellten Begründungselemente vermissen lassen, ist nicht bzw. jedenfalls nicht mit der notwendigen Deutlichkeit, die eine nachprüfende Kontrolle ermöglichen würde, erkennbar, welchen Sachverhalt das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zu Grunde legt, worauf es seine Beweiswürdigung gründet und wie es dies rechtlich beurteilt. Dies betrifft insbesondere auch die aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 23. Februar 2021, VGW-041/036/14450/2019-6, betreffend die Bestrafung des Revisionswerbers nach dem AuslBG wörtlich zitierten Begründungsteile (vgl. dazu die Aufhebung dieses Erkenntnisses durch VwGH 18.1.2022, Ra 2021/09/0131). Insbesondere sind dem angefochtenen Erkenntnis keine tauglichen Feststellungen zu entnehmen, die eine Beurteilung des Vorliegens von Beschäftigungsverhältnissen nach dem ASVG bzw. der - vom Revisionswerber bestrittenen - Dienstgebereigenschaft der P GmbH im Sinn von § 35 ASVG erlauben würden.

10       Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

11       Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof war gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abzusehen.

12       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 11. März 2022

Schlagworte

Begründung Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021080057.L00

Im RIS seit

11.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

29.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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