Index
82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerordnungLeitsatz
Keine Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie im Gleichheitsrecht durch eine ganztägige Ausgangsbeschränkung für ungeimpfte Personen; hinreichende Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen im Verordnungsakt zur 5. COVID-19-SchutzmaßnahmenV für die – gesetzlich gedeckte – Ausgangregelung; Prognoseentscheidung zur Reduktion der persönlichen Kontakte der besonders gefährdeten Personengruppe zur wirksamen Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und der Überlastung des Gesundheitssystems geeignet sowie im Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers; Verhältnismäßigkeit der Einlass- und Betretungsbeschränkungen für Betriebsstätten des Handels, körpernahe Dienstleistungsbetriebe, Gast- und Beherbergungsbetriebe sowie Freizeit- und Kultureinrichtungen für Personen ohne 2G-Nachweis; Sachlichkeit der – nur nicht immunisierte Personen treffenden – Maßnahmen auf Grund der deutlich höheren Ansteckungsgefahr und dem Risiko einer schweren Erkrankung; Pflicht zum Tragen einer Maske sowie Vorliegen eines negativen PCR-Testergebnisses nicht ausreichend zur Vermeidung einer systemkritischen Belastung des GesundheitssystemsRechtssatz
Abweisung eines Individualantrags auf Aufhebung der §2, §5 Abs1, und 4, §6 Abs1, 2, 5 und 6, §7 Abs2 und 3, §9 Abs2 und 6 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK), mit der besondere Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung von COVID-19 getroffen werden (5. COVID-19-SchuMaV), BGBl II 465/2021 sowie §5 Abs2 5. COVID-19-SchuMaV BGBl II 465/2021 idF BGBl II 467/2021.
Gesetzliche Grundlage der Ausgangsregelung im COVID-MaßnahmenG:
§2 Abs1 5. COVID-19-SchuMaV ordnete eine ganztägige Ausgangsbeschränkung an und erlaubte das Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken (Lockdown). Personen, die über einen 2G-Nachweis verfügen (Nachweis über eine Impfung gegen COVID-19, Genesungsnachweis oder Absonderungsbescheid), und Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr wurden von dieser allgemeinen Ausgangsregelung ausgenommen. Wenn die Antragstellerin vermeint, das COVID-19-MaßnahmenG (COVID-19-MG) enthalte keine Ermächtigung, Ausnahmen für Personen mit einem 2G-Nachweis festzulegen, übersieht sie §1 Abs5b COVID-19-MG. Diese Bestimmung bezieht sich auf sämtliche auf Basis dieses Gesetzes erlassenen Maßnahmen und ist daher auch im Zusammenhang mit der Anordnung einer Ausgangsregelung nach §6 COVID-19-MG anwendbar. §1 Abs5b iVm §1 Abs5 und 5a COVID-19-MG bilden eine Grundlage für die Ausnahmeregelung in §2 Abs4 5. COVID-19-SchuMaV.
Hinreichende Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen:
Der Verordnungsgeber hat im Verordnungsakt dargelegt, dass er die angefochtenen Maßnahmen im Einklang mit den Verfahrensregelungen des COVID-19-MG erlassen hat und die im Gesetz vorgegebenen Kriterien für die Bewertung der epidemiologischen Situation angewendet hat. Er hat zudem hinreichend dargetan, auf welcher Informationsbasis (zB Zahl an Neuinfektionen, 7-Tages-Inzidenz, Systembelastung, Durchimpfungsrate in der Gesamtbevölkerung, Impfeffektivität, Virusvarianten, Wirksamkeit verschiedener Schutzmaßnahmen) über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Entscheidung über die Erlassung der angefochtenen Maßnahmen der 5. COVID-19-SchuMaV getroffen wurde. Der VfGH vermag nicht zu erkennen, dass die vom BMSGPK herangezogenen Entscheidungsgrundlagen unzureichend dokumentiert wären.
