TE Vwgh Erkenntnis 1996/6/25 93/05/0281

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Veröffentlicht am 25.06.1996
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L81703 Baulärm Umgebungslärm Niederösterreich;
L82000 Bauordnung;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §58 Abs2;
BauO NÖ 1976 §109 Abs4;
BauO NÖ 1976 §21 Abs10;
BauO NÖ 1976 §21 Abs4;
BauO NÖ 1976 §47;
BauRallg;
B-VG Art130 Abs2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des W in U, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in R, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 14. Oktober 1993, Zl. R/1-V-92238, betreffend einen baupolizeilichen Auftrag (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde T, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Ansuchen vom 22. April 1991 beantragte der Beschwerdeführer die Baubewilligung für einen Dachbodenausbau seines Hauses in T, A-Gasse 8. Es soll das vorhandene Dach abgetragen, ein Satteldach mit einer Dachneigung von 45 Grad aufgesetzt und in dieses Dachgeschoß eine eigene Wohneinheit eingebaut werden. Dem Lageplan ist zu entnehmen, daß der Abstand des Bestandes zu den beiden seitlichen Nachbargrundstücken jeweils 3,05 m beträgt. Nach dem Schnittplan ist die Traufenhöhe (sie entspricht der Deckenoberkante der Decke des Obergeschoßes) des Bestandes mit 5,93 m ausgewiesen; nach diesem Plan sitzt das Dach nunmehr auf (ca.) 80 cm hohen Kniestöcken auf, die die Gebäudefront jeweils um dieses Ausmaß erhöhen, sodaß die Gebäudehöhe an den beiden Seitenfronten jeweils (ca.) 6,73 m beträgt.

Gemäß dem Flächenwidmungs- und Bebauungsplan der mitbeteiligten Marktgemeinde ist das Baugrundstück als Bauland-Wohngebiet gewidmet; die Bebauungsdichte ist mit 25 % festgelegt, es besteht die Möglichkeit der Wahl zwischen Bauklasse I und II und es ist die offene Bebauungsweise angeordnet.

In der Niederschrift über die Bauverhandlung sind die acht vom Bausachverständigen geforderten Auflagen festgehalten; Punkt 1 lautet: "Die Gebäudehöhe zu den seitlichen Grundgrenzen (Wand ohne Dach) darf eine Höhe von maximal 6,10 m aufweisen".

Mit Bescheid vom 21. Juni 1991 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde die beantragte Baubewilligung.

Der Spruch dieses Bescheides enthält u.a. folgende Passage:

"Das Protokoll über die Bauverhandlung liegt in Abschrift bei und bildet einen wesentlichen Bestandteil dieses Bescheides. Die Ausführung dieses Vorhabens hat nach Maßgabe der Sachverhaltsdarstellung und der Baubeschreibung sowie der mit einer Bezugsklausel versehenen Plan- (und Berechnungs) Unterlagen zu erfolgen; hierbei sind die in der Niederschrift angeführten Auflagen einzuhalten." Dieser Bescheid wurde rechtskräftig.

Aufgrund einer vom Bürgermeister mündlich verfügten Baueinstellung ersuchte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 6. Oktober 1991 um Gewährung einer Bauerleichterung. Die Überschreitung der Gebäudehöhe werde nicht bestritten, obwohl genau nach dem mit der Bezugsklausel versehenen Einreichplan gebaut worden sei. Der Beschwerdeführer legte mit diesem Schreiben eine Erklärung von Anrainern vor, wonach diese keine Einwände gegen das Bauvorhaben erheben würden. Die Gewährung der Bauerleichterung sei im Hinblick auf seine familiäre und materielle Situation dringend erforderlich.

In der zur Überprüfung der Bauführung am 17. Oktober 1991 anberaumten Bauverhandlung wurde nachstehender Befund aufgenommen:

"Es wird die Gebäudehöhe mit einem 3 m Maßband anhand der einzelnen Geschoße nachgemessen. Daraus ergibt sich eine Gebäudehöhe an der südlichen Gebäudefront von 6,70 m (zum linken Nachbarn) und an der nördlichen Gebäudefront (zum rechten Nachbarn) 6,50 m.

Geschoßhöhe, Aufmauerung von Rohdecke über 1 Stock = 1,0 m,

Geschoßhöhe 1 Stock = 2,90 m, Geschoßhöhe Erdgeschoß = 2,80 m

und Erdgeschoßfußbodenniveau über dem Gelände im Süden 0,20 m und im Norden 0,20 m Garagenzufahrt zum ursprünglichen Gelände 0,0 m.

Die vorgeschriebene Höhe war 6,10 m.

