Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr und den Hofrat Dr. Steger in der Rechtssache der klagenden Partei I*mbH, *, vertreten durch Dr. Günther Sulan, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S* Ges.m.b.H., *, vertreten durch die Müller Partner Rechtsanwälte GmbH, Wien, sowie den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Ing. A*, vertreten durch Mag. Markus Stender, Rechtsanwalt in Wien, wegen 30.000 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Oktober 2021, GZ 1 R 122/21z-96, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin nahm in den Jahren 2006 bis 2009 im Auftrag einer gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft die Abdeckung der Tiefgarage einer Wohnhausanlage mit einer begehbaren Fläche vor und verwendete zur Abdichtung ein von der Beklagten vertriebenes und von dieser als geeignet empfohlenes Abdichtungsmittel. Das von der Beklagten über eine Tochtergesellschaft bezogene Mittel war für den konkreten Verwendungszweck ungeeignet und entsprach nicht den Angaben in den technischen Merkblättern. Bereits bei der Bearbeitung des zweiten von insgesamt zehn Abschnitten zeigte sich, dass das Produkt nicht die versprochenen Eigenschaften aufwies. Die Beklagte identifizierte eine Fehlcharge und übernahm die Kosten der Sanierung dieses Abschnitts. Anlässlich der nachträglichen Öffnung einer weiteren Teilfläche 2008 oder 2009 wurde festgestellt, dass das Material nachträglich extrem aufgeweicht war und sich Kieselsteine durchgedrückt und Löcher verursacht hatten. Es kamen Zweifel auf, ob das Abdichtmaterial für den konkreten Einsatzzweck geeignet ist, weswegen der Nebenintervenient als damaliger Prokurist der Beklagten am 26. 5. 2009 in Absprache mit deren Geschäftsführer eine Erklärung verfasste, die (unter anderem) lautete: „Für das gegenständliche Objekt wird die Gewährleistungsfrist auf die Dauer von zehn Jahren für eine einwandfreie Qualität des gelieferten Produktes verlängert.“ Ungeachtet der Bezeichnung als Gewährleistungsfrist sollte damit die verschuldensunabhängige Haftung der Beklagten für Mängelfolgeschäden zugesichert werden. In der Folge drang Feuchtigkeit in die Garage ein, verursacht durch die Mangelhaftigkeit des von der Beklagten gelieferten Abdichtmaterials. Die Klägerin hatte daher Sanierungsarbeiten durchzuführen, die sie der Beklagten in der Zeit von 15. 12. 2009 bis 20. 6. 2011 aufgeteilt auf sechs Rechnungen über 120.361,45 EUR verrechnete. Die Beklagte bezahlte diese Rechnungen.
[2] Mit ihrer Klage vom 11. 7. 2014 begehrte die Klägerin 30.000 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftige Schäden aus der Lieferung untauglichen Materials für dieses Bauvorhaben in den Jahren 2006 bis 2009.
[3] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten gegen das dem Feststellungsbegehren stattgebende Teilurteil des Erstgerichts Folge und wies dieses Begehren ab. Das Erstgericht habe die Erklärung vom 26. 5. 2009 unter Berücksichtigung des übereinstimmenden Willens der Parteien zutreffend als Garantieerklärung für die Dauer von zehn Jahren qualifiziert, die geeignet sei, die Haftung der Beklagten für Schäden, die auf der Untauglichkeit des von ihr gelieferten Materials beruhten, zu begründen. Andere Anspruchsgrundlagen kämen entweder wegen eingetretener Verjährung oder aus sonstigen rechtlichen Gründen nicht in Betracht. Die Frist von zehn Jahren habe noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz geendet. Das für eine Feststellungsklage geforderte rechtliche Interesse müsse jedenfalls im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in erster Instanz vorliegen und beziehe sich nach dem Klagewortlaut auf künftige Schäden, also Ansprüche, die im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht fällig gewesen seien. Da die Garantiefrist bei Schluss der Verhandlung bereits abgelaufen gewesen sei, komme eine Feststellung der Haftung für erst in Zukunft eintretende Schäden nicht in Betracht; bis dahin entstandene Ersatzansprüche seien aber bereits fällig, weswegen eine zeitliche Beschränkung des Feststellungsbegehrens ausscheide.
