TE OGH 2022/3/25 15Os24/22a

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Veröffentlicht am 25.03.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen * R* wegen des Verbrechens der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 2 vierter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Geschworenengericht vom 3. Mai 2021, GZ 80 Hv 131/20h-19, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil und der ihm zugrunde liegende Wahrspruch aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * R* des Verbrechens der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 2 vierter Fall StGB schuldig erkannt.

[2]       Danach hat er von 6. Jänner 2016 (Gründung „Staat Kärnten“) bis 20. April 2017 (Verhaftungen der führenden Mitglieder des „Staatenbundes Österreich“) in K* und anderen Orten eine Verbindung, deren wenn auch nicht ausschließlicher Zweck es ist,

auf gesetzwidrige Weise, nämlich durch

• die systematische und massenweise Versendung von Drohschreiben (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB) durch die Mitglieder an die unten genannten verfassungsmäßigen Einrichtungen der Republik Österreich,

• die systematische Herabwürdigung und Verleugnung staatlicher Hoheitsrechte und -akte bei diversen Propagandaveranstaltungen sowie in einer Vielzahl an Youtube-Videos,

• die Einführung eines Systems der Selbstjustiz in Form eines sogenannten „Völkerrecht-Gerichtes“, bei dem staatliche Entscheidungsträger, Politiker, Beamte und Privatpersonen entführt, gefangen gehalten und „verurteilt“ hätten werden sollen,

• die systematisch und beharrlich versuchte Anwerbung von Mitgliedern des österreichischen Bundesheers für den Vollzug eigener „Haftbefehle“ und die Übernahme der Macht sowie für die Einsetzung von * U* als unabsetzbares, lebenslanges Staatsoberhaupt in Österreich,

die in der Verfassung festgelegte Staatsform einer demokratischen, parlamentarischen Bundesrepublik (Art 1 und 2 B-VG) und

die verfassungsmäßigen Einrichtungen der Republik Österreich sowie ihrer Bundesländer, nämlich den Nationalrat (Art 24 B-VG), den Bundesrat (Art 34 B-VG), die Bundesregierung (Art 19, 69 B-VG), den Bundespräsidenten (Art 60 B-VG), das Bundesheer (Art 79 B-VG), die Schulbehörden des Bundes und der Länder (Art 81a B-VG), die ordentliche Gerichtsbarkeit (Art 82 B-VG), die Staatsanwaltschaften (Art 90a B-VG), die Verwaltungsgerichte (Art 129 B-VG), den Verwaltungsgerichtshof (Art 133 B-VG), den Verfassungsgerichtshof (Art 137 B-VG), den Rechnungshof (Art 121 B-VG), sowie die Landtage (Art 15, 95 B-VG), die Landesregierungen (Art 19, 101 B-VG) und die Gemeinden (Art 115 B-VG)

zu erschüttern, indem sie abgeschafft und durch eigene Institutionen („Regelwerk“ anstelle der Verfassung, „Waisenrat“ anstelle der Regierungen, „Völkerrecht-Gericht“ anstelle der ordentlichen und außerordentlichen Gerichte) der staatsfeindlichen Verbindung ersetzt werden sollten,

und der sich österreichweit über 2.000 Mitglieder anschlossen und die über eine auf Dauer angelegte, hierarchisch organisierte und arbeitsteilige Struktur mit * U* als Anführerin verfügt,

nämlich den „Staatenbund Österreich“, sonst in erheblicher Weise unterstützt, indem er

• sich ihr gegen Bezahlung der üblichen 20 Euro als (einfaches Mitglied) anschloss,

• am 6. Jänner 2016 in K* als Mitbegründer des „Staates Kärnten“ in Erscheinung trat und als „Versammlungsrat“ auf der bezughabenden Gründungsurkunde unterzeichnete und

• an zumindest zwei Stammtischen oder Propagandaveranstaltungen des „Staatenbundes Österreich“ teilnahm.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 6, 8, 9, 10a, 11 lit a und 12 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4]       Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon (§§ 344, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass dem Schuldspruch eine sich zum Nachteil des Angeklagten auswirkende, von diesem jedoch nicht geltend gemachte Nichtigkeit (§ 345 Abs 1 Z 11 lit a StPO) anhaftet.