Das Gebäude ist an der Südseite mind. 60 cm und an der Nordseite um 40 cm höher als vorgeschrieben. Diese Höhe hat sich ergeben aus den angegebenen Seitenabständen von 3,05 m x 2.

Bei einer Kontrolle am heutigen Tag wurde festgestellt, daß der linke Bauwich (vom Zaun zur Mauer) 3,00 m und der rechte Bauwich (vom schmiedeeisernen Zaun zur Mauer) 2,80 m beträgt."

Im Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 23. März 1992 wurde eingangs festgehalten, daß das Bauvorhaben über den mit Baubewilligungsbescheid vom 21. Juni 1991 genehmigten Umfang hinausgehe. Es wurde angeordnet, daß der Ausbau des Dachgeschoßes gemäß dieser baubehördlichen Bewilligung zu erfolgen habe. In der Begründung wurde angeführt, daß das Gebäude an der Südseite um mindestens 60 cm und an der Nordseite um mindestens 40 cm höher als baubehördlich bewilligt ausgeführt worden sei. Die nachgemessene Gebäudehöhe widerspreche der Bestimmung des § 21 der Nö BauO, weil der Abstand zu den Grundgrenzen 3,05 m betrage.

In seiner dagegen erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, er habe die im Einreichplan dargestellten Koten bezüglich der Außenabmessungen des Gebäudes eingehalten. Die im Baubewilligungsbescheid aus der Verhandlungsschrift vom 17. Mai 1991 übernommene Auflage Punkt 1 sei als projektsändernde Auflage unzulässig und daher gegenstandslos.

In der Berufungsverhandlung wurden von einem anderen Sachverständigen die in der Verhandlung vom 17. Oktober 1991 ermittelten Ergebnisse bestätigt. Der Beschwerdeführer legte eine Verpflichtungserklärung vor, wonach für den Fall, daß das Bauvorhaben in seinem derzeitigen Baufortschritt beibehalten und zu Ende geführt werden könne, er sich verpflichte, sollte einer der beiden seitlichen Anrainer die Errichtung eines Wohnhauses planen, die Höhe seines Gebäudes auf die von der Bauordnung geforderte Höhe herabzusetzen.

Der Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 21. Oktober 1992 wies die Berufung ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit folgender Präzisierung: "... Sie werden gemäß § 109 Abs. 4 der Nö Bauordnung LGBl. 8200-8 aufgefordert, den bauordnungsgemäßen Zustand, d.h. die zulässige Gebäudehöhe mit höchstens 6,10 m herzustellen". Außerdem erfolgte eine Fristsetzung für die Ausführung des Bauauftrages.

In seiner dagegen erhobenen Vorstellung machte der Beschwerdeführer u.a. geltend, daß die Baubehörde zweiter Instanz in sachlicher und rechtlicher Hinsicht ihre Entscheidungsbefugnis überschritten habe. Durch diese unzulässige Spruchausweitung seitens der Berufungsbehörde werde dem Beschwerdeführer das Recht auf Ausschöpfung des Instanzenzuges genommen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Vorstellung insoferne Folge, als die im Berufungsbescheid erfolgte Fristsetzung aufgehoben wurde. Durch die Festsetzung einer Erfüllungsfrist sei über die "Sache" des Berufungsverfahrens hinausgegangen worden. Im übrigen wies die belangte Behörde die Vorstellung als unbegründet ab. Die Vorschreibung der Gebäudehöhe mit 6,10 m entspreche § 21 Abs. 4 und Abs. 5 der Nö BauO 1976. Daher sei diese Auflage inhaltlich bestimmt und vollstreckbar. Im Hinblick auf § 22 Abs. 1 der Nö BauO 1976 sei der Schnittpunkt der Dachhaut mit der Mauerbank maßgeblich. Im Zusammenhalt mit dem Bebauungsplan sei daher der Inhalt des Konsenses eindeutig die aufgrund der Vorschreibung der projektsändernden Auflage einzuhaltende Gebäudehöhe von 6,10 m.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen Rechten auf ein geseztliches Verfahren und Ergreifung entsprechender ordentlicher Rechtsmittel sowie durch die unrichtige und gesetzwidrige Anwendung der Nö BauO 1976 verletzt und begehrt Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift. Die mitbeteiligte Marktgemeinde gab in ihrer Gegenschrift an, daß der Gemeinderat mit Beschluß vom 9. November 1993 die Fristsetzung "behoben" und der Baubehörde erster Instanz aufgetragen habe, dem Bauwerber zur Beseitigung der Bauordnungswidrigkeit eine Frist zu setzen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der von der Berufungsbehörde modifizierte baubehördliche Auftrag, der den Gegenstand des Vorstellungsverfahrens bildete, wurde auf die Bestimmungen des § 109 Abs. 4 Nö BauO 1976 i.d.F. der Novelle LGBl. 8200-6 (im folgenden: BO) gestützt. Danach hat die Baubehörde die Fortsetzung der Arbeiten zu untersagen und die Herstellung des konsensmäßigen Zustandes zu verfügen, wenn Abweichungen, die einer Baubewilligung bedürfen, nachträglich nicht bewilligt werden können.

