Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei * S*, vertreten durch Dr. Florian Scheiber, Rechtsanwalt in FL-Vaduz, gegen die beklagte Partei S* a.s., *, vertreten durch e/n/w/c Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 18.000 EUR, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 16. August 2021, GZ 14 R 56/21i-26, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. Jänner 2021, GZ 55 Cg 7/20h-20, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.088,12 EUR (darin 348,02 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin begehrte mit ihrer am 4. 11. 2019 eingelangten EU-Mahnklage von dem beklagten Bankunternehmen 18.000 EUR Schadenersatz und brachte vor, sie habe mittels der von der „N* Ltd.“ mit Sitz in Vanuatu betriebenen Online-Trading-Plattform „A*“ am 27. 6. 2019 5.000 EUR, am 9. 7. 2019 10.000 EUR und am 11. 7. 2019 3.000 EUR durch Überweisung von ihrem Konto bei der *bank AG auf das von der Beklagten geführte Konto der „F* s.r.o.“, IBAN *, investiert. Die Online-Trading-Plattform sei aber auf Betrug aufgebaut gewesen. Sie sei Opfer eines massiven Internetbetrugs geworden, bei welchem die „F* s.r.o.“ als Tarnfirma für die Einzahlungen fungiert habe. Als ihr dies bewusst geworden sei, habe sie eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Wien erstattet, das Verfahren sei aber eingestellt worden. Die Beklagte hafte wegen vermeintlicher Mittäterschaft zur arglistigen Schädigung der Klägerin, wegen vermeintlicher Geldwäscherei und wegen Verletzung der Compliance- und Sorgfaltspflichten, jeweils aus Delikt und aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, solidarisch mit der F* s.r.o.
[2] Konkret wirft die Klägerin nach ihrem weiteren Vorbringen der Beklagten die Verletzung einer Warnpflicht vor. Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, bei der Klägerin rückzufragen, was es mit den Überweisungen auf sich habe. Die Klägerin hätte ihr dann klarerweise mitgeteilt, dass die Überweisung einer Anlage bei der „A*“ diene. Die Beklagte hätte diese zu prüfen und festzustellen gehabt, dass diese über keine Konzession verfüge und ein Betrugsvehikel sei. Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, die Klägerin vor einer wahrscheinlichen Veruntreuung oder einem Betrug durch die A* zu warnen. Die Beklagte sei auch ihrer Verpflichtung nach § 6 FM-GwG nicht nachgekommen, die „F* s.r.o.“, deren Geschäftsführer und die wirtschaftlich Begünstigten ordnungsgemäß zu identifizieren und eine kontinuierliche Überwachung der Geschäftsbeziehung einschließlich der Transaktionen vorzunehmen. Sie habe auch eine Nachforschungspflicht gehabt. Sie hätte genug Informationen sammeln müssen, um sicher sein zu können, alle relevanten Risikofaktoren ermittelt zu haben, und hätte diese Risikofaktoren bewerten müssen, um sich einen ganzheitlichen Überblick über das Risiko der Geschäftsbeziehung mit der „F* s.r.o.“ zu verschaffen. Die Bestimmungen des FM-GwG, aber auch des § 98 Abs 1 BWG seien Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB. Der Beklagten komme als Bank eine Garantenstellung zu. Insofern habe sie den Betrug, die Veruntreuung sowie das unerlaubte Einlagengeschäft durch Unterlassen (§ 2 StGB) rechtswidrig und schuldhaft begangen. Seit dem 6. 8. 2019 liege eine Warnmeldung der deutschen BaFin vor, die die Einstellung des grenzüberschreitenden Eigenhandels der „N* Ltd.“, Vanuatu – die wohl die Betreiberin der „A*“ sei – angeordnet habe. Es sei davon auszugehen, dass die BaFin bereits einige Zeit vor ihrer Beschlussfassung vom 30. 7. 2019 ermittelt habe und auch Banken darauf aufmerksam gemacht und zur Mithilfe und Vorsicht aufgerufen worden seien. Augenscheinlich habe die Beklagte dies ignoriert. Der Beklagten sei die Vorlage des vollständigen „Kundendossiers“ aufzutragen.
[3] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte – soweit im Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen ein, das Klagsvorbringen sei unsubstantiiert und unschlüssig. Es lasse nicht erkennen, was die Klägerin der Beklagten tatsächlich vorwerfe oder durch welche Handlungen die Beklagte die angeblichen Pflichtverletzungen überhaupt begangen haben solle. Die Klägerin habe nicht einmal irgendwelche konkreten Anhaltspunkte für Pflichtverletzungen der Beklagten behauptet und gestehe mit ihrem Vorbringen selbst zu, dass sie die der Beklagten vorgeworfenen Pflichtverletzungen in Wahrheit lediglich vermute, diese aber nicht konkret darlegen und erst recht nicht beweisen könne. Zwischen den Streitteilen habe nie ein Vertragsverhältnis bestanden. Es bestehe auch keine deliktische Haftung der Beklagten, weil der behauptete Schaden nicht vom Schutzzweck der Geldwäsche-RL der EU (EU) 2015/849 und (EU) 2018/843 bzw von deren nationalen Umsetzungen umfasst werde. Eine Verpflichtung, ohne jeden Hinweis auf unredliche Handlungen – noch dazu bei laufender Geschäftsbeziehung – sämtliche Kontoeingänge der Kunden zu überprüfen, insbesondere wenn die einzelnen Überweisungen nur verhältnismäßig geringe Beträge beträfen, ergebe sich aus den Geldwäsche-RL nicht. Beim Vorlageantrag der Klägerin handle es sich um einen reinen Erkundungsbeweis. Auch die Voraussetzungen für eine Auskunftspflicht nach § 79 Abs 4 ZaDiG lägen nicht vor.
