Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei T*, Malta, vertreten durch Brandl Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 16.879,28 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 13. Oktober 2021, GZ 15 R 121/21f-25, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 6. Juli 2021, GZ 8 Cg 50/20m-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.145,88 EUR (darin 190,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Die beklagte Limited nach maltesischem Recht (Malta Business Registry Nr. *) mit Sitz in Malta verfügt über eine aufrechte Lizenz der Malta Gaming Authority für Online-Glücksspiele (Echtgeldpoker- und Casinospiele) unter der Domain www.p*.eu. Eine Konzession für ihre Tätigkeiten in Österreich iSd § 12a GSpG für elektronische Lotterien hat sie nicht, bietet aber über ihre deutschsprachige Website p*.eu in Österreich Internet-Glücksspiel (Echtgeldpoker- und Casinospiele) an. Österreichische Kunden können die Website der Beklagten in Anspruch nehmen.
[2] Der in Österreich wohnhafte Kläger richtete bei der Beklagten einen Account zur Teilnahme am Online-Glücksspiel ein. Grundlage und Vertragsbestandteil für die zwischen ihm und der Beklagten abgeschlossenen Glücksspielverträge sind die per Mausklick abrufbaren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), mit welchen sich der Kläger bei seiner Registrierung einverstanden erklärte. Bei den angebotenen Spielen handelt es sich laut den AGB ausschließlich um Online-Glücksspiele.
[3] Der Kläger nahm zu privaten Zwecken von 10. 2. 2007 bis 1. 7. 2019 an den von der Beklagten angebotenen Pokerspielen teil und erlitt dabei Spielverluste von insgesamt 16.879,28 EUR. Auf dem Spielerkonto des Klägers wurden sämtliche Zahlungsflüsse, insbesondere die Transferierung der eingelösten Wetteinsätze und erzielten Spielgewinne, zwischen dem Kläger und der Beklagten abgewickelt. Sowohl ein Nutzerkonto als auch ein Spielguthaben ist nach Punkt 10.6 der AGB der Beklagten Voraussetzung für die Teilnahme an dem von der Beklagten angebotenen Glücksspiel.
[4] Der Kläger begehrt von der Beklagten 16.879,28 EUR. Die mit der Beklagten abgeschlossenen Glücksspielverträge seien mangels Konzession nach dem Glücksspielgesetz gemäß § 879 Abs 1 ABGB nichtig, der saldierte Verlustbetrag sei somit bereicherungsrechtlich rückabzuwickeln. Zwischen den Spielern bestehe bereits mangels Kenntnis kein Vertrags- oder synallagmatisches Austauschverhältnis, Vermögensdispositionen hätten nur zwischen den Spielern und der Beklagten stattgefunden; die Bereicherung sei daher ausschließlich bei dieser eingetreten. Die Beklagte sei auch aufgrund Schutzgesetzverletzung schadenersatzrechtlich verantwortlich.
[5] Die Beklagte begründet – sofern noch im Revisionsverfahren relevant – die begehrte Klagsabweisung insbesondere mit der fehlenden Passivlegitimation, weil der dem Pokerspiel zugrundeliegende Vertrag zwischen den Spielern untereinander und nicht mit dem Anbieter der Website zustande gekommen sei. Gewinne und Verluste realisierten sich nur in diesem Verhältnis, sodass auch allfällige bereicherungs- und schadenersatzrechtliche Ansprüche auf dieses Verhältnis beschränkt seien. Die Beklagte hebe nur eine Servicegebühr für das Bereitstellen der Pokerplattform ein. Das in Österreich geltende Glücksspielmonopol sei zudem unionsrechtswidrig.
[6] Das Erstgericht entschied klagsstattgebend. Angesichts mittlerweile ständiger Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte sei eine Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols nach § 3 GSpG zu verneinen und der bereicherungsrechtliche Rückforderungsanspruch des Klägers gestützt auf § 1174 iVm § 879 Abs 1 ABGB berechtigt. Die Beklagte habe dem Kläger auf ihrem virtuellen „Pokertisch“ die Teilnahme an Pokerrunden mit anderen Spielern angeboten und ermöglicht. Durch Leistung bzw Abbuchung der Einsätze von den Spielerkonten sei jeweils ein Glücksspielvertrag zwischen der Beklagten und den Spielern zustandegekommen. Da sämtliche spielrelevante Zahlungsvorgänge auf und von den Benutzerkonten der Spieler aus abgewickelt worden seien, sei mangels unmittelbaren Leistungsaustausches kein Vertragsverhältnis zwischen den Mitspielern untereinander begründet worden. Bereicherungsschuldner sei die Beklagte, weil der Kläger seine Zahlungen ausschließlich über sein Spielkonto auf der von der Beklagten betriebenen Online-Plattform abgewickelt und damit auf Grundlage der eingegangenen Glücksspielverträge seine geschuldeten Leistungen erbracht habe. Eine fortwirkende Bereicherung des in Anspruch genommenen Schuldners sei unmaßgeblich, weil eine vertraglich begründete Vermögensverschiebung vorliege.
