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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
ASVG §4 Abs2Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revisionen der P GmbH in S, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner Rechtsanwälte in 4020 Linz, Zollamtstraße 7, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts jeweils vom 27. Juli 2020, L501 2161102-1/11E (Ra 2020/08/0142) und L501 2161102-2/5E (Ra 2020/08/0141), betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG und AlVG sowie Beitragsnachverrechnung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse Landesstelle Oberösterreich; mitbeteiligte Parteien: 1. P F, 2. Pensionsversicherungsanstalt, 3. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 13. März 2017 stellte die (damalige) Oberösterreichische Gebietskrankenkasse fest, dass der Erstmitbeteiligte auf Grund seiner Tätigkeit als Messestandbetreuer für die Revisionswerberin als Dienstgeberin in näher bezeichneten Zeiträumen in den Jahren 2013 und 2014 gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG der Pflichtversicherung in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung und gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Arbeitslosenversicherung unterlegen sei. Mit weiterem Bescheid vom 14. März 2017 verpflichtete die (damalige) Oberösterreichische Gebietskrankenkasse die Revisionswerberin - auf der Grundlage der Feststellung der Pflichtversicherung des Erstmitbeteiligten - allgemeine Beiträge, Beiträge zur Betrieblichen Vorsorge sowie einen Beitragszuschlag in der Höhe von insgesamt € 9.773,32 nachzuentrichten.
2 Mit den in Revision gezogenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die Beschwerden der Revisionswerberin gegen diese Bescheide jeweils als unbegründet ab und sprach aus, dass Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig seien.
3 Das Bundesverwaltungsgericht stellte im erstangefochtenen Erkenntnis - auf das Wesentliche zusammengefasst - fest, der Erstmitbeteiligte sei auf Grundlage einer mündlichen Vereinbarung mit dem Geschäftsführer der Revisionswerberin als „Messeverkäufer“ tätig gewesen. Er habe - nach Erlangung einer Gewerbeberechtigung für Handelsagenten - auf von der Revisionswerberin betriebenen Messeständen sowie auf einem Verkaufsstand in einem Einkaufszentrum die von der Revisionswerberin vertriebenen Waren verkauft. Für seine Tätigkeit auf den Messen habe er lediglich eine Verkaufsprovision, für die Tätigkeit am Verkaufsstand einen Stundenlohn und eine Verkaufsprovision erhalten. Er sei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum ausschließlich für die Revisionswerberin tätig gewesen und habe über keine betriebliche Organisation verfügt. Die Einteilung der Verkäufer auf die jeweiligen Messen habe der Geschäftsführer der Revisionswerberin vorgenommen und diese Einteilung sei für den Erstmitbeteiligten verbindlich gewesen. Er habe keine Möglichkeit gehabt, seine Teilnahme an einer Messe kurzfristig ohne triftigen Grund - wie es etwa im Fall einer Erkrankung einmal vorgekommen sei - abzusagen. Der Erstmitbeteiligte habe bei seiner Tätigkeit - schriftlich festgehaltene - „Betriebsregeln“ einhalten müssen, in denen u.a. Verhaltensregeln (Auftritt und Verhalten am Messestand, Kleidungsvorschriften, Pausenregeln usw.) vorgesehen gewesen seien. Teil dieser „Betriebsregeln“ sei auch das Verbot des eigenmächtigen Tausches der Messe-„Einsätze“ unter den Verkäufern gewesen, ein derartiger Tausch habe bewilligt werden müssen. Die Einhaltung dieser Regeln sei vom Geschäftsführer der Revisionswerberin bzw. von seiner Mutter (die Alleingesellschafterin der Revisionswerberin) kontrolliert und eingemahnt worden.
4 Weiters führte das Bundesverwaltungsgericht - unter Berufung auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - zusammengefasst aus, den Erstmitbeteiligten habe eine persönliche Arbeitspflicht getroffen, ein Vertretungsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei nicht festgestellt worden. Insgesamt hätten bei seiner Tätigkeit die Merkmale der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit diejenigen einer selbstständigen Tätigkeit überwogen, sodass vom Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses nach § 4 Abs. 1 und 2 ASVG auszugehen sei.
5 Mit dem zweitangefochtenen Erkenntnis wurden ausgehend von der Feststellung der Pflichtversicherung die eingangs genannten, der Höhe nach unstrittigen Zahlungspflichten ausgesprochen.
