Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Parzmayr und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj L*, vertreten durch Dr. Christopher Straberger, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Land Oberösterreich, Linz, Landhausplatz 1, vertreten durch die Aigner Rechtsanwalts-GmbH, Linz, wegen 44.252,52 EUR sowie Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 11. Oktober 2021, GZ 4 R 125/21m-18, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 23. Juni 2021, GZ 3 Cg 37/21g-14, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin nahm an einer Prüfung zur Feststellung ihrer Eignung (Aufnahmeprüfung) für den Besuch einer Fachschule mit der Fachrichtung „Horse Management & Economics“ teil. Sie musste dabei verschiedene Reitübungen vorführen, wobei sie vom Pferd stürzte und sich verletzte.
[2] Das Erstgericht wies die deshalb gegen die beklagte Partei als Schulerhalter erhobene Amtshaftungsklage ab, weil es sich beim Sturz der Klägerin um einen „Arbeitsunfall“ iSd ASVG gehandelt habe, der im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der angestrebten Schulausbildung gestanden sei. Der im ASVG zur Umschreibung des versicherten Personenkreises verwendete Begriff des „Schülers“ umfasse auch Personen, die sich erst um die Aufnahme an einer Schule bewerben. Dem Schulerhalter komme das Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG zugute, wodurch seine Haftung auf – hier nicht gegebenen – Vorsatz eingeschränkt sei.
[3] Das Berufungsgericht trat der Qualifikation als Schülerin (an der neuen Schule) nicht bei und hob die Entscheidung des Erstgerichts zur Ergänzung des Sachverhalts zu den näheren Umständen des Sturzes der Klägerin auf.
[4] Der Begriff des „Schülers“ im Sinn der den Unfallversicherungsschutz für diese Personengruppe normierenden Bestimmung des § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG umfasse schon nach seinem allgemeinen Wortsinn keine bloßen Teilnehmer an der Aufnahmeprüfung einer (hier: Fach-)Schule. Auch das SchUG unterscheide zwischen einem Schüler und einem solchen Aufnahmewerber. In der Unfallversicherung solle nach dem Gesetzeszweck nur jene Tätigkeit geschützt sein, die sich als Ausübung der Rolle als Schüler darstelle. Die Klägerin habe bei ihrer Aufnahmeprüfung aber nicht die Rolle einer Schülerin, sondern jene einer schulfremden Aufnahmewerberin ausgeübt. Es habe sich bei der Aufnahmeprüfung auch um keine Schulveranstaltung jener Schule gehandelt, deren Schülerin die Klägerin damals gewesen sei. Dass der Unfall im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der angestrebten Schulausbildung gestanden sei, reiche für die Haftungsbeschränkung des beklagten Schulerhalters nicht aus, weil die Klägerin (noch) keine – eine Unfallversicherung begründende – „Beschäftigung“ im Sinn einer Schulausbildung an der von dieser geführten Schule ausgeübt habe.
[5] Auch eine analoge Anwendung der Bestimmungen des ASVG über den Versicherungsschutz von Schülern komme auf bloße Teilnehmer an schulischen Aufnahmeprüfungen nicht in Betracht. Daraus, dass im Zusammenhang mit der Zulassung zu bestimmten (Fach-)Hochschulstudien besuchte (Vorbereitungs-)Kurse bzw -lehrgänge einen Unfallversicherungsschutz begründen, sei eine Versicherung der Teilnahme an schulischen Aufnahmeprüfungen ebensowenig abzuleiten wie aus dem ausnahmsweisen Schutz der Teilnehmer an bestimmten (Berufs-)Abschlussprüfungen.
[6] Der Rekurs sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung „zu einer allfälligen (analogen) Anwendbarkeit der Bestimmungen des ASVG zum Unfallversicherungsschutz auf Teilnehmer (schulischer) Aufnahmeprüfungen“ bestehe.
