TE Vfgh Erkenntnis 1994/6/25 B1587/92

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.06.1994
beobachten
merken

Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
StGG Art5
Bebauungsplan SW 106/2 der Stadt Linz
Oö BauO §18 Abs4

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Abweisung eines Antrags auf Zurückstellung einer für die Verkehrserschließung abgetretenen Grundfläche; kein Wegfall des die Grundabtretung rechtfertigenden Zwecks; kein unangemessen langer Planungszeitraum; keine Gesetzwidrigkeit der Widmung der fraglichen Grundfläche als Verkehrsfläche im Bebauungsplan

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die beschwerdeführende Gesellschaft durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid des Magistrats der Landeshauptstadt Linz vom 19. November 1991 wurde ein auf §18 Abs4 Oberösterreichische Bauordnung, LGBl. 35/1976 idF LGBl. 82/1983 (OÖ BauO), gestützter Antrag der Beschwerdeführerin auf Zurückstellung einer Grundfläche, die im Zuge einer Bauplatzbewilligung an das öffentliche Gut abgetreten worden war, abgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung hat der Stadtsenat der Landeshauptstadt Linz mit Bescheid vom 22. März 1992 keine Folge gegeben. Die Oberösterreichische Landesregierung gab der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung mit Bescheid vom 22. September 1992 ebenfalls keine Folge.

Gegen diesen Vorstellungsbescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher sich die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums sowie wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung, nämlich §18 Abs4 OÖ BauO, in ihren Rechten verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

Sowohl die Landeshauptstadt Linz als auch die Oberösterreichische Landesregierung haben in einer Äußerung bzw. Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde begehrt.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat am 2. Oktober 1993 von Amts wegen beschlossen, unter anderem aus Anlaß dieses Verfahrens die Verfassungsmäßigkeit des Abs4 des §18 OÖ BauO zu prüfen.

Diese Bestimmung lautet:

"Fallen Grundflächen, die für im Bebauungsplan ausgewiesene öffentliche Verkehrsflächen abgetreten werden mußten, infolge einer Änderung des Bebauungsplanes nicht mehr unter diese Widmung, so ist ihre Zurückstellung dem früheren Grundeigentümer bzw. dessen Rechtsnachfolger,

a) wenn die Verkehrsfläche bereits hergestellt wurde, innerhalb von sechs Wochen nach der straßenrechtlichen Auflassung, wenn eine solche nicht erforderlich ist, nach der tatsächlichen Auflassung der Grundfläche als öffentliche Verkehrsfläche,

b) wenn die Verkehrsfläche noch nicht hergestellt wurde, innerhalb von sechs Wochen nach Änderung des Bebauungsplanes,

schriftlich anzubieten. Lehnt der frühere Grundeigentümer bzw. dessen Rechtsnachfolger innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung dieses Anbotes die Zurückstellung der Grundflächen nicht schriftlich ab, so hat die Gemeinde die Zurückstellung innerhalb einer weiteren Frist von drei Monaten auf ihre Kosten zu bewirken. Ohne Entschädigung abgetretene Grundflächen sind ohne Entschädigung, gegen Entschädigung abgetretene Grundflächen sind gegen Rückerstattung der geleisteten Entschädigung - soweit sich diese nicht auf entfernte bauliche Anlagen bezog - zurückzustellen. Die Grundflächen sind auf Verlangen des früheren Grundeigentümers bzw. dessen Rechtsnachfolgers möglichst in dem Zustand zurückzustellen, in dem sie abgetreten wurden. Die Ablehnung der Zurückstellung durch den früheren Grundeigentümer bzw. dessen Rechtsnachfolger kann nicht widerrufen werden."

Mit Erkenntnis vom 17. März 1994, G233,235/93 hat der Verfassungsgerichtshof unter anderem ausgesprochen, daß Abs4 des §18 OÖ BauO nicht verfassungswidrig ist. Der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis sein Bedenken, die genannte Gesetzesbestimmung mache das Bestehen eines Zurückstellungsanspruches für abgetretene (enteignete) Grundflächen in verfassungswidriger Weise von einer Änderung des Bebauungsplanes abhängig, zu welcher der Verordnungsgeber aber nicht verpflichtet sei, nicht aufrechterhalten können. Der Gerichtshof begründete dies - auf das Wesentliche zusammengefaßt - damit, eine Widmung als Verkehrsfläche sei nur insoweit und nur so lange gesetzmäßig, als der die Enteignung rechtfertigende Zweck gegeben ist.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat im fortgesetzten Verfahren über die Beschwerde erwogen:

1. Die belangte Oberösterreichische Landesregierung begründet ihre den Zurückstellungsanspruch verneinende Auffassung im wesentlichen damit, daß ein derartiger Anspruch gemäß §18 Abs4 OÖ BauO nur dann bestehe, wenn eine Grundfläche infolge einer Änderung des Bebauungsplanes nicht mehr als öffentliche Verkehrsfläche gewidmet sei. Eine Änderung des Bebauungsplanes sei im vorliegenden Fall nicht erfolgt, weswegen auch eine Zurückstellung nicht in Frage komme. Im übrigen handle es sich bei der in Rede stehenden Grundfläche um einen Grünstreifen, der ohnehin Teil einer öffentlichen Verkehrsfläche sei.

2.a) Das hier maßgebliche Grundstück Nr. 250/31, KG Waldegg, wurde anläßlich der Erteilung einer Bauplatzbewilligung vom 8. März 1989 gemäß §18 OÖ BauO als öffentliche Verkehrsfläche in das Eigentum der Stadt Linz übertragen. Aus den Verwaltungsakten ergibt sich, daß dieses Grundstück derzeit als Grünstreifen entlang der Fahrbahn der Wienerstraße genutzt wird. In dem maßgeblichen, aus dem Jahr 1984 stammenden Bebauungsplan SW 106/2 ist die in Rede stehende Grundfläche als öffentliche Verkehrsfläche ausgewiesen.

b) Es ist also im Sinne der Erwägungen im genannten Erkenntnis zu G233/93 nunmehr zu untersuchen, ob unter dem Aspekt des verfassungsgesetzlichen Eigentumsschutzes dieser - bei Entscheidung über einen Zurückstellungsanspruch präjudizielle, s. auch dazu das zitierte Erkenntnis zu G233/93 - Bebauungsplan nicht (mehr) rechtmäßig ist.

Ein derartiges Bedenken besteht aber hier aus folgenden Erwägungen nicht:

Nach einer Stellungnahme des Planungsamtes des Magistrates Linz vom 25. November 1992 steht keineswegs fest, daß der die Grundabtretung rechtfertigende Zweck weggefallen ist. Es seien (laut Planungsamt) Überlegungen im Gange, sowohl die Bebauung als auch die Verkehrserschließung im angeführten Gebiet neu zu ordnen; eine Planungsmaßnahme sehe die Tieferlegung der Gleistrasse der dort verkehrenden Straßenbahnlinie vor.

Es trifft zwar zu, daß derartige "Überlegungen" nicht eine unbegrenzt lange Zeit dauern dürfen (s. hiezu VfSlg. 11849/1988 sowie das dort verwiesene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Falle Sporrong-Lönnroth, EuGRZ 1983, S. 523f.). Dieser Zeitraum kann hier angesichts der Größe, Kompliziertheit und Kostenintensität des oben angeführten Vorhabens der Stadt Linz nicht als unangemessen lang bezeichnet werden, zumal die auf der 1984 vorgenommenen planlichen Festlegung beruhende Enteignung des hier in Rede stehenden Grundstücks erst am 8. März 1989 erfolgt ist (s. auch die Ausführungen über eine angemessene Frist zur Verwirklichung des mit der Enteignung verbundenen Zweckes im bereits zitierten Erkenntnis G233/93).

Der Verfassungsgerichtshof hegt daher unter dem Blickwinkel des vorliegenden Beschwerdefalles und des hier maßgeblichen Grundstückes (noch) keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bebauungsplanes SW 106/2 der Stadt Linz.

3. Da somit weder gegen §18 Abs4 OÖ BauO noch gegen die Widmung der betreffenden Grundfläche als Verkehrsfläche Bedenken bestehen, konnte die belangte Behörde die Abweisung des Zurückstellungsantrages zu Recht darauf stützen, daß das betreffende Grundstück als Verkehrsfläche gewidmet ist. Bei diesem Ergebnis ist es irrelevant, ob diese Grundfläche (als Grünstreifen entlang der Fahrbahn) t a t s ä c h l i c h dem öffentlichen Verkehr dient.

4. Da über die oben erörterten Fragen hinaus ein in die Verfassungssphäre reichender Verstoß bei Erlassung des angefochtenen Bescheides weder behauptet wurde noch hervorgekommen ist, wird die Beschwerde abgewiesen.

Die antragsgemäße Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof stützt sich auf Art144 Abs3 B-VG.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Enteignung, Rückgängigmachung (Enteignung), Baurecht, Grundabtretung, Bebauungsplan, VfGH / Präjudizialität, Verkehrsflächen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B1587.1992

Dokumentnummer

JFT_10059375_92B01587_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten