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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerordnungLeitsatz
Abweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen der 2. COVID-19-Öffnungsverordnung betreffend den Zutritt zu Einrichtungen der Nachtgastronomie ausschließlich für geimpfte und PCR-getestete Personen; Einstufung der Nachtgastronomie als risikobehafteten Ort auf Grund besonders ungünstiger epidemiologischer Verhältnisse – erhöhter Aerosolausstoß durch musikbedingt lautes Sprechen, Singen und Tanzen und das Zusammentreffen vieler junger Personen mit niedriger Durchimpfungsrate – sachlich gerechtfertigt; Verhältnismäßigkeit der Differenzierung zwischen geimpften und genesenen Personen auf Grund der epidemiologischen Situation und der unsicheren Studienlage hinsichtlich der Transmissionswahrscheinlichkeit bei Genesenen; hinreichende Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen im Verordnungsakt; nachvollziehbare Begründung der ausschließlichen Zulässigkeit eines PCR-Tests auf Grund dessen hoher Sensitivität und Zuverlässigkeit für den Nachweis einer Infektion anstelle des wenig sensitiven AntigentestsRechtssatz
Im Falle der Aufhebung des §5 Abs1a 2. COVID-19-ÖffnungsV (COVID-19-ÖV) würde die allgemeine Regelung für Betriebsstätten des Gastgewerbes gemäß §5 Abs1 2. COVID-19-ÖV auch für Einrichtungen der "Nachtgastronomie" zur Anwendung gelangen. Der Anfechtungsumfang erweist sich daher nicht als zu eng gewählt. Entgegen der Ansicht des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) schadet es nicht, dass §12 Abs8 2. COVID-19-ÖV nicht mitangefochten wurde: Im Falle der Aufhebung der mit §5 Abs1a leg cit angefochtenen Auflage für das Betreten von Betriebsstätten der "Nachtgastronomie" ginge der Verweis auf diese Bestimmung zwar ins Leere, es verbliebe aber kein sprachlich unverständlicher Torso.
Der Gesetzgeber hat den Verordnungsgeber dazu ermächtigt, Beschränkungen für das Betreten von (bestimmten) Betriebsstätten zu normieren sowie Differenzierungen zwischen getesteten Personen und Personen mit einer Schutzimpfung gegen COVID-19 oder einer überstandenen Infektion mit SARS-CoV-2 vorzusehen, sofern dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 gemäß der epidemiologischen Lage unbedingt erforderlich ist.
Angesichts des erhöhten Infektionsgeschehens in Einrichtungen der "Nachtgastronomie" erachtete der BMSGPK diese allgemeinen, für sämtliche Betriebsstätten der Gastronomie geltenden Maßnahmen jedoch als nicht mehr ausreichend. Als lex specialis zu §5 Abs1 2. COVID-19-ÖV untersagte der BMSGPK daher mit dem angefochtenen §5 Abs1a 2. COVID-19-ÖV idF BGBl II 321/2021 - der am 22.07.2021 in Kraft und mit Ablauf des 14.09.2021 außer Kraft trat - Genesenen, Personen mit einem Nachweis über neutralisierende Antikörper und Personen, die nur ein negatives Antigentestergebnis und kein PCR-Testergebnis vorweisen konnten, den Zutritt zu Betriebsstätten der Gastgewerbe, in denen mit einer vermehrten Durchmischung und Interaktion der Kunden zu rechnen ist (Einrichtungen der "Nachtgastronomie"), wie insbesondere Diskotheken, Clubs und Tanzlokale.
Hinreichende Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen:
Der BMSGPK hat im vorgelegten Verordnungsakt zu BGBl II 321/2021 hinreichend dargelegt, dass er die angefochtene Maßnahme im Einklang mit den im COVID-19-MG normierten Verfahrensregelungen erlassen sowie die im Gesetz vorgegebenen Kriterien für die Bewertung der epidemiologischen Situation angewendet hat. Er hat zudem hinreichend dargetan, auf welchen Grundlagen (ua Infektionsgeschehen, Systembelastung auf Normal- und Intensivstationen, Durchimpfungsrate in der Gesamtbevölkerung, Ausbreitung der SARS-CoV-2-Variante Delta sowie Begründung verschiedener Schutzmaßnahmen) die Entscheidung über die Erlassung der in §5 Abs1a 2. COVID-19-ÖV angeordneten Auflage für den Zugang zu Betriebsstätten der Gastgewerbe, in denen mit einer vermehrten Durchmischung und Interaktion der Kunden zu rechnen ist, getroffen wurde.