[7] Der Rekurs der Beklagten ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[8] 1. Gemäß § 333 Abs 1 ASVG ist der Dienstgeber dem Versicherten zum Ersatz des Schadens, der ihm durch eine Verletzung am Körper infolge eines Arbeitsunfalls entstanden ist, nur verpflichtet, wenn er den Arbeitsunfall vorsätzlich verursacht hat. Ein Arbeitsunfall ist gemäß § 175 Abs 1 ASVG jeder Unfall, der sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignet. § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG bezieht Schüler (unter anderem an land- und forstwirtschaftlichen Fachschulen iSd Bundesgesetzes betreffend die Grundsätze für land- und forstwirtschaftliche Fachschulen; BGBl 1975/320) in den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz ein. In der Unfallversicherung der Schüler gelten gemäß § 175 Abs 4 ASVG solche Unfälle als „Arbeitsunfälle“, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Schulausbildung ereignen. § 335 Abs 3 ASVG normiert ein dem § 333 Abs 1 ASVG entsprechendes Haftungsprivileg des Schulerhalters bei Schädigungen von Schülern durch einen solchen „Arbeitsunfall“.
[9] 2. § 175 Abs 4 ASVG setzt voraus, dass es sich um einen Unfall einer von der Unfallversicherung nach § 8 Abs 1 Z 3 lit h (oder lit i bzw lit l) ASVG umfassten Person, also – soweit hier relevant – eines Schülers an einer dort genannten Schule handelt. Bei der von der Beklagten geführten Schule handelt es sich unstrittig um eine in dieser Bestimmung genannte land- und forstwirtschaftliche Fachschule im Sinn des Bundesgesetzes betreffend die Grundsätze für land- und forstwirtschaftliche Fachschulen.
[10] 3.1. Der Unfallversicherungsschutz von Schülern iSd § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG beginnt gemäß § 10 Abs 5 ASVG (erst) „mit dem Eintritt des Tatbestands, der den Grund für die Versicherung bildet“, sohin mit jenem Zeitpunkt, zu dem eine Person Schüler an einer bestimmten Schule wird. Wann dies der Fall ist, ist im ASVG nicht geregelt. Das auf die vorliegende (Fach-)Schule anzuwendende Oö Land- und forstwirtschaftliche Schulgesetz (LGBl 1997/60 idgF) unterscheidet (unter anderem in seinen §§ 21 ff) zwischen „Aufnahme-(be-)werbern“ und „Schülern“. Wenngleich beide Begriffe auch dort nicht näher definiert werden, kann kein Zweifel daran bestehen, dass als Schüler nur jene Personen anzusehen sind, die – nach entsprechendem Nachweis bzw nach Feststellung ihrer (körperlichen und geistigen) Eignung – an der Schule aufgenommen wurden (idS auch Tomandl in Tomandl/Felten, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts [37. EL 2021] 304; derselbe, Das Leistungsrecht der österreichischen Unfallversicherung [1977] 49). Die Aufnahme erfolgt gemäß § 26a Abs 2 Oö Land- und forstwirtschaftliches Schulgesetz durch Bekanntgabe der Entscheidung des Schulleiters an der Amtstafel der Schule oder in anderer geeigneter Weise. Wer sich um eine Aufnahme an der Schule bemüht, ist – bis zu dieser – „Aufnahme-(be-)werber“. Diese Terminologie entspricht jener des SchUG, das dem in die Schule aufgenommenen Schüler ebenfalls den sich um eine solche Aufnahme bemühenden „Aufnahme-(be-)werber“ gegenüberstellt.
[11] 3.2. Die bloß allgemeine Bezugnahme des § 10 Abs 5 ASVG auf den „Tatbestand, der den Grund für die Versicherung bildet“ sowie die Verweise des ASVG zur Abgrenzung des Versicherungsschutzes von Schülern (neben § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG etwa auch in § 175 Abs 5 Z 1 und Z 3 sowie in § 176 Abs 1 Z 11 ASVG) auf die jeweils anzuwendenden Schulgesetze legen nahe, dass dem Gesetzgeber des ASVG (insbesondere des § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG) die Unterscheidung zwischen einem Aufnahme-(be-)werber und einem bereits an der Schule aufgenommenen Schüler bekannt war und an diese Begriffe angeknüpft werden sollte (vgl auch Tomandl, Das Leistungsrecht der österreichischen Unfallversicherung, 49, der dazu ebenfalls auf das SchUG abstellt). Da der Begriff des Schülers (an einer bestimmten Schule) auch nach seinem allgemeinen Wortsinn eine (formale; vgl ErlRV 345 BlgNR 13. GP 36, abgedruckt bei Hauser, Schulunterrichtsgesetz [2014] 81, wonach die Aufnahme eines Schülers in einer öffentlichen Schule einen Verwaltungsakt darstellt) Aufnahme an der Schule voraussetzt, die bei der bloßen Teilnahme an einer Aufnahmeprüfung in der Regel (und im vorliegenden Fall) noch nicht erfolgt ist, führt sowohl eine am Wortlaut orientierte Auslegung des § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG als auch dessen systematische Interpretation im Zusammenhang mit den maßgeblichen Schulgesetzen zu dem Ergebnis, dass die Klägerin bei ihrem Unfall noch nicht Schülerin an der von der Beklagten geführten Schule im Sinn dieser Bestimmung war.