[7] Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten keine Folge, ließ die Revision zu und führte – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – aus, dass im Anschluss an die Ausführungen des Erstgerichts die Beklagte als direkte Empfängerin der Einsätze kraft Gutschrift auf den jeweiligen Spielerkonten passivlegitimiert sei; sie handle nicht als Botin, Gehilfin oder direkte Vertreterin anderer Spieler. Der nachträgliche Wegfall der Bereicherung aufgrund von an andere Spieler erfolgten Auszahlungen sei unbeachtlich. Betreffend die im Zeitraum 10. 2. 2007 bis Dezember 2010 entstandenen Verluste führte das Berufungsgericht aus, dass die Unanwendbarkeit der bis 19. 7. 2010 in Kraft stehenden, vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) als unionsrechtswidrig erkannten Regelung, wonach Konzessionen für Ausspielungen gemäß §§ 6–12b GSpG an ein Sitzerfordernis in Österreich gebunden war, dazu führe, dass das Glücksspielmonopol auch in diesem Zeitraum gemäß § 3 GSpG beim Bund gelegen sei. Die Unanwendbarkeit führe aber nicht dazu, dass in diesem Zeitraum jedermann Glücksspiele nach dem Glücksspielgesetz ausspielen hätte dürfen, auch wenn ihm keine Konzession erteilt worden war.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
A. Rechtslage bis 31. 12. 2010
[9] 1. Das Berufungsgericht und die Beklagte stützen die Zulässigkeit der Revision zunächst darauf, dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auswirkung der von der Beklagten eingewendeten Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols in der bis 30. 12. 2010 geltenden Fassung des Glücksspielgesetzes (BGBl I Nr 59/2001; BGBl I Nr 73/2010; „Sitzerfordernis“ in §§ 14 Abs 2 Z 1, 21 Abs 2 Z 1 GSpG) auf Glücksspielverträge bisher nicht vorliege.
[10] 2. Mit Art 80 des Budgetbegleitgesetzes 2011 (BGBl I Nr 111/2010, in Kraft getreten am 31. 12. 2010; vgl § 60 Abs 28 GSpG idgF) wurde das bis dahin gemäß §§ 14 Abs 2 Z 1, 21 Abs 2 Z 1 GSpG geltende Sitzerfordernis im Inland als Voraussetzung für den Erhalt einer Konzession gestrichen und durch das Erfordernis eines Sitzes in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR ersetzt.
[11] 3. In seiner (Leit-)Entscheidung vom 9. 9. 2010, Rechtssache C-64/08 (Engelmann), kam der EuGH (konkret betreffend Spielbankkonzessionen gemäß § 21 GSpG) zum Ergebnis, Art 43 EG (heute Art 49 AEUV) sei dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die den Betrieb von Glücksspielen in Spielbanken ausschließlich Wirtschaftsteilnehmern mit Sitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats vorbehält. Auch in Folgeentscheidungen hatte der EuGH sich mit dem österreichischen Konzessionssystem zu befassen (für eine ausführliche Darstellung bis November 2013 siehe insbesondere 2 Ob 243/12t); dass das vor und nach Erlassung des Budgetbegleitgesetztes 2011 im Glücksspielgesetz vorgesehene Konzessionssystem als solches zur Gänze gegen die Grundfreiheiten verstoße, ließ sich den Entscheidungen jedoch – entgegen dem Standpunkt der Revision – nicht entnehmen (vgl insbesondere die Rechtssache C-920/19 [Fluctus und Fluentum]).
[12] Die Regelung der Glücksspiele gehört vielmehr zu den Bereichen, in denen beträchtliche sittliche, religiöse und kulturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. In Ermangelung einer diesbezüglichen Harmonisierung durch die Europäische Union kann es nur Sache der einzelnen Mitgliedstaaten sein, in diesen Bereichen im Einklang mit ihrer eigenen Wertordnung zu beurteilen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der betroffenen Interessen ergeben (C-3/17 [Sporting Odds] Rn 20; C-920/19 [Fluctus und Fluentum], Rn 27). Die Wahl der Bedingungen für die Organisation und die Kontrolle der in der Veranstaltung von und der Teilnahme an Glücks- oder Geldspielen bestehenden Tätigkeiten obliegt demnach im Wesentlichen den nationalen Behörden im Rahmen ihres Ermessens (C-3/17 [Sporting Odds] Rn 21; C-920/19 [Fluctus und Fluentum] Rn 28).
[13] Dabei ist im Bereich der Glücksspiele grundsätzlich gesondert für jede mit einer nationalen Rechtsvorschrift auferlegte Beschränkung zu prüfen, ob sie geeignet ist, die Verwirklichung des Ziels oder der Ziele zu gewährleisten, die von dem fraglichen Mitgliedstaat geltend gemacht werden, und ob sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels oder dieser Ziele erforderlich ist (C-3/17 [Sporting Odds] Rn 22; C-920/19 [Fluctus und Fluentum] Rn 29). Auch nach der Rechtsprechung des EuGH bleibt daher Raum, jede im Rahmen der § 14 Abs 2, § 21 Abs 2 GSpG auferlegte Beschränkung gesondert zu prüfen.
