TE Vwgh Beschluss 2022/3/8 Ra 2021/19/0048

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Veröffentlicht am 08.03.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §18 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des O O, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Dezember 2020, L509 2186987-1/24E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsbürger und Angehöriger der Volksgruppe der Kurden, stellte am 24. Mai 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er habe sich als Jugendlicher im Nordirak bei PKK-Mitgliedern aufgehalten. Nach seiner Rückkehr in die Türkei sei er trotz einer Generalamnestie wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation angeklagt worden, weswegen ihm eine langjährige Haftstrafe drohe. Er könne kein faires Verfahren erwarten.

2        Mit Bescheid vom 22. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Das BVwG stellte, soweit hier maßgeblich, fest, dass gegen den Revisionswerber in der Türkei wegen seines Aufenthaltes im Irak ein Gerichtsverfahren eingeleitet worden sei, in welchem ihm die Mitgliedschaft zur Terrororganisation PKK vorgeworfen werde. Da der Revisionswerber mehrfach zu Gerichtsverhandlungen nicht erschienen sei, sei gegen ihn ein Haftbefehl erlassen worden, welcher noch aufrecht sei. Sollte dem Revisionswerber eine Mitgliedschaft in einer bewaffneten Organisation nachgewiesen werden, drohe ihm eine Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren, wobei im Hinblick auf sein Alter eine stufenweise Reduzierung des Strafrahmens vorgesehen sei. Es bestünden keine Hinweise dafür, dass der Revisionswerber in einem Strafverfahren vor einem türkischen Gericht unverhältnismäßig benachteiligt werden würde oder mit unangemessenen Strafen zu rechnen hätte.

5        Beweiswürdigend führte das BVwG im hier maßgeblichen Zusammenhang aus, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass das gerichtliche Verfahren in der Türkei allein zu dem Zweck inszeniert worden sei, um dem Revisionswerber auf Grund seines politischen Engagements als einfaches Mitglied der PKK oder seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit zu verfolgen. Aus den vom Revisionswerber vorgelegten Unterlagen ergebe sich, dass dieser im Rahmen des Strafverfahrens die Möglichkeit habe, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung zu beziehen und sich anwaltlich vertreten zu lassen. Die vorgelegten Unterlagen zeigten keine Auffälligkeiten in der Verfahrensführung. Das persönliche Profil des Revisionswerbers lasse es unwahrscheinlich erscheinen, dass er Opfer eines auf unsachlichen Motiven beruhenden Prozesses werde, zumal er keine exponierte Person gewesen sei und kein erwähnenswertes Engagement für die PKK - auch nicht in Österreich - betreibe. Aus den Länderinformationen ergebe sich, dass es in der Türkei seit den Jahren 2016 bzw. 2017 zu Massenentlassungen von Richtern und Staatsanwälten gekommen sei und vermehrt kurdische Politiker, kritische Journalisten und Anhänger des Predigers Fethullah Gülen strafrechtlich verfolgt würden. Der Revisionswerber gehöre jedoch keiner dieser Risikogruppen an. Sein Strafverfahren sei schon früher eingeleitet worden. Dem Verfahren liege auch ein greifbarer Tatvorwurf, nämlich die Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu Grunde. Dem Revisionswerber sei trotz des laufenden Strafverfahrens ein Reisedokument ausgestellt worden. Er habe weder eine Verhaftung noch Misshandlungen vorgebracht. Der Revisionswerber habe gerichtliche Dokumente über Verurteilungen seines Vaters und zweier Brüder sowie über ein laufendes Strafverfahren gegen seine Schwester vorgelegt. In allen diesen Fällen seien jedoch Straftatbestände zur Anwendung gelangt, die eine Unterstützung der kriminellen Vereinigung PKK durch Teilnahme an gewalttätigen Ausschreitungen bei Demonstrationen und damit in Zusammenhang stehende strafbare Handlungen, wie Widerstand gegen die Staatsgewalt, als Grundlage hätten. Die Urteile ließen nachvollziehbar auf den Nachweis konkreter Tathandlungen schließen und erschienen die ausgesprochenen Strafen nicht unverhältnismäßig.

