TE Vwgh Beschluss 2022/3/9 Ra 2021/09/0159

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Veröffentlicht am 09.03.2022
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E1E
E1P
E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/10 Grundrechte
10/13 Amtshaftung Organhaftpflicht Polizeibefugnis-Entschädigung
19/05 Menschenrechte
31/04 Bundesbeteiligungen
59/04 EU - EWR
82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

ABBAG-G 2014 §3b
ABBAG-G 2014 §3b Abs2
ABBAG-G 2014 §3b Abs3
AHG 1949 §9
B-VG Art18
COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 96/2020 §1
COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 96/2020 §3
COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 96/2020 §3 idF 2020/II/130
EpidemieG 1950 §32
EURallg
MRKZP 01te Art1
StGG Art5
VwRallg
12010E056 AEUV Art56
12010E057 AEUV Art57
12010P/TXT Grundrechte Charta Art15
12010P/TXT Grundrechte Charta Art16
12010P/TXT Grundrechte Charta Art17
12010P/TXT Grundrechte Charta Art17 Abs1
12010P/TXT Grundrechte Charta Art51
12010P/TXT Grundrechte Charta Art52 Abs3
61996CJ0348 Calfa VORAB
62000CJ0020 Booker Aquaculture und Hydro Seafood VORAB
62003CJ0347 Regione autonoma Friuli-Venezia Giulia und ERSA VORAB
62011CJ0221 Demirkan VORAB
62014CJ0098 Berlington Hungary VORAB
62017CJ0235 Kommission / Ungarn
62020CJ0238 Satini-S VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und den Hofrat Dr. Doblinger sowie die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision der A GmbH in B, vertreten durch Dr. Karl Newole, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Zelinkagasse 6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 22. Jänner 2021, VGW-101/014/12861/2020-2, betreffend Verdienstentgang nach dem Epidemiegesetz 1950 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40 - Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die belangte Behörde hat mit Bescheid vom 6. August 2020 den Antrag der revisionswerbenden Partei und Betreiberin eines Gastgewerbebetriebs auf Zuerkennung einer Vergütung für die durch die COVID-19-Pandemie verursachte Behinderung ihres Erwerbs und dadurch entstandenen Vermögensnachteile für den Zeitraum ab 17. März 2020 „bis dato“ in bestimmter Höhe abgewiesen. Ihren Antrag hatte die revisionswerbende Partei auf „jeden erdenklichen Rechtsgrund“, insbesondere auf die Bestimmungen des § 32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG) bzw. „analog dazu“ gestützt und ausgeführt, sie habe „eine Schließung bzw. empfindliche Einschränkung ihres Betriebs hinnehmen müssen“.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien wurde die dagegen von der revisionswerbenden Partei erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen und die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

3        Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit hier von Relevanz - zusammengefasst und mit näherer Begründung aus, es sei nicht erkennbar, dass ein Tatbestand des § 32 Abs. 1 EpiG erfüllt sei. Die Entschädigungsregelungen des EpiG seien auf den Beschwerdesachverhalt nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz (zeitraumbezogen § 4 Abs. 2, nunmehr § 12 Abs. 2) nicht anzuwenden. Die auf das COVID-19-Maßnahmengesetz gestützten Verordnungen seien von § 32 Abs. 1 EpiG nicht erfasst, die von der revisionswerbenden Partei betriebene Betriebsstätte sei auch nicht durch eine Maßnahme nach dem EpiG betroffen gewesen. Neben § 32 EpiG seien keine anderen Rechtsgrundlagen für die beantragte Entschädigung erkennbar; auch eine analoge Anwendung komme nicht in Betracht. Unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Juli 2020, G 202/2020 und V 408/2020, hielt das Verwaltungsgericht außerdem fest, dass die maßgebliche Rechtslage verfassungskonform sei. Auch unionsrechtlich sei kein Entschädigungsanspruch geboten. Zwar könne ein Eingriff in eine unternehmerische Tätigkeit ein Eingriff in die Grundfreiheiten sein, dessen Berechtigung aber von einer finanziellen Entschädigung unabhängig sein. Eine Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung liege nicht vor. Das Verwaltungsgericht sehe somit auch keine Veranlassung, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) unionsrechtliche Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5        Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

