TE OGH 2022/2/2 6Ob151/21f

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Veröffentlicht am 02.02.2022
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber sowie den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen A* E*, geboren am * 2007, *, vertreten durch das Land Niederösterreich (Bezirkshauptmannschaft *) als Kinder- und Jugendhilfeträger, wegen Unterhalts, über die Revisionsrekurse der Minderjährigen und des Vaters M* E*, vertreten durch Gärner Perl Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 9. Juni 2021, GZ 23 R 220/21g-58, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Scheibbs vom 19. April 2021, GZ 4 Pu 106/20a-52, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Beide Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]       Die am * 2007 geborene Minderjährige ist die Tochter der Mag. P* E* und des M* E*. Anlässlich deren einvernehmlicher Scheidung vereinbarten die Eltern am * 2014 (weiterhin) die Obsorge beider für die Minderjährige bei deren hauptsächlichem Aufenthalt im Haushalt der Mutter. Aufgrund des Scheidungsvergleichs ist der Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 400 EUR für die Minderjährige verpflichtet. Dem Vergleich lag ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von 2.300 EUR zugrunde.

[2]       Der Vater war vom 1. 1. 1997 bis 31. 3. 2015 als Flugbegleiter beschäftigt. Im Zuge eines 2015 erfolgten Betriebsübergangs auf ein anderes Unternehmen, bei dem er seit 1. 4. 2015 weiterhin als Flugbegleiter beschäftigt ist, erhielt der Vater im März 2015 wegen des Wegfalls der betrieblichen Pensionsvorsorge im Sinne einer Abfindung bisher erworbener Anwartschaften nach § 5 Abs 2 AVRAG eine „Abfertigung“ ausbezahlt.

[3]       Der Vater ist weiters für seine am 28. 3. 2017 geborene Tochter und seit 1. 6. 2019 für deren Mutter, seine zweite Ehefrau, sorgepflichtig. Er befindet sich seit 2018 in gesetzlicher Elternteilzeit im Beschäftigungsausmaß von 70 %.

[4]       Der Vater beantragte die Enthebung von seiner Unterhaltsverpflichtung für den Zeitraum vom 1. 4. bis 31. 8. 2020 und die Herabsetzung auf monatlich 222,60 EUR ab 1. 9. 2020. Er habe die Minderjährige überdurchschnittlich betreut. Neben der häuslichen Betreuung seiner zweiten (jüngeren) Tochter sei er ohnehin zu 70 % teilzeitbeschäftigt und erziele ein seinen Lebensumständen und Sorgepflichten angemessenes Einkommen; eine darüber hinausgehende Anspannung sei ihm nicht zumutbar. Sollte die Abfertigung überhaupt in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen sein, so sei diese auf die Dauer des dieser zugrundeliegenden Beschäftigungsverhältnisses (von 1. 1. 1997 bis 31. 3. 2015) aufzuteilen.

[5]       Die Minderjährige beantragte eine Unterhaltserhöhung von 1. 1. 2015 bis 31. 12. 2019. Ab 1. 1. 2020 sei der Vater (aufgrund intensivierter Kontakte zur Minderjährigen) zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 336 EUR zu verpflichten. Der Vater habe 2018 sein Beschäftigungsausmaß zu Lasten der Minderjährigen auf eine gesetzliche Elternteilzeit von 70 % reduziert und sei auf ein fiktives Einkommen bei Vollzeitbeschäftigung anzuspannen. Die vom Vater bezogene Abfertigung sei anteilig auf einen Zeitraum von 10 Jahren (vom 1. 1. 2015 bis zur möglichen Selbsterhaltungsfähigkeit der Minderjährigen) anzurechnen.

[6]       Das Erstgericht traf weitere Feststellungen zum Durchschnittseinkommen des Vaters der Jahre 2015 bis 2020 und erhöhte die monatlichen Unterhaltsbeitragsleistungen vom 1. 4. bis 31. 12. 2015 auf 410 EUR, vom 1. 1. bis 31. 12. 2016 auf 460 EUR, vom 1. 1. bis 31. 3. 2017 auf 492 EUR, vom 1. 4. bis 31. 12. 2017 auf 477 EUR, vom 1. 1. bis 31. 12. 2018 auf 437 EUR und vom 1. 1. bis 31. 12. 2019 auf 460 EUR. Für den Zeitraum ab 1. 1. 2020 setzte es den monatlichen Unterhaltsbetrag auf 270 EUR herab. Die darüber hinausgehenden Mehrbegehren der Minderjährigen auf weitere Erhöhung bzw des Vaters auf weitere Herabsetzung bzw Enthebung wies es hingegen ab.