Aus dem Gesetzeswortlaut folgt unzweifelhaft, daß die Erteilung eines Herstellungsauftrages sehr wohl an die Prüfung geknüpft ist, ob nicht doch eine nachträgliche Bewilligung möglich ist. (In diesem Sinn hat der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 6. Oktober 1991 um die Bewilligung von Bauerleichterungen angesucht). Die Frage der Genehmigungsfähigkeit ist also im Bauauftragsverfahren zu prüfen; es reicht nicht, wie dies die belangte Behörde getan hat, mit einem informativen Hinweis darauf einzugehen. Im Erkenntnis vom 26. Februar 1985, Zl. 83/05/0171, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, daß die Bewilligungsfähigkeit zwar nicht für die Baueinstellung, wohl aber für den Herstellungsauftrag von Belang ist.

Richtig ist, daß in der Baubewilligung eine Gebäudehöhe - das ist gemäß § 22 Abs. 1 erster Halbsatz BO die Höhe der Gebäudefront über dem verglichenen Gelände - von 6,10 m vorgeschrieben wurde, obwohl das Projekt eine Gebäudehöhe von 6,73 m vorsah. Die Frage der Zulässigkeit dieser (erheblichen) projektsändernden Auflage (siehe die Ausführungen bei Hauer, Der Nachbar im Baurecht4, 111) ist hier nicht zu untersuchen, weil der Bescheid in Rechtskraft erwuchs.

Zu dieser Auflage war es gekommen, weil das Projekt eine Vergrößerung des 3,05 m von den Nachbargrenzen entfernten Gebäudes nach oben vorsah; bei einer projektgemäßen, nach dem Bebauungsplan zulässigen Gebäudehöhe hätte aber der gemäß § 21 Abs. 4 BO bei der gegebenen offenen Bebauungsweise vorgeschriebene Bauwich nicht eingehalten werden können. Für die Frage der Genehmigungsfähigkeit der Ausführung (also des Projektes laut Plan und nicht entsprechend der Baubewilligung) spielt die Gebäudehöhe (Bauklasse II) keine Rolle, sondern ist allein zu untersuchen, ob nicht allenfalls eine Abweichung gemäß § 21 Abs. 10 BO in Betracht kommt. Danach kann von der Bestimmung des Abs. 4 des § 21 BO unter Bedachtnahme auf § 47 BO abgewichen werden, wenn es

1. zur Wahrung des Charakters der Bebauung in Schutzzonen, erhaltungswürdigen Altortgebieten und in zusammenhängenden bebauten Ortsgebieten erforderlich ist oder

2. die Geländebeschaffenheit erfordert.

In beiden Fällen muß jedoch der Abstand so festgesetzt werden, daß die Instandsetzung des Gebäudes gewährleistet ist und keine sanitären oder feuerpolizeilichen Bedenken bestehen.

Die Baubehörde hätte sich daher nicht mit der Feststellung der Konsenswidrigkeit begnügen dürfen, sondern bei Beurteilung der Bewilligungsfähigkeit das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 10 BO (im Zusammenhang mit § 47 BO) untersuchen müssen. Dabei schließt sich der Verwaltungsgerichtshof der Ansicht von Hauer-Zaussinger, Nö Bauordnung4, 150, an, daß das Wort "kann" wie "darf" zu verstehen ist; wenn eine der beiden Voraussetzungen vorliegt, dann besteht ein Rechtsanspruch auf die Gewährung dieser Ausnahme. Der Gesetzestext bietet nämlich sonst keinen Hinweis auf einen Ermessensspielraum.

Nur wenn sich herausstellt, daß eine Ausnahme gemäß § 21 Abs. 10 BO nicht möglich ist, darf mit dem auf § 109 Abs. 4 BO gestützten Auftrag zur Herstellung des konsensmäßigen Zustandes vorgegangen werden.

Da die belangte Behörde diesen Feststellungsmangel in dem von ihr geprüften Bescheid nicht wahrnahm, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß es eines Eingehens auf das übrige Beschwerdevorbringen bedurfte.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2. Die Pauschalsätze sehen keine Vergütung für Umsatzsteuer vor.

Schlagworte

Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1993050281.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

07.08.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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