TE Vwgh Beschluss 2022/3/11 Ra 2019/08/0119

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Veröffentlicht am 11.03.2022
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
62 Arbeitsmarktverwaltung
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1 Z1
AlVG 1977 §38
AlVG 1977 §9 Abs1
AlVG 1977 §9 Abs2
AVG §46
AVG §52

Betreff

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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der A H in S, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Joanneumring 6/2. Stock, gegen das am 5. Juni 2019 mündlich verkündete und am 1. Juli 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, G302 2186316-1/15E, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Deutschlandsberg), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Deutschlandsberg (AMS) - aus, dass die Revisionswerberin ihren Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 iVm § 10 AlVG für den Zeitraum von 21. September 2017 bis 1. November 2017 verloren habe, und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

2        Die Revisionswerberin habe ihre gesundheitlichen Beschwerden nach einem Unfall im Sommer 2017 in den Mittelpunkt des Vorstellungsgespräches am 21. September 2017 für die vom AMS zugewiesene Stelle als Verkaufshelferin gestellt und damit ihre Einstellung vereitelt. Aus dem medizinischen Sachverständigengutachten der Pensionsversicherungsanstalt vom 31. Oktober 2017 ergebe sich, dass die Angaben der Revisionswerberin beim Vorstellungsgespräch, aus gesundheitlichen Gründen nur 20 Stunden pro Woche arbeiten und nicht sechs Stunden stehen zu können, nicht berechtigt <seite nr="2"/>gewesen seien; eine Stelle als Verkaufshelferin sei jedenfalls vom „Leistungskalkül“ der Revisionswerberin gedeckt. Gründe für die Erteilung einer Nachsicht lägen nicht vor.

3        Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen der Qualifizierung eines Verhaltens bei einem Vorstellungsgespräch als Weigerung bzw. Vereitelung im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG ab. Soweit das BVwG der Revisionswerberin ein Fehlverhalten in Bezug auf die Betreuungsvereinbarung vom 23. März 2017 vorwerfe, übersehe es zum einen, dass diese Betreuungsvereinbarung in sich widersprüchlich sei, weil sie als „Betreuungsziel“ eine Teilzeitbeschäftigung im Ausmaß von 20 bis 25 Wochenstunden vorsehe, an anderer Stelle jedoch von einer Voll- oder Teilzeitbeschäftigung im Ausmaß ab 25 Wochenstunden die Rede sei. Zum anderen habe diese Betreuungsvereinbarung nur bis 20. Juli 2017 gegolten, das Vorstellungsgespräch jedoch erst am 21. September 2017 stattgefunden. Die Revisionswerberin habe nie eine Weigerung ausgesprochen, die zugewiesene Stelle anzunehmen. Auch eine Vereitelung liege nicht vor: Beim Vorstellungsgespräch habe die Revisionswerberin darauf hingewiesen, dass sie bereits einschlägige Berufserfahrung als Verkäuferin gesammelt habe, und nur nebenbei erwähnt, dass sie aufgrund einer Verletzung durch einen Unfall im Sommer 2017 (schwere Distorsion am linken Sprunggelenk) nicht im Stande sei, täglich sechs Stunden zu stehen, diesen Umstand jedoch keineswegs in den Vordergrund gestellt. Nach dem medizinischen Sachverständigengutachten der Pensionsversicherungsanstalt sei ihr zwar eine überwiegende Tätigkeit im Stehen, aber kein ausschließliches Stehen zumutbar; das BVwG habe jedoch selbst festgestellt, dass die zugewiesene Stelle eine „stehende Haltung“ erfordere. Das BVwG verkenne überdies den Umstand, dass die ärztliche Begutachtung erst mehr als einen Monat nach dem Vorstellungsgespräch stattgefunden habe und dass es bei einer unfallbedingten Fußverletzung in einem solchen Zeitraum „zu einer naturgemäßen enormen Verbesserung des Gesundheitszustandes“ komme. Es sei daher davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt des Vorstellungsgesprächs nicht wie vom Gutachten festgestellt eine <seite nr="3"/>überwiegende, sondern bloß eine fallweise Tätigkeit im Stehen zumutbar gewesen wäre.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Dem Revisionsvorbringen, das BVwG werfe der Revisionswerberin zu Unrecht ein Fehlverhalten in Bezug auf die Betreuungsvereinbarung vom 23. März 2017 vor, da diese einerseits widersprüchlich sei und andererseits im Zeitpunkt des Vorstellungsgesprächs am 21. September 2017 nicht mehr gegolten habe, ist zu entgegnen, dass das BVwG zwar tatsächlich Feststellungen über den Inhalt dieser zwischen der Revisionswerberin und dem AMS - mit Gültigkeit bloß bis 20. Juli 2017 - abgeschlossenen Vereinbarung getroffen, das Vorliegen einer Vereitelungshandlung im Hinblick auf die zugewiesene Beschäftigung jedoch nicht auf eine Nichteinhaltung dieser Vereinbarung gestützt hat (was im Übrigen auch keinem Tatbestand des § 10 Abs. 1 AlVG entsprechen würde), sondern auf die Angaben der Revisionswerberin beim Vorstellungsgespräch, aus gesundheitlichen Gründen - nämlich aufgrund der Auswirkungen eines Unfalles, der sich erst im <seite nr="4"/>Sommer 2017 ereignet habe - nur 20 Stunden pro Woche arbeiten und nicht sechs Stunden stehen zu können.