Rechtliche Beurteilung
[4] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, die keine Rechtsfragen von der Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen vermag.
[5] 1.1 Eine Aktenwidrigkeit liegt bei einem Widerspruch zwischen Prozessakten und tatsächlichen Urteilsvoraussetzungen vor, wobei ein solcher Widerspruch einerseits wesentlich, andererseits unmittelbar aus den Akten ersichtlich und behebbar sein muss (RIS-Justiz RS0043421; RS0043284).
[6] 1.2 Bereits in ihrem verfahrenseinleitenden Schriftsatz hat die Klägerin vorgebracht, dass sie in der Zeit von 2006 bis 2009 die Decke der Tiefgarage mit dem Material der Beklagten abgedichtet hat. Schon deshalb kann es entgegen ihrer Ansicht keine Aktenwidrigkeit begründen, wenn das Berufungsgericht seiner Rechtsansicht zugrunde legte, dass die Arbeiten zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt im Jahr 2009 abgeschlossen worden seien, weswegen die Garantiefrist spätestens mit Ablauf des Jahres 2019 geendet habe. Warum sich das Berufungsgericht dabei auf die Sanierungsarbeiten bezogen haben sollte, wie die Klägerin zur Begründung dieses Revisionsgrundes meint, und worauf sie damit abzielt, ist nicht nachvollziehbar.
[7] 2.1 Das Feststellungsinteresse ist Voraussetzung für die Begründetheit des Feststellungsanspruchs (RS0039177) und muss jedenfalls noch im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz vorhanden sein (RS0039204 [T1]; RS0039085). Sein Fehlen ist in jeder Verfahrenslage und daher auch noch im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen wahrzunehmen (RS0039123; RS0038939). Die Behauptungs- und Beweislast für das rechtliche Interesse, wenn dieses nicht offensichtlich oder erwiesen ist, liegt bei der die Feststellung begehrenden Partei (RS0039058 [T2]). Fehlt das Feststellungsinteresse, ist die Klage mit Urteil abzuweisen (RS0039201). In der Regel ist eine Feststellungsklage daher dann unberechtigt, wenn der Kläger seinen Anspruch bereits zur Gänze mit Leistungsklage geltend machen kann (RS0038817; RS0038849).
[8] 2.2 Es mag Sachverhalte geben, in denen ausnahmsweise trotz – wie im vorliegenden Fall – bereits eingetretenen Schadens die Feststellungsklage zulässig wäre. In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird ein Interesse an der (bloßen) Feststellung von Gewährleistungsansprüchen etwa dann bejaht, wenn der Berechtigte einen bestimmten Gewährleistungsanspruch noch nicht mit Leistungsklage verfolgen kann, weil er entweder die Beschaffenheit (Ursache) von Mängeln noch nicht genau kennt oder die Möglichkeit der Mängelbehebung noch nicht beurteilen kann (RS0018858 [T11]), oder wenn dem Werkbesteller die Erhebung von Schadenersatzansprüchen nach § 933a ABGB noch offen steht, er jedoch die Entwicklung des Mangelschadens und deshalb die notwendigen Sanierungsmaßnahmen und -kosten noch nicht beurteilen und deshalb künftige Mangelfolgeschäden nicht ausschließen kann (3 Ob 72/20i mwN = RS0018858 [T14]). Dass es bei einem bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung zwar eingetretenen, aber vom Kläger nicht nachgewiesenen Schaden am rechtlichen Interesse an der Feststellung der Schadenersatzpflicht fehlt, gilt aber jedenfalls dann, wenn der Geschädigte keinerlei Maßnahmen zur Ermittlung und Bezifferung des Schadens ergreift, sondern jahrelang untätig bleibt (7 Ob 26/21f mwN). Der Geschädigte hat daher grundsätzlich zweckmäßige Schritte zu unternehmen, um die Voraussetzung für die Schadensbezifferung in einer Leistungsklage zu schaffen (RS0118968). Dabei kann ihn auch die Pflicht treffen, ein Sachverständigengutachten zur Schadenshöhe einzuholen (RS0118968 [T3]).