Zur Ausgangsregelung (§2 5. COVID-19-SchuMaV):
Die für Personen ohne 2G-Nachweis geltende Ausgangsregelung des §2 5. COVID-19-SchuMaV, die - abgesehen von eng umgrenzten Ausnahmen - insbesondere Kontakte zu (entfernteren) Verwandten, Freunden und Bekannten, aber auch die Kontaktaufnahme mit bislang unbekannten Personen, erheblich einschränkte, greift in den Schutzbereich des Art8 EMRK ein, ohne dass der VfGH abschließend beantworten muss, welche dieser Kontakte unter den Schutz des Familienlebens und welche unter den Schutz des Privatlebens fallen.
§2 5. COVID-19-SchuMaV zielt auf die Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und des Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung ab und verfolgt damit ein im öffentlichen Interesse gelegenes Ziel. Der Verordnungsgeber konnte mit Blick auf die im Verordnungsakt dokumentierten Entscheidungsgrundlagen auch davon ausgehen, dass die angeordnete Ausgangsbeschränkung ein wirksames Mittel zur Zielerreichung darstellt. Die Einschränkung von Kontakten und der Mobilität durch Ausgangsbeschränkungen zählt der verordnungserlassenden Behörde zufolge zu einer der wirksamsten Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionsdynamik. Dass Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen grundsätzlich eine geeignete Maßnahme zur Eindämmung des Infektionsgeschehens darstellen, hat der VfGH bereits mehrfach bestätigt.
Die angefochtene Ausgangsregelung traf jedoch nur einen Teil der Bevölkerung: Diese Anordnung von Ausgangsbeschränkungen lediglich für nicht immunisierte Personen stellte eine neuartige Maßnahme dar, zu der - wie der BMSGPK in seiner Äußerung darlegt - zum Zeitpunkt der Erlassung der 5. COVID-19-SchuMaV daher noch keine Studien vorlagen. Die Überlegungen, die der angefochtenen Ausgangsregelung zugrunde lägen, hätten daher nicht anhand von detailspezifischen Maßnahmenevaluierungen erfolgen können, sondern die Maßnahme sei basierend auf einer Kombination aus Evidenz zur Kontakt- und Mobilitätsreduktion, Auswertungen österreichischer Daten hinsichtlich der Konzentrierung des Infektionsgeschehens auf nicht immunisierte Personen sowie auf der Bewertung der epidemiologischen Gefahr, die von dieser Personengruppe nach derzeitigem Wissensstand ausgehe, getroffen worden.
In Anbetracht der im Zeitpunkt der Verordnungserlassung verfügbaren und im Verordnungsakt dokumentierten wissenschaftlichen Erkenntnisse ist dem BMSGPK nicht entgegenzutreten, wenn er in seiner Prognoseentscheidung davon ausging, dass die Anordnung der angefochtenen Ausgangsbeschränkung zu einer Reduktion der persönlichen Kontakte der davon betroffenen - im Hinblick auf die Weiterverbreitung von und Erkrankung an COVID-19 nachweislich besonders gefährdeten - Personengruppe führt und damit zur wirksamen Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und der Überlastung des Gesundheitssystems geeignet war.
Auch aus der Äußerung der Corona-Kommission in ihrer wöchentlichen "Einschätzung der epidemiologischen Lage in Österreich" vom 11.11.2021 geht - entgegen der Ansicht der Antragstellerin - nicht hervor, dass die Corona-Kommission die mit der 5. COVID-19-SchuMaV bundesweit angeordneten Maßnahmen für ungeeignet erachtet hat. Die Corona-Kommission stellt in ihrer Empfehlung selbst auf das Kriterium des Immunitätsstatus ab und empfiehlt (unter anderem) weitergehende Beschränkungen für Personen ohne einen 2G-Nachweis.