[12] 4. Nach den Gesetzesmaterialien (ErlRV 181 BlgNR 14. GP 52) sollte der Schulbesuch durch Einführung des § 8 Abs 1 Z 3 lit h (und § 175 Abs 4) ASVG der beruflichen Ausbildung gleichgestellt, die Schülerunfallversicherung also der Unfallversicherung der Dienstnehmer nachgebildet werden (vgl auch Tomandl, Das Leistungsrecht der österreichischen Unfallversicherung, 47). Der Versicherungsschutz sollte auf die Teilnahme am Unterricht (sowie auf bestimmte Schulveranstaltungen und den Schulweg) beschränkt sein. Dafür, dass auch Aufnahmeprüfungen, bei denen die Eignung für einen (allfälligen) künftigen Schulbesuch erst festgestellt werden soll, vom Versicherungsschutz erfasst sein sollten, ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien kein Anhaltspunkt.
[13] 5.1. Dafür, dass bei der bloßen Teilnahme eines Bewerbers an einer schulischen Aufnahmeprüfung – vor seiner formalen Aufnahme an der Schule – noch kein Schutz in dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz (aufgrund seiner Bewerbung für die „neue“ Schule) besteht, spricht auch, dass nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung nur jene Tätigkeit geschützt sein soll, die sich gerade als Ausübung der Rolle des Schülers darstellt (vgl RIS-Justiz RS0085097; RS0085063 [insb T1]). Es besteht also ein rollenbezogener Unfallversicherungsschutz (RS0085063 [T2]), der erfordert, dass sich der Schüler im organisatorischen Verantwortungsbereich der besuchten Schule befindet (RS0085089). Erfasst werden aber nicht alle mit der „Rolle als Schüler“ zusammenhängenden Tätigkeiten, sondern grundsätzlich nur die Teilnahme am schulischen Unterrichtsbetrieb (Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Kommentar [2020] § 175 ASVG Rz 147). Die in Frage stehende Tätigkeit, bei der sich ein Unfall ereignet hat, muss, damit dieser als „Arbeitsunfall“ angesehen werden kann, „einem vernünftigen Menschen als Ausübung der Ausbildung erscheinen und vom Handelnden in dieser Intention entfaltet worden sein“ (vgl 10 ObS 164/03w zum Unfall eines Schülers; allgemein zum Arbeitsunfall RS0084680; RS0084368). Ganz allgemein ist für die Abgrenzung des Schutzbereichs auch darauf abzustellen, ob die Tätigkeit aufgrund konkreter Pflichten oder Weisungen vorzunehmen war (zur Fremdbestimmtheit als Abgrenzungskriterium zwischen versicherter Tätigkeit und nicht versichertem „Privatleben“ vgl auch Müller, DRdA 2004/10, Anmerkung zu 10 ObS 420/02s). Bei Schülern ist auch zu berücksichtigen, ob die geschützte Tätigkeit in einer engen Beziehung zu einer bestimmten Schulstufe bzw zum Lehrplan stand (vgl 10 ObS 164/03w; 10 ObS 106/15h).