Verhältnismäßigkeit der Differenzierung zwischen geimpften und genesenen Personen:
Der VfGH vermag angesichts der im Verordnungsakt dokumentierten Entscheidungsgrundlagen sowie der im Zeitpunkt der Verordnungserlassung bestehenden epidemiologischen Lage - insbesondere auch der Verbreitung der wesentlich ansteckenderen Delta-Variante - nicht zu erkennen, dass der Verordnungsgeber bei der vorgenommenen Differenzierung zwischen geimpften und genesenen Personen seinen gesetzlich eingeräumten Spielraum überschritten hätte. Ausnahmen sind von der grundsätzlichen Gleichstellung zwischen geimpften oder genesenen Personen mit getesteten Personen insoweit zulässig, als dies aus epidemiologischen Gründen unbedingt erforderlich ist. Nach den Materialien zu dieser Bestimmung könne eine Rechtfertigung für ein solches Abgehen von der grundsätzlichen Gleichstellung beispielsweise dann gegeben sein, wenn es an einem bestimmten Ort, für den die Auflage der Testdurchführung gelte, zum Kontakt mit Angehörigen vulnerabler Gruppen komme und daher ein Restrisiko wegen der damit verbundenen Konsequenzen nicht hingenommen werden könne. Genesene (und Geimpfte) könnten sodann ebenso zur Durchführung eines Tests und zum Mitführen entsprechender Nachweise verpflichtet werden. Bei in bestimmten Betriebsstätten bestehenden besonders ungünstigen epidemiologischen Verhältnissen können daher auch strengere Schutzmaßnahmen angeordnet werden. Darüber hinaus ermächtigt §1 Abs5c COVID-19-MG dazu, auch zwischen Personen mit einer Schutzimpfung und Personen mit einer überstandenen Infektion aus epidemiologisch erforderlichen Gründen zu differenzieren.
Keine Bedenken gegen die Einstufung der "Nachtgastronomie" als risikobehafteter Ort:
Gemäß der Fachlichen Begründung stelle die "Nachtgastronomie" auf Grund verschiedener Faktoren sowie vor dem Hintergrund eines erhöhten Infektionsgeschehens in den letzten Wochen und einer verstärkten Ausbreitung der Delta-Variante ein besonders risikobehaftetes Umfeld ("Setting") dar. Zum einen träfen hier eine Vielzahl unbekannter Personen aufeinander und es komme zu einer hohen Fluktuation und Mobilität innerhalb der Einrichtungen, wobei der Abstand zwischen den Kunden in der Regel sehr gering sei. Zum anderen komme es durch musikbedingtes lautes Sprechen und Singen sowie einer erhöhten Atemaktivität beim Tanzen zu einer hohen Aerosolproduktion. Darüber hinaus sei anzunehmen, dass Alkoholkonsum zu einer weniger strengen Einhaltung von freiwilligen Schutzmaßnahmen führe. Die "Nachtgastronomie" werde auch primär von jüngeren Altersgruppen mit niedriger Durchimpfungsrate frequentiert und sei aus epidemiologischer Sicht besonders relevant, weil deren Kunden überwiegend eine Personengruppe darstelle, die auch im Alltag eine vergleichsweise hohe Häufigkeit an Kontakten aufweise. Bei allfälligen Ansteckungen könne es daher rasch zu weiteren Folgefällen und den damit zusammenhängenden negativen Auswirkungen kommen. Die vorgenommene Differenzierung zwischen geimpften Personen einerseits und genesenen Personen andererseits begründet der BMSGPK mit der unergiebigen Studienlage über das Übertragungsrisiko durch Genesene im Falle einer unerkannten SARS-CoV-2-Infektion.
Vor diesem Hintergrund ist dem BMSGPK zum einen nicht entgegenzutreten, wenn er die "Nachtgastronomie" auf Grund der dort bestehenden besonders ungünstigen epidemiologischen Verhältnisse als einen risikobehafteten Ort einstuft und daher in solchen Einrichtungen verschärfende Maßnahmen als erforderlich erachtet. Diese Annahme wird auch in den wöchentlichen "Einschätzungen der epidemiologischen Lage in Österreich" durch die Corona-Kommission vom 08.07.2021 und 15.07.2021 bestätigt, in denen die Steigerung der Fallzahlen (unter anderem) auf eine Ausbreitung der Delta-Variante und auf Kontakthäufungen unter geringerem Schutzniveau (zB "Nachtgastronomie") nach den Öffnungsschritten am 01.07.2021 zurückgeführt wird.
Zulässigkeit der Differenzierung zwischen geimpften und genesenen Personen:
Der BMSGPK hat die Differenzierung zwischen geimpften und genesenen Personen auf einer nachvollziehbaren, den wissenschaftlichen Unsicherheiten hinsichtlich Genesener Rechnung tragenden Prognose vorgenommen. Hiezu führt der BMSGPK konkretisierend aus, dass die Viruslast bei Personen, die trotz Impfung mit SARS-CoV-2 infiziert würden, stark reduziert und die Virusausscheidung verkürzt sei. Das Risiko einer Transmission variiere zwar je nach Virusvariante, doch sei dieses bei allen zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung dominierenden Virusvarianten stark vermindert gewesen. Bei Genesenen sei die Wahrscheinlichkeit einer Reinfektion zwar grundsätzlich ebenfalls selten, doch seien viele der Studien vor der Verbreitung der "Variants of Concern" durchgeführt worden. Hinzu komme, dass die unergiebige Studienlage über Genesene im Zeitpunkt der Verordnungserlassung kaum eine Aussage über die Transmissibilität zugelassen habe. Die durch die angefochtene Maßnahme getroffene Verschärfung der bis dahin geltenden "3G-Regel" sei daher als ausreichende und effektivste Maßnahme erachtet worden, um auf die besondere in der "Nachtgastronomie" bestehende Gefahrenlage zu reagieren.
