TE Vwgh Beschluss 2022/3/7 Ra 2021/14/0385

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Veröffentlicht am 07.03.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. I. Zehetner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des A B, vertreten durch Mag. Peter M. Wolf, Rechtsanwalt in 2340 Mödling, Bahnhofplatz 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. August 2021, L506 2185950-1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Iran, stellte am 24. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005, den er im Wesentlichen damit begründete, dass es im Iran keine Arbeit und keine Freiheiten gebe. Im Laufe des behördlichen Verfahrens brachte er zudem vor, zum Christentum konvertiert zu sein.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 8. Jänner 2018 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei, und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 11. August 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - aus, dass nicht von einer Konversion des Revisionswerbers im Sinne einer inneren, tatsächlichen Hinwendung zum Christentum ausgegangen werden könne. Es bestehe keine aktuelle Gefahr einer Verfolgung des Revisionswerbers aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung erscheine nicht unverhältnismäßig.

5        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 5. Oktober 2021, E 3623/2021-5, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, dass die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Abwägung den Anforderungen an die Prüfung, ob ein Religionswechsel bzw. eine Konversion auf einer tatsächlich bestehenden inneren Überzeugung beruhe, nicht näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entspreche. Näher bezeichnete Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in diesem Zusammenhang seien in sich widersprüchlich. Damit wendet sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der vom Revisionswerber vorgebrachten Konversion zum christlichen Glauben.

Damit wird die Zulässigkeit der Revision nicht aufgezeigt:

10       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung der vorliegenden Beweismittel, etwa von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten, zu ermitteln ist. In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist nicht entscheidend, ob der Religionswechsel durch die Taufe erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. VwGH 5.3.2021, Ra 2021/14/0038, mwN).

11       Weiters entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 8.7.2021, Ra 2021/20/0224, mwN).

12       Im vorliegenden Fall führte das Bundesverwaltungsgericht eine Verhandlung durch, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffte und ihn zu Inhalten des christlichen Glaubens und der Bibel sowie zum Praktizieren seines Glaubens und zu diesbezüglichen persönlichen Eindrücken befragte. Weiters wurde der den Revisionswerber betreuende Pfarrer als Zeuge vernommen. Das Bundesverwaltungsgericht gelangte auf dieser Grundlage mit ausführlicher Begründung zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass nicht von einer tatsächlichen, ernsthaften Konversion des Revisionswerbers ausgegangen werden könne. Der Revision, die nur einzelne Aspekte der umfangreichen beweiswürdigenden Erwägungen anspricht, gelingt es nicht darzulegen, dass die Beweiswürdigung insgesamt fallbezogen unvertretbar wäre.

13       Soweit die Revision die unterlassene Einvernahme der Schwester des Revisionswerbers rügt, ist zunächst festzuhalten, dass nicht behauptet wird, der Revisionswerber habe eine solche Einvernahme im Verfahren beantragt. Die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung dar (vgl. VwGH 31.8.2021, Ra 2020/14/0061, mwN). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 30.11.2021, Ra 2021/20/0350, mwN).

14       Das Bundesverwaltungsgericht hat das Vorliegen der vom Revisionswerber behaupteten Konversion in vertretbarer Weise verneint. Ausgehend davon sind Gründe dafür, dass die von der Revision gerügte unterbliebene Einvernahme einer Zeugin nach Lage des vorliegenden Falles einen krassen, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden und daher eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfenden Verfahrensfehler darstellen könnte, nicht ersichtlich.

15       Darüber hinaus ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach im Fall einer unterbliebenen Vernehmung - um die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers darzulegen - in der Revision konkret darzulegen ist, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung hätte aussagen können und welche anderen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. VwGH 27.6.2019, Ra 2019/14/0085, mwN). Diesen Anforderungen kommt die Revision mit ihrem pauschalen und nicht näher konkretisierten Vorbringen nicht nach.

16       Das vorhin Gesagte gilt auch hinsichtlich des Vorbringens zur unterlassenen Einvernahme der Schwester in Bezug auf die aufenthaltsbeendende Maßnahme.

17       Die Revision macht weiters geltend, dass einer Konversion Asylrelevanz zukomme, geht dabei allerdings nicht von den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts aus, das eine Konversion des Revisionswerbers im Sinne obgenannter Kriterien verneint hat. Schon deshalb wird mit diesem Vorbringen keine auf den gegenständlichen Fall bezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dargetan.

18       Soweit die Revision eine mangelhafte Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts zu der Frage, ob ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne des Art. 8 EMRK zwischen dem Revisionswerber und seiner Schwester bestehe, rügt, ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, nach der eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 7.7.2021, Ra 2021/14/0167, mwN). Es kommt daher darauf an, ob die vom Bundesverwaltungsgericht nach § 9 BFA-VG vorgenommene Interessenabwägung im Ergebnis vertretbar war und keinen maßgeblichen Begründungsmangel erkennen lässt; trifft dies zu, so liegt nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor (vgl. VwGH 20.10.2021, Ra 2021/14/0283, mwN).

19       Ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK ein Familienleben vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jeweils von den konkreten Umständen ab, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. wiederum VwGH Ra 2021/14/0283, mwN).

20       Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte im Rahmen der Interessenabwägung die Beziehung des Revisionswerbers zu seiner Schwester, das Leben im gemeinsamen Haushalt sowie deren gutes Verhältnis, kam jedoch vertretbar zum Ergebnis, dass es sich um kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis, welches über eine herkömmliche Beziehung zwischen erwachsenen Geschwistern hinausgehe, handle. Dass die fallbezogene Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Rückkehrentscheidung keinen unzulässigen Eingriff in das Recht des Revisionswerbers auf Schutz des Familienlebens bilde, unvertretbar erfolgt wäre, vermag die Revision somit nicht aufzuzeigen.

21       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 7. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021140385.L00

Im RIS seit

04.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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