8        Der weiteren Behauptung der Revision, das BVwG sei, indem es die genannten Angaben der Revisionswerberin beim Vorstellungsgespräch als Vereitelung im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG qualifiziert habe, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, ist zu entgegnen, dass sich bereits das BVwG in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis VwGH 4.4.2002, 2002/08/0051, berufen hat. Der Verwaltungsgerichtshof hielt in diesem Erkenntnis fest, ein Bezieher von Notstandshilfe habe dadurch, dass er eine Krankheit und ihre Konsequenzen in den Vordergrund des Vorstellungsgespräches gerückt habe, gegenüber dem potentiellen Arbeitgeber seine gesundheitliche Eignung, die zugewiesene Beschäftigung auszuüben, in Zweifel gezogen. Nach der Rechtsprechung (vgl. die Nachweise im genannten Erkenntnis) wäre der Arbeitssuchende in einer solchen Situation aber verpflichtet gewesen, diese Umstände in erster Linie gegenüber der regionalen Geschäftsstelle des AMS schon aus Anlass der Zuweisung bekannt zu geben, um dieser eine Überprüfung der Zumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung zu ermöglichen. Hat der Arbeitssuchende die Unzumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung aber nicht schon bei der Zuweisung geltend gemacht und ist sein Verhalten beim Vorstellungsgespräch geeignet, den potentiellen Arbeitgeber von der Einstellung abzuhalten, dann ist der Tatbestand der Vereitelung jedenfalls dann verwirklicht, wenn die nachträgliche Überprüfung der Zumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung durch ein amtsärztliches Gutachten rechtlich relevante Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit nicht zu erweisen vermag.

9        Die Revision tut mit ihrem oben wiedergegebenen Vorbringen nicht dar, dass das BVwG von diesen Grundsätzen abgewichen wäre: Der Feststellung des BVwG, dass die Revisionswerberin die gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund des Unfalles im Sommer 2017 erstmals beim Vorstellungsgespräch geltend gemacht und dem AMS somit nicht bereits aus Anlass der Zuweisung bekannt gegeben hat, tritt die Revision nicht entgegen. Dass das medizinische Sachverständigengutachten der <seite nr="5"/>Pensionsversicherungsanstalt die beim Vorstellungsgespräch behauptete Unzumutbarkeit sechsstündigen Stehens bestätigt und eine Unzumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung aus diesem Grund erwiesen hätte, behauptet die Revision nicht; insbesondere tritt sie der Erwägung des BVwG, die Aussage des Gutachtens, der Revisionswerberin sei „überwiegendes Stehen“ zumutbar, beziehe sich auf eine Vollzeitstelle, sodass ihr sechsstündiges Stehen zumutbar sei, nicht entgegen. Der weitere Einwand der Revision, das BVwG habe den Umstand verkannt, dass die ärztliche Begutachtung erst mehr als einen Monat nach dem Vorstellungsgespräch stattgefunden habe und dass es bei einer unfallbedingten Fußverletzung in einem solchen Zeitraum „zu einer naturgemäßen enormen Verbesserung des Gesundheitszustandes“ komme, sodass davon auszugehen sei, dass zum Zeitpunkt des Vorstellungsgesprächs nicht wie vom Gutachten festgestellt eine überwiegende, sondern bloß eine fallweise Tätigkeit im Stehen zumutbar gewesen wäre, stellt insofern eine im Revisionsverfahren unzulässige Neuerung dar, als die Revisionswerberin im Verfahren vor dem BVwG nie eine Verbesserung ihres Gesundheitszustandes behauptet hatte, sondern immer von gleichbleibenden Einschränkungen ausgegangen war.

10       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 11. März 2022

Schlagworte

Beweismittel Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019080119.L00

Im RIS seit

11.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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