6        Die Revision erweist sich als unzulässig:

7        Gegen das Erkenntnis eine Verwaltungsgerichtes ist die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG).

9        Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Die revisionswerbende Partei begründet die Zulässigkeit der Revision mit unionsrechtlichen Ausführungen und erblickt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des EuGH noch nicht beantwortet sei, darin, ob aus dem grundrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebot der Dienstleistungsfreiheit bzw. aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 15 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - GRC), aus dem Grundrecht auf unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRC) und aus dem Grundrecht auf Eigentum (Art. 17 GRC) ein „Anspruch auf Entschädigung für die covidrechtliche Betriebssperre abzuleiten“ sei. Die revisionswerbende Partei sei „an der Erbringung ihrer Dienstleistungen an EU-Touristen gehindert“ worden, weshalb in die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit eingegriffen worden sei.

11       Die Frage, ob die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegen, ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen. Wurde die zu lösende Rechtsfrage mittlerweile durch den Verwaltungsgerichtshof geklärt, liegt keine Rechtsfrage (mehr) vor, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme (vgl. VwGH 20.10.2021, Ra 2021/09/0158, mwN).

12       Eine solche Situation ist im vorliegenden Fall gegeben: Im Erkenntnis vom 3. Februar 2022, Ra 2021/09/0101, hat der Verwaltungsgerichtshof mit näherer Begründung ausgeführt, dass in einem Fall wie dem vorliegenden eine Entschädigung nach § 32 EpiG nicht gebührt. Auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG verwiesen.

13       Zu den von der revisionswerbenden Partei in diesem Verfahren (weitgehend gleichlautend wie im vorliegenden Verfahren) vorgebrachten unionsrechtlichen Argumenten, weshalb ihr eine Entschädigung zu zahlen sei, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis Folgendes ausgeführt:

„So hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die Grundrechte der GRC in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben, Anwendung finden (vgl. VwGH 28.1.2016, Ra 2015/07/0146, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH). Damit der freie Dienstleistungsverkehr nach Art. 56 AEUV zum Tragen kommt, ist ein Sachverhalt, dem eine zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erbrachte Dienstleistung im Sinn des Art. 57 AEUV zugrunde liegt, Voraussetzung (vgl. VwGH 2.7.2020, Ra 2020/09/0025).

Nach der Rechtsprechung des EuGH schließt der Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs außerdem die Freiheit der Dienstleistungsempfänger ein, sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, ohne durch Beschränkungen daran gehindert zu werden. Dabei handelt es sich um einen Fall der so genannten ‚passiven Dienstleistungsfreiheit‘ (vgl. EuGH 24.9.2013, Demirkan, C-221/11, Rn. 35). Auch Touristen sind als Empfänger von Dienstleistungen anzusehen (vgl. EuGH 19.1.1999, Calfa, C-348/96, Rn. 16, und insbesondere EuGH 11.6.2015, Berlington Hungary, C-98/14).

Den (unbestrittenen) Feststellungen des Verwaltungsgerichtes zufolge handelt es sich bei dem von der revisionswerbenden Partei betriebenen Speiselokal um einen Gastronomiebetrieb, der (auch) von einer hohen Zahl ausländischer Gäste besucht wird. Dazu zählen insbesondere (auch) Touristen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Angesichts dieser Feststellungen und vor dem Hintergrund der wiedergegebenen Rechtsprechung des EuGH liegt ein Sachverhalt vor, der unionsrechtlichen Regelungen unterliegt und kann sich die revisionswerbende Partei im konkreten Fall daher auf die Dienstleistungsfreiheit stützen. Damit liegt eine unionsrechtlich geregelte Fallgestaltung vor, weshalb die Grundrechte der GRC zur Anwendung kommen.

