TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/3 Ra 2020/18/0256

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Veröffentlicht am 03.03.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §6 Abs1 Z3
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Mai 2020, W147 1306574-2/40E, betreffend eine Asylangelegenheit (Mitbeteiligter: Z G, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 21), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte ist ein russischer Staatsangehöriger, dem mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 16. Dezember 2009 Asyl gewährt worden ist.

2        Mit Bescheid vom 2. November 2017 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und stellte fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Gleichzeitig erkannte das BFA dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und verhängte ein (unbefristetes) Einreiseverbot.

3        Begründend führte das BFA - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - aus, der Mitbeteiligte sei Gründungsmitglied und Obmann des 2014 geschlossenen islamischen Glaubensvereines „T“ gewesen. Bei diesem Verein habe es sich um eine radikal-salafistische Moscheegemeinschaft gehandelt. Deren ehemaliger Imam sei mittlerweile mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 14. März 2016 rechtskräftig unter anderem wegen § 278b Abs. 2 StGB (Beteiligung als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung) und § 278a StGB (Beteiligung als Mitglied an einer kriminellen Organisation) zu einer mehrjährigen unbedingten Haftstrafe verurteilt worden. In den Räumen der T-Moschee seien junge Tschetschenen der Moscheegemeinschaft mit salafistischen Ideologien mit dem Ziel radikalisiert worden, dass sich diese in die Gebiete des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) nach Syrien bzw. den Nordirak begeben sollten, um sich dort dem bewaffneten Jihad anzuschließen. Mittlerweile seien weitere Personen aus dem „inneren Kreis“ dieser Moschee wegen einschlägiger Verbrechen rechtskräftig verurteilt worden. Zahlreiche namentlich bekannte Tschetschenen aus dieser Moscheegemeinschaft hätten zudem bereits den Entschluss gefasst, nach Syrien zu gehen, und diesen Entschluss auch umgesetzt. Diese Personen seien dem Mitbeteiligten persönlich bekannt. Nach der Schließung des islamischen Glaubensvereins „T“ im Jahr 2014 sei das „D Center - Tschetschenischer Kulturverein“ als Nachfolgeverein eröffnet worden. Dabei handle es sich ebenfalls um einen radikal-salafistischen Moscheeverein. Der Mitbeteiligte sei wiederum als Obmann tätig.

4        Die theologische und ideologische Ausrichtung des radikalen Salafismus sei - so das BFA weiter - weder mit den rechtsstaatlichen Normen der Republik Österreich noch deren allgemeinen Grundwerten vereinbar. Die salafistische Ideologie des Mitbeteiligten richte sich sowohl ablehnend gegen die demokratische Grundordnung und die verfassungsmäßigen Institutionen, als auch gegen den religiösen Pluralismus und westliche Grundwerte wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Entsprechend der salafistischen Lehre könne eine (vom Menschen geschaffene) demokratisch erzeugte Rechtsordnung per se keinen Anspruch auf unmittelbare Geltung erheben.

5        Der Mitbeteiligte habe die Verbreitung dieser staatsfeindlichen Grundhaltung insofern führend unterstützt, als er als Obmann in leitender Funktion der T-Moschee tätig gewesen sei bzw. des Moscheevereins „D-Center“ nach wie vor fungiere. Der Mitbeteiligte habe es als Obmann der genannten Vereine ermöglicht und gefördert, dass junge Moscheebesucher insbesondere aus der tschetschenischen Diaspora mit dieser salafistischen, staatsgefährdenden und auch jihadistischen Ideologie indoktriniert worden seien. Der Mitbeteiligte sei somit führendes Mitglied einer Organisation, die staatsfeindliche Propaganda betreibe und die mit terroristischen Aktivitäten bzw. der Förderung solcher in Form der Anwerbung von Kämpfern für die Terrororganisationen „Jabhat al Nusra“ (Al-Nusra-Front) und „IS“ unmittelbar in Verbindung stehe. Der Mitbeteiligte stelle daher eine schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar, weshalb ihm der Asylstatus abzuerkennen sei. Gegen ihn sei auch ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts nach § 282a StGB („Aufforderung zu terroristischen Straftaten und Gutheißung terroristischer Straftaten“) eingeleitet worden.

6        Mit Erkenntnis vom 24. Juli 2018 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den Aberkennungsbescheid des BFA vom 2. November 2017 statt und hob diesen Bescheid ersatzlos auf.

7        Der Amtsrevision des BFA gegen diese Entscheidung gab der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 4. April 2019, Ro 2018/01/0014, Folge und hob das Erkenntnis des BVwG vom 24. Juli 2018 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

8        Zusammengefasst führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass der fallbezogen in Rede stehende Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 keine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des asylberechtigten Fremden bzw. die Verwirklichung eines gerichtlichen Straftatbestandes durch ihn erfordere. Entscheidend seien vielmehr stichhaltige Gründe für die Annahme, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle. Die Gefährdungsprognose sei vom BFA bzw. im Beschwerdeverfahren vom BVwG eigenständig aus dem Blickwinkel des Asylrechts vorzunehmen. Dabei habe die Asylbehörde (bzw. das BVwG im Beschwerdeverfahren) konkrete Feststellungen zum Gesamtverhalten des Fremden zu treffen und dieses im Hinblick auf eine allfällige Gefährdung der Sicherheit der Republik Österreich zu beurteilen. Dem stehe der Umstand, dass strafgerichtliche Ermittlungen gegen den Fremden bisher zu keiner Anklage geführt hätten, ebenso wenig entgegen wie eine allfällige Einstellung eines gerichtlichen Strafverfahrens, weil dies für die Asylbehörde im Aberkennungsverfahren keine Bindungswirkung für die Beurteilung der Gefährlichkeit eines asylberechtigten Fremden für die Sicherheit der Republik Österreich entfalte. Entgegen der Rechtsansicht des BVwG habe das BFA im gegenständlichen Verfahren Feststellungen zum Verhalten des Mitbeteiligten als Obmann zweier Moscheevereine und zu seiner Verbindung zu den wegen Beteiligung als Mitglieder an einer terroristischen Vereinigung bzw. kriminellen Organisation rechtskräftig verurteilten Vereinsmitgliedern getroffen und darauf seine Gefährdungsprognose gestützt. Demgegenüber habe das BVwG (aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht) der Beschwerde des Mitbeteiligten stattgegeben und den Aberkennungsbescheid ersatzlos behoben, ohne eigene Feststellungen zum Gesamtverhalten des Mitbeteiligten zu treffen und eine eigenständige Gefährdungsprognose vorzunehmen, wodurch es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet habe.

9        Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das BVwG der Beschwerde des Mitbeteiligten neuerlich statt und behob den Aberkennungsbescheid des BFA vom 2. November 2017 ersatzlos. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

10       Zum (maßgeblichen) Sachverhalt stellte das BVwG im Wesentlichen nur fest, der Mitbeteiligte sei von 8. Februar 2015 bis zum 13. August 2016 Obmann eines näher bezeichneten tschetschenischen Kulturvereines gewesen. Dieser Verein sei mit 13. August 2016 rechtskräftig aufgelöst worden. Seitdem habe der Mitbeteiligte keine in einem Vereinsregister geführte Vereinsfunktion inne. Er sei im April und Juli 2017 dreimal durch das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Steiermark (LVT) als Beschuldigter einvernommen worden. Von 4. Dezember 2018 bis 30. Juni 2019 sei er geringfügig beschäftigt und vom 1. Juli 2019 bis zum 3. September 2019 als Arbeiter bei einer Personaldienstleistungs-GmbH angemeldet gewesen; er sei strafrechtlich unbescholten und befinde sich im österreichischen Bundesgebiet.

11       In seiner „Beweiswürdigung“ führte das BVwG aus, der persönliche Eindruck des Mitbeteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 17. September 2019 spreche nicht für den Anschein einer potentiell konkreten Gefährdung der Sicherheit der Republik Österreich. Aus seinen - näher dargestellten - Aussagen könne nicht geschlossen werden, dass er sich generell gegen die in Österreich geltenden (westlichen) Grundwerte, die demokratische Grundordnung und die rechtsstaatlichen Normen wende. Die Annahme einer per se staatsfeindlichen Grundhaltung sei den Ausführungen des Mitbeteiligten nicht zu entnehmen. Diese Ansicht werde dadurch untermauert, dass eine strafrechtliche Verurteilung wegen eines Naheverhältnisses zu terroristischen oder extremistischen Gruppierungen offensichtlich nicht vorliege. In Zusammenschau des persönlichen Eindrucks des Mitbeteiligten in der mündlichen Verhandlung und des gewonnenen Gesamtbildes sowie des nicht weiter gegen ihn fortgeschrittenen Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft oder des LVT stelle der Mitbeteiligte zum Entscheidungszeitpunkt keine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar.

