Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J* K*, vertreten durch Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei M* GmbH & Co KG, *, vertreten durch Korn Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 6.436,54 EUR brutto sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Oktober 2021, GZ 7 Ra 49/21h-59, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1. 3. 2000 als Nachtstamm-Expeditarbeiter mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden beschäftigt. Er leistete von Beginn seines Arbeitsverhältnisses bis 31. 12. 2017 im Rahmen der sogenannten „Montagfrühblatt-Schicht“ auch Dienste an Sonn- und Feiertagen. Diese Schicht, die 3 Stunden dauerte, erhielt der Kläger mit einem Entgelt von 292,57 EUR brutto und einem Zeitausgleich von 5,5 Stunden abgegolten. Seit 1. 1. 2018 vergibt die Beklagte die bei ihren Arbeitnehmern sehr begehrten „Montagfrühblatt-Schichten“ in alphabetischer Reihenfolge an alle ihre Nacht-Stammarbeiter, sodass der Kläger von der Beklagten nicht mehr zu jeder „Montagfrühblatt-Schicht“ eingeteilt werden kann.
[2] Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger das Entgelt von 6.436,54 EUR für jene „Montagfrühblatt-Schichten“, zu denen ihn die Beklagte nicht mehr eingeteilt hat sowie die Feststellungen, dass ihm zusätzlich zu seinem bestehenden Zeitguthaben weitere 121 Arbeitsstunden als Zeitausgleich gutgeschrieben werden und, dass er künftig unter Berücksichtigung der wöchentlichen Sonntagsschicht zu entlohnen und ihm pro Woche zusätzlich 5,5 Gutstunden gutzuschreiben sind, in eventu, dass er künftig – sofern für sämtliche Stammarbeiter, deren Dienstverhältnis vor dem 1. 7. 2002 begonnen hat, zumindest eine Montagfrühblatt-Schicht vorhanden ist –, bei Arbeitsbereitschaft unter Berücksichtigung der wöchentlichen „Montagfrühblatt-Schicht“ zu entlohnen und ihm dafür pro Woche zusätzlich 5,5 Gutstunden gutzuschreiben sind. Sein Begehren stützt der Kläger auf eine ausdrückliche und konkludente, weil jahrelang gelebte, einzelvertragliche Vereinbarung und eine betriebliche Übung.
[3] Die Beklagte bestritt die Klagebegehren und beantragte Klagsabweisung. Sonntagsarbeit sei Überstundenarbeit, die nur über jeweilige Anordnung geleistet worden sei. Die vom Kläger behaupteten Vereinbarungen seien nicht getroffen worden, eine entsprechende betriebliche Übung bestehe nicht.
[4] Mit (rechtskräftigem) Zwischenurteil vom 20. 12. 2018 gab das Erstgericht dem Zwischenantrag der Beklagten auf Feststellung, dass die Arbeiten des Klägers an Sonn- und Feiertagen nicht im Rahmen der Normalarbeitszeit erbracht werden, statt (9 ObA 125/19a).
[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte über Berufung des Klägers diese Entscheidung und ließ die Revision nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die außerordentliche Revision des Klägers ist wegen Fehlens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.
[8] 1. Die in der außerordentlichen Revision des Klägers geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde vom Senat geprüft, sie liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[9] 2. Eine vom Arbeitgeber durch regelmäßige, vorbehaltlose Gewährung bestimmter Leistungen an die Arbeitnehmer begründete betriebliche Übung führt, soweit sie seinen Willen, sich diesbezüglich auch für die Zukunft zu verpflichten, unzweideutig zum Ausdruck bringt, durch die – gleichfalls schlüssige (§ 863 ABGB) – Zustimmung der Arbeitnehmer zur schlüssigen Ergänzung des Einzelvertrags begünstigter Arbeitnehmer und damit zu einzelvertraglichen Ansprüchen (RS0014539; RS0014543). Entscheidend ist dabei, welchen Eindruck die Arbeitnehmer bei sorgfältiger Überlegung von dem schlüssigen Erklärungsverhalten des Arbeitgebers haben durften (RS0014489 [T2, T4]). Es ist objektiv zu prüfen, ob die Arbeitnehmer auf die Verbindlichkeit der Vergünstigung vertrauen durften (RS0014489). Die Frage, ob der Arbeitgeber durch die regelmäßige, vorbehaltslose Gewährung bestimmter Leistungen an die Gesamtheit der Arbeitnehmer eine Betriebsübung begründete, die zum Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge wurde, kann stets nur anhand der konkreten Umstände begründet werden, weshalb eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO regelmäßig nicht vorliegt (RS0014539 [T24]).