[14] 5.2. Die Bewerbung der Klägerin an der von der beklagten Partei geführten (Fach-)Schule erfolgte zweifellos selbstbestimmt und ohne (schul-)gesetzliche Verpflichtung. Auch die zur Aufnahme in die Schule erforderliche Teilnahme an der Eignungsüberprüfung erfolgte daher grundsätzlich „freiwillig“. Die Aufnahmeprüfung kann – entgegen der in der Revision (nicht näher begründeten) Ansicht der beklagten Partei – auch nicht als Schulausbildung bzw „Lehrveranstaltung“ angesehen werden, weshalb die Teilnahme der Klägerin an dieser keinen Versicherungsschutz zu begründen vermag, zumal es dadurch nicht bloß zu einer – von § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG bezweckten (vgl 10 ObS 2030/96v; Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Kommentar, § 8 ASVG Rz 51; ErlRV 181 BlgNR 14. GP 52) – Gleichstellung mit der beruflichen Ausbildung käme, sondern zu einer Besserstellung, tritt doch der Versicherungsschutz von Personen, die in einem beruflichen Lehr- und Ausbildungsverhältnis stehen oder denen (sonst) eine Leistung der beruflichen Ausbildung gewährt wird, gemäß § 10 Abs 1 ASVG erst mit dem Tag des Beginns ihrer Beschäftigung bzw des Lehr- und Ausbildungsverhältnisses ein.
[15] 5.3. Gegen die Qualifikation eines Unfalls, der sich „im Vorfeld“ der Aufnahme einer Person als Schüler an einer bestimmten Schule ereignet, als „Arbeitsunfall“ iSd § 175 Abs 4 ASVG spricht auch, dass § 176 Abs 1 Z 8 ASVG für Unfälle, die sich im Zusammenhang mit der Bewerbung um eine Arbeitsstelle oder eine (berufliche) Ausbildungsstelle ereignen, nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen einen Versicherungsschutz vorsieht, nämlich nur dann, wenn die (potentielle) Arbeits- oder Ausbildungsstelle „auf Veranlassung des Arbeitsmarktservice“ aufgesucht oder deshalb an einer Eignungsuntersuchung oder -prüfung teilgenommen wird. Sonstige „Vorbereitungshandlungen“ zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sind hingegen nicht geschützt (Tomandl in Tomandl/Felten, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts, 285). Unabhängig davon, wie das Erfordernis „auf Veranlassung des Arbeitsmarktservice“ ausgelegt wird (zu 10 ObS 420/02s ging der 10. Senat noch davon aus, dass auch eine eigeninitiativ erfolgte Arbeitssuche eines Arbeitslosen versichert sei, weil nach dem AlVG alle gebotenen Anstrengungen zu unternehmen seien, um eine Beschäftigung zu erlangen; in nachfolgenden Entscheidungen [10 ObS 85/12s; 10 ObS 56/13b] forderte er hingegen eine unter Sanktionsdrohung ausdrücklich angeordnete Verpflichtung durch das Arbeitsmarktservice; vgl auch 10 ObS 25/11s), ergibt sich aus der genannten Bestimmung, dass die bloße Bewerbung um eine Arbeitsstelle noch nicht versichert sein soll. Dies legt nahe, dass auch die Bewerbung um einen künftigen Schulplatz keinen gesetzlichen Unfallversicherungsschutz begründet.
[16] 6. Als Zwischenergebnis ist also festzuhalten, dass es für die Annahme eines das Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 iVm § 335 Abs 3 ASVG rechtfertigenden „Arbeitsunfalls“ iSd § 175 Abs 4 ASVG an einer Unfallversicherung der Klägerin als Schülerin jener Schule gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG fehlt, um deren Aufnahme sie sich beworben hatte.
[17] 7. Dass in der Studenten-Unfallversicherung (§ 8 Abs 1 Z 3 lit i ASVG) auch Personen versichert sind, die sich „auf Prüfungen zwecks Zulassung zu einem Fachhochschul-Studiengang vorbereiten“, könnte auf den ersten Blick dafür sprechen, dass nach dem gesetzgeberischen Willen auch die entsprechende Vorbereitung auf sowie die Teilnahme an einer Eignungsprüfung zum Zweck der Aufnahme an einer Schule unfallversichert sein soll. Da § 8 Abs 1 Z 3 lit i ASVG den Anwendungsbereich der Unfallversicherung für die Vorbereitung auf „Prüfungen zwecks Zulassung zu einem Fachhochschul-Studiengang“ aber ausdrücklich darauf beschränkt, dass zu diesem Zweck Kurse bzw Lehrgänge an Universitäten, Hochschulen oder anderen in dieser Bestimmung genannten Bildungseinrichtungen besucht werden, kommt (wegen Fehlens einer planwidrigen Lücke) eine analoge Anwendung dieser Bestimmung auf den hier zu beurteilenden Fall der bloßen Teilnahme an einem schulischen Eignungstest (einer Aufnahmeprüfung), zu deren Vorbereitung keine vergleichbaren Lehrveranstaltungen besucht wurden, aber nicht in Betracht, rechtfertigt doch erkennbar gerade der Besuch solcher Lehrveranstaltungen den Unfallversicherungsschutz im Bereich der Studenten-(unfall-)versicherung.