§6 Abs1 COVID-19-MG, die einfachgesetzliche Grundlage der angefochtenen Ausgangsregelung, verlangt in verfassungsrechtlich - insbesondere auch im Lichte des Art8 EMRK - nicht zu beanstandender Weise ausdrücklich, dass die Anordnung einer Ausgangsbeschränkung nur zulässig ist, sofern diese zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 "unerlässlich" ist, um einen drohenden Zusammenbruch der medizinischen Versorgung oder ähnlich gelagerte Notsituationen zu verhindern. Zugleich wird in §6 Abs1 leg cit klargestellt, dass nicht alle Maßnahmen gemäß §§3 bis 5 ausgeschöpft werden müssen, wenn eine Ausgangsregelung unter Berücksichtigung aller beteiligten Interessen als das verhältnismäßigere Mittel erscheint. Der Verordnungsgeber hat daher bei der Entscheidung über die Erlassung einer Ausgangsregelung iSd §6 COVID-19-MG auf Grund einer nachvollziehbaren Prognose die verfassungs- wie auch einfachgesetzlich gebotenen Abwägungsprozesse vorzunehmen, aus denen hervorgeht, aus welchen Gründen er die Anordnung dieser Maßnahme für unerlässlich erachtet.
Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin, wonach die angefochtene Ausgangsregelung nicht notwendig sei, weil von Personen mit einem negativen PCR-Testergebnis keine höhere Gefahr ausgehe als von geimpften bzw genesenen Personen, vermag der VfGH dem BMSGPK nicht entgegenzutreten, wenn er die Anordnung einer für Personen ohne 2G-Nachweis geltenden Ausgangsbeschränkung iSd §6 Abs1 COVID-19-MG im Zeitpunkt der Verordnungserlassung für unerlässlich erachtete:
Im Verordnungsakt wird zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung eine hohe und stark steigende Zahl an Neuinfektionen mit der sogenannten Delta-Variante von SARS-CoV-2 dokumentiert sowie eine von der Corona-Kommission als bedrohlich qualifizierte Kapazitätsauslastung auf den Normal- und Intensivstationen festgestellt.
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin konnte der Verordnungsgeber auf Basis der seiner Entscheidung zugrunde gelegten wissenschaftlichen Erkenntnisse im Zeitpunkt der Verordnungserlassung im Ergebnis vertretbar davon ausgehen, dass in Bezug auf nicht immunisierte Personen sowohl das Risiko einer Infektion mit und Weiterverbreitung von SARS-CoV-2 sowie die Wahrscheinlichkeit eines schweren, das Gesundheitssystem belastenden Krankheitsverlaufes deutlich erhöht ist. Ausgehend davon und angesichts der hohen Zahl an täglichen Neuinfektionen mit der sogenannten Delta-Variante des Virus und der Kapazitätsauslastung auf den Normal- und Intensivstationen ist dem BMSGPK nicht entgegenzutreten, wenn er die Erlassung einer ganztägigen Ausgangsbeschränkung für Personen ohne 2G-Nachweis ab dem 15.11.2021 iSd §6 Abs1 COVID-19-MG für unerlässlich erachtete.
Soweit die Antragstellerin vorbringt, PCR-Tests hätten für ungeimpfte Personen ein gelinderes Mittel zur Zielerreichung dargestellt, ist festzuhalten, dass das Vorhandensein eines negativen PCR-Testergebnisses auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 zwar - jedenfalls für einen kurzen Zeitraum - die Wahrscheinlichkeit einer bestehenden Infektion reduziert und damit ein geeignetes Mittel zur Verhinderung der Weiterverbreitung des Virus darstellen kann. Die Fachliche Begründung zur 5. COVID-19-SchuMaV weist in Bezug auf Testungen auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 aber insbesondere auch darauf hin, dass sich die - zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung dominante - Delta-Variante ua durch eine kürzere Inkubations- und Latenzperiode als der "Wildtyp" auszeichne. Da sich eine Person zum Testzeitpunkt noch in der Latenzperiode befinden oder in der Zeit zwischen dem Test und dem Zutritt infizieren könne, gehe insbesondere angesichts der veränderten Eigenschaften von Delta eine möglichst kurze Gültigkeitsdauer mit höherer Sicherheit einher. Zur Wahrscheinlichkeit einer Transmission und eines schweren Verlaufes wird in der Fachlichen Begründung darauf hingewiesen, dass getestete Personen, die weder genesen noch geimpft seien, über keine Immunität gegen SARS-CoV-2 verfügten, was sich auf die Transmissionswahrscheinlichkeit trotz negativen Testergebnisses auswirken könne. Je nach Risikofaktoren sei bei lediglich getesteten Personen ein entsprechendes Risiko für einen schweren Verlauf und in weiterer Folge eine Belastung des Gesundheitssystems gegeben. Vor diesem Hintergrund ist dem Verordnungsgeber nicht entgegenzutreten, wenn er die (bloße) Vorlage eines negativen PCR-Testergebnisses als gelinderes Mittel nicht für geeignet hielt, um die prognostizierte systemkritische Belastung des Gesundheitssystems abzuwenden.