Unbestritten ist auch, dass der Betrieb der revisionswerbenden Partei im (verfahrensgegenständlich relevanten) Zeitraum vom 17. März bis zum 28. April 2020 wegen des mit § 3 der COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 angeordneten Verbotes des Betretens des Kundenbereiches von Betriebsstätten geschlossen war und auch keine Essensabholung oder Vertrieb durch Zustelldienste erfolgte.

V.3. Eine Regelung, mit der das Betreten des Kundenbereiches von Betriebsstätten eines Gastgewerbebetriebes verboten wird - und insofern ist der revisionswerbenden Partei zuzustimmen -, ist grundsätzlich geeignet, die Grundrechte der Art. 15, 16 und 17 GRC zu beschränken. Der Verwaltungsgerichtshof hat im gegenständlichen Verfahren allerdings nicht zu beurteilen, ob § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 den Anforderungen des Unionsrechts an Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit bzw. Eingriffe in Unionsgrundrechte entsprach; vor dem Hintergrund des geltend gemachten Revisionspunktes und der in der Revision vorgetragenen Argumentation ist lediglich die Frage zu beantworten, ob wegen der durch das Betretungsverbot des § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 bewirkten Betriebsbeschränkungen der revisionswerbenden Partei auf Grund des Unionsrechts ein Entschädigungsanspruch zusteht und daher die Entschädigungsregelungen des § 32 EpiG analog anzuwenden bzw. der einfachgesetzliche Ausschluss von Entschädigungsansprüchen unangewendet zu lassen ist. Festzuhalten ist lediglich, dass die gesetzlichen Ermächtigungen zu Betretungsverboten den Zweck verfolgen, die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern und damit die Funktionalität der Gesundheitsinfrastruktur aufrechtzuerhalten, was jedenfalls ein gewichtiges öffentliches Interesse darstellt und auch nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Grundrechtseingriffe rechtfertigen kann (vgl. VfGH 24.6.2021, V 592/2020 Pkt. 8.4.; 24.6.2021, V 593/2020 Pkt. 7.7.; sowie insb. VfGH 23.9.2021, V 572/2020 Pkt. 4.2. ff zum Verbot des Betretens von Betriebsstätten des Gastgewerbes).

Die revisionswerbende Partei stützt ihr Vorbringen in der Revision hauptsächlich auf eine Verletzung des Art. 17 GRC. Dem ist Folgendes entgegenzuhalten: Der revisionswerbenden Partei ist zwar insofern zuzustimmen, dass das Verbot des Betretens des Kundenbereiches ihrer Betriebsstätte in ihr Recht auf Eigentum i.S. des Art. 17 GRC eingreift. Anders als die revisionswerbende Partei vermeint, liegt darin allerdings weder eine formelle Eigentumsentziehung noch eine ihr gleichzuhaltende ‚materielle Enteignung‘, sondern lediglich eine Eigentumsbeschränkung; insofern kann auf die Ausführungen in dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14.7.2020, G 202/2020 u.a., (Punkt 2.3.2.) (zu Betretungsverboten nach § 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96) verwiesen werden. Der Verwaltungsgerichtshof sieht keinen Anlass, von dieser Einschätzung des Verfassungsgerichtshofes (hinsichtlich der im gegenständlichen Fall relevanten Betretungsverbote nach § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96) abzugehen, blieb doch das zivilrechtliche Eigentum unangetastet und war auch entgegen der Auffassung der revisionswerbenden Partei durch das Verbot des Betretens ihrer Betriebsstätten nicht jegliche sinnvolle Nutzung ihrer Betriebseinrichtung ausgeschlossen (vgl. zum Vorliegen einer de facto-Enteignung [nur] bei Wegfall jeglicher Verfügungsmöglichkeit etwa EuGH 12.5.2005, Regione autonoma Friuli-Venezia Giulia und Agenzia regionale per lo sviluppo rurale, C-347/03, Rn. 118ff, insb. Rn. 122; EGMR Papamichalopoulos, 24.6.1993, 14556/89, Rn. 42 ff; Henne, 8.12.2009, 28092/07), wie etwa das Anbieten von Speisen und Getränken im Wege eines Lieferservice oder durch die Ermöglichung einer Essensabholung (auch wenn die revisionswerbende Partei von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch gemacht hat). Angesichts dessen sowie der begrenzten Dauer dieses Betretungsverbotes kann somit nicht davon gesprochen werden, dass dieses in seinen Wirkungen einer formellen Enteignung gleichgekommen wäre.

Es kann auch dahingestellt bleiben, ob die Anordnung des zeitlich begrenzten Betretungsverbotes durch § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 eine derart gravierende Eigentumsbeschränkung darstellte, die für sich allein schon entschädigungspflichtig wäre: Wie der Verfassungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis festgehalten hat, erfolgte das Betretungsverbot nach § 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 nicht isoliert, sondern im Rahmen eines umfangreichen Maßnahmen- und Rettungspaketes, das die wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Betretungsverbotes auf die betroffenen Unternehmer abmildern sollte und damit eine vergleichbare Zielsetzung wie die Einräumung von Ansprüchen auf Vergütung des Verdienstentganges nach § 32 EpiG hat; nichts anderes gilt für das Betretungsverbot nach § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 [...]

Es ist in diesem Zusammenhang nochmals hervorzuheben, dass es sich im Revisionsfall eben nicht um eine Enteignung (für welche in der Regel eine ‚angemessene‘ Entschädigung zu zahlen ist, vgl. dazu EuGH 21.5.2019, Kommission/Ungarn, C-235/17), sondern (nur) um eine (vorübergehende) Beschränkung des Eigentums gehandelt hat, für die nach Art. 17 Abs. 1 GRC nicht zwingend eine Entschädigung vorzusehen ist.

Das Revisionsvorbringen zu Art. 1 1. ZPEMRK (‚Schutz des Eigentums‘) und der Verweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vermögen daran nichts zu ändern: Im bereits zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Juli 2020, G 202/2020 u.a., hat sich der Gerichtshof mit der Frage befasst, ob die durch das Betretungsverbot des § 1 der COVID-19-Maßnahmenverordnung bewirkte Eigentumsbeschränkung entschädigungslos vorgesehen werden konnte und unter Hinweis auf das umfangreiche Maßnahmen- und Rettungspaket, in das der Gesetzgeber das Betretungsverbot eingebettet hat, eine Verfassungswidrigkeit im Lichte des Grundrechts auf Eigentum gemäß Art. 5 StGG und Art. 1 1. ZP EMRK letztlich verneint (siehe dazu näher Punkt 2.3.3.ff des zitierten Erkenntnisses; siehe auch die dort angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur Zulässigkeit von Eigentumsbeschränkungen). Zwar kann nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art 1 1. ZPEMRK - die nach Art. 52 Abs. 3 GRC auch für die Auslegung des Art. 17 GRC maßgeblich ist - auch bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Eigentumsbeschränkungen zu berücksichtigen sein, ob eine Entschädigung vorgesehen ist; das Fehlen einer solchen Entschädigung bei einer Eigentumsbeschränkung führt aber nicht automatisch zu einem Verstoß gegen die Eigentumsgarantie, wenn dem Betroffenen nicht eine individuelle und exzessive Last auferlegt wird (vgl. neben der vom Verfassungsgerichtshof zitierten Rechtsprechung etwa EGMR Antunes Rodrigues, 26.4.2011, 18070/08 Rn. 32ff, sowie EuGH 10.7.2003, Booker Aquaculture Ltd ua., C-20/00 ua, Rn. 85; 27.1.2022, C-238/20, Satini-S, Rn. 36). Selbst im Zusammenhang mit Enteignungsentschädigungen gesteht der EGMR den Staaten einen weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum zu und hat ausgesprochen, dass nicht unter allen Umständen eine volle Entschädigung geleistet werden muss, wenn entsprechende öffentliche Interessen dies rechtfertigen (vgl. etwa EGMR Kozacioglu, 19.2.2009, 2334/03 Rn. 64 [Große Kammer]). Dabei sind Entschädigungen nicht isoliert, sondern im Kontext aller staatlichen Maßnahmen zu beurteilen (vgl. etwa EGMR JH ua, 24.11.2009, 49637/09). Auch Art. 17 GRC garantiert nicht eine volle Entschädigung für Eigentumsentziehungen (vgl. Ziniel in Holoubek/Lienbacher [Hrsg.], Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage, 2019, Rn. 47 zu Art. 17). Vor dem Hintergrund des genannten Maßnahmen- und Rettungspaketes - aufgrund dessen substanzielle finanzielle Ausgleichsleistungen vorgesehen waren und sind - und des Umstandes, dass die vorgesehenen Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie nicht einzelnen Personen individuelle und exzessive Lasten aufbürdeten, sondern eine große Zahl von Unternehmen und unselbständig Erwerbstätiger betraf, hegt der Verwaltungsgerichtshof daher weiterhin und auch im Lichte des Vorbringens der revisionswerbenden Partei keine Bedenken, wenn nicht für alle Maßnahmen im Zuge der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, die Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb eines Unternehmens haben, eine Entschädigung nach § 32 EpiG vorgesehen wird (vgl. bereits VwGH 24.2.2021, Ra 2021/03/0018).