6        Rechtlich folgerte das BVwG, das strafgerichtliche Ermittlungsverfahren und die Vorladungen zu gerichtlichen Verhandlungsterminen seien keine asylrelevante staatliche Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention. Der Revisionswerber sei auch noch nicht verurteilt worden. Es gebe keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür, dass das Vorgehen der türkischen Strafjustiz einem anderen Zweck als jenem der Bekämpfung der terroristischen Aktivitäten der - auch in der EU als Terrororganisation eingestuften - PKK diene, welches auf Grund des zweijährigen Aufenthaltes des Revisionswerbers im Rückzugsgebiet der PKK und seines mutmaßlichen Kontaktes zu PKK-Kämpfern erfolge. Die von ihm vorgelegten Unterlagen ließen keine Unregelmäßigkeiten in der Verfahrensführung erkennen. Der Revisionswerber habe Zugang zu einem rechtsstaatlichen Verfahren einschließlich rechtsanwaltlicher Unterstützung. Es gebe keine Hinweise für eine unverhältnismäßige und diskriminierende Strafverfolgung.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, der Revisionswerber habe im Verfahren vor dem BVwG geltend gemacht, dass auf seine Familie Druck ausgeübt werde, weil ein namentlich genannter Cousin seines Vaters eine führende Rolle in der PKK bekleide und ein gesuchter Terrorist sei. Der Revisionswerber habe mit Eingabe vom 10. November 2020 die Kontaktaufnahme mit seiner Familie in der Türkei „zum Beweis der Verwandtschaft“ zu dem Cousin des Vaters und mit seinem türkischen Strafverteidiger „zum Beweis der praktizierten substanzlosen Verfolgung der gesamten Familie“ beantragt. Mit diesen Beweisanträgen habe sich das BVwG nicht befasst. Für den türkischen Staat reiche der Verdacht der Verbindung des Revisionswerbers während seiner Zeit im Irak zu dem PKK-Kommandanten, um ihn strafrechtlich zu sanktionieren.

11       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt aber der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 20.4.2021, Ra 2021/19/0096, mwN).

12       Eine derart krasse Fehlbeurteilung zeigt die Revision vor dem Hintergrund der im Übrigen nicht unvertretbaren Beweiswürdigung, im Rahmen derer sich das BVwG auch mit den Strafurteilen gegen Mitglieder der Familie des Revisionswerbers auseinandersetzte, nicht auf, zumal ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens eines Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht. Die Beurteilung der Erforderlichkeit derartiger Erhebungen im Sinn des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 obliegt der ermittelnden Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 29.1.2021, Ra 2020/19/0455, mwN).

13       Der Revisionswerber beantragte mit Stellungnahme vom 10. November 2020 die Kontaktaufnahme mit einem namentlich genannten Strafverteidiger in der Türkei „zur Verifizierung der Vorbringen“ sowie mit seiner Familie in der Türkei „zur Verifizierung seiner Vorbringen und der seitens des türkischen Staates praktizierten substanzlosen Verfolgung der gesamten Familie“ und zur Erhebung der Verwandtschaft zu dem genannten PKK-Kommandanten.

14       Die Revision legt nicht dar, zum Beweis welcher konkreten Tatsachen die Kontaktaufnahme mit dem Strafverteidiger bzw. der Familie des Revisionswerbers beantragt worden sei. Ein bloß allgemeines Vorbringen, das aus Mutmaßungen besteht, läuft nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber in der Regel auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus, zu dessen Aufnahme das Verwaltungsgericht nicht verpflichtet ist (vgl. etwa VwGH 17.9.2019, Ra 2019/18/0332, mwN; vgl. auch VwGH 19.7.2021, Ra 2021/14/0231).

15       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 8. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190048.L00

Im RIS seit

04.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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