Entscheidungsdatum
04.01.2022Norm
BAO §236 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch den Richter Hofrat Mag. Hubmayr über die Beschwerde des A, ***, ***, vom 29. Oktober 2021 gegen den Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde *** vom 29. September 2021, Zl. ***, mit welchem eine Berufung vom 30. Juli 2021 gegen Spruchpunkt 2.) des Bescheides des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 17. Juni 2021, GZ.: ***, betreffend die Abweisung eines Antrages auf Nachsicht vom 22. Jänner 2021, abgewiesen wurde, zu Recht:
1. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
2. Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§ 279 Bundesabgabenordnung – BAO
§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1. Sachverhalt und verwaltungsbehördliches Verfahren:
1.1. Abgabenforderung und Rückstandsausweis:
Mit einem Schreiben der Stadtgemeinde *** vom 9. August 2017 wurde Herr A (in der Folge: der Beschwerdeführer) informiert, dass für das in seinem Eigentum befindliche Objekt *** in *** Abgabenreste im Gesamtbetrag von € 5.417,59 offen seien.
Aus einer diesem Schreiben angeschlossenen Aufstellung ist ersichtlich, dass es sich dabei um gegenüber dem früheren Liegenschaftseigentümer vorgeschriebene, bis 2015 fällig gewordene und noch offene Abgabenforderungen betreffend Abfallwirtschaftsgebühr, Abfallwirtschaftsabgabe, Kanalbenützungsgebühr und Grundsteuer handelt.
Mit Schreiben des Bürgermeisters vom 23. Juli 2019, nachweislich zugestellt am 24. Juli 2019, wurde dem Beschwerdeführer ein vom Bürgermeister der Stadtgemeinde *** ausgestellter Rückstandsausweis mit einer Aufstellung dieser offenen Abgabenrückstände übermittelt.
1.2. Einwendungen gegen Rückstandsausweis:
Mit einem als „Antrag auf Nachsicht“ bezeichneten Schreiben vom 30. Juli 2019 erhob der Beschwerdeführer Einwendungen gegen diesen Rückstandsausweis und führte dazu aus, dass er den Erwerb der Liegenschaft mit der Anschrift *** in *** der Stadtgemeinde umgehend schriftlich angezeigt habe und seither seinerseits keine Abgabenrückstände angewachsen wären.
Am 11. August 2015 sei er persönlich um 10:00 Uhr in Begleitung seines Beraters im Rathaus gewesen und habe sein Mitteilungsschreiben über den Eigentümerwechsel betreffend die Liegenschaft abgegeben. In diesem Zusammenhang habe er sich auch erkundigt, ob es allfällige Zahlungsrückstände seitens des Voreigentümers gebe. Dazu habe er jedoch keine Auskunft erhalten. Die geringste Andeutung hätte ihm zum damaligen Zeitpunkt ermöglicht, den Zahlungsrückstand vom Voreigentümer einbringlich zu machen, was jetzt nicht mehr der Fall sei.
Sämtliche ausgewiesenen Rückstände resultierten aus der Zeit des Voreigentümers, teilweise sei auch bereits Einhebungsverjährung eingetreten.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde *** vom 21. Dezember 2020, Zl. ***, wurden die Einwendungen des Beschwerdeführers abgewiesen. Der Rückstandsausweis vom 23. Juli 2019 sei nachweislich zugestellt worden, die eingewendete Verjährung sei nicht eingetreten.
Die dagegen erhobene Berufung vom 21. Jänner 2021 wurde mit dem Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 17. Juni 2021, Zl. ***, unter Spruchpunkt 1.) als unbegründet abgewiesen. Durch den nachweislich zugestellten Rückstandsausweis vom 23. Juli 2019 sei ein Vollstreckungstitel geschaffen worden. Die auf dem Steuergegenstand selbst haftenden und nicht verjährten offenen Abgaben könnten gegen den jeweiligen Eigentümer durchgesetzt werden. Gemäß § 11 Grundsteuergesetz, § 30 NÖ Abfallwirtschaftsgesetz 1992 und § 10 NÖ Kanalgesetz 1977 wirkten die an Eigentümer von Grundstücken oder Baulichkeiten erlassenen Bescheide auch gegen alle späteren Eigentümer (dingliche Wirkung). Den Abgaben laut Rückstandsausweis lägen im vorliegenden Fall näher bezeichnete Abgabenbescheide zu Grunde. Durch diverse Mahnungen, Rückstandsausweise, Zahlungserleichterungen und Exekutionen gegenüber dem Voreigentümer sei die Verjährungsfrist zur Abgabeneinhebung jeweils unterbrochen worden.