Der Verordnungsgeber verfolgt ein gesundheitspolitisches Ziel von erheblichem Gewicht, wenn er - wie dies schon im COVID-19-MG vorgegeben ist - die Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und des drohenden Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung zum Anlass für die Erlassung der angefochtenen Ausgangsregelung nimmt. Weiters ist zu berücksichtigen, dass §2 Abs1 5. COVID-19-SchuMaV im Hinblick auf das nach Art8 EMRK zu schützende Privat- und Familienleben der betroffenen Personen Ausnahmen für die Ausübung familiärer Rechte und die Erfüllung familiärer Pflichten sowie die Pflege näher umschriebener familiärer und privater Beziehungen von der Ausgangsbeschränkung vorsieht.
Angesichts der Umstände, die im Zeitpunkt der Verordnungserlassung vorlagen, vermag der VfGH in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass der Verordnungsgeber mit der Ausgangsregelung des §2 5. COVID-19-SchuMaV, die vom 15.11.2021 bis 22.11.2021 in Kraft stand, eine unangemessene Maßnahme getroffen hat.
Zu den Betretungs- und Einlassbeschränkungen der 5. COVID-19-SchuMaV:
Auch die mit der zweckgebundenen Ausgangsregelung korrespondierenden Betretungs- und Einlassbeschränkungen der §5 Abs1 und 4, §6 Abs1 und 2, §7 Abs2 und §9 Abs2 und 6 5. COVID-19-SchuMaV greifen in den Schutzbereich von Art8 EMRK ein. Zwar vermittelt Art8 EMRK keine allgemeine Handlungsfreiheit. Geschützt ist das Recht, das Leben nach eigenen Vorstellungen ohne staatliche Einwirkung auf den individuellen Entscheidungsprozess einzurichten und zu führen einschließlich des Rechts, mit anderen Menschen und mit der Außenwelt Beziehungen zu begründen.
Die Betretungs- und Einlassbeschränkungen der 5. COVID-19-SchuMaV haben ihre gesetzliche Grundlage in §§3 und 4 COVID-19-MG. §3 COVID-19-MG ermächtigt unter anderem zur Regelung bzw Beschränkung des Betretens und Befahrens von Betriebsstätten, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. §4 COVID-19-MG enthält die gesetzliche Grundlage zur Regelung und Beschränkung des Betretens und Befahrens von bestimmten Orten oder öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit. Der mit den angefochtenen Beschränkungen der 5. COVID-19-SchuMaV verfolgte Zweck, die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern und damit die Gesundheit der Menschen zu schützen sowie die Funktionsfähigkeit der Gesundheitsinfrastruktur aufrechtzuerhalten, stellt ein öffentliches Interesse dar.
