Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * K*, vertreten durch Brandstätter Scherbaum Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 14.735,34 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 27. Oktober 2021, GZ 10 Ra 66/21f-11, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung:
[1] Die Vorinstanzen wiesen das Schadenersatzbegehren des Klägers, das er infolge seiner für rechtsunwirksam erkannten Kündigung (9 ObA 53/20i) auf die progressionsbedingt entstandene höhere Steuerbelastung aus der Nachzahlung seiner Bezüge stützt, ab. Das Berufungsgericht verneinte ein Verschulden der Beklagten, weil sie aufgrund der weit überdurchschnittlichen Krankenstandstage des Klägers vertretbar von seiner künftigen Dienstunfähigkeit (§ 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995) habe ausgehen können. Dass sie keine weiteren Nachforschungen über allfällige Diagnosen und Ursachen der Krankheit angestellt habe, schade nicht, weil – wie der Kläger in der Revision auch zugesteht – ein Arbeitgeber keinen Anspruch habe, die Diagnose zu erfahren und den Dienstnehmer keine negativen Folgen aus einer Nichtbeantwortung allfälliger Fragen des Arbeitgebers träfen.
Rechtliche Beurteilung
[2] In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:
[3] Es entspricht der Rechtsprechung, dass ein derartiger „Lohnsteuerschaden“ vom rechtswidrig und schuldhaft handelnden Arbeitgeber nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen zu ersetzen ist (vgl 9 ObA 106/04k, 9 ObA 52/12f ua). Ob den Arbeitgeber ein Verschulden an einem derartigen Schaden trifft, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, denen regelmäßig keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt (vgl 9 ObA 106/04k; 9 ObA 52/12f, RS0110837 ua).
[4] Der Kläger bringt vor, das Verschulden der Beklagten liege darin, dass sie keine ordnungsgemäße Prognoseentscheidung durchgeführt habe und er von ihr vor Ausspruch der Kündigung nicht zu seinen Erkrankungen befragt worden sei (8 ObA 68/18k). Daraus ist für ihn aber nichts zu gewinnen.
[5] Es trifft zu, dass ein Dienstgeber dann, wenn überhöhte Krankenstände als Kündigungsrechtfertigungsgrund in Betracht kommen, eine objektive Zukunftsprognose über die weitere Dienstfähigkeit des betroffenen Dienstnehmers anstellen muss, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kündigungszeitpunkt zu erstellen ist (8 ObA 21/14t, 8 ObA 68/18k ua). Der in Ansehung des Rechtfertigungsgrundes beweispflichtige Arbeitgeber, der sich – etwa indem er gar keine Nachforschungen anstellt – mit der Art der Erkrankung samt deren Ursachen und der zumutbaren Krankenbehandlung gar nicht auseinandersetzt, trägt das Risiko, dass sich seine Prognose bei Anlegung eines objektiven Maßstabs als unrichtig erweist (RS0081880 [T17, T19]). Dieses Risiko hatte auch die Beklagte zu tragen. Es hat sich in der Folge auch verwirklicht.
[6] Daraus folgt aber nicht automatisch ein Verschulden für das Entstehen des Lohnsteuerschadens. Ob das der Fall ist, hängt von den konkreten Umständen ab, die hier aufgrund der hohen Krankenstandstage des Klägers zunächst – wenngleich nicht ausreichende – Hinweise auf eine Dienstunfähigkeit boten. Hätte sich im Kündigungsverfahren die Rechtmäßigkeit der Kündigung herausgestellt, wäre es zu keiner Nachzahlung gekommen. In diesem Zusammenhang wurde bereits hervorgehoben (9 ObA 52/12f mwN), dass bei der Beurteilung der Frage, ob die Bestreitung eines mit Klage geltend gemachten Anspruchs wider besseres Wissen oder unter Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt geschehen ist, grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen und vor allem zu berücksichtigen ist, dass das Recht jeder Partei, bei Meinungsverschiedenheiten die Hilfe der Gerichte in Anspruch zu nehmen, nicht mit einer abschreckenden Verantwortlichkeit für die Rechtsverteidigung belastet werden darf. Derjenige, der bei gehöriger Aufmerksamkeit seinem Prozessstandpunkt wenn auch nur geringe, aber doch gewisse Chance einräumen kann, muss in der Lage sein, die Zweifel durch Anrufung der Gerichte zu klären. Dass die Beklagte ihre Prognose hier (nur) auf die bisherigen hohen Krankenstandstage des Klägers stützte, machte ihren Prozessstandpunkt zur Dienstunfähigkeit des Klägers aber noch nicht von vornherein aussichtslos, zumal vom Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt nur eine Zukunftsprognose angestellt werden kann und es selbst bei einer hinlänglich objektivierten Negativprognose nicht ausgeschlossen ist, dass sich im Prozess durch die Kunde eines Sachverständigen ein ausreichendes Leistungsvermögen des Dienstnehmers herausstellt (s 9 Ob 53/20i). Dass die Einschätzung der Beklagten zur Dienstunfähigkeit des Klägers willkürlich oder mutwillig erfolgt wäre, wirft ihr der Kläger nicht vor. Die Beurteilung der Vorinstanzen zum fehlenden Verschulden der Beklagten hat hier daher den ihnen zustehenden Beurteilungsspielraum nicht verlassen.
[7] Die außerordentliche Revision des Klägers ist zurückzuweisen.
Textnummer
E134279European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00006.22F.0127.000Im RIS seit
04.04.2022Zuletzt aktualisiert am
04.04.2022