[18] 8.1. Auch eine analoge Anwendung des § 176 Abs 1 Z 13 ASVG, wonach für Unfälle bei der Teilnahme an bestimmten beruflichen Prüfungen – unabhängig von einer (sonst) bestehenden Unfallversicherung (vgl § 176 Abs 3 ASVG) – Versicherungsschutz besteht, auf den hier zu beurteilenden Unfall bei einem schulischen Eignungstests (einer Aufnahmeprüfung) kommt nicht in Betracht.
[19] 8.2. Eine Analogie setzt ganz allgemein voraus, dass nach der im Gesetz zum Ausdruck kommenden Wertung ein gesetzlich geregelter Fall und ein ungeregelter Fall in den maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen übereinstimmen (vgl RS0008826) bzw die aus der konkreten gesetzlichen Regelung hervorgehenden Zwecke und Werte die Annahme nahelegen, der Gesetzgeber habe einen nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen (RS0008866 [T9]). Erforderlich ist also eine „planwidrige Unvollständigkeit“ des Gesetzes im Sinn einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Regelungslücke (vgl RS0098756). Ob eine solche vorliegt, ist aufgrund der Rechtsordnung einschließlich aller auch als Auslegungskriterien heranzuziehenden Maßstäbe zu beurteilen. Eine teleologische Lücke liegt vor, wenn die – mit Hilfe der Interpretationsregeln ermittelte – ratio legis in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz die Erstreckung der Rechtsfolgenanordnung (bzw der Werttendenz) einer gesetzlichen Norm auf den gesetzlich nicht unmittelbar geregelten Fall fordert (10 ObS 12/14h). Die bloße Meinung des Rechtsanwenders, eine Regelung sei rechtspolitisch wünschenswert, vermag eine ergänzende Rechtsfindung durch Analogiebildung nicht zu rechtfertigen (RS0098756 [T3, T10]). Dem Gesetzgeber ist es im Rahmen seines Gestaltungsspielraums – auch im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes – unbenommen, für unterschiedliche Personengruppen Unterschiedliches zu regeln, um seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (9 ObA 131/19h).
[20] 8.3. Dass die Beschränkung des Unfallversicherungsschutzes gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG auf Personen, die bereits als Schüler an einer bestimmten Schule aufgenommen wurden, den Zielsetzungen des Gesetzgebers entspricht, wurde bereits dargelegt. Daraus ergibt sich, dass der fehlende Unfallversicherungsschutz für eine Person, die sich erst um eine solche Aufnahme bewirbt (Aufnahmewerber iSd Oö Land- und forstwirtschaftliche Schulgesetzes sowie des SchUG), auf keiner planwidrigen Gesetzeslücke beruht. Im Übrigen umfasst § 176 Abs 1 Z 13 ASVG nur bestimmte berufliche Abschlussprüfungen. Diese Bestimmung ist – ebenso wie Z 5 leg cit – als flankierende Maßnahme zum Schutz der Ausübung der Erwerbstätigkeit anzusehen (vgl zu Z 5 Tomandl, Das Leistungsrecht der österreichischen Unfallversicherung, 47) und daher auch aus diesem Grund nicht auf Aufnahmeprüfungen von Schülern anzuwenden.
