TE Vwgh Beschluss 2022/3/9 Ra 2019/09/0127

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Veröffentlicht am 09.03.2022
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Index

E2D Assoziierung Türkei
E2D E02401013
E2D E05204000
E2D E11401020
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
60/04 Arbeitsrecht allgemein
62 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

ARB1/80 Art6
ARB1/80 Art6 Abs1
AuslBG §12b Z1
AuslBG §4b
AuslBG §4b Abs1
AuslBG §4c
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2019/09/0128

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Dr. Doblinger und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz über die außerordentliche Revision 1. der A GmbH (protokolliert zu Ra 2019/09/0127) und 2. des B C (protokolliert zu Ra 2019/09/0128), beide in D, beide vertreten durch Mag. Volkan Kaya, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Senefeldergasse 11/1E, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2019, 1. W178 2204333-1/17E und 2. W178 2204337-1/17E, betreffend Versagung der Zulassung als Schlüsselkraft nach § 12b Z 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die revisionswerbenden Parteien haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit dem am 22. Jänner 2018 beim Magistrat der Stadt Wien - Magistratsabteilung 35 eingebrachten Schreiben stellte der Zweitrevisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte“ gemäß § 41 Abs. 2 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (sonstige Schlüsselkraft) für eine Beschäftigung beim erstrevisionswerbenden Unternehmen als Assistent der Geschäftsführung. Im Formular der Arbeitgeberklärung wurde die Vermittlung von Ersatzkräften ohne nähere Begründung als nicht erwünscht angekreuzt.

2        Mit Bescheid vom 9. April 2018 versagte die mit dem Antrag gemäß § 20d Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) befasste vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde die Zulassung als Schlüsselkraft gemäß § 12b Z 1 AuslBG mit der Begründung, dass die Mindestpunkteanzahl von 55 nicht erreicht werde sowie die vorgesehene Entlohnung von € 3.000,- brutto nicht der gesetzlichen Mindestentlohnung entspreche.

3        Gegen diesen Bescheid erhoben die revisionswerbenden Parteien Beschwerde. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 3. Juli 2018 wurde der Beschwerde keine Folge gegeben. In seiner Begründung wies die belangte Behörde neben der fehlenden Mindestpunkteanzahl auch darauf hin, dass die Vermittlung von Ersatzkräften durch die erstrevisionswerbende Partei abgelehnt worden sei. Der Zweitrevisionswerber habe für die Tätigkeit als Verkäufer (Einzelhandel) über eine Beschäftigungsbewilligung mit einer Gültigkeitsdauer vom 28. September 2016 bis 27. September 2017 verfügt. Ein Antrag auf Verlängerung der Beschäftigungsbewilligung sei nicht gestellt worden. Der Zweitrevisionswerber sei seit 1. Oktober 2016 laufend bei der erstrevisionswerbenden Partei geringfügig beschäftigt. Somit stehe zudem § 4 Abs. 1 Z 4 AuslBG der Erteilung einer Zulassung als sonstige Schlüsselkraft entgegen.

4        Mit Schriftsatz vom 18. Juli 2018 stellten die revisionswerbenden Parteien einen Vorlageantrag.

5        Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde keine Folge und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

6        In seinen Entscheidungsgründen führte es im Wesentlichen aus, dass ausdrücklich ein Antrag auf die Bewilligung einer Rot-Weiß-Rot-Karte nach § 12b Z 1 AuslBG gestellt worden sei, gleichzeitig aber die Mitwirkung zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AuslBG ausdrücklich abgelehnt worden sei. Bereits vor einer Suche nach einer geeigneten Ersatzkraft sei betont worden, dass an einer Ersatzkraft kein Interesse bestehe. Dazu verwies es auf die nach ausdrücklichem Vorhalt dieses Umstandes durch das Bundesverwaltungsgericht von den revisionswerbenden Parteien erstattete Stellungnahme, worin ausgeführt worden sei, dass die Vermittlung von Ersatzarbeitskräften nicht gewünscht sei, samt inhaltlicher Hinzufügung der Gründe dafür. Es sei somit nicht mehr zu prüfen, ob die erforderliche Punktezahl erreicht werden könne.

7        Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die kostenpflichtige Zurück- oder Abweisung der Revision beantragt.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof erfolgt ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung. Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung (vgl. VwGH 26.2.2021, Ra 2021/09/0007, mwN).

12       Zur Begründung der Zulässigkeit der Revision wird vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe den Zweitrevisionswerber nicht als türkischen Assoziationsarbeitnehmer behandelt, der bei der Durchführung eines Ersatzkraftverfahrens einem Inländer gleichzustellen und bevorzugt zu vermitteln und beschäftigen sei (Verweis auf § 4b AuslBG). Damit weiche es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (Verweis auf VwGH 9.8.2018, Ro 2017/22/0015).

