Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei B*, vertreten durch Hornek Hubacek Lichtenstrasser Epler Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei J*, vertreten durch Sacha Katzensteiner Blauensteiner Rechtsanwälte GmbH in Krems, wegen Unterlassung und Widerrufs über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom 29. November 2021, GZ 1 R 159/21v-31, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Die Unschuldsvermutung ist zum einen Garantie für das Strafverfahren, zum anderen erstreckt sich das Prinzip der Unschuldsvermutung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auf den Schutz von Personen, die freigesprochen wurden oder hinsichtlich derer das Strafverfahren eingestellt wurde, vor einer Behandlung durch staatliche Organe, als wären sie ungeachtet dessen schuldig (EGMR [Große Kammer] 12. 7. 2013 Ellen/Großbritannien, Bsw 25424/09 Rz 92 f; Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 24 Rz 139 f).
[2] 1.2. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist die Unschuldsvermutung von allen staatlichen Behörden zu beachten (EGMR 24. 4. 2008, Bsw 2947/06). Sie kann auch durch Feststellungen im Urteil eines Zivilgerichts verletzt werden (4. 6. 2013, Bsw 46878/06, Teodor/Rumänien; vgl bereits auch 6 Ob 85/01w = SZ 74/92).
[3] Der Entscheidung des EGMR im Fall Teodor/Rumänien lag zugrunde, dass die nationalen Gerichte ausführlich aus einem Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft zitierten, in dem offenbar die Begehung der vorgeworfenen Delikte durch den Beschwerdeführer ausführlich geschildert wurde, ohne davon Abstand zu nehmen. Zudem warfen die rumänischen Gerichte dem Beschwerdeführer vor, er habe die nach rumänischem Recht offen stehenden Rechtsmittel nicht verwendet, um „seine Unschuld feststellen zu lassen“ oder „die Schuldfeststellung ihm gegenüber zu beseitigen“.
2.1. § 7b MedienG wurde durch die Mediengesetznovelle 1992 in Umsetzung der staatlichen Pflicht, aktiv für den Schutz der Unschuldsvermutung auch gegenüber privaten Dritten tätig zu werden (vgl VfGH B 193/86 VfSlg 11.062; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, Mediengesetz3 § 7b Rz 3 f), zum Schutz der Persönlichkeit des von einer Vorverurteilung in einem Medium betroffenen Tatverdächtigen auch schon vor dem Beginn eines (gerichtlichen) Strafverfahrens und zum Schutz der Unabhängigkeit der Justiz in das Gesetz eingefügt (6 Ob 226/16b; Berka aaO § 7b Rz 6).
[4] 2.2. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei Prüfung der Frage, ob berechtigte Interessen im Sinne des § 78 UrhG beeinträchtigt werden, auf die Wertungen der §§ 6 ff MedienG Bedacht zu nehmen (RS0112084 [T3]).
[5] 3.1. Die Besonderheit des vorliegenden Falls liegt, abgesehen davon, dass es sich nicht um eine Bildberichterstattung handelt, sodass § 78 UrhG nicht einschlägig ist, jedoch – wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten – darin, dass die Beklagte über ihre eigene Vergewaltigung berichtete. Dies kann der Beklagten – unabhängig vom Umstand, dass derzeit keine strafgerichtliche Verurteilung des Klägers vorliegt – nicht verwehrt werden. Wenn die Vorinstanzen zu der Auffassung gelangten, dass an die Beurteilung der Äußerungen des Opfers einer Straftat nicht dieselben Maßstäbe anzulegen sind wie an die Veröffentlichung von Vorwürfen in einem (dritten) Medium, ist darin keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Aus diesem Grund bedarf es im vorliegenden Fall auch keiner abschließenden Klärung, ob die Facebook-Seite der Beklagten als Medium im Sinne des Mediengesetzes anzusehen ist. Wegen der dargelegten Besonderheit des Sachverhalts wäre im Rahmen der hier gebotenen Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit der Beklagten und den Rechten des Klägers das Posting auf der Facebook-Seite der Beklagten nämlich auch dann nicht zu beanstanden, wenn man dieses als Medium qualifizierte.
[6] 3.2. Diese Abwägung kann in anderen Fällen anders ausfallen, etwa wenn das (Persönlichkeits-)Recht des Äußernden weniger stark beeinträchtigt ist, bei geringerem Gewicht des Vorwurfs oder wenn die seit der Tat verstrichene Zeit oder etwa ein allfälliges Resozialisierungsinteresse dazu führen, dass die namentliche Nennung des Täters auch dann unzulässig ist, wenn das Opfer selbst darüber berichtet.
[7] 3.3. In diesem Zusammenhang ist außerdem darauf hinzuweisen, dass die Beklagte selbstverständlich nach allgemeinen Grundsätzen die Beweislast für die Richtigkeit der von ihr erhobenen Behauptungen trifft (RS0031798). Im vorliegenden Fall erachtete das Erstgericht nach Durchführung eines Bescheinigungsverfahrens die Behauptungen der Beklagten als zutreffend. Diese – oben nur auf Grundlage eines bloßen Bescheinigungsverfahrens getroffenen Feststellungen – unterliegen der Nachprüfung im Zuge des Rechtfertigungsprozesses, in dem die Beklagte die Richtigkeit ihrer Behauptungen nicht bloß zu bescheinigen, sondern zu beweisen hat, ohne dass hierbei – anders als im Provisorialverfahren – eine Beschränkung der in Betracht kommenden Beweismittel besteht.
[8] 3.4. Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen – wie soeben ausgeführt – ihre Feststellungen auf die eigene Aufnahme von Bescheinigungsmitteln gegründet. Anders als in dem der Entscheidung des EGMR Teodor/Rumänien zugrunde liegenden Fall stellten die Vorinstanzen auch keine – gegen Art 6 Abs 2 EMRK verstoßenden – Spekulationen über die strafrechtliche Schuld des Klägers an (vgl auch 6 Ob 32/21f – Spesenbetrug). Das Erstgericht hielt vielmehr ausdrücklich fest, dass der Vorwurf der sexuellen Gewalt und der Vergewaltigung eine Wertung zum Ausdruck bringe, wobei nicht vom strafrechtlichen Verständnis auszugehen sei. Gerade Durchschnittsadressaten verfügten nicht über eine juristische Ausbildung und würden daher nicht exakt zwischen den verschiedenen Sexualdelikten und auch nicht zwischen objektiver und subjektiver Tatseite unterscheiden. Nach diesem laienhaften Verständnis werde unter Vergewaltigung ganz allgemein die Vornahme geschlechtlicher Handlungen an einer Person gegen deren Willen verstanden. Diese (vom Erstgericht als konkludent bezeichnete) Tatsachenbehauptung beruhe jedoch auf einem wahren Tatsachensubstrat, weil der Kläger unter Anwendung von Körperkraft an der Beklagten gegen deren erklärten Willen den Beischlaf vollzogen habe.
[9] 4. Zusammenfassend bringt der Revisionsrekurs sohin keine Rechtsfragen der von § 528 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass er spruchgemäß zurückzuweisen war.
Textnummer
E134294European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00239.21X.0202.000Im RIS seit
05.04.2022Zuletzt aktualisiert am
05.04.2022