Mit Schreiben vom 30. Juli 2021 brachte der Beschwerdeführer ein ausdrücklich als „Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht“ bezeichnetes Rechtsmittel „gegen den abweisenden Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 17.6.2021, GZ ***“, ein und begründete diese hinsichtlich des Spruchpunktes 1.) des angefochtenen Bescheides damit, dass er von all diesen im angefochtenen Bescheid angeführten Amtshandlungen keinerlei Kenntnis gehabt habe, weil diese ihm gegenüber nicht dokumentiert worden wären.
Die gegen den Spruchpunkt 1.) des Bescheides des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 17. Juni 2021, GZ ***, erhobene und dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich am 13. August 2021 zur Entscheidung vorgelegte Beschwerde wurde von diesem mit Erkenntnis vom 11. November 2021, Zl. LVwG-AV-1637/001-2021, als unbegründet abgewiesen.
Die im Rückstandsausweis vom 23. Juli 2019 ausgewiesenen Abgabenforderungen bestünden dem Grunde und der Höhe zu Recht. Es handle sich um offene, rechtmäßig bestehende (bescheidmäßig begründete) Zahlungspflichten des in Anspruch genommenen Schuldners. Der zur Exekution gebrachte Betrag sei in dieser Höhe offen bzw. die gegen den Rückstandsausweis eingebrachten Einwendungen nicht berechtigt, da den im Rückstandsausweis ausgewiesenen Forderungen durch dinglich wirkende Bescheide begründete, nicht verjährte Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Stadtgemeinde *** zugrunde lägen.
1.3. Nachsichtsantrag:
Mit Schreiben vom 22. Jänner 2021 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Nachsicht des gesamten Abgabenrückstandes gemäß § 236 BAO. Es liege eine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung vor.
Eine sachliche Unbilligkeit liege bei der Einhebung von Abgaben vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches in Widerspruch zu Äußerungen der zuständigen Abgabenbehörde stehe. Dieser Sachverhalt liege gegenständlich vor.
Anlässlich des Erwerbes der Liegenschaft *** sei der Beschwerdeführer am 11. August 2015 gegen 10:00 Uhr persönlich in Begleitung seines Beraters im Stadtamt vorstellig geworden. Er habe dabei die Mitteilung über den stattgefundenen Eigentumswechsel abgegeben. Aus diesem Anlass habe er sich auch über allfällige Abgabenrückstände des Voreigentümers erkundigt. Auf seine Anfrage habe er damals von der Abgabenbehörde weder mündlich anlässlich seiner Vorsprache noch schriftlich danach eine Mitteilung erhalten. Diese Nichtäußerung komme einer Äußerung, dass kein Rückstand bestehe, gleich, weshalb er zweifellos vom Nichtbestehen eines Abgabenrückstandes ausgehen habe können. Deshalb habe er nach einer angemessenen Äußerungsfrist am 1. September 2015 die Auszahlung des noch beim Treuhänder erliegenden Kaufpreises freigegeben.
Zumal er zum Zeitpunkt seiner Anfrage am 11. August 2015 noch über den gesamten Kaufpreis disponieren habe könne, hätte er gemäß der im Kaufvertrag normierten Gewährleistungszusage den Abgabenrückstand zur Gänze vom Kaufpreis einbehalten können. In weiterer Folge sei der Verkäufer in Konkurs gegangen und mittellos geworden. Er verfüge nur mehr über ein nicht pfändbares Einkommen aus Notstandshilfe von knapp € 900,-, sodass die Regressansprüche des Beschwerdeführers nicht mehr geltend gemacht werden könnten.
Es sei von der Behörde der Grundsatz von Treu und Glauben verletzt worden. Der Beschwerdeführer habe auf das Verhalten der Behörde vertraut, seine Dispositionen danach eingerichtet und als Folge davon einen abgabenrechtlichen Nachteil erlitten.
Sein Vertrauensschaden bzw. der nachsichtsrelevante Betrag ergebe sich als Differenz zwischen jener Abgabenschuld, die sich aus dem im Vertrauen auf die Auskunft gesetzten Verhalten ergibt und der Abgabenbelastung, die aus dem Verhalten resultiert wäre, das der Abgabenpflichtige gesetzt hätte, wenn ihm eine richtige Auskunft erteilt worden wäre. Dass trotz Anfrage die Abgabenschuld des Verkäufers nicht offengelegt worden sei, deren Begleichung aufgrund der Sachhaftung der Kaufliegenschaft 4 Jahre später vom Käufer und nunmehrigen Beschwerdeführer begehrt werde, stelle ein der Abgabenbehörde vorwerfbares Fehlverhalten dar. Dieses habe für den Beschwerdeführer zu einer für ihn nachteiligen Entscheidung, nämlich zur Freigabe der Auszahlung des ungekürzten Kaufpreises, geführt. Er beantrage daher die Abschreibung des gesamten Abgabenrückstandes, zumal die zwangsweise Einhebung aus den dargelegten Gründen unbillig wäre.
1.4. Entscheidung über den Nachsichtsantrag:
Dem Nachsichtsantrag vom 22. Jänner 2021 wurde mit dem Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 17. Juni 2021, Zl. ***, unter Spruchpunkt 2.) nicht stattgegeben.
Die Einhebung der Schulden des Voreigentümers stelle nach § 236 Abs. 1 BAO keine Unbilligkeit dar. Die Stadtgemeinde *** habe erwiesenermaßen versucht, die Abgabenrückstände beim Vorbesitzer einzubringen und den Beschwerdeführer innerhalb der Verjährungsfrist davon in Kenntnis gesetzt, dass die Einbringung beim Vorbesitzer erfolglos geblieben sei. Aus dem vom Beschwerdeführer mit dem Voreigentümer der Liegenschaft abgeschlossenen Kaufvertrag gehe hervor, dass der Verkäufer volle Gewähr dafür zu leisten habe, dass keine Rückstände an öffentlichen Abgaben bestehen. Aufgrund der dinglichen Wirkung von Bescheiden und der nicht verjährten offenen Abgaben liegt keine sachliche Unbilligkeit vor. Eine persönliche Unbilligkeit sei nicht vorgebracht worden.
1.5. Berufungsverfahren:
Gegen diesen Spruchpunkt 2.) des Bescheides des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 17. Juni 2021, GZ ***, wurde mit Schreiben vom 30. Juli 2021 das Rechtsmittel der Berufung erhoben.
Dem ausführlich begründeten Antrag vom 22. Jänner 2021 auf Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten des Rechtsvorgängers, von dem der Beschwerdeführer das Einfamilienhaus in ***, *** erworben habe, sei aufgrund einer völlig unzutreffenden Sichtweise, somit zu Unrecht, nicht stattgegeben worden. Die Abgabenbehörde habe durch die Nichtoffenlegung des Abgabenrückstandes zu einem Zeitpunkt, als der Rückstand beim Voreigentümer noch realisierbar gewesen wäre, ein durch nichts zu rechtfertigendes Fehlverhalten an den Tag gelegt. Dies sei lauf Judikatur wohl der klassische Fall für die Gewährung einer Nachsicht. Der Antrag vom 22. Jänner 2021, auf dessen Ausführungen verwiesen werde, werde voll aufrechterhalten und die Gewährung der Nachsicht des vollen Abgabenrückstandes in Höhe von € 5.417,59 gemäß § 236 BAO infolge sachlicher Unbilligkeit und Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben beantragt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 29. September 2021, GZ.: ***, wurde diese Berufung vom 30. Juli 2021 vom Gemeinderat der Stadtgemeinde *** als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung wiederholt bzw. wurde ausgeführt, dass eine sachliche Unbilligkeit nicht vorliege und eine persönliche Unbilligkeit nicht vorgebracht worden sei.
1.6. Beschwerde:
Mit Schreiben vom 29. Oktober 2021 brachte der Beschwerdeführer fristgerecht die nunmehr verfahrensgegenständliche Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht „gegen den abweisenden Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde *** vom 29.9.2021, GZ ***“, ein.
Im Wesentlichen wurden in der Beschwerde die Ausführungen des Nachsichtsantrages vom 22. Jänner 2021 bzw. der Berufung wiederholt und wurde auf diese Schriftsätze verwiesen.
Hinsichtlich des der Einhebung des gesamten vom Voreigentümer der Liegenschaft offenen Abgabenrückstandes vom Beschwerdeführer bestehe sachliche Unbilligkeit. Nach Abschluss des Kaufvertrages habe sich der Beschwerdeführer am 11. August 2015 persönlich nach Abgabenrückständen des Voreigentümers erkundigt, jedoch von der Abgabenbehörde keine Auskunft erhalten. Die Nichtäußerung komme einer Äußerung, dass kein Rückstand bestehe, gleich. Zu diesem Zeitpunkt hätte er im Hinblick auf die Gewährleistungszusage des Kaufvertrages den Zahlungsrückstand vom Voreigentümer noch einbringen können, was jetzt nicht mehr der Fall sei, da er beim Voreigentümer mangels Vermögen keinen Regress mehr nehmen könne.
Es sei der Grundsatz von Treu und Glauben verletzt worden. Der Beschwerdeführer habe auf das Verhalten der Behörde vertraut, seine Dispositionen danach eingerichtet und als Folge davon einen abgabenrechtlichen Nachteil erlitten.
Sein Vertrauensschaden bzw. der nachsichtsrelevante Betrag ergebe sich als Differenz zwischen jener Abgabenschuld, die sich aus dem im Vertrauen auf die Auskunft gesetzten Verhalten ergibt und der Abgabenbelastung, die aus dem Verhalten resultiert wäre, das der Abgabenpflichtige gesetzt hätte, wenn ihm eine richtige Auskunft erteilt worden wäre. Dass trotz Anfrage die Abgabenschuld des Verkäufers nicht offengelegt worden sei, deren Begleichung aufgrund der Sachhaftung der Kaufliegenschaft 4 Jahre später vom Käufer und nunmehrigen Beschwerdeführer begehrt werde, stelle ein der Abgabenbehörde vorwerfbares Fehlverhalten dar. Dieses habe für den Beschwerdeführer zu einer für ihn nachteiligen Entscheidung, nämlich zur Freigabe der Auszahlung des ungekürzten Kaufpreises, geführt. Er beantrage daher die Nachsicht des vollen Abgabenrückstandes in Höhe von € 5.417,59 gemäß § 236 BAO infolge sachlicher Unbilligkeit und Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben.
Mit Schreiben vom 10. November 2021 legte die Stadtgemeinde *** dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde sowie den bezughabenden Verwaltungsakt (samt der Sitzungsprotokolle der maßgeblichen Sitzungen des Stadtrates und des Gemeinderates) vor.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in diesen Akt der Stadtgemeinde *** sowie durch Einsichtnahme in das öffentliche Grundbuch.
1.7. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist grundbücherlicher Eigentümer der Liegenschaft mit der Anschrift ***, ***, auf der ein Wohngebäude errichtet ist. Diese Liegenschaft EZ ***, KG ***, wurde vom Beschwerdeführer mit Kaufvertrag vom 7. August 2015 erworben.
Die grundbücherliche Einverleibung seines Eigentumsrechtes erfolgte mit Beschluss des Bezirksgerichtes *** vom 2. September 2015, TZ ***.
Am 11. August 2015 erkundigte erschien der Beschwerdeführer persönlich beim Stadtamt der Stadtgemeinde ***, Abteilung Finanzen und meldete den Kauf der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft.
Entsprechend einem im vorgelegten Verwaltungsakt enthaltenen Aktenvermerk vom 11.08.2015 wurde ihm dabei die folgende Auskunft erteilt: „Da es bei diesem Objekt noch diverse offene Rückstände gibt, wurde Hr. A darüber informiert, dass wir weiterhin versuchen, diese bei Hrn. B einzutreiben. Sollte das (entgegen unserer Annahme) nicht gelingen, müsste dann jedoch, aufgrund der dinglichen Wirkung von Bescheiden der aushaftende Abgabenrückstand von ihm eingefordert werden.“
Seitens der Abgabenbehörde wird gegenüber dem Beschwerdeführer eine offene Abgabenforderung in Höhe von € 5.417,59 geltend gemacht. Die Forderung gründet sich auf gegenüber dem Voreigentümer erlassene, dinglich wirkende Bescheide.
1.8. Beweiswürdigung:
Im Wesentlichen ist der Sachverhalt als unstrittig zu beurteilen und ergibt sich dieser aus dem unbedenklichen Akteninhalt in Verbindung mit dem bekämpften Bescheid, sowie aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers, soweit dieses den Feststellungen der belangten Behörde nicht entgegentritt.
2. Anzuwendende Rechtsvorschriften:
2.1. Bundesabgabenordnung (BAO):
§ 1. (1) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden) sowie der auf Grund unmittelbar wirksamer Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu erhebenden öffentlichen Abgaben, in Angelegenheiten der Eingangs- und Ausgangsabgaben jedoch nur insoweit, als in den zollrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist, soweit diese Abgaben durch Abgabenbehörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden zu erheben sind.
§ 2a. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten sinngemäß in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, soweit sie im Verfahren vor der belangten Abgabenbehörde gelten. In solchen Verfahren ist das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nicht anzuwenden. …
§ 236. (1) Fällige Abgabenschuldigkeiten können auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
…
§ 288. (1) Besteht ein zweistufiger Instanzenzug für Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden, so gelten für das Berufungsverfahren die für Bescheidbeschwerden und für den Inhalt der Berufungsentscheidungen die für Beschwerdevorentscheidungen anzuwendenden Bestimmungen sinngemäß. Weiters sind die Beschwerden betreffenden Bestimmungen (insbesondere die §§ 76 Abs. 1 lit. d, 209a, 212 Abs. 4, 212a und 254) sowie § 93 Abs. 3 lit. b und Abs. 4 bis 6 sinngemäß anzuwenden.
…
§ 279. (1) Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
…
2.2. Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985:
§ 25a. (1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
…
(5) Die Revision ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.
3. Würdigung:
3.1. Zu Spruchpunkt 1:
Mit dem angefochtenen Bescheid hat der Gemeinderat der Stadtgemeinde *** die Abweisung eines Nachsichtsantrages vom 22. Jänner 20219 durch den Stadtrat bestätigt.
Beantragt wurde die Nachsicht einer seitens der Abgabenbehörde gegenüber dem Beschwerdeführer geltend gemachten offenen Abgabenforderung in Höhe von € 5.417,59. Die Forderung gründet sich auf gegenüber dem Voreigentümer erlassene, dinglich wirkende Bescheide.
Die Abschreibung von Abgabenschuldigkeiten durch Nachsicht setzt einen hierauf gerichteten Antrag voraus. Wegen der Antragsgebundenheit dieses Verwaltungsaktes darf eine Nachsicht nicht über den Antrag hinausgehen. Der Antrag ist nicht bloß ein Formalerfordernis, es muss ein begründeter Antrag sein. Jedenfalls sind nur die vom Antragsteller geltend gemachten Gründe zu prüfen. Selbst wenn der Behörde Umstände bekannt sind, die eine Nachsicht in Betracht ziehen lassen, hat sie diese Umstände nicht von Amts wegen aufzugreifen, wenn der Nachsichtswerber selbst nichts in dieser Richtung vorbringt (VwGH 92/13/0125).
Den Antragsteller trifft eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 90/14/0089, 96/14/0059, 97/14/0091). Er hat somit einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann (VwGH 2006/17/0289, 2010/15/0077, 2013/15/017 3, 2010/16/0219, 2013/16/0114). Im Nachsichtsverfahren ist es Sache des Nachsichtswerbers, im Sinne der ihn treffenden Mitwirkungspflicht einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann (VwGH 1160/70; 83/13/0040, 82/15/0124, Ra 2018/15/0014). Das Schwergewicht der Behauptungs-und Beweislast liegt beim Nachsichtswerber (95/13/0243, 95/15/0090, 2002/15/0155, 2009/15/0008).
Daher sind nur die vom Nachsichtswerbers geltend gemachten Gründe zu prüfen (VwGH 97/14/0013, 2006/16/0007, 2010/15/0077).
Eine Nachsicht nach § 236 BAO würde eine persönliche oder sachliche Unbilligkeit der Einhebung im Einzelfall voraussetzen. Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist unabdingbare Voraussetzung für die Gewährung einer Abgabennachsicht. Erst wenn diese Unbilligkeit feststeht, kommt das der Abgabenbehörde in § 236 Abs. 1 BAO eingeräumte Ermessen zum Zug (VwGH 85/14/0029).
Vom Beschwerdeführer wurde vorgebracht, dass die Einhebung der Schulden des Voreigentümers bei ihm sachlich unbillig wäre.
Die Abgabenbehörde habe ihm nach Abschluss des Kaufvertrages am
7. August 2015 auf seine Anfrage vom 11. August 2015 keine Auskunft über offene Abgabenschulden des Voreigentümers gegeben. Dies sei einer unrichtigen Auskunft gleichzusetzen. Die Abgabenbehörde habe dadurch den Grundsatz von Treu und Glauben verletzt.
Nur aufgrund dieses Vorbringens ist das Vorliegen von Nachsichtsvoraussetzungen zu prüfen. Es ist daher für den gegenständlichen Fall das Vorliegen der behaupteten sachlichen Unbilligkeit wegen behaupteter Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben zu prüfen.
Eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben ist an sich geeignet, eine Unbilligkeit der Einhebung von Ansprüchen des Abgabengläubigers nach sich zu ziehen (VwGH 98/13/0101, 2007/15/0082).
Treu und Glauben ist eine allgemeine, ungeschriebene Rechtsmaxime, die auch im öffentlichen Recht, somit auch im Steuerrecht zu beachten ist. Dies bedeutet, dass jeder, der am Rechtsleben teilnimmt, zu seinem Wort und zu seinem Verhalten zu stehen hat und sich nicht ohne triftigen Grund in Widerspruch zu dem setzen darf, was er früher vertreten hat und worauf andere vertraut haben (VwGH 89/16/0151, 87/14/0091, 90/13/0009).
Das im Art 18 Abs. 1 B-VG normierte Legalitätsprinzip ist stärker als der Grundsatz von "Treu und Glauben"; der Grundsatz von Treu und Glauben ist in seiner Anwendung durch das Legalitätsprinzip beschränkt, die Anwendung ist nur dann möglich, wenn gesetzliche Vorschriften hiefür einen freien Raum lassen (VwGH 527/69, 84/15/0047, 89/16/0218, 93/15/0119, 98/15/0158).
Der Grundsatz von Treu und Glauben kann daher der Anwendung zwingender Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen (VwGH 1289/77, 1683/80).
Der Grundsatz von Treu und Glauben kann sich aber etwa in jenem Bereich auswirken, in welchem es auf Fragen der Billigkeit ankommt (VwGH 83/16/0040, 83/16/0043, 91/17/0170).
Ein Verstoß der Abgabenbehörden gegen den Grundsatz von Treu und Glauben kann eine Unbilligkeit iSd § 236 Abs. 1 BAO begründen (VwGH 84/15/0041).
Eine sachliche Unbilligkeit kann vorliegen, wenn der Abgabepflichtige aus einem Verhalten, das er im Hinblick auf eine falsche Auskunft der Abgabenbehörde gesetzt hat, einen finanziellen Schaden erleidet. In diesem Fall kommt gegebenenfalls eine Nachsicht im Umfang des erlittenen Vertrauensschadens in Betracht, das ist die Differenz zwischen gesetzmäßiger Steuerschuld und derjenigen Steuerbelastung, die aus dem Verhalten resultiert wäre, das der Abgabepflichtige gesetzt hätte, wäre ihm die richtige Auskunft erteilt worden.
Unrichtige Auskünfte im Einzelfall können Treu und Glauben verletzen und eine Unbilligkeit nach Lage des Falles und die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten zur Folge haben (VwGH 81/15/0120, 87/14/0091, 91/17/0170, 2000/15/0196, 2007/15/0082). Dies setzt allerdings zunächst ein unrichtiges Verhalten der Behörde voraus, auf das der Abgabepflichtige vertraute (VwGH 87/14/0079, 86/14/0068, 91/15/0105).
Nun steht fest, dass dem Beschwerdeführer am 11. August 2015 auf seine Anfrage nach allfälligen, die Liegenschaft *** betreffenden, offenen Abgabenforderungen der Gemeinde seitens der Abgabenbehörde keine Auskunft erteilt wurde. Insbesondere wurde auch keine schriftliche Auskunft erteilt. Entgegen dem Beschwerdevorbringen entspricht dies nicht einer Auskunft, dass kein Abgabenrückstand bestehe. Eine unrichtige Auskunft wurde jedenfalls nicht erteilt.
Vielmehr war die Abgabenbehörde am 11. August 2015 auch gar nicht berechtigt, dem Beschwerdeführer die von ihm gewünschte Auskunft zu erteilen.
Auskünfte dürfen nämlich nur erteilt werden, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht der Erteilung nicht entgegensteht (vgl. § 1 Abs. 1 letzter Halbsatz Auskunftspflichtgesetz). Solche von der Abgabenbehörde zu beachtenden Verschwiegenheitspflichten sind die Amtsverschwiegenheit (Art. 20 Abs. 3 B-VG) und die abgabenrechtliche Geheimhaltungspflicht (§ 48a BAO).
Im Zusammenhang mit der Durchführung von Abgabenverfahren besteht die Verpflichtung zur abgabenrechtlichen Geheimhaltung. Verboten ist die Offenbarung von geheim zu haltenden Tatsachen an Dritte, d.h. vom Abgabepflichtigen verschiedene Personen.
Auskünfte, wie die vom Beschwerdeführer am 11. August 2015 begehrte Auskunft, dürfen von einer Abgabenbehörde ausschließlich dem jeweiligen Abgabepflichtigen erteilt werden. Abgabepflichtiger und Zahlungspflichtiger der gegenständlichen offenen Abgabenrückstände war in allen Fällen der Eigentümer der betroffenen Liegenschaft bzw. der Voreigentümer und Verkäufer als Adressat der jeweiligen Abgabenbescheide.
Gemäß § 4 Allgemeines Grundbuchsgesetz 1955 wird die Erwerbung, Übertragung, Beschränkung und Aufhebung der bücherlichen Rechte (das sind dingliche Rechte an Liegenschaften wie z.B. das Eigentumsrecht an einer Liegenschaft) nur durch ihre Eintragung in das Grundbuch bewirkt.
Dieser Eintragungsgrundsatz (Intabulationsprinzip) hat zur Folge, dass Eigentümer einer Liegenschaft grundsätzlich nur derjenige ist, dessen Eigentumsrecht im Grundbuch einverleibt (intabuliert) ist.
Die Übertragung des Eigentumsrechtes ob der gegenständlichen Liegenschaft auf den Beschwerdeführer wurde mit Kaufvertrag vom 7. August 2015 vereinbart. Übertragen wurde ihm das Eigentumsrecht erst durch die Intabulation (Einverleibung) mit Beschluss des Bezirksgerichtes *** vom 2. September 2015, TZ ***.