Der BMSGPK konnte angesichts der im Verordnungsakt dokumentierten Entscheidungsgrundlagen davon ausgehen, dass die Anordnung der mit der Ausgangsregelung des §2 korrespondierenden Einlass- und Betretungsbeschränkungen der §§5 Abs1 und 4, 6 Abs1 und 2, 7 Abs2, 9 Abs2 und 6 5. COVID-19-SchuMaV für Betriebsstätten des Handels, körpernahe Dienstleistungsbetriebe, Gastgewerbe- und Beherbergungsbetriebe sowie Freizeit- und Kultureinrichtungen, die das zulässige Betreten an das Vorliegen eines 2G-Nachweises knüpfen, zu einer weiteren Reduktion der persönlichen Kontakte von nicht immunisierten Personen führt und damit ein geeignetes Mittel zur Zielerreichung darstellt (s die Ausführungen zu §2 5. COVID-19-SchuMaV).
Angesichts der vom Verordnungsgeber nachvollziehbar angenommenen erhöhten Infektions- und Erkrankungswahrscheinlichkeit von nicht immunisierten Personen sowie der im Verordnungsakt dokumentierten angespannten epidemiologischen Situation im Zeitpunkt der Verordnungserlassung waren die angefochtenen Betretungs- und Einlassbeschränkungen für Personen ohne 2G-Nachweis zur Zielerreichung auch erforderlich und insgesamt angemessen.
Soweit die Antragstellerin zudem ausführt, die "2G-Regel" sei jedenfalls in Betriebsstätten des Handels nicht das gelindeste Mittel, zumal auf Grund der bestehenden Maskenpflicht von vornherein eine geringere Übertragungsgefahr bestehe, ist ihr zu entgegnen, dass der BMSGPK dazu nachvollziehbar ausführt, dass bereits mit der 2. Novelle zur 3. COVID-19-MV überall dort, wo keine Pflicht zum Nachweis einer geringen epidemiologischen Gefahr erbracht werden musste, eine durchgehende Maskenpflicht eingeführt worden sei. Diese habe jedoch nicht ausgereicht, das rasant steigende Wachstum der Neuinfektionen ausreichend unter Kontrolle zu bringen, weshalb eine weitere Verschärfung der Maßnahmen als unerlässlich erachtet worden sei. Die Maskenpflicht sei als flankierende Maßnahme zu betrachten. Die nicht bestehende Immunität gegen SARS-CoV-2 bei ausschließlich getesteten Personen berge ein entsprechendes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf und eine Belastung des Gesundheitssystems auch in Bereichen, in denen eine Maskenpflicht verordnet worden sei. Der VfGH vermag angesichts der vom Verordnungsgeber nachvollziehbar dargestellten Umstände nicht zu erkennen, dass die Auflage des Vorliegens eines 2G-Nachweises für das zulässige Betreten von Betriebsstätten gemäß §5 Abs1 5. COVID-19-SchuMaV im hier zu beurteilenden Zeitraum unverhältnismäßig war.
Keine Verletzung des Sachlichkeitsgebots des Gleichheitssatzes:
Die angefochtene Verordnung ist auch nicht auf Grund der behaupteten Ungeeignetheit der angefochtenen Maßnahmen mit 19.11.2021 invalidiert. Zwar trifft es zu, dass eine Regelung durch Nichtanpassung an geänderte sachrelevante Umstände verfassungswidrig werden kann. Der Gesetzgeber hat dem Umstand, dass Ausgangsregelungen und Betretungsverbote iSd COVID-19-MG schwerwiegende Eingriffe darstellen und die epidemiologische Lage volatil ist, durch eine zwingende Befristung solcher Verordnungen Rechnung getragen. Wie auch der BMSGPK in seiner Äußerung zutreffend festhält, haben im Rahmen der zuvor maßgeblichen 3. COVID-19-MV gerade keine Ausgangsbeschränkungen für ungeimpfte Personen gegolten, eine Einschätzung dieser Maßnahmen könne erst nach einem 10- bis 14-tägigen Beobachtungszeitraum ab Inkrafttreten erfolgen. Die mit 15.11.2021 befristet mit Ablauf des 24.11.2021 erlassene - und tatsächlich bereits mit Ablauf des 21.11.2021 außer Kraft getretene - Ausgangsregelung des §2 5. COVID-19-SchuMaV ist daher nicht mit Blick auf die zum 19.11.2021 zu beobachtende fehlende Reduktion der Infektionszahlen invalidiert.
Die mit den angefochtenen Bestimmungen erfolgte Differenzierung zwischen Geimpften und Genesenen einerseits und ungeimpften Personen andererseits steht in folgendem normativen Zusammenhang:
Das COVID-19-MG ermächtigt den Verordnungsgeber beim Auftreten von COVID-19 unter anderem zur Regelung, unter welchen Voraussetzungen und Auflagen Betriebsstätten und Orte betreten werden dürfen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Weiters kann auf Grundlage von §6 COVID-19-MG angeordnet werden, dass das Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zwecken zulässig ist, sofern dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 unerlässlich ist, um einen drohenden Zusammenbruch der medizinischen Versorgung oder ähnlich gelagerte Notsituationen zu verhindern, und Maßnahmen gemäß §§3 bis 5 nicht ausreichen.
Neben dieser grundsätzlichen Ermächtigung zur Anordnung von Ausgangs- und Betretungsbeschränkungen ermächtigt das COVID-19-MG ausdrücklich dazu - zB beim Betreten von Betriebsstätten - zwischen Personen zu differenzieren, von denen eine geringere epidemiologische Gefahr ausgeht (Geimpfte, Genesene, Getestete und Personen mit Antikörpernachweis), und solchen Personen, bei denen dies nicht der Fall ist. Der Gesetzgeber erlaubt je nach epidemiologischer Lage auch eine Differenzierung innerhalb der Gruppe von Personen, bei denen vom Vorliegen einer geringen epidemiologischen Gefahr auszugehen ist, wenn nach dem Stand der Wissenschaft davon auszugehen ist, dass Unterschiede hinsichtlich der Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 bestehen. Darüber hinaus können gemäß §1 Abs5b COVID-19-MG für Personen, bei denen von einer geringen epidemiologischen Gefahr auszugehen ist, weitergehende Ausnahmen von den auf Grundlage dieses Gesetzes festgelegten Beschränkungen - und damit auch von den Ausgangsregelungen iSd §6 COVID-19-MG - angeordnet werden. Dies setzt voraus, dass nach dem Stand der Wissenschaft davon auszugehen ist, dass die Wahrscheinlichkeit einer Weiterverbreitung von SARS-CoV-2 bei dieser Personengruppe deutlich reduziert ist (und nicht zB ein nicht hinnehmbares Restrisiko einer Ansteckung durch diese Personengruppe verbleibt).
Der Gesetzgeber hat damit (in gleichheitsrechtlich nicht zu beanstandender Weise) vorgezeichnet, dass Auflagen, die mit Blick auf das Vorliegen einer geringeren epidemiologischen Gefahr festgelegt werden - zB in Bezug auf das Betreten von Betriebsstätten - auf wissenschaftlich vertretbare Unterschiede hinsichtlich der Verbreitung von COVID-19 zurückgeführt werden müssen. Bei weitergehenden Ausnahmen von den auf Grundlage dieses Gesetzes festgelegten Beschränkungen, zB in Bezug auf Ausgangsregelungen iSd §6 Abs1 COVID-19-MG, müssen Differenzierungen etwa zwischen nicht immunisierten Personen und geimpften bzw genesenen Personen auf wissenschaftlich vertretbare Annahmen über signifikante Unterschiede (arg: deutlich reduziert) in Bezug auf die Weiterverbreitung von SARS-CoV-2 zurückgeführt werden. Der Gesetzgeber trägt damit in Bezug auf die Prognoseentscheidung des Verordnungsgebers der Eingriffsintensität von Beschränkungen in abgestufter Weise Rechnung.