[4] Das Erstgericht folgte dem Standpunkt der Beklagten und wies die Klage wegen Unschlüssigkeit ab.
[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, ließ aber die Revision zur Frage zu, ob – entsprechend seiner Beurteilung – die nunmehr geltenden Geldwäsche-Vorschriften des FM-GwG (in dessen [wohl:] §§ 5–12, 13, 16 und 23) sowie vormals die Geldwäschevorschriften des BWG (aF) (insbesondere die §§ 40 ff, 41 BWG aF) keine Schutznormen einzelner durch die der Geldwäsche vorangegangenen Vor-(Straf-)taten Geschädigter seien.
[6] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[7] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig. Die Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
[9] 1. Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden; ob eine Klage schlüssig ist, sich also der Anspruch aus dem behaupteten Sachverhalt ergibt, begründet daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 4 Z 1 ZPO (s RS0037780, RS0116144), sofern die Annahme der Unschlüssigkeit einer Klage nicht auf einer krassen Fehlbeurteilung der Schlüssigkeit oder auf einem erheblichen Rechtsirrtum des Berufungsgerichts beruht (s RS0037780 [T2, T3, T5]). Solche Ausnahmen liegen hier nicht vor:
[10] 2. Wie zu 8 Ob 104/20g ausgeführt, entspricht es der herrschenden Lehre (Blume in Dellinger, BWG [6. Lfg 2011] § 40 Rz 156) und Rechtsprechung (RS0122474; RS0122479; RS0126061), dass die mit „Sorgfaltspflichten zur Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismus-
finanzierung“ überschriebene Bestimmung des (mit 31. 12. 2016 außer Kraft getretenen) § 40 BWG die Unterstützung der Aufsichts- und Strafbehörden bei der Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung bezweckte; sie diente damit nur Allgemeininteressen und stellte keine Schutznorm zugunsten einzelner Geschädigter dar. Das mit 1. 1. 2017 in Kraft getretene FM-GwG wurde auch in Umsetzung der RL (EU) 2015/849 geschaffen. Der Inhalt der Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Überprüfung und Feststellung der Identität hat sich insoweit im Wesentlichen nicht verändert. In einzelnen Punkten wurde nachgeschärft (Jedlicka in Dellinger, BWG [10. Lfg 2020] Exkurs FM-GwG, § 34 Rz 19).
[11] Die Klägerin verweist für ihren Standpunkt, dass diese Beurteilung nicht aufrecht erhalten werden könne und die Geldwäsche-Vorschriften der §§ 5 ff FM-GwG, beruhend auf der 4. Geldwäscherichtlinie 2015/849 (EU), Schutznormen iSd § 1311 ABGB zugunsten einzelner Geschädigter von der Geldwäsche vorangegangenen Vorstraftaten darstellten, auf Erw 61 dieser Richtlinie („Technische Regulierungsstandards für Finanzdienstleistungen sollten unionsweit eine konsequente Harmonisierung und einen angemessenen Schutz von Einlegern, Anlegern und Verbrauchern gewährleisten. Da die Europäischen Aufsichtsbehörden über hochspezialisierte Fachkräfte verfügen, wäre es sinnvoll und angemessen, ihnen die Aufgabe zu übertragen, für technische Regulierungsstandards, die keine politischen Entscheidungen erfordern, Entwürfe zur Vorlage an die Kommission auszuarbeiten.“). Aus dieser Erwägung lässt sich aber nicht ableiten, dass Umsetzungsnormen des FM-GwG Schutzcharakter iSd § 1311 ABGB für einzelne, insbesondere kundenfremde Geschädigte hätten.
[12] Dessen ungeachtet vermissten die Vorinstanzen Vorbringen dazu, aufgrund welcher für die Beklagte erkennbaren Umstände für sie zu den in Rede stehenden Überweisungszeitpunkten „massive Verdachtsmomente“ für einen Betrug bzw eine Veruntreuung durch ihre Kundin „F* s.r.o“ vorgelegen haben sollten. Das wird auch in der Revision nicht widerlegt. Eine Fehlbeurteilung des Schlüssigkeitskalküls der Vorinstanzen wird hier nicht dargelegt.