[7]       Die festgestellte Abfertigung von 48.845 EUR netto sei ab 1. 4. 2015 auf den Zeitraum der Beschäftigung des Vaters bei diesem Arbeitgeber von insgesamt 219 Monaten aufzuteilen. Aufgrund einer überdurchschnittlichen Betreuung der Minderjährigen sei für die Jahre 2015 bis 2019 ein Abzug von 10 % und für das Jahr 2020 ein Abzug von 40 % zu berücksichtigen. Eine Anspannung des Vaters auf eine Vollzeitbeschäftigung habe nicht zu erfolgen, weil die Reduzierung der Arbeitszeit auch der Minderjährigen durch überdurchschnittliche Betreuung zugutekomme und die Unterhaltsleistung trotz des geringeren Einkommens über dem Durchschnittsbedarf liege.

[8]       Das von der Minderjährigen angerufene Rekursgericht gab dem Rekurs teilweise Folge, hob den Beschluss des Erstgerichts hinsichtlich der Abweisung der über die festgesetzten Unterhaltsbeiträge hinausgehenden Anträge der Minderjährigen und der Herabsetzung der Unterhaltsbeiträge ab 1. 1. 2020 unter einen Betrag von 336 EUR monatlich auf und trug dem Erstgericht nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

[9]       Der vom Erstgericht mit 48.845 EUR festgestellte Nettobetrag der Abfertigung sei aus dem Akteninhalt nicht nachvollziehbar, ebensowenig sei der Nettobetrag des laufenden Einkommens für 2015 aus dem Akteninhalt verlässlich ermittelbar. Das Erstgericht werde daher im fortgesetzten Verfahren den Nettobetrag der zugeflossenen Abfertigung und den laufenden Bezug im Jahr 2015, allenfalls unter Beiziehung eines Sachverständigen, neuerlich zu ermitteln haben. Bei der Einbeziehung der Abfertigung in die Unterhaltsbemessungsgrundlage sei dem Unterhaltsberechtigten ein gewisses Wahlrecht einzuräumen, wobei die Aufteilung auch auf einen längeren Zeitraum vorzunehmen sei, wenn der Unterhaltsberechtigte dies wünsche.

[10]     Nicht entscheidungsreif sei auch die Frage, ob der Vater auf eine Vollbeschäftigung ab 2018 anzuspannen sei. Diesbezüglich fehlten insbesondere Feststellungen zum Einkommen der Ehefrau, zum gewählten Kinderbetreuungsmodell und zum der Familie zufließenden Kinderbetreuungsgeld, um abschließend beurteilen zu können, ob die konkrete Entscheidung des Vaters für eine Reduktion seiner Vollzeit auf eine Teilzeitbeschäftigung im Rahmen der gesetzlichen Elternteilzeit auch ein pflichtbewusster Familienvater in aufrechter Beziehung so getroffen hätte und damit der Neufestsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung für die der Vorehe entstammende Tochter auch nur das geringere Erwerbseinkommen zugrunde zu legen und eine Anspannungsobliegenheit somit zu verneinen sei.

[11]     Den ordentlichen Revisionsrekurs gegen den Aufhebungsbeschluss ließ das Rekursgericht zu, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Anwendung des Anspannungsgrundsatzes bei Elternteilzeit vorliege; auch zur allfälligen Beurteilung, ob und auf welchen Zeitraum die vom Vater bezogene Abfertigung in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sei, werde der ordentliche Revisionsrekurs zugelassen.

Rechtliche Beurteilung

[12]           Die Revisionsrekurse der Minderjährigen und des Vaters sind entgegen dem Zulassungsausspruch des Rekursgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, nicht zulässig.

[13]           1.1 Zweck des Revisionsrekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss ist nur die allseitige Überprüfung der Rechtsansicht des Rekursgerichts durch den Obersten Gerichtshof. Hält das Rekursgericht, ausgehend von einer nicht zu beanstandenden Rechtsansicht, den Sachverhalt aufgrund der vom Erstgericht berücksichtigten Beweismittel nicht für hinreichend geklärt und erachtet es daher eine Verfahrensergänzung für notwendig, so kann der Oberste Gerichtshof, der auch im Außerstreitverfahren nur Rechtsinstanz und nicht Tatsacheninstanz ist, Ergänzungsaufträgen des Rekursgerichts nicht entgegentreten (9 Ob 12/18g; RS0006737).