6 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Zur Begründung der Zulässigkeit der Revisionen wird im Wesentlichen vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht weiche von der - näher angeführten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, indem es das Bestehen eines Dienstverhältnisses aufgrund von Absprachen von bestimmten Arbeitszeiten, die sich aus der Natur der Sache ergeben, der Nicht-Inanspruchnahme der generellen Vertretungsbefugnis, des Tragens von Arbeitskleidung sowie der Zustimmungsbedürftigkeit der Entsendung eines Vertreters annehme, obwohl diese Kriterien bei (Handels-)Vertretern keine maßgeblichen Merkmale seien.
11 Mit diesen Ausführungen wird keine Rechtsfrage dargetan, der grundsätzliche Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zukäme.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Entscheidung über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Gesamtabwägung der maßgeblich für bzw. gegen das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sprechenden Umstände und Merkmale. Wurde diese auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen, so ist eine solche einzelfallbezogene Beurteilung im Allgemeinen nicht revisibel. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht diese Gesamtabwägung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. VwGH 24.9.2021, Ra 2021/08/0096, mwN).
13 Eine solche Unvertretbarkeit der Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes wird in den Revisionen aber nicht aufgezeigt.
14 Das Bundesverwaltungsgericht hat - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - festgestellt, dass der Erstmitbeteiligte verbindlich bestimmten Messen zugeteilt wurde, seine dortige Anwesenheit verpflichtend war, womit ihm ein „generelles Vertretungsrecht“ nicht zustand, er bei seiner Tätigkeit umfangreiche „Betriebsregeln“ - die u.a. Vorgaben zu seinem Verhalten auf der Messe enthielten - einhalten musste und die Einhaltung dieser Regeln kontrolliert wurde.
15 Die auf Grundlage dieser - in den Revisionen nicht konkret bekämpften - Feststellungen getroffene Beurteilung, dass bei der Tätigkeit des Erstmitbeteiligten für die Erstrevisionswerberin die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG überwogen hätten, erweist sich jedenfalls als vertretbar.
16 Wenn die Revisionswerberin unter Verweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Abgrenzung der selbstständigen (Handels-)Vertreter von den in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit von einem Dienstgeber im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG tätigen Vertretern („angestellten Vertretern“, „angestellten Provisionsvertretern“) (vgl. etwa VwGH 11.4.2018, Ra 2017/08/0099; 22.2.2012, 2009/08/0075; 2.4.2008, 2005/08/0197, jeweils mwN) vorbringt, dass bei der Tätigkeit von Handelsvertretern die für die abhängigen Arbeitsverhältnisse typische Unterordnung - die durch Weisungen, Überwachungen, Regelung der Arbeitszeit und Arbeitsfolge und die Bestimmung des Arbeitsverfahrens seitens des Dienstgebers zum Ausdruck kommt - nicht so sinnfällig zu Tage trete, sodass bei der Beurteilung der Frage, ob bei einer solchen Tätigkeit ein Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit vorgelegen ist, anderen Merkmalen eine ganz besondere Bedeutung zugemessen werden müsse, ist ihr entgegenzuhalten, dass im vorliegenden Fall das Bundesverwaltungsgericht gerade das Vorliegen jener Merkmale, die eine Unterordnung aufzeigen, festgestellt hat. Auf das Vorliegen jener Merkmale, die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei Tätigkeiten abseits einer festen Betriebsstätte maßgeblich sind (bestimmte Art der Weisungsgebundenheit, Konkurrenzverbot, Bezug eines Fixums oder einer Spesenvergütung, Berichterstattungspflicht sowie die mangelnde Verfügung über eine eigene Betriebsstätte und eigene Betriebsmittel), kommt es in diesem Fall nicht mehr an.
17 Auch mit diesem Vorbringen wird somit nicht aufgezeigt, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre.
18 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
19 Die Revisionen erweisen sich daher als unzulässig und waren - nach Verbindung zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung auf Grund ihres sachlichen und personellen Zusammenhanges - gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 4. März 2022
Schlagworte
Dienstnehmer Begriff Persönliche Abhängigkeit Dienstnehmer Begriff Wirtschaftliche AbhängigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020080142.L00Im RIS seit
08.04.2022Zuletzt aktualisiert am
21.04.2022