Keine Verletzung im Gleichheitsrecht:
Der BMSGPK hat nachvollziehbar dargelegt, dass innerhalb von Betriebsstätten der sogenannten "Nachtgastronomie" auf Grund der vertretbar anzunehmenden vermehrten Durchmischung eines vor allem jungen Publikums mit einer niedrigen Durchimpfungsrate und des durch lautes Sprechen, Singen und Tanzen bedingten erhöhten Aerosolausstoßes epidemiologisch besonders ungünstige Verhältnisse herrschen. Insbesondere stellt die Übertragbarkeit des Virus - wenn auch nicht das einzige - so doch ein wichtiges Kriterium für die Anordnung von Maßnahmen dar. Wenn der BMSGPK daher angesichts der im Verordnungsakt dokumentierten epidemiologischen Situation und der unsicheren Studienlage hinsichtlich der Transmissionswahrscheinlichkeit von SARS-CoV-2 bei Genesenen die mit §5 Abs1a 2. COVID-19-ÖV angeordnete Auflage als erforderlich erachtete, ist dies nicht als unsachliche Ungleichbehandlung gegenüber Geimpften zu erkennen. Wie der BMSGPK auch in seiner Äußerung ausführt, tritt bei einem Nachweis über neutralisierende Antiköper überdies der Umstand hinzu, dass der Infektionszeitpunkt nicht festgestellt werden kann und ein immunologischer Schutz gegen COVID-19 mit der Zeit abnimmt. Die Maßnahme ist insbesondere auch im Hinblick auf den hohen Stellenwert des Gesundheitsschutzes im Verhältnis zum Interesse von Personen mit einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion, Betriebsstätten der "Nachtgastronomie" zu besuchen, jedenfalls verhältnismäßig.
Differenzierung zwischen PCR-Tests und Antigentests sachlich gerechtfertigt:
Der BMSGPK hat in der Fachlichen Begründung nachvollziehbar dargetan, warum er eine Differenzierung in Bezug auf Einrichtungen der "Nachtgastronomie" aus epidemiologischen Gründen als unbedingt erforderlich einstufte. Die Fachliche Begründung weist zwar darauf hin, dass Testungen nur eine Momentaufnahme seien, keinen Schutz vor Infektion böten und auch nicht die Transmission im Falle einer unerkannten Infektion verringerten. Molekularbiologische Tests (PCR-Tests) wiesen jedoch im Gegensatz zu Antigentests eine sehr hohe Sensitivität und Zuverlässigkeit für den Nachweis einer Infektion mit COVID-19 auf. Da mit diesen Tests bereits sehr geringe Virusmengen nachgewiesen werden könnten, sei die Wahrscheinlichkeit verringert, dass eine Person mit zum Testzeitpunkt nicht nachweisbarer Infektion innerhalb der Gültigkeitsdauer infektiös werde. Daher sei es aus epidemiologischen Gründen unbedingt erforderlich, die wenig sensitiven Antigentests in einem Umfeld wie der "Nachtgastronomie" nicht mehr als Nachweis einer geringen epidemiologischen Gefahr zu akzeptieren.
Ergänzend bringt der BMSGPK in seiner Äußerung vor, dass ein PCR-Test die verlässlichste Methode darstelle, um Personen, die mit SARS-CoV-2 infiziert bzw an COVID-19 erkrankt seien, zu identifizieren. Ein positives Testergebnis bedeute, dass bei einer getesteten Person eine SARS-CoV-2-Infektion erfolgt sei. Dies bedeute nicht in jedem Fall das Auftreten von COVID-19-Symptomen und auch nicht, dass die Person im Testzeitpunkt infektiös sei. Es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Person präsymptomatisch sei und im Verlauf der Erkrankung infektiös werde. Die Sensitivität von Antigentests sei demgegenüber in der Regel geringer als von PCR-Tests, was durch die fehlende Amplifikation von Virusmaterial zu begründen sei. Antigentests seien am verlässlichsten in der Phase mit der höchsten Virusausscheidung, dh in der Regel vor Symptombeginn bis zu fünf Tage danach. Vor diesem Hintergrund vermag der VfGH daher nicht erkennen, dass der Verordnungsgeber eine unsachliche Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Testmethoden getroffen hat.
Schlagworte
COVID (Corona), Verordnung, Verhältnismäßigkeit, Determinierungsgebot, Legalitätsprinzip, Grundlagenforschung, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / IndividualantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:V231.2021Zuletzt aktualisiert am
08.04.2022