Das Risiko der Übertragung des Virus durch eine nicht immunisierte Person kann durch ein aktuelles negatives PCR-Testergebnis reduziert werden. Der BMSGPK hat jedoch im Verordnungsakt unter Verweis auf die zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung verfügbare wissenschaftliche Evidenz nachvollziehbar dargelegt, dass nicht immunisierte Personen ein deutlich höheres Übertragungsrisiko aufweisen als Geimpfte und Genesene. Ebenso hat die verordnungserlassende Behörde auf Basis wissenschaftlicher Evidenz dargelegt, dass das Risiko einer Ansteckung und eines schweren Verlaufes im Fall der Erkrankung an COVID-19 bei nicht immunisierten Personen signifikant höher ist als bei geimpften oder genesenen Personen. Dabei konnte sie sich auch auf die von der AGES erhobenen 7-Tages-Inzidenzen berufen, die deutlich höhere Fallzahlen bei den nicht (vollständig) geimpften Personen ausweisen. Die im Verordnungsakt dokumentierten empirischen Erhebungen zu Personen, die in den letzten Monaten nachweislich eine Infektion überstanden haben, und die dargestellten bundesweiten Statistiken zur überproportionalen Bettenbelegung auf den Normal- und insbesondere Intensivstationen durch nicht (vollständig) immunisierte Personen stützen diese Annahmen ebenso. Es ist dem BMSGPK daher nicht entgegenzutreten, wenn er angesichts des Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der epidemiologischen Lage davon ausging, dass hinsichtlich der Gefahr der Weiterverbreitung von COVID-19 signifikante Unterschiede zwischen (bloß) getesteten und geimpften Personen bestehen.
Selbst wenn es eine sogenannte Dunkelziffer geben sollte - was der BMSGPK unter Verweis auf die ähnlich große Zahl an Getesteten in der Gruppe der Geimpften bzw der Ungeimpften in Abrede stellt - ändert dies nichts daran, dass der Verordnungsgeber die Vertretbarkeit und Tragfähigkeit der Entscheidungsgrundlagen (auch in Bezug auf die bekannt gegebenen Inzidenzzahlen) für die mit der 5. COVID-19-SchuMaV getroffene Differenzierung hinreichend dargetan hat. Zwar trifft es zu, wenn die Antragstellerin dem Sinn nach ausführt, dass die verordnungserlassende Behörde bei der notwendig prognosehaften Beurteilung der Frage, welche Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 zu treffen sind, nicht jedwede Unsicherheit bzw Unklarheit bei der wissenschaftlichen Bewertung der Situation zulasten derjenigen Personen "ausschlagen" lassen darf, in deren Grundrechte (etwa) eine Ausgangsregelung intensiv eingreift. Zugleich hängt jedoch die Frage, welches Maß an Gewissheit der Verordnungsgeber gewinnen muss bzw wieviel Unsicherheit der Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung in Kauf nehmen darf, insbesondere auch von den Zielen der Maßnahme, vom Gewicht der geschützten Rechtsgüter und von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens ab.
Zusammengefasst ist es daher weder als gesetz- noch als gleichheitswidrig zu erkennen, dass der Verordnungsgeber angesichts dieser relevanten Unterschiede im Tatsächlichen die gesetzlichen Voraussetzungen der §§3, 4, 6 Abs1 und 1 Abs5b iVm Abs5 und 5a zweiter Satz COVID-19-MG als erfüllt angesehen und die bekämpften Maßnahmen der 5. COVID-19-SchuMaV erlassen hat. Der Verordnungsgeber handelte weiters nicht unsachlich, wenn er im Hinblick auf die angefochtene Ausgangsregelung und die Betretungsbeschränkungen das (bloße) Vorhandensein eines negativen Testergebnisses in Bezug auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 im hier zu beurteilenden Zeitraum für nicht geeignet ansah, um die prognostizierte systemkritische Belastung des Gesundheitssystems abzuwenden.
Schlagworte
COVID (Corona), Privat- und Familienleben, Verhältnismäßigkeit, Rechtspolitik, Freiheit persönliche, VfGH / Individualantrag, Invalidation, Verordnung, Ermittlungsverfahren, Grundlagenforschung, Legalitätsprinzip, VfGH / VerhandlungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:V294.2021Zuletzt aktualisiert am
11.04.2022