[9] 2.3 In ihrer außerordentlichen Revision wendet sich die Klägerin weder gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass ihre Ansprüche bereits bei Einbringung der Klage verjährt gewesen wären, gäbe es die Erklärung der Beklagten vom 26. 5. 2009 nicht, die die Vorinstanzen als Garantieerklärung im Sinn einer verschuldensunabhängigen Haftung für Mängelfolgeschäden für die Dauer von zehn Jahren qualifizierten, noch gegen die Auffassung, dass eine Haftung für erst künftig eintretende Schäden wegen des Zeitablaufs nicht in Betracht kommt. Sie legt auch nicht dar, aus welchen Gründen ihr eine Beurteilung der bis zum Ablauf der Frist notwendigen Sanierungsmaßnahmen und Bezifferung der damit verbundenen Kosten nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen sein sollte. Dass sie bereits bei Klageeinbringung in Kenntnis darüber war, in welchen Bauabschnitten das ihrer Ansicht nach ungeeignete Material der beklagten Partei verwendet worden war und welche Sanierungsmaßnahmen damit grundsätzlich verbunden sind, ist in Anbetracht der bereits vor Klageerhebung vorgenommenen Sanierungsarbeiten nicht zweifelhaft und stellt sie auch nicht in Abrede. Damit kann sie aber mit ihrem pauschalen Hinweis, die Voraussetzungen für eine Feststellungsklage würden vorliegen, weil weder Kenntnis des Schädigers noch des Schadens gegeben sei, auch keine Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht aufzeigen. Worauf sie mit ihren Ausführungen abzielt, hier liege eine untrennbare Verknüpfung zwischen der tatsächlichen Mängelursache und dem Umfang der erforderlichen Sanierungskosten vor, ist nicht zu erkennen. Eine erhebliche Rechtsfrage spricht die Klägerin, die in ihrer Revision auch sonst jede Auseinandersetzung mit den Grundsätzen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung und den rechtlichen Überlegungen des Berufungsgerichts vermissen lässt, damit jedenfalls nicht an.
[10] 3.1 Richtig ist, dass das Verbot, die Parteien in einer Entscheidung mit einer Rechtsansicht zu überraschen, auch für das Berufungsgericht gilt (RS0037300 [T3, T20]). Die Grenzen der vom Gericht wahrzunehmenden Anleitungspflicht und die Frage, ob das Überraschungsverbot verletzt wurde, richten sich nach den Umständen des Einzelfalls und begründen aus diesem Grund in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RS0114544; RS0037300 [T31]).
[11] 3.2 Der von der Beklagten behauptete Verstoß gegen das Überraschungsverbot ist auch nicht zu erkennen. Die Bestimmung des § 182a ZPO hat nämlich nichts daran geändert, dass es keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen bedarf, gegen das der Prozessgegner bereits Einwendungen erhoben hat (RS0037300 [T41]; RS0120056 [T4]). Hier hat zum einen bereits das Erstgericht die Vereinbarkeit des Feststellungsbegehrens mit dem Umstand erörtert, dass die in der Erklärung vom 26. 5. 2009 genannte Frist abgelaufen war, zum anderen hat die Beklagte das Feststellungsinteresse im erstgerichtlichen Verfahren ausdrücklich bestritten. Dass die Klägerin gar nicht konkret darlegt, welche prozessualen Schritte sie gesetzt hätte, wäre es zu einer in ihrem Sinn erforderlichen Erörterung gekommen (dazu RS0037300 [T48]), sei lediglich der Vollständigkeit halber erwähnt.
[12] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Textnummer
E134304European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00238.21T.0214.000Im RIS seit
06.04.2022Zuletzt aktualisiert am
06.04.2022