[14]           1.2 Aus dem Beschluss des Erstgerichts ergeben sich – entgegen der Ansicht des Vaters – keine Anhaltspunkte dafür, dass die Höhe des Nettoabfertigungsbetrags vom Erstgericht gemäß § 34 AußStrG, der § 273 ZPO nachgebildet ist (RS0040282 [T14]), geschätzt wurde. Eine Schätzung der Unterhaltsbemessungsgrundlage käme überdies nur in Betracht, soweit das Gericht die Grundlagen für die Unterhaltsbemessung nicht ermitteln kann (RS0047430) und wenn dem Unterhaltsschuldner eine Verletzung seiner Mitwirkungspflicht zur Last gelegt werden könnte (1 Ob 41/20s). Auch dafür liegen hier keine Anhaltspunkte vor.

[15]     1.3 Ob sich die vom Rekursgericht angeordnete Ergänzung des Verfahrens hinsichtlich der Höhe der Abfertigung oder des laufenden Nettoeinkommens des Vaters im Jahr 2015 tatsächlich als notwendig erweist, kann daher im Revisionsrekursverfahren nicht überprüft werden.

[16]     2.1 Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass die vom Vater im März 2015 bezogene Einmalzahlung in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen ist (vgl 3 Ob 69/14i [ErwGr 2.5]).

[17]           2.2 Eine vom Unterhaltsschuldner bezogene, in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehende Abfertigung ist nach ständiger Rechtsprechung auf einen längeren Zeitraum aufzuteilen. Dabei kann eine Aufteilung des Gesamtbetrags auf jenen Zeitraum, der den in der Abfertigung enthaltenen Monatsentgelten entspricht, ebenso gerechtfertigt sein, wie eine Zuschussrechnung zur Erhaltung des früheren monatlichen Durchschnittseinkommens oder schlechthin die Verteilung auf ein Jahr oder auf einen sonstigen längeren Zeitraum bis hin zu einem Zeitraum, der der statistischen Lebenserwartung des Unterhaltspflichtigen entspricht (RS0047428 [T7]). Welcher Zeitraum bei der Aufteilung solcher einmaliger Zahlungen angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (RS0047428 [T1, T2]), wobei neben der Höhe der Abfertigung die Lebensumstände des Unterhaltspflichtigen (weitere Erwerbstätigkeit, Arbeitslosigkeit, Pensionierung) entscheidend sind (vgl 5 Ob 113/17d). Hat der Unterhaltspflichtige laufend höhere Einkünfte ist regelmäßig anzunehmen, dass ein Bezieher beträchtlicher einmaliger Zahlungen (wie etwa Abfertigungen anlässlich seiner Pensionierung) bei wirtschaftlich sinnvoller Betrachtungsweise auf einen längeren Zeitraum, entsprechend den gegebenen Umständen auch auf mehrere Jahre, Vorsorge für ein höheres Einkommen getroffen hätte (vgl RS0009667; RS0047428 [T15]). Dass im Einzelfall auch andere als die von den Vorinstanzen gewählte Einrechnungsmethoden denkbar oder sogar zweckmäßig wären, rechtfertigt für sich allein nicht die Anrufung des Obersten Gerichtshofs (3 Ob 146/20x; RS0009667 [T22]).

[18]           2.3 Der Oberste Gerichtshof hat hinsichtlich der Aufteilung der Abfertigung bereits darauf verwiesen, dass der Geldunterhaltspflichtige den Zeitraum für den Verbrauch der Abfertigung frei wählen könne; deshalb müsse auch dem Unterhaltsberechtigten die Möglichkeit eingeräumt werden, über seinen Anteil zu verfügen und die Aufteilung auf einen kürzeren Zeitraum zu begehren (10 Ob 51/07h; 3 Ob 5/15d; RS0009667 [T5]).

[19]           Der Vater hat vorgebracht, die Abfertigung sei zur Tilgung von Verbindlichkeiten verwendet worden, die während aufrechter Ehe der Eltern zur Finanzierung der ehemaligen Ehewohnung aufgenommen worden seien (vgl dazu 3 Ob 128/16v [ErwGr 4.3.]: keine Schmälerung der Unterhaltsbemessungsgrundlage). Bildet aber der Unterhaltsverpflichtete kein „Vorsorgekapital“, wird auch dem Unterhaltsberechtigten die Möglichkeit eingeräumt, über seinen Anteil zu verfügen und die Aufteilung auf einen kürzeren Zeitraum zu begehren (6 Ob 202/06h).