[5]       Bei geschworenengerichtlichen Urteilen entspricht die von § 342 dritter Satz StPO verlangte Wiedergabe des Wahrspruchs, also der an die Geschworenen gestellten Fragen und der Antworten der Geschworenen, der Feststellung der entscheidenden Tatsachen und bildet damit das tatsächliche Korrelat zur Subsumtion nach § 260 Abs 1 Z 2 (iVm § 302 Abs 1) StPO. Um sicherzugehen, dass zum einen die Geschworenen die Bedeutung der in den zu prüfenden Tatbeständen verwendeten Begriffe richtig verstanden haben und zum anderen eine effektive Rechtskontrolle durch den Obersten Gerichtshof möglich ist, ist insoweit eine – je nach Tatbestand und Komplexität des Falls unterschiedlich auszugestaltende – Anführung jener konkreten Tatumstände geboten, welche die gesetzlichen Merkmale verwirklichen. Dies erfordert unter Umständen auch eine (sachverhaltsmäßige) Auflösung vom Tatbestand verwendeter wertausfüllungsbedürftiger Begriffe, weil der Wahrspruch nur dann eine geeignete Urteilsbasis bildet, wenn die an die Geschworenen gerichteten Fragen die Rückführung der zu beurteilenden Rechtsbegriffe auf den (entscheidenden) Sachverhalt aus sich selbst heraus ermöglichen (zum Ganzen Lässig, WK-StPO § 312 Rz 9, 17, 19, 21; RIS-Justiz RS0100780 [insb T8]).

[6]       Von diesem Maßstab ausgehend zeigt sich, dass zur (einzigen) Hauptfrage 1 (in Richtung des Verbrechens der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 2 vierter Fall StGB) die gebotene (sachverhaltsmäßige) Auflösung sowohl des Begriffs „Verbindung“ als auch der auf die Unterstützung der Verbindung bezogenen Bezeichnung „in erheblicher Weise“ unterblieb.

[7]       Unter einer Verbindung verstehen Rechtsprechung und Lehre einen auf eine gewisse Dauer ausgerichteten Zusammenschluss einer größeren Zahl von Menschen unter einer mehr oder minder straffen Organisation mit einem (oder mehreren) Anführer(n) und festgelegten (geschriebenen oder ungeschriebenen) Regeln über Ziele sowie Rechte und Pflichten der Mitglieder (RIS-Justiz RS0088004; Bachner-Foregger in WK2 StGB § 246 Rz 4; Salimi/Tipold, SbgK § 246 Rz 15 ff; Leukauf/Steininger/Huber, StGB4 § 246 Rz 5; Plöchl in WK2 StGB § 279 Rz 3, 5).

[8]       Der Wahrspruch enthält mit Blick auf die Formulierung „die über eine auf Dauer angelegte, hierarchisch organisierte und arbeitsteilige Struktur mit * U* als Anführerin verfügt“ aber weder zur Dauer, auf welche die in Rede stehende Verbindung ausgerichtet ist, noch zu ihrer Organisation oder zu den Bestimmungen über Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder ein solcherart ausreichendes Tatsachensubstrat (vgl RIS-Justiz RS0120637; 14 Os 33/20i).

[9]       Dies gilt gleichermaßen für die von § 246 Abs 2 vierter Fall StGB geforderte Unterstützung der inkriminierten Verbindung „in erheblicher Weise“. Eine solche kann etwa in der Entfaltung einer regen Propaganda, der Vermittlung des Kontakts zu einflussreichen Persönlichkeiten (vor allem Geldgebern), der (längerfristigen) Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten oder der Beseitigung von Hindernissen für die Organisation bestehen. Die Unterstützungshandlung muss jedenfalls geeignet sein, den Fortbestand der Verbindung und damit das von ihr ausgehende Gefahrenpotential für den Staat zu fördern (Bachner-Foregger in WK2 StGB § 246 Rz 6; Salimi/Tipold, SbgK § 246 Rz 44 ff; Leukauf/Steininger/Huber, StGB4 § 246 Rz 8a).

[10]     Eine Unterstützung in erheblicher Weise iSd § 246 Abs 2 vierter Fall StGB kann zwar auch dann vorliegen, wenn sich die für die staatsfeindliche Verbindung entfalteten Tätigkeiten erst in ihrer Gesamtheit als erhebliche Unterstützung darstellen (vgl RIS-Justiz RS0095840). Die im Wahrspruch angeführten Unterstützungshandlungen in Form einer Zahlung von 20 Euro sowie eines Besuchs von Stammtischen oder Propagandaveranstaltungen beschreiben aber eine bloße sonstige Teilnahme an der inkriminierten Verbindung iSd § 246 Abs 3 StGB (Salimi/Tipold, SbgK § 246 Rz 48), während die Unterzeichnung der Gründungsurkunde des „Staates Kärnten“ als „Versammlungsrat“ indessen kein hinreichendes Sachverhaltssubstrat in Bezug auf die Ausgestaltung der bezeichneten Stellung sowie die Bedeutung der angeführten Tathandlung und deren Relevanz für die Verbindung enthält (vgl erneut RIS-Justiz RS0120637).

[11]     Der Wahrspruch der Geschworenen vermag damit einen Schuldspruch nach § 246 Abs  2 vierter Fall StGB nicht zu tragen.

[12]     Die aufgezeigten Rechtsfehler (§ 345 Abs 1 Z 11 lit a StPO) erforderten die Aufhebung des Schuldspruchs, sodass sich ein Eingehen auf das in der Nichtigkeitsbeschwerde erstattete Vorbringen erübrigt.

[13]     Mit seinem Rechtsmittel war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Textnummer

E134320

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00024.22A.0325.000

Im RIS seit

06.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

06.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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