Hinsichtlich der beiden weiteren ins Treffen geführten Grundrechte der Art. 15 und Art. 16 GRC sowie der unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit beschränkt sich das Vorbringen der revisionswerbenden Partei im Wesentlichen auf eine Wiedergabe von Rechtsprechung des EuGH dazu, ohne konkret aufzuzeigen, worauf ein allfälliger daraus resultierender Entschädigungsanspruch gründen sollte. Aus den bereits im Zusammenhang mit der Eigentumsgarantie angestellten Erwägungen ist nicht zu ersehen, warum wegen der Einschränkung dieser Grundrechte und der Dienstleistungsfreiheit angesichts der vorgesehenen Ausgleichmaßnahmen aus unionsrechtlichen Gründen ein weitergehender Entschädigungsanspruch bestehen soll.

Abgesehen davon, dass die Argumentation der revisionswerbenden Partei - wie schon ausgeführt - schon deshalb nicht verfängt, weil sie von der unzutreffenden Qualifikation des sie betreffenden Betretungsverbotes als Eigentumsentziehung ausgeht, ist nur der Vollständigkeit halber auf Folgendes hinzuweisen: Der unter Hinweis auf die gesetzliche Grundlage für die Gewährung finanzieller Maßnahmen in § 3b des Bundesgesetzes über die Einrichtung einer Abbaubeteiligungsaktiengesellschaft des Bundes - ABBAG-Gesetz, BGBl. I Nr. 51/2014 idF BGBl. I Nr. 23/2020, erhobene Vorwurf mangelnder Transparenz der finanziellen Ausgleichsmaßnahmen ist schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil es nicht darauf ankommt, ob schon unmittelbar aus dem Gesetz alle Fördermaßnahmen ersichtlich sein müssen; die aufgrund dieser gesetzlichen Bestimmungen erlassenen Richtlinien sind als Verordnungen im BGBl. kundgemacht (vgl. etwa BGBl. II Nr. 225/2020 oder BGBl. II Nr. 497/2020) und regeln inhaltlich die näheren Voraussetzungen der Förderungen, sodass diese allgemein zugänglich und bekannt sind. Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof kürzlich mit näherer Begründung ausgesprochen, dass die Verordnungsermächtigung des § 3b Abs. 3 ABBAG-Gesetz im Hinblick auf Art. 18 B-VG nicht zu beanstanden sei (VfGH 15.12.2021, G 323/2021, Pkt. 2.1.5.ff). Der weitere Vorwurf, dass diese im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährten Leistungen im öffentlichrechtlichen Rechtsschutzsystem nicht durchgesetzt werden können, verkennt, dass zur Durchsetzung dieser Leistungen der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offensteht. Wie der VfGH erst jüngst zu den Leistungen nach § 3b Abs. 2 ABBAG-Gesetz ausgeführt hat, folgt aus der Fiskalgeltung der Grundrechte, dass Betroffene bei im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung erbrachten Leistungen einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch darauf haben, dass ihnen solche Förderungen in gleichheitskonformer Weise und nach sachlichen Kriterien ebenso wie anderen Förderungswerbern gewährt werden, dass