[20]     Die vom Rekursgericht in Entsprechung des Antrags der Minderjährigen erkennbar als angemessen beurteilte Aufteilung der Abfertigung auf zehn Jahre ist daher nicht korrekturbedürftig, zumal auch der Vater nicht darlegt, warum eine Aufteilung auf die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit zum früheren Arbeitgeber von 18 Jahren und drei Monaten zu bevorzugen wäre.

[21]           3.1 Zur Anwendung des Anspannungsgrundsatzes im Zusammenhang mit Elternkarenz oder Teilzeitbeschäftigung wegen Kinderbetreuungspflichten besteht umfangreiche Rechtsprechung. Die Revisionsrekurswerber bezweifeln nicht, dass auch im Falle der Inanspruchnahme von Elternteilzeit (§§ 15h ff MSchG; §§ 8 ff VKG) diese Rechtsprechungsgrundsätze herangezogen werden können.

[22]           3.2 Danach greift die im Gesetz vorgesehene Anspannung eines Unterhaltspflichtigen immer dann Platz, wenn dem Unterhaltspflichtigen die Erzielung eines höheren als des tatsächlichen Einkommens zugemutet werden kann (RS0047550). Maßstab für die den Unterhaltspflichtigen treffenden Obliegenheiten ist das Verhalten eines pflichtbewussten Elternteils. Es ist zu prüfen, wie sich ein solcher in der Situation des Unterhaltspflichtigen verhalten würde (RS0047421). Eine Anspannung auf tatsächlich nicht erzieltes Einkommen darf aber nur erfolgen, wenn den Unterhaltsschuldner ein Verschulden am Einkommensmangel trifft, wobei leichte Fahrlässigkeit genügt (RS0047495 [T2]).

[23]           3.3 Es entspricht ständiger Judikatur, dass der geldunterhaltspflichtige Elternteil, der seine (grundsätzlich gleichrangige: RS0047387; vgl RS0047370) Unterhaltspflicht für weitere Kinder dadurch erfüllt, dass er sie im eigenen Haushalt betreut, seine Lebensverhältnisse derart zu gestalten hat, dass er sowohl seiner Geldalimentationspflicht wie auch seiner Betreuungspflicht angemessen nachkommen kann (4 Ob 1/18b [ErwGr 2.5.]; RS0047337; vgl RS0047370 [T2]). Ein ohne Rücksichtnahme auf bestehende Unterhaltspflichten getroffener Entschluss, wegen der Geburt eines im gemeinsamen Haushalt lebenden Kindes Karenzurlaub in Anspruch zu nehmen, kann so zwar zu einer Anspannung des Unterhaltspflichtigen führen (RS0047612). Das bedeutet aber nicht, dass die Einengung der Erwerbsmöglichkeiten durch die Betreuungspflichten für Kleinkinder unberücksichtigt zu bleiben hätte (RS0047633), und zwar auch bei unterhaltspflichtigen Männern (vgl 5 Ob 1562/91).

[24]           3.4 Bei der Beurteilung der Frage, ob und ab wann dem für ein Kleinkind betreuungspflichtigen Geldunterhaltsschuldner eine (Teilzeit-)Berufstätigkeit zugemutet werden kann oder ob ein berücksichtigungswürdiger Grund für eine Reduktion des Beschäftigungsausmaßes vorliegt, stellt die Rechtsprechung unter Betrachtung der gesamten Familiensituation des Unterhaltspflichtigen (vgl 3 Ob 213/00w) insbesondere darauf ab, ob die Versorgung des zuletzt geborenen Kindes sichergestellt ist (1 Ob 152/20i; 4 Ob 1/18b; 1 Ob 83/15k), wobei nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass eine zumindest stundenweise Versorgung von Kleinkindern durch Dritte auch bis zum Alter des Kindes von drei Jahren möglich wäre (1 Ob 159/13h). Weiters wurde bei der gebotenen Interessensabwägung schon berücksichtigt, inwieweit zumindest Geldunterhalt in Höhe des Regelbedarfs geleistet werden kann (vgl 10 Ob 2/21y; 1 Ob 152/20i).

