Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Parzmayr und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*gesellschaft mbH, *, vertreten durch Dr. Herbert Gartner ua, Rechtsanwälte in Wien, und der Nebenintervenientin der klagenden Partei A* GmbH, *, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei H* GmbH, *, vertreten durch Dr. Volker Riepl, Rechtsanwalt in Linz, wegen 433.551,54 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 1.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. Dezember 2021, GZ 2 R 174/21b-18, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB beginnt mit Kenntnis von Schaden und Schädiger zu laufen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem der Geschädigte den Schaden und den Ersatzpflichtigen soweit kennt, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erheben kann (RS0034374 [T49]). Um mit Erfolg Klage erheben zu können, benötigt der Geschädigte bei der Verschuldenshaftung Kenntnis von der Schadensursache (RS0034951), dem maßgeblichen Kausalzusammenhang (RS0034366) und dem Verschulden des Schädigers (RS0034322). Bloße Mutmaßungen über die angeführten Umstände reichen nicht aus (RS0034524 [T18]).
[2] 2. Wenn der Geschädigte die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in dem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Für die Annahme einer solchen Erkundigungsobliegenheit bedarf es allerdings deutlicher Anhaltspunkte für einen Schadenseintritt im Sinn konkreter Verdachtsmomente, aus denen der Anspruchsberechtigte schließen kann, dass Verhaltenspflichten nicht eingehalten wurden (RS0034327 [insb auch T21, T42]).
[3] 3. Die Erkundigungsobliegenheit darf nicht überspannt werden (RS0034327 [T6]). Ausnahmsweise kann aber, sofern eine Verbesserung des Wissensstands nur so möglich und dem Geschädigten das Kostenrisiko zumutbar ist, auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens als Erkundigungsobliegenheit des Geschädigten angesehen werden (RS0113916 [T4]). An fachkundige Personen ist dabei ein strengerer Maßstab anzulegen (RS0034603 [T29]).
[4] 4. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei der Frage des Ausmaßes der Erkundigungspflicht des Geschädigten über den die Verjährungsfrist auslösenden Sachverhalt immer auf die Umstände des Einzelfalls an (RS0113916), sodass in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage in der Qualität des § 502 ZPO vorliegt. Daran ändert der Umstand nichts, dass im hier zu beurteilenden Fall die Verjährung von Ansprüchen aus mangelhafter Ausführung eines Bauwerkvertrags zu beurteilen ist, weil auch in diesem Fall die Frage der Kenntnis iSd § 1489 ABGB nicht nach anderen Kriterien als sonst zu prüfen ist (RS0113916 [T6]).
[5] 5. Eine solche Einzelfallentscheidung ist vom Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn eine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vorliegt. Das ist hier aus folgenden Erwägungen nicht der Fall:
[6] 5.1. Die Klägerin hatte die Beklagte mit in den Jahren 2009 und 2010 ausgeführten Bauspengler- und Schwarzdeckerarbeiten beauftragt. 2014 fiel bei einer Begehung erstmals ein Wasserschaden auf dessen (vermeintliche) Ursache (Perforation der Abdichtungsfolie an einer Stelle) die Beklagte sofort behob. Nach den Feststellungen kam es 2015 oder 2016 zu Wassereintritten im Bereich der Tiefgarage, deren Ursache unklar war. Die von der Klägerin mit der Ursachenforschung beauftragte Beklagte informierte die Klägerin Ende März 2017 über die Ergebnisse einer ersten Leckortung, konnte aber nur Vermutungen über den Ort des Wassereintritts anstellen und stellte weitere Nachforschungen in Aussicht, über deren Ausgang sie berichten werde. Nach März 2017 war der Wassereintritt zwischen den Streitteilen kein Thema mehr. Im Sommer 2018 erfuhr die Klägerin von erneuten Wassereintritten und erhob letztlich am 18. 11. 2020 Klage.
[7] Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe aufgrund der Mitteilung vom März 2017 keine hinreichend konkreten Verdachtsmomente auf die Nichteinhaltung von Verhaltenspflichten gehabt, hält sich im Rahmen des durch die Rechtsprechung vorgegebenen Beurteilungsspielraums. Zu bedenken ist, dass die Klägerin Ende März 2017 aufgrund der Mitteilungen der Beklagten davon ausgehen durfte, im Fall der Notwendigkeit weiterer Arbeiten oder Nachforschungen kontaktiert zu werden, was allerdings nicht geschah. Dass es in weiterer Folge bis zum Sommer 2018 weitere Probleme mit Wassereintritten gegeben hätte, lässt sich weder den Feststellungen noch dem Vorbringen der Streitteile entnehmen. Insgesamt ist damit die Verneinung des Vorliegens massiver, eine Nachforschungspflicht auslösender Verdachtsmomente (vgl 1 Ob 105/20b Punkt 2.1.) im März 2017 vertretbar.
[8] 5.2. Die in der Revision zitierten Entscheidungen betreffen nicht unmittelbar vergleichbare Sachverhalte.
[9] In der Entscheidung 10 Ob 22/03p waren wiederholte Wassereintritte über den Dachbereich zu beurteilen. Der klagenden Eigentümergemeinschaft (bzw deren Bevollmächtigtem) war seit September 1997 die nicht fachgerechte Ausführung der Unterdachkonstruktion bekannt, was der Oberste Gerichtshof angesichts jahrelang erfolglos vorgenommener Versuche zur Klärung der Schadensursache als Auslöser für die Annahme einer Obliegenheit zur Einholung eines Sachverständigengutachtens ansah.
[10] In der Entscheidung 7 Ob 26/18a wurden größere Risse und Putzablösungen an einer Fassade im Jahr 2012 augenscheinlich, was den Senat zur Bejahung einer Erkundigungsobliegenheit durch Einholung eines Gutachtens veranlasste.
[11] In der Entscheidung 10 Ob 56/19m bejahte der Oberste Gerichtshof eine Obliegenheit zur Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens aufgrund der Tatsache, dass bereits (seit spätestens Jänner 2011) bekannt war, dass die mangelhafte Abdichtung des Gebäudes Ursache für die (erstmals 2003 aufgetretenen) Feuchtigkeitsschäden war.
[12] In der Entscheidung 4 Ob 92/19m lag bereits vor dem Eintritt erster Wasserschäden ein konkreter Hinweis auf das Fehlen einer Abdichtung vor.
[13] Es gab damit in all diesen Fällen bereits ganz konkrete Anhaltspunkte für rechtswidriges Verhalten eines Vertragspartners (ebenso 5 Ob 114/20f Rz 5: „einen von der Beklagten zu verantwortenden Baumangel vermutete“). Im hier zu beurteilenden Fall lag jedoch im März 2017 kein konkreter Hinweis auf ein Nichteinhalten von Verhaltenspflichten vor. Ebensowenig hatte die Klägerin im März 2017 – auch vor dem Hintergrund der bloß lokalen Schadensursache im Jahr 2014 – konkrete Anhaltspunkte für einen wesentlichen bautechnischen Mangel (vgl 5 Ob 42/21v Rz 22).
[14] 5.3. Auf die Hilfsbegründung des Berufungsgerichts, wonach aus näher dargestellten Gründen auch bei Annahme einer durch die Mitteilung vom März 2017 ausgelösten Erkundigungsobliegenheit in Form der Einholung eines Sachverständigengutachtens keine Verjährung vorliege, ist daher nicht näher einzugehen.
Textnummer
E134364European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00009.22W.0222.000Im RIS seit
11.04.2022Zuletzt aktualisiert am
11.04.2022