sich auch Förderungswerber hinsichtlich der Förderungen nach § 3b ABBAG-Gesetz auf die Fiskalgeltung der Grundrechte berufen können und ihnen daher der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten offensteht (VfGH 7.10.2021, G 88/2021 Nr. 4.2.; vgl. auch VfGH 14.7.2020, G 202/2020 ua Pkt. 2.4.2.3. sowie VfGH 15.12.2021, G 233/2021 Pkt. 2.2.3.6.). Der weitere Hinweis der revisionswerbenden Partei auf das unionsrechtliche Äquivalenzprinzip geht schließlich schon deshalb fehl, weil es dabei nur um die gleichartige Durchsetzbarkeit unionsrechtlicher Ansprüche im Vergleich zu rein innerstaatlichen Ansprüchen geht, ein unionsrechtlicher Entschädigungsanspruch nach dem Vorgesagten aber gerade nicht besteht.

Der Vollständigkeit halber ist schließlich noch darauf hinzuweisen, dass auch Ersatzansprüche, die sich darauf stützen sollten, dass der Verfassungsgerichtshof die Gesetzwidrigkeit von § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 festgestellt und ausgesprochen hat, dass dieser nicht mehr anzuwenden ist, nicht im Verwaltungsweg geltend gemacht werden können, sondern allenfalls im Wege der Amtshaftung.

Dem Verwaltungsgericht ist im Übrigen zuzustimmen, wenn es - mit näherer Begründung - ausführt, dass im Revisionsfall angesichts des klaren Gesetzeswortlautes gerade nicht von einer ‚planwidrigen‘ Lücke auszugehen ist, die im Wege der Analogie zu schließen ist. Dafür bestehen keine Anhaltspunkte (vgl. VwGH 13.9.2017, Ra 2017/12/0081; 1.10.2014, Ro 2014/09/0052). Aus den angeführten Gründen sieht sich der Verwaltungsgerichtshof im Übrigen auch nicht veranlasst, eine Vorabentscheidung beim EuGH zu beantragen.“

14       Die außerordentliche Revision zeigt weder ein Abweichen des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes Wien von der inzwischen ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 3.2.2022, Ra 2021/09/0101; dem folgend zu einem weitgehend gleichlautenden Zulässigkeitsvorbringen jüngst 24.2.2022, Ra 2021/09/0102) noch eine andere Rechtsfrage auf, der grundsätzliche Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zukommt.

15       Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 9. März 2022

Gerichtsentscheidung

EuGH 61996CJ0348 Calfa VORAB
EuGH 62000CJ0020 Booker Aquaculture und Hydro Seafood VORAB
EuGH 62003CJ0347 Regione autonoma Friuli-Venezia Giulia und ERSA VORAB
EuGH 62011CJ0221 Demirkan VORAB
EuGH 62014CJ0098 Berlington Hungary VORAB
EuGH 62020CJ0238 Satini-S VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Organisationsrecht Justiz - Verwaltung Verweisung auf den Zivilrechtsweg VwRallg5/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021090159.L00

Im RIS seit

04.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

29.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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