[13] 3. Das gilt in gleicher Weise für die in der Revision aufgeworfene Frage, ob die auf der 2. Zahlungsdienste-Richtlinie 2015/2366 (EU) beruhenden Bestimmungen des ZaDiG 2018 Schutznormen zugunsten einzelner geschädigter Überweisenden von Zahlungstransaktionen darstellten.
[14] Das Berufungsgericht legte diesbezüglich die frühere Rechtsprechung zur Haftung der Empfängerbank für Fehlüberweisungen aus der Verletzung ihrer „Abgleichungspflicht“ („Konkordanzprüfung“) dar und wies darauf hin, dass die Klägerin nicht ansatzweise solche Fehler der Beklagten behauptet habe, sich aber auch die Pflichtenlage seit dem Inkrafttreten des ZaDiG dahingehend geändert habe, als die Sorgfaltspflichten, die den Zahler vor Fehlüberweisungen infolge eines Vertippens oder Verschreibens bei der Angabe der Kontonummer des Empfängers schützen sollen, von der buchenden Empfängerbank auf die Bank des Überweisenden (!) verlagert worden seien. Damit setzt sich die Klägerin nicht auseinander.
[15] Aus den von ihr ins Treffen geführten Bestimmungen der Art 97 f dieser Richtlinie (Authentifizierung; Technische Regulierungsstandards) könnte sie keine Schadenersatzansprüche ableiten. Dafür wird auch keine Rechtsgrundlage im ZaDiG 2018 genannt. Soweit die Klägerin Art 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2018/389 VO und insbesondere dessen Abs 2 lit c VO und seine Auslegung durch die EBA (European Banking Authority – Final Report vom 18. 7. 2018) ins Treffen führt, ist festzuhalten, dass mit dieser Verordnung Bedrohungen der Sicherheit elektronischer Zahlungen begegnet und sichergestellt werden soll, dass es sich bei dem Zahlungsdienstnutzer um den legitimen Nutzer handelt (s Erw 1 ff). Dementsprechend erfordert Art 2 VO („Allgemeine Anforderungen an die Authentifizierung“) Transaktionsüberwachungsmechanismen des Zahlungsdienst-
leisters, die die „Erkennung nicht autorisierter oder betrügerischer Zahlungsvorgänge ermöglichen“, wofür Zahlungsdienstleister (ua) bekannte Betrugsszenarien bei der Erbringung von Zahlungsdienstleistungen als risikobasierte Faktoren einzubeziehen haben (Art 2 Abs 2 lit c VO). Weitere Erwägungen dazu (s B. Koch, ÖBA 2019, 106, 116 ff) sind hier – ungeachtet dessen, dass die Beklagte kein Zahlungskonto der Klägerin führt – nicht erforderlich, weil die Verordnung erst seit 14. 9. 2019 in Geltung ist (Art 38 Abs 2 VO).
[16] 4. Die Klägerin vermisst auch Rechtsprechung zur Frage, ob das Rechtsverhältnis zwischen der überweisenden Bank und der Empfängerbank als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Überweisenden, insbesondere bei Verletzung von Schutz-, Sorgfalts-, Warn- und Hinweispflichten der Empfängerbank, zu beurteilen sei, wodurch der Überweisende direkte vertragliche Schadenersatzansprüche gegenüber der Empfängerbank geltend machen könne.
[17] Auch in diesem Zusammenhang gilt aber, dass die Klägerin konkrete Pflichtverletzungen der Beklagten zu den begehrten Schadenersatzansprüchen vorzubringen gehabt hätte, die die Vorinstanzen vermissten. Das wird in der Revision nicht widerlegt. Das bloße Vorbringen, die Beklagte habe es unterlassen, ihren Kontoinhaber „ausreichend zu überprüfen und folglich die Klägerin nicht vor drohenden Schäden durch offenkundige betrugsrelevante Momente aufgrund der Malversationen auf dem Konto gewarnt,“ (Revision S 13) kann auch in diesem Zusammenhang dafür nicht ausreichen.
[18] 5. Ausgehend davon liegt auch keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Ein Unschlüssigkeitsurteil verneint nur die Schlüssigkeit der Klagsbehauptungen und bedarf somit keiner Feststellungen (RS0037755 [T3]). Auf die von der Klägerin vermissten Negativfeststellungen kommt es daher nicht an.
[19] Zur Verwerfung ihres Antrags auf Herausgabe des vollständigen Kundendossiers der Zahlungsempfängerin widerlegt die Revision die Beurteilung des Berufungsgerichts zum nicht gesetzmäßig ausgeführten Rechtsmittelgrund (ua unzulässige Neuerungen) nicht. Die Bestimmung des § 79 Abs 4 ZaDiG 2018 normiert auch nur eine Informationspflicht des Zahlungsdienstleisters des Zahlers gegenüber diesem. Ein solches Verhältnis liegt zwischen den Streitteilen nicht vor.
[20] 6. Die Revision der Klägerin ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
[21] Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E134329European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00078.21T.0217.000Im RIS seit
07.04.2022Zuletzt aktualisiert am
07.04.2022