TE Vwgh Beschluss 2022/3/3 Ra 2020/18/0254

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Veröffentlicht am 03.03.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/18/0255

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision von 1. T M und 2. Y M, beide vertreten durch Mag. Thomas Payer, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Paris-Lodron-Straße 5, als bestellter Verfahrenshelfer, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Mai 2020, 1. W220 2217704-1/5E und 2. W220 2223097-1/6E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Erstrevisionswerberin, eine Staatsangehörige von Nepal, stellte am 28. Februar 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie damit begründete, sie sei nach Europa gekommen, um ihren Freund aus Nepal, der schon seit ca. 6 Jahren hier sei, zu finden. Sie sei vor der Ausreise des Freundes nach Europa bereits von diesem schwanger gewesen, es sei allerdings zu einer Fehlgeburt gekommen. Ihr Vater sei böse gewesen, weil der Freund ein Verwandter (Onkel) sei.

2        Der Zweitrevisionswerber ist der Sohn der Erstrevisionswerberin und ihres in Österreich wiedergefundenen Freundes bzw. nunmehrigen Lebensgefährten. Nach der Geburt des Zweitrevisionswerbers am 13. Mai 2019 stellte die Erstrevisionswerberin für ihn ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz.

3        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diese Anträge mit Bescheiden vom 7. März 2019 bzw. 5. Juli 2019 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Statuts von Asylberechtigten, als auch hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nepal zulässig sei, und setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise.

4        Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) gab mit dem angefochtenen Erkenntnis - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - den Beschwerden nur insoweit statt, als es für die freiwillige Ausreise eine Frist von drei Monaten festsetzte; im Übrigen wies es die Beschwerden als unbegründet ab. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

5        Das BVwG stellte insbesondere fest, die Erstrevisionswerberin sei in Indien geboren worden und habe dort einen großen Teil ihres Lebens verbracht, sei jedoch auch regelmäßig zwischen Indien und Nepal „gependelt“. Vor ihrer Reise nach Europa habe sie zuletzt rund vier bis fünf Jahre in einem Hotel in Nepal gearbeitet. Sie habe Familienangehörige in Nepal und in Indien. Gegen den Lebensgefährten der Erstrevisionswerberin und Vater des Zweitrevisionswerbers bestehe bereits eine aufrechte Rückkehrentscheidung in Bezug auf Nepal; ein Antrag des Zweitrevisionswerbers auf einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 sei mit Bescheid des BFA zurückgewiesen worden und das Verfahren über eine dagegen gerichtete Beschwerde beim BVwG anhängig. Die Erstrevisionswerberin sei in Nepal nicht bedroht worden; im Fall einer Rückkehr wären die revisionswerbenden Parteien keiner wie immer gearteten Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt.

6        Beweiswürdigend hielt das BVwG fest, der Vater der Erstbeschwerdeführerin habe, nachdem er erfahren hätte, dass sie von ihrem Onkel schwanger sei, den Aussagen der Erstbeschwerdeführerin zufolge lediglich mit ihr geschimpft, ihr aber nichts getan. Außerdem habe sie selbst ausgesagt, sie habe nach diesen Vorfällen bis zu ihrer Reise nach Europa noch vier bis fünf Jahre unbehelligt in einem Hotel gearbeitet. Nach den Länderberichten könne es in Nepal für alleinstehende und -erziehende Frauen zwar zu Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen kommen, es ergebe sich aus diesen jedoch keine generelle Verfolgungsgefahr; außerdem sei die Erstrevisionswerberin nicht alleinstehend, sondern in einer Lebensgemeinschaft mit dem Vater des Zweitrevisionswerbers. Den revisionswerbenden Parteien sei eine Rückkehr nach Nepal im Familienverband mit dem Vater des Zweitrevisionswerbers möglich.

7        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die nicht zulässig ist.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit ausschließlich vor, das BVwG habe entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen, und führt dazu Folgendes aus:

12       Die Erstrevisionswerberin habe nach dem Protokoll der Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes ausgesagt, sie habe „vier bis fünf Jahre in Nepal in einem Hotel gearbeitet ..., bevor sie das Land in Richtung Europa verlassen“ habe. In diesem Zusammenhang sei jedoch ein „Widerspruch im Akt aufzulösen“. Die Erstrevisionswerberin habe nämlich ein Jahr später während der Einvernahme vor dem BFA ausgesagt, dass sie „in den letzten vier bis fünf Jahren vor ihrer Einreise nach Österreich in Indien gelebt habe“. Dass die Erstrevisionswerberin zuletzt in Indien und nicht - wie auch vom BVwG festgestellt - in Nepal in einem Hotel gearbeitet habe, werde auch durch ihre weitere Aussage während der Einvernahme vor dem BFA untermauert, dass sie „vor einem Jahr letztmalig Indien verlassen habe“. Auch in der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA habe die Erstrevisionswerberin vorgebracht, dass sie zuletzt mehrere Jahre in einem Hotel in Indien gearbeitet habe. Bei der Erstbefragung habe die Erstrevisionswerberin den Dolmetsch nicht gut verstehen können, sodass davon auszugehen sei, dass ihre Aussage missverstanden und falsch protokolliert worden sei. Der Sachverhalt sei aus der Aktenlage definitiv noch nicht annähernd geklärt gewesen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG jedenfalls erforderlich, wenn die Feststellungen des BFA zu ergänzen seien. Hätte das BVwG eine mündliche Verhandlung durchgeführt, hätte es die „falsche Sachverhaltsannahme des BFA“ aufdecken können, was „für die Causa von immenser Bedeutung und entscheidungsrelevant gewesen wäre“.

13       Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. zuletzt etwa VwGH 3.12.2021, Ra 2020/18/0028, und grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018).

14       Die Revision dürfte mit ihrem oben wiedergegebenen Vorbringen den Vorwurf erheben, das BVwG habe verkannt, dass der Sachverhalt vom BFA nicht in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren bzw. nicht vollständig erhoben und in der Beschwerde bestritten worden sei, und deshalb zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen. Als strittig bezeichnet die Revision allerdings ausschließlich die Frage, ob die Erstrevisionswerberin vor ihrer Reise nach Europa zuletzt in einem Hotel in Nepal (wie vom BVwG festgestellt) oder in Indien (wie offenbar die Revision meint) gearbeitet hat. Dass diese Sachverhaltsfrage für die Entscheidung über den Antrag der revisionswerbenden Parteien auf internationalen Schutz oder die anderen Aussprüche des BVwG von Bedeutung war, legt die Revision nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. Die Revision zeigt daher nicht auf, dass die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der mündlichen Verhandlung im Sinne der oben angeführten höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht gegeben waren. Es gelingt ihr somit nicht, eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht darzutun.

15       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 3. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020180254.L00

Im RIS seit

04.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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