Dementsprechend war der Beschwerdeführer auch am 11. August 2015 noch nicht bücherlicher Eigentümer der gegenständlichen Liegenschaft und auch nicht Abgabepflichtiger. Die Abgabenbehörde hätte ihm die gewünschte Auskunft zu diesem Zeitpunkt nicht erteilen dürfen. Zu Recht wurde ihm daher diese Auskunft auch nicht erteilt.
Vielmehr hätte der Beschwerdeführer die gewünschten Informationen zu diesem Zeitpunkt ausschließlich vom Verkäufer der Liegenschaft einholen können. Die Disposition zur Überweisung der gesamten Kaufsumme und der daraus entstandene behauptete Vertrauensschaden des Beschwerdeführers wurden dementsprechend allenfalls vom Voreigentümer verursacht.
Eine Auskunft, auf welche der Beschwerdeführer sein Vertrauen zu Recht stützen hätte können, durfte von der Abgabenbehörde nicht erteilt werden, weshalb eine Verletzung von Treu und Glauben durch die Abgabenbehörde aus diesem Grund auch gar nicht möglich war.
Die Unkenntnis des Beschwerdeführers über die offenen Abgabenforderungen der Gemeinde, nach welcher er seinem Vorbringen entsprechend seine Dispositionen eingerichtet und als Folge einen (abgabenrechtlichen) Nachteil erlitten habe, war dementsprechend nicht von der Behörde herbeigeführt, welche ihm diese Auskunft vor Verbücherung seines Eigentumsrechtes gar nicht geben durfte, sondern vom Verkäufer der Liegenschaft, welcher im Rahmen seiner (vor)vertraglichen Aufklärungspflicht verpflichtet gewesen wäre, den Käufer über diese Abgabenforderungen zu unterrichten.
Ein unrichtiges Verhalten der Abgabenbehörde konnte dementsprechend nicht festgestellt werden. Ein Verstoß der Abgabenbehörde gegen den Grundsatz von Treu und Glauben kann jedenfalls nicht erkannt werden.
Eine sachliche Unbilligkeit liegt nicht vor, wenn die Abgabeneinhebung ganz allgemein die Auswirkung genereller Normen ist (VwGH 93/15/0072, 96/15/0154, 99/16/0099, 2003/17/0253, 2004/16/0151, 2013/17/0298).
Das zivilrechtliche Risiko der faktischen Unmöglichkeit eines Forderungsregresses beim Voreigentümer begründet jedenfalls keine sachliche Unbilligkeit, vielmehr führt gerade ein solcher Zahlungsausfall des Voreigentümers typischerweise erst zur vom Gesetz angeordneten Inanspruchnahme des späteren Eigentümers aufgrund dinglich wirkender Bescheide. Die Geltendmachung von Abgabenforderungen bzw. Zahlungsverpflichtungen aus dinglich wirkenden Bescheiden ist unmittelbare Auswirkung der gesetzlichen Anordnung der dinglichen Bescheidwirkung und stellt damit ein vom Gesetzgeber ganz offenbar beabsichtigtes Ergebnis dar.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden
Diese Entscheidung konnte gemäß § 274 Abs.1 BAO unter Entfall der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde vom Beschwerdeführer nicht beantragt. Auch aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ist ersichtlich, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.
3.2. Zu Spruchpunkt 2 - Unzulässigkeit der Revision:
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da der als erwiesen angenommene Sachverhalt und die in diesem Verfahren anzuwendenden Rechtsvorschriften eindeutig sind und im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis weder von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht noch eine solche Rechtsprechung fehlt und die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch einheitlich beantwortet wird. Im Hinblick auf die obigen Ausführungen (siehe 3.1.) liegen keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.
Schlagworte
Finanzrecht; Abgabenschuld; Nachsichtsantrag; Unbilligkeit; dingliche Wirkung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.AV.1967.001.2021Zuletzt aktualisiert am
04.04.2022