13       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss ein Revisionswerber, der eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes behauptet, konkret anführen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht. Dabei hat er konkret darzulegen, dass der der gegenständlich angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt einem der von ihm ins Treffen geführten hg. Erkenntnisse gleicht, das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hätte und damit von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 9.9.2021, Ra 2021/09/0184, mwN).

14       Diesen Anforderungen wird das Zulässigkeitsvorbringen mit seinem bloß pauschalen Verweis ohne Bezugnahme auf den konkreten Fall nicht gerecht. Das zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes basierte zudem auf einer anderen Fallkonstellation, ging es dort doch um einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“. Ein Anspruch auf dessen Erteilung resultierend aus Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) wurde vom Verwaltungsgerichtshof darüber hinaus dort verneint.

15       Im Übrigen entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die dem türkischen Staatsangehörigen nach dem ARB 1/80 zukommenden Beschäftigungs- und Aufenthaltsrechte unmittelbar und unabhängig von der Erteilung einer (nationalen) Arbeits- bzw. Aufenthaltserlaubnis begründet werden. Diese haben auch nur deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion. Dem Interesse an der Dokumentation einer aus dem ARB 1/80 erfließenden Berechtigung wird dadurch Rechnung getragen, dass gemäß § 4c Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen ist, wenn türkische Staatsangehörige die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 oder nach Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 erfüllen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 7.5.2021, Ra 2021/22/0038, mwN). Es besteht daher kein Anspruch auf Ausstellung einer konstitutiv wirkenden Arbeitserlaubnis (vgl. VwGH 21.3.2017, Ra 2016/22/0098, unter Verweis auf VwGH 20.3.2002, 99/09/0142; dem folgend etwa 13.12.2018, Ro 2018/22/0004).

16       Insoweit die Revision daher auf die Rechte des Zweitrevisionswerbers nach dem ARB 1/80 verweist, ist daher darauf hinzuweisen, dass nicht die Ausstellung einer deklarativen Beschäftigungsbewilligung nach § 4c Abs. 1 AuslBG (samt damit einhergehender Aufenthaltsbewilligung) beantragt wurde, sondern eine konstitutive Bewilligung angestrebt wird.

17       Voraussetzung für die begehrte Zulassung als Schlüsselkraft gemäß § 12b Z 1 AuslBG ist allerdings die Durchführung eines Ersatzkraftstellungsverfahrens im Sinn des § 4b AuslBG. Dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien, dass der Zweitrevisionswerber als türkischer Assoziationsarbeitnehmer einem Inländer in Ansehung der Beschäftigung gleichzuhalten sei und daher keine Arbeitsmarktprüfung stattfinden dürfe und der Zweitrevisionswerber in einem Ersatzkraftstellungsverfahren ohnehin als bevorzugt zu vermitteln wäre, ist entgegenzuhalten, dass der Zweitrevisionswerber ausgehend von dem erstatteten Vorbringen, wonach er seit 1. Oktober 2016 bei der erstrevsionswerbenden Partei (geringfügig) beschäftigt sei, lediglich die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erfüllen könnte. Ein uneingeschränktes Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung gemäß dem dritten Spiegelstrich besteht aber erst nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung (vgl. VwGH 23.1.2020, Ro 2019/22/0009, Rn. 13). Um die Stellung als ein im Rahmen der Arbeitsmarktprüfung durchzuführenden Ersatzkraftverfahrens bevorzugten türkischen Assoziationsarbeitnehmer zu erlangen, ist es ferner Voraussetzung, dass sich dieser auf ein entsprechendes Stellenangebot bewerben kann. Dies ist aber nur der Fall, wenn der türkische Assoziationsarbeitnehmer - wie die anderen in § 4b Abs. 1 AuslBG aufgezählten bevorrangten Arbeitnehmern - einen Zugang zum Arbeitsmarkt hat. Bei türkischen Assoziationsarbeitnehmern, die lediglich die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erfüllen, liegt - wie bereits ausgeführt - allerdings eine derartige Bewerbungsmöglichkeit auf offene Stellen nicht vor, weshalb diese bei einer systematischen Zusammenschau des Art. 6 ARB 1/80 und des § 4b Abs. 1 AuslBG nicht zum Kreis der bevorrangten Arbeitnehmer zu zählen sind. Ausgehend davon ist somit nicht zu erkennen, dass das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht.

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

19       Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

20       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 51, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 9. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019090127.L00

Im RIS seit

04.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

29.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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