[21] 9.1. Die Qualifikation des Unfalls der Klägerin als „Arbeitsunfall“ iSd § 175 Abs 4 ASVG ergibt sich auch nicht aus einer „Ausstrahlung“ des durch den Besuch der ursprünglichen Schule begründeten Versicherungsver-hältnisses. Der Unfallversicherungsschutz für „Schulunfälle“ kann nämlich nicht „pauschal“ aus der „Integration in das Schulsystem“ (also aus der Eigenschaft als Schüler irgendeiner Schule) abgeleitet werden, vielmehr liegt ein geschützter „Schulunfall“ nur dann vor, wenn sich der Unfall in einem (örtlichen, zeitlichen und ursächlichen) Zusammenhang mit der die Versicherung (konkret) begründenden Schulausbildung ereignet. Dies trifft auf den Unfall eines Schülers, der sich bei seiner Teilnahme an der Aufnahmeprüfung für eine derzeit noch nicht besuchten Schule ereignet, gerade nicht zu, weil ein solcher Unfall nicht dem organisatorischen Verantwortungsbereich der zu diesem Zeitpunkt (noch) besuchten Schule zugeordnet werden kann (RS0085089).
[22] 9.2. Auch aus § 175 Abs 5 Z 1 und Z 3 ASVG, wonach für bestimmte individuelle Berufs-(bildungs-)orientierungen von Schülern ein Versicherungsschutz in der Unfallversicherung besteht, ist für die Beurteilung des vorliegenden Falls nichts zu gewinnen. Eine unmittelbare Anwendung dieser Bestimmungen kommt schon aufgrund ihres klaren Wortlauts nicht in Betracht. Es bieten sich aber auch keine Anhaltspunkte für eine analoge Anwendung. § 175 Abs 5 Z 1 ASVG schränkt den Versicherungsschutz auf (schulische) Berufs-(bildungs-) orientierungen gemäß § 13b SchUG ein. Diesen kann die Teilnahme an einer Eignungsprüfung an einer anderen als der zu diesem Zeitpunkt besuchten Schule schon deshalb nicht gleichgehalten werden, weil eine solche Prüfung nicht die in § 13b Abs 2 SchUG normierten Anforderungen (etwa den Aufbau auf dem lehrplanmäßigen Unterricht; die Vermittlung lebens- und berufsnaher Informationen über die Berufswelt sowie über schulische und außerschulische Angebote der Berufsbildung) erfüllt. Es besteht auch kein Ansatzpunkt für eine analoge Anwendung des § 175 Abs 5 Z 3 ASVG, weil diese Bestimmung – wie sich schon aus ihrem Wortlaut ergibt – nur die betriebliche Berufs-(bildungs-)orientierung umfasst (vgl Graf-Schimek, Unentgeltliche Ausbildungsverhältnisse im Arbeits- und Sozialrecht, ZAS 2015/11, 61: „gewisse praktische Tätigkeiten“; Preiss/Spitzl in ZellKomm² [2018] § 1 BAG Rz 11: „Schnupperlehre“) und den Unfallversicherungsschutz für Arbeitsunfälle von Schülern ausnahmsweise auf außerschulische Tätigkeiten erweitert. Dass es der Gesetzgeber bei Schaffung dieses – von der Generalklausel des § 175 Abs 4 ASVG nicht umfassten – Tatbestands übersehen hätte, auch andere mit der Ausbildung zusammenhängende Tätigkeiten eines Schülers außerhalb der von ihm besuchten Schule zu regeln, ist nicht anzunehmen (vgl auch Müller in Mosler/Müller/Pfeil aaO § 175 ASVG Rz 6, wonach Tatbestände, die die Grenzen der Generalklausel erweitern, strikt nach ihren Tatbestandsvoraussetzungen auszulegen sind und für den Fall des Fehlens eines Tatbestandsmoments [eher] ein Gegenschluss als eine Lückenschließung geboten ist).
[23] 10. Zusammengefasst ging das Berufungsgericht somit zu Recht davon aus, dass sich die beklagte Partei
– mangels Arbeitsunfalls („Schülerunfalls“) der Klägerin iSd § 175 Abs 4 ASVG – nicht auf das Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG iVm § 335 Abs 3 ASVG berufen könne.
[24] 11. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO (RS0035976).
Textnummer
E134344European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00240.21G.0221.000Im RIS seit
08.04.2022Zuletzt aktualisiert am
08.04.2022