[25]     Für die Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang eine Erwerbstätigkeit von einem (teilweise) betreuenden Elternteil erwartet werden kann, lässt sich allerdings keine allgemeine Richtlinie aufstellen (RS0057391 [T1, T3]), sodass diese nach den Umständen des Einzelfalls zu lösen ist.

[26]           3.5 Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht keine Feststellungen zur Familiensituation des Vaters, insbesondere zu den Betreuungsmöglichkeiten für seine zweite Tochter, getroffen. Die Ansicht des Rekursgerichts, die Feststellungen des Erstgerichts reichten zur umfassenden Beurteilung, ob und allenfalls ab welchem Zeitpunkt die häusliche Betreuung seiner zweiten Tochter einen berücksichtigungswürdigen Grund für die Reduktion der Vollbeschäftigung des Vaters auf eine Elternteilzeit von 70 % darstellt, findet daher Deckung in den erörterten Rechtsprechungsgrundsätzen. Wenn das Rekursgericht in diesem Zusammenhang weiters auch die Einkommensrelation des Vaters und seiner nunmehrigen Ehefrau als für die Beurteilung bedeutsam erachtete, ob ein pflichtbewusster geldunterhaltspflichtiger Elternteil sein Beschäftigungsausmaß reduziert hätte, ist auch darin im konkreten Einzelfall jedenfalls keine aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken, zumal die Ehefrau des Vaters nach dem Vorbringen der Minderjährigen ebenfalls lediglich teilzeitbeschäftigt ist. Gleiches gilt für die erkennbar erfolgte Beurteilung, allein der bloße Umstand, dass der Vater weiterhin Unterhalt etwa in Höhe des Regelbedarfs leiste, rechtfertige im konkreten Fall eine dauerhafte Reduktion der Arbeitszeit nicht. Im fortgesetzten Verfahren wird es überdies zweckmäßig sein, nach Erörterung der Rechtslage den Parteien Gelegenheit zu geben, ergänzendes Vorbringen zur Frage der Anspannung zu erstatten (zur diesbezüglichen Behauptungs- und Beweislast vgl RS0006261 [T5, T15, T18, T19]).

[27]     3.6 Die (lediglich) vom Rekursgericht aufgeworfenen Fragen zur Anspannungsobliegenheit des Unterhaltspflichtigen bei Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld (vgl dazu jüngst 10 Ob 2/21y) stellen sich nach derzeitiger Aktenlage im vorliegenden Fall hingegen nicht.

[28]                    4. Dass die Minderjährige in ihrem Revisionsrekurs lediglich den Antrag stellte, der Oberste Gerichtshof „möge in Stattgebung des Revisionsrekurses den Beschluss des [Erstgerichts] dahingehend abändern, als der [Vater] für den Zeitraum seiner Inanspruchnahme der Elternteilzeit auf eine Vollzeitbeschäftigung angespannt und die Aufteilung der Abfertigung bis zur Volljährigkeit [der Minderjährigen] zuerkannt wird“, ohne diesen Antrag näher zu beziffern, verstößt zwar gegen die Rechtsprechung, wonach der Revisionsrekurswerber sich im Revisionsrekursverfahren – soweit er nicht bloß die Aufhebung der Entscheidung begehrt – bei einem Geldbegehren (wie dem auch hier zu beurteilenden Begehren auf Zahlung des Unterhalts) weder die ziffernmäßige Bestimmung der angestrebten Entscheidung vorbehalten noch diese dem Obersten Gerichtshof übertragen kann (1 Ob 211/19i; 1 Ob 151/19s). Eine Rückstellung des Revisionsrekurses an das Erstgericht zur Durchführung des gemäß § 10 Abs 4 AußStrG gebotenen fristgebundenen Verbesserungsverfahrens zur Behebung dieses Inhaltsmangels (wie in den Entscheidungen 1 Ob 211/19i und 1 Ob 151/19s), konnte hier jedoch im Hinblick darauf unterbleiben, dass das Rekursgericht die erstinstanzliche Entscheidung ohnehin aufgehoben und (auch) der Revisionsrekurs der Minderjährigen zurückzuweisen war.

[29]           5. Mangels zu beurteilender erheblicher Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG sind beide Revisionsrekurse zurückzuweisen.

Textnummer

E134292

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00151.21F.0202.000

Im RIS seit

05.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

05.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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