12       Dagegen wendet sich die vorliegende Amtsrevision, die u.a. geltend macht, das BVwG habe seine Gefährdungsprognose nicht nachvollziehbar dargelegt. Es habe sich mit den Argumenten des BFA im Aberkennungsbescheid nicht adäquat auseinandergesetzt und nicht hinreichend begründet, warum es diesen nicht folge. Dazu verweist die Amtsrevision nochmals auf die nähere Begründung des Aberkennungsbescheides und insbesondere auf die Einschätzung des LVT, wonach es sich bei Behauptungen des Mitbeteiligten, seine leitende Funktion in der radikal-salafistischen Moschee zurückgelegt zu haben, um eine bloße Schutzbehauptung handle, um einer Aberkennung des Asylstatus entgegenzuwirken.

13       Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der er die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung der Amtsrevision beantragt und in der Sache darauf verweist, dass sich das BVwG einen persönlichen Eindruck von seiner Person in der mündlichen Verhandlung gemacht habe, dem besondere Bedeutung zukomme.

14       Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

15       Die Revision ist zulässig und begründet.

16       Das BVwG hat im fortgesetzten Verfahren die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis vom 4. April 2019, Ro 2018/01/0014, eingeforderten konkreten Feststellungen zum Gesamtverhalten des Mitbeteiligten, die der Gefährdungsprognose (für die Sicherheit der Republik Österreich) im Sinne des § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 zu Grunde zu legen sind, neuerlich nicht getroffen.

17       Es hat außerdem der Tatsache, dass der Mitbeteiligte bislang nicht strafrechtlich verurteilt worden sei, (zumindest beweiswürdigend) entscheidende Bedeutung beigemessen, obwohl vom Verwaltungsgerichtshof im ersten Rechtsgang ausführlich dargestellt worden ist, dass dieser Umstand das BVwG im Aberkennungsverfahren nicht von einer eigenständigen Beurteilung der Gefährlichkeit des Mitbeteiligten entbindet.

18       Im Übrigen hat es sich in seiner Beweiswürdigung nur auf den persönlichen Eindruck gestützt, den der entscheidende Richter in der mündlichen Verhandlung aufgrund der Antworten des Mitbeteiligten auf allgemein gehaltene Fragen zu seiner religiösen und politischen Einstellung gewonnen habe, ohne sich auch mit den gegenteiligen Argumenten, wie sie im angefochtenen Bescheid des BFA und in den Stellungnahmen des LVT zum Ausdruck gebracht werden, auseinanderzusetzen. Der Verwaltungsgerichtshof hat demgegenüber bereits erkannt, dass das BVwG, wenn es von der Entscheidung des BFA abgehen will, gehalten ist, auf die beweiswürdigenden Argumente des BFA einzugehen und nachvollziehbar zu begründen, aus welchen Gründen es zu einer anderen Entscheidung kommt (vgl. etwa VwGH 25.9.2018, Ra 2017/01/0203).

19       Wenn das BVwG ausführt, die Antworten des Mitbeteiligten in der mündlichen Verhandlung sprächen „nicht für den Anschein einer potentiell konkreten Gefährdung der Sicherheit der Republik Österreich“, legt es außerdem einen rechtlich unrichtigen Prüfmaßstab zugrunde. Entscheidend ist nämlich nicht etwa der „Anschein“ einer potentiell konkreten Gefahr, sondern, ob stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt.

20       Das angefochtene Erkenntnis war daher (vorrangig) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

21       Der Vollständigkeit halber ist hinzuzufügen, dass im zweiten Rechtsgang - neben dem angefochtenen Erkenntnis - offensichtlich irrtümlich die abermalige Zustellung einer Ausfertigung des verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses aus dem ersten Rechtsgang (versehen mit einer Amtssignatur vom 26. Mai 2020) erfolgte; die dagegen gerichtete Amtsrevision hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mit Beschluss vom 3. Dezember 2020, Ro 2020/18/0004, zurückgewiesen.

Wien, am 3. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020180256.L00

Im RIS seit

04.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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