TE OGH 2022/2/17 9ObA16/22a

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Veröffentlicht am 17.02.2022
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. M*, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz RechtsanwältInnen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei C*GmbH, *, vertreten durch Dr. Franz Nistelberger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 6.384,85 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 5.833,33 EUR) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. November 2021, GZ 9 Ra 83/21y-14, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des
Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 16. Juni 2021, GZ 33 Cga 8/21v-10, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das Teilurteil des Berufungsgerichts dahingehend abgeändert, dass es einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen Teils als Teilurteil zu lauten habe:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 5.833,33 EUR brutto samt 8,58 % seit 1. 11. 2020 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Der Kläger war bei der Beklagten ab 2014 als Creativ Director beschäftigt. Vereinbart war eine Kündbarkeit zum 15. und Letzten eines Monats. Für den Zeitraum 16. 3. 2020 bis 15. 6. 2020 vereinbarten die Parteien Kurzarbeit. Die zugrunde liegende Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung beinhaltet unter anderem folgende Regelungen:

IV. KURZARBEIT

Im Interesse der Aufrechterhaltung des Beschäftigtenstandes und um dem/der ArbeitgeberIn die Einbringung eines Antrags gemäß § 37b/37c AMSG zu ermöglichen, einigen sich die Vertragspartner über die Einführung und Einhaltung folgender Maßnahmen:

1. Kurzarbeit

a) Die vereinbarte Kurzarbeit wird im Einvernehmen mit dem/der jeweiligen ArbeitnehmerIn und de(n) zuständigen Gewerkschaft(en) eingeführt.

(...)

2. Aufrechterhaltung des Beschäftigtenstandes

a) Während der Kurzarbeit

Der/Die ArbeitgeberIn ist verpflichtet, jenen Beschäftigtenstand im Betrieb aufrecht zu erhalten, der zum Zeitpunkt des Geltungsbeginnes der Kurzarbeitsvereinbarung (Punkt I) bestanden hat (Behaltepflicht). (...)

b) Nach der Kurzarbeit:

Die Dauer der Behaltepflicht nach Ende der Kurzarbeit beträgt einen Monat. (...)

Die Behaltepflicht nach Kurzarbeit bezieht sich nur auf die ArbeitnehmerInnen, die von Kurzarbeit betroffen waren.

c) Gemeinsame Bestimmungen:

Kündigungen dürfen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden.

(...)

Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen aus personenbezogenen Gründen und das Recht zum vorzeitigen Austritt ist unbenommen. In diesen Fällen ist der Beschäftigtenstand aufzufüllen.

Eine Verminderung des Beschäftigtenstandes ohne Auffüllpflicht kann nur mit Zustimmung des Regionalbeirates der zuständigen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice durchgeführt werden, wenn die zuständige Gewerkschaft zustimmt oder andernfalls nicht innerhalb von 7 Werktagen ab der schriftlichen Bekanntgabe durch den Arbeitgeber ein Veto gegen die geplante Verminderung eingelegt hat.“

[2]        Mit Schreiben vom 14. 7. 2020 sprach die Beklagte die Kündigung des Klägers zum 15. 9. 2020 aus. Mit Schreiben vom 27. 8. 2020 wies der Kläger die Beklagte darauf hin, dass diese Kündigung rechtsunwirksam sei und die einzuhaltende Kündigungsfrist drei Monate betrage. Mit Schreiben vom 31. 8. 2020 sprach die Beklagte eine Eventualkündigung zum 30. 11. 2020 aus. Die Endabrechnung des Dienstverhältnisses erfolgte schließlich per 31. 10. 2020.

[3]        Der Kläger begehrt 6.384,85 EUR brutto sA und bringt vor, die während der Behaltefrist ausgesprochene Kündigung sei rechtsunwirksam. Das Dienstverhältnis habe daher erst durch die Eventualkündigung zum 30. 11. 2020 geendet. Er habe daher Anspruch auf „Entgelt/Kündigungsentschädigung“ für November 2020 samt aliquoten Sonderzahlungen sowie Urlaubsersatzleistung für 2,08 Arbeitstage.