[10] 3. Eine stillschweigende Erklärung im Sinne des § 863 ABGB besteht in einem Verhalten, das primär etwas anderes als eine Erklärung bezweckt, dem aber dennoch auch ein Erklärungswert zukommt, der vornehmlich aus diesem Verhalten und den Begleitumständen geschlossen wird. Nach den von Lehre und Rechtsprechung geforderten Kriterien muss die Handlung – oder Unterlassung – nach der Verkehrssitte und nach den im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig in einer Richtung zu verstehen sein, also den zwingenden Schluss zulassen, dass die Parteien einen Vertrag schließen, ändern oder aufheben wollten. Es darf kein vernünftiger Grund bestehen, daran zu zweifeln, dass ein ganz bestimmter Rechtsfolgewille vorliegt (RS0109021). Ob eine konkludente Willenserklärung vorliegt und welchen Inhalt sie gegebenenfalls hat, ist regelmäßig einzelfallbezogen und begründet daher im Allgemeinen keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (RS0109021 [T6]).
[11] 4. Die angefochtene Entscheidung bewegt sich – entgegen der Rechtsansicht der Revision – im Rahmen der Grundsätze der Rechtsprechung zum Entstehen einer betrieblichen Übung. Bei ihren gegenteiligen Überlegungen, die im Wesentlichen auf eine jahrelange Einteilung des Klägers zu den „Montagfrühblatt-Schichten“ (die die Arbeitnehmer auch ablehnen konnten) und die diesbezügliche Bevorzugung der Alt-Stammarbeiter gegenüber den Jung-Stammarbeitern („Zwei-Listen-System“) fußen, lässt die Revision außer Betracht, dass die Beklagte den Betriebsräten immer wieder erklärten, dass auch die Alt-Stammarbeiter keinen Rechtsanspruch auf Einteilung zu den Sonntags-(Montagfrühblatt-)schichten hätten. Dass die Betriebsräte anderer Meinung waren und den Alt-Stammarbeitern demgegenüber immer wieder kommunizierten, dass es „bei den Alten bleibe, wie es ist“, begründet kein berechtigtes Vertrauen der Alt-Stammarbeiter im Verhältnis zur Beklagten. In den am 27. 6. 2002 zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat abgeschlossenen „Hausvereinbarungen – Expedit“ wurden nur den namentlich genannten 19 K*-Mitarbeitern zwei „Montagfrühblatt-Schichten“ pro Sonntag zugesichert, nicht aber den Alt-Stammarbeitern der Beklagten. In dem am 22. 12. 2009, wiederum zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat abgeschlossenen „Reglement betreffend Verteilung Montag-Frühblätter im Versandbereich“ wurde bezüglich der Nacht-Stammarbeiter festgehalten, dass derzeit jedem Nachtstammarbeiter eine solche Schicht wöchentlich garantiert werden könne, diese Zusage aber bei der Änderung des Personalstandes bzw der Änderung der Auslastung nichtig sei.
[12] 5. In der Entscheidung 9 ObA 125/19a [Pkt. 8.] hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass die Feststellungen keine Grundlage für die Annahme einer im Sinne des § 863 ABGB konkludenten – vom KollV und den Betriebsvereinbarungen abweichenden, im konkreten Fall aus Sicht des Klägers aber günstigeren – Vereinbarung der Normalarbeitszeit bieten. Die übereinstimmende Beurteilung der Vorinstanzen, auch aus dem nunmehr (ergänzend) festgestellten Sachverhalt könne die vom Kläger behauptete konkludente Vereinbarung der „Montagfrühblatt-Schicht“ als Normalarbeitszeit, nicht abgeleitet werden, ist nicht zu beanstanden.
[13] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
Textnummer
E134347European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00152.21Z.0217.000Im RIS seit
08.04.2022Zuletzt aktualisiert am
08.04.2022