TE Vwgh Beschluss 2022/3/15 Ra 2022/20/0045

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Veröffentlicht am 15.03.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2022/20/0046

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, in den Rechtssachen der Revisionen von 1. D D, und 2. H O, beide in W, beide vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 13. Oktober 2021, 1. W247 2217863-1/18E und 2. W247 2217865-1/18E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Die aus Tschetschenien stammenden revisionswerbenden Parteien sind russische Staatsangehörige und miteinander verheiratet. Sie stellten nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 15. September 2015 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2        Mit den Bescheiden je vom 21. März 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte jeweils fest, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte die Frist für die freiwillige Ausreise jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit den Erkenntnissen je vom 13. Oktober 2021 als unbegründet ab. Unter einem sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig sei.

4        Die Behandlung der gegen diese Erkenntnisse an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerden wurden von diesem mit Beschluss vom 15. Dezember 2021, E 4267-4268/2021-5, abgelehnt. Über nachträglich gestellte Anträge wurden die Beschwerden vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. Dezember 2021, E 4267-4268/2021-7, an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten. In der Folge wurden die gegenständlichen Revisionen eingebracht.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die revisionswerbenden Parteien wenden sich zur Begründung der Zulässigkeit der Revisionen gegen die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts, mit denen ihrem Vorbringen zu den Gründen ihrer Flucht aus dem Heimatland kein Glauben geschenkt wurde.

9        Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtsicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 31.1.2022, Ra 2020/14/0489, mwN).

10       Die revisionswerbenden Parteien zeigen nicht auf, dass die beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären. Insbesondere geht aus ihren Ausführungen zur Nichtberücksichtigung von Länderberichten nicht hervor, weshalb anhand deren Inhalte die Angaben der revisionswerbenden Parteien als glaubwürdig einzustufen gewesen wären.

11       Soweit sich die revisionswerbenden Parteien gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidungen nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz vorgenommenen Interessenabwägungen wenden, sind sie auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 19.1.2022, Ra 2021/20/0155, mwN).

12       Die revisionswerbenden Parteien machen geltend, es seien der Beziehung zu ihrem in Österreich lebenden Sohn - einem österreichischen Staatsbürger - sowie dessen Familie, der Dauer ihres Aufenthalts in Österreich und dem Umstand, dass sie über 60 Jahre alt seien und daher - auch wegen der Vorerkrankung der Zweitrevisionswerberin (aus den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich, dass diese an Bluthochdruck leidet) - ein erhöhtes Risiko eines schweren Verlaufes einer Erkrankung an COVID-19 aufwiesen, zu geringe Bedeutung beigemessen worden.

13       Dem ist entgegenzuhalten, dass - auch wenn dies in den Revisionen behauptet wird - sich weder aus den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts noch aus dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien ergibt, dass zwischen ihnen und ihrem Sohn (und dessen Ehefrau und Kindern) solche Merkmale der Abhängigkeit bestünden, die über die üblichen Bindungen zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern (oder anderen Angehörigen) hinausgingen (vgl. zu diesen Voraussetzungen etwa VwGH 20.10.2021, Ra 2021/14/0283, mwN; vgl. im Übrigen dazu, dass es nur von untergeordneter Bedeutung ist, ob das Verhältnis zwischen solchen Personen als „Familienleben“ oder „Privatleben“ im Sinn des Art. 8 EMRK einzuordnen ist, weil bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung die tatsächlich bestehenden Verhältnisse maßgebend sind, VwGH 29.3.2021, Ra 2020/20/0080, mwN).

14       Die Dauer des Aufenthalts der revisionswerbenden Parteien im Bundesgebiet erreicht wiederum kein solches Ausmaß, dass sich infolgedessen unter Bedachtnahme auf die von ihnen gesetzten Schritte zu ihrer Integration die Erlassung einer Rückkehrentscheidung als unverhältnismäßig dargestellt hätte.

15       Soweit die revisionswerbenden Parteien die (theoretische) Möglichkeit einer (schweren) Erkrankung an COVID-19 in den Raum stellen, blenden sie gänzlich aus, dass das Bundesverwaltungsgericht - wenngleich in erster Linie im Rahmen der Ausführungen zur Frage, ob den revisionswerbenden Parteien im Fall der Rückkehr in ihr Heimatland eine Verletzung der nach Art. 3 EMRK geschützten Rechte drohe - davon ausgegangen ist, den revisionswerbenden Parteien stehe auch in ihrem Heimatland der Zugang zu einer Schutzimpfung gegen das SARS-CoV-2 - Virus offen und es sei zudem dort die (im Übrigen am aktuellen medizinischen Stand stehende) Behandlung einer (fallbezogen aber gar nicht vorliegenden) Erkrankung an COVID-19 möglich. Auch ihren Behauptungen zum Fehlen einer Existenzgrundlage im Heimatland ist mit den zu diesem Thema vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen nicht in Einklang zu bringen.

16       Es gelingt den revisionswerbenden Parteien somit nicht darzutun, dass die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung als unvertretbar einzustufen wäre.

17       Von den revisionswerbenden Parteien werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 15. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022200045.L00

Im RIS seit

04.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

12.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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