[4]            Die Beklagte bestreitet, sie habe das Dienstverhältnis am 14. 7. 2020 gekündigt. Da die Kündigung allenfalls verfrüht, nämlich innerhalb der Behaltezeit ausgesprochen worden sei, gelte das Arbeitsverhältnis nicht per 15. 10. 2020, sondern erst per 31. 10. 2020 als aufgelöst. Für November 2020 habe der Kläger keine Ansprüche. Urlaubsersatzleistung stünde keinesfalls zu, da der Kläger seinen Urlaub zur Gänze verbraucht habe.

[5]             Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Entsprechend der arbeitsmarktpolitischen Zielsetzung sehe die Sozialpartnervereinbarung kein absolutes Kündigungsverbot vor. Aus der vereinbarten Behaltepflicht resultiere kein individueller Kündigungsschutz.

[6]        Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Es verpflichtete die Beklagte mit Teilurteil, dem Kläger 5.833,33 EUR brutto samt 8,58 % Zinsen seit 1. 12. 2020 zu zahlen, ein Zinsenmehrbegehren wies es ab. Im Übrigen, im Umfang von 551,52 EUR brutto sA, hob es die Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zurück an das Erstgericht. Die Sozialpartnervereinbarung entfalte kraft einzelvertraglicher Vereinbarung Wirkung zwischen den Streitteilen. Ein solcher Vertrag sei nach seinem Wortlaut auszulegen, wenn – wie im vorliegenden Fall – ein abweichender Parteiwillen nicht behauptet werde. Es sei davon auszugehen, dass durch die Kurzarbeitsvereinbarung für deren Dauer und für die Dauer der Behaltepflicht ein Kündigungsverzicht der Beklagten vereinbart worden sei. Damit hätte eine (Dienstgeber)Kündigung frühestens mit Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden dürfen. Das Arbeitsverhältnis sei daher erst durch die Eventualkündigung mit 30. 11. 2020 beendet worden, sodass dem Kläger die geltend gemachte Kündigungsentschädigung zustehe.

[7]       Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil zur Frage der Kündigung während der Behaltefrist nach einer als Einzelvereinbarung abgeschlossenen Sozialpartnervereinbarung über Corona-Kurzarbeit keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege. Der Rekurs gegen den aufhebenden Teil der Entscheidung wurde dagegen nicht zugelassen.

[8]       Gegen den klagsstattgebenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung des Berufungsgerichts dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird.

[9]        Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10]     Die Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt.

[11]     1. Die Frage, ob und inwieweit Sozialpartnervereinbarungen über Corona-Kurzarbeit einen Individualkündigungsschutz für den einzelnen Arbeitnehmer während der Kurzarbeit und der Behaltefrist bieten, war zwischenzeitig – nach Fällung des Berufungsurteils – bereits mehrfach Gegenstand von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs.

[12]     2. In der Entscheidung 8 ObA 48/21y hat sich der Oberste Gerichtshof ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Kündigungsbeschränkungen einer Kurzarbeitsvereinbarung, die im dort zu beurteilenden Fall vom klagenden Arbeitnehmer nicht mitunterfertigt worden war, bloß den Beschäftigungsstand in den Unternehmen oder auch die individuellen Arbeitnehmer schützen sollen und einen individuellen Kündigungsschutz gewähren. Dabei kam der Oberste Gerichtshof in Auseinandersetzung mit dem Zweck der gesetzlichen Regelung und der Kurzarbeitsvereinbarung sowie der zu dieser Problematik ergangenen Literatur zu dem Ergebnis, dass sich aus den Bestimmungen des § 37b AMSG iVm den maßgeblichen Regelungen der Kurzarbeitsvereinbarung keine Unwirksamkeit einer während der Kurzarbeit oder der anschließenden Behaltefrist ausgesprochenen Kündigung ergibt. Ebensowenig resultiert daraus eine Änderung der Kündigungsfristen und -termine.

[13]     3. Diesem Ergebnis ist der Oberste Gerichtshof mit ausführlicher Begründung in der Entscheidung 8 ObA 50/21t gefolgt, in der eine „Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung“ (Formularversion 7.0) über Begleitmaßnahmen während der Kurzarbeit von sämtlichen Arbeitnehmern mitunterfertigt worden war. In dieser Entscheidung wurde auch ausgeführt, dass sich die Unwirksamkeit einer entgegen der Vereinbarung ausgesprochenen Kündigung aus dem Wortlaut nicht ableiten lasse. Aufgrund des Umstands, dass die zugrunde liegenden Mustervereinbarung von den Sozialpartnern ausverhandelt worden sei, müsse davon ausgegangen werden, dass diese Rechtsfolge gerade nicht gewollt gewesen sei.

[14]      Verwiesen wurde auch darauf, dass die sonstigen Reglungen des entsprechenden Vertragspunkts (ebenso wie im vorliegenden Fall) nur die Frage beträfen, wann eine Auffüllpflicht bestehe, somit eine Thematik, die für den einzelnen Arbeitnehmer ohne Bedeutung sei. Gegen die Annahme eines individuellen Kündigungsschutzes spreche weiters, dass die Formulierung „dürfen frühestens gekündigt werden“ sprachlich als Handlungsanleitung für Arbeitgeber formuliert sei. Gleiches gelte für den volkswirtschaftlichen Schutzzweck der Subventionierung von Kurzarbeit.

[15]     Die Entscheidung kam daher zu dem Ergebnis, dass sich auch aus der vom Arbeitnehmer mitunterfertigten Kurzarbeitsvereinbarung kein individueller Kündigungsschutz ableiten lasse, weshalb auch für eine Kündigung während der Behaltefrist keine Kündigungsentschädigung zustehe.

[16]           Dieser Argumentation ist der Oberste Gerichtshof auch in den Entscheidungen 8 ObA 98/21a, 9 ObA 148/21m und 9 ObA 3/22i gefolgt.

[17]            4. Von den dargelegten Grundsätzen ist auch im vorliegenden Fall auszugehen. Durch die Kurzarbeitsvereinbarung wurde kein individueller Kündigungsschutz des jeweiligen Arbeitnehmers begründet. Daran ändert auch nichts, dass im konkreten Fall eine Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung getroffen wurde. Da die Vereinbarung im Verhältnis zum Arbeitnehmer auch keinen Einfluss auf die Kündigungsfristen und -termine entfaltet, war die von der Beklagten am 14. 7. 2020 ausgesprochene Kündigung wirksam. Durch die Abrechnung zum 31. 10. 2020 wurden alle Ansprüche des Klägers befriedigt. Für November 2020 steht daher weder Entgelt noch eine Kündigungsentschädigung zu.

[18]     In Abänderung der Entscheidungen des Berufungsgerichts war das Klagebegehren daher im revisionsgegenständlichen Umfang abzuweisen.

[19]     5. Der Teilaufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts ist nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO unanfechtbar. Der Oberste Gerichtshof kann zwar mit einer abändernden Entscheidung über ein Teilurteil des Berufungsgerichts ausnahmsweise auch dessen für die Parteien unanfechtbaren Teilaufhebungsbeschluss beheben (RS0040804). Ein amtswegiger Eingriff in den unanfechtbaren Beschluss des Berufungsgerichts kommt aber nur dann in Frage, wenn aufgrund der Revisionsentscheidung überhaupt keine weitere Behandlung des von der Aufhebung umfassten Klagebegehrens mehr stattzufinden hat. Das ist etwa der Fall, wenn ein Teilurteil im Revisionsverfahren im klagsabweisenden Sinn abgeändert wurde und der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts nur die Klärung einer Gegenforderung betraf, oder wenn im Revisionsverfahren über eine Stufenklage eine abweisende Entscheidung über das Manifestationsbegehren die Prüfung des Leistungsanspruchs im fortgesetzten Verfahren obsolet macht, unter Umständen auch, wenn die unanfechtbare Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund eines besonderen, untrennbaren verfahrensrechtlichen Zusammenhangs keinen Bestand haben kann (8 Ob 87/14y mwN).

[20]     Wurde das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung über einen Teil des Hauptklagebegehrens aufgehoben, dann wird dieser betroffene Teil (im vorliegenden Verfahren ein Zahlungsmehrbegehren) nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens über das Teilurteil und der Oberste Gerichtshof darf darüber nicht entscheiden. Das Erstgericht ist jedoch im fortgesetzten Verfahren nicht an die vom Obersten Gerichtshof nachgeprüfte, nicht gebilligte Rechtsansicht des Berufungsgerichts, sondern an die des Höchstgerichts gebunden (vgl Musger in Fasching/Konecny³ § 519 ZPO Rz 100 mwN).

[21]     6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Textnummer

E134335

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00016.22A.0217.000

Im RIS seit

07.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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