[14] Aus der (im Wesentlichen legistischen) „Bereinigungspflicht“ der Mitgliedstaaten, wonach unionsrechtswidrige Vorschriften zu beseitigen sind, weil ansonst „Unklarheiten tatsächlicher Art“ bestehen bleiben können (zB C-151/94 Rn 18 mwN), kann umgekehrt nicht auf die (pauschale) Unanwendbarkeit des österreichischen Konzessionssystems geschlossen werden; Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die Bereinigungspflicht ist gegebenenfalls die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens, nicht aber, dass sich der Anwendungsvorrang des Unionsrechts auch auf jene Vorschriften des nationalen Rechts erstreckt, die nicht in Widerspruch zum Unionsrecht stehen (hier insbesondere dem seit BGBl I Nr 620/1989 unverändert gebliebenen § 3 GSpG, wonach das Recht zur Durchführung von Glücksspielen, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt wird, dem Bund vorbehalten ist [Glücksspielmonopol]). Zweck der Bereinigungspflicht ist, die betroffenen Rechtssubjekte bezüglich des Umfangs der ihnen vom Vertrag garantierten Rechte nicht in einem Zustand der Ungewissheit zu lassen; die Bereinigungspflicht bezweckt aber keine darüber hinausgehende Besserstellung von Rechtssubjekten mit Sitz im Ausland. Auch vertrauensschutzrechtliche Erwägungen können keine abweichende Beurteilung rechtfertigen, weil sich vor allem angesichts des unionsrechtlich unbedenklichen § 3 GSpG ein schützenswertes Vertrauen nicht bilden hat können. Insofern ist davon auszugehen, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts betreffend die Rechtslage bis 31. 12. 2010 zu einem Wegfall des in § 14 Abs 2 Z 1, § 21 Abs 2 Z 1 GSpG normierten Sitzerfordernisses geführt hat, die übrigen Voraussetzungen für den Erhalt einer Konzession und das Konzessions- bzw Monopolsystem an sich aber unberührt blieben (vgl zum Sitzerfordernis nach § 14 Abs 3 GSpG idF BGBl I Nr 112/2012 4 Ob 222/13w; vgl auch 2 Ob 243/12t [ErwGr IV.2.]).
[15] In der (verbundenen) Rechtssache Placanica (C-338/04, C-359/04 und C-360/04) hielt der EuGH fest (Rn 63, 69 mwN), dass ein Mitgliedstaat keine strafrechtlichen Sanktionen wegen einer nicht erfüllten Verwaltungsformalität verhängen darf, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt oder vereitelt hat. In den Rechtssachen Stoß ua (C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07), Pfleger (C-390/12 Rn 63 f) und Dickinger und Ömer (C-347/09 Rn 43) hat der EuGH dies mit Blick auf (verwaltungs-)strafrechtliche Sanktionen wiederholt. Dieser Grundsatz ist jedoch entgegen dem Standpunkt der Bekalgten nicht auf die vorliegende Konstellation übertragbar:
[16] Nicht nur stellt die „Nichtigkeitssanktion“ iSd § 879 Abs 1 ABGB keine vergleichbare staatliche Sanktion repressiver Natur dar; vielmehr war – wie dargelegt – konkret unionsrechtswidrig das in § 21 Abs 1 Z 1 GSpG (bzw § 14 Abs 1 Z 1 GSpG) idF vor dem Budgetbegleitgesetz 2011 normierte Sitzerfordernis, nicht das Konzessions- bzw Monopolsystem an sich. Dass die Beklagte jemals um eine Konzession angesucht, geschweige denn die übrigen in § 14 Abs 2, § 21 Abs 2 GSpG normierten Voraussetzungen erfüllt hätte, behauptet sie nicht einmal. Insofern geht auch die Argumentation der Revision, der Effektivitätsgrundsatz erfordere die Erfassung jeder nachteiligen Folge, ins Leere.
[17] 4. Somit bestand auch für die Einholung des angeregten Vorabentscheidungsersuchens kein Raum, zumal die Beklagte bei ihrer Argumentation außer Acht lässt, dass die Konzessionserfordernisse abseits des Sitzerfordernisses aufrecht geblieben sind. Ebenso erübrigen sich die bemängelten Feststellungen der bis 31. 12. 2010 (Beseitigung des Sitzerfordernisses) angefallenen Verluste.
B. Bereicherungsschuldner
[18] 1. Nach Ansicht der Beklagten liegt ein Geschäftsbesorgungsvertrag, konkret ein Treuhandvertrag vor, bei dem in jeder Pokerspielrunde die Einsätze und Spielerguthaben treuhändig entgegengenommen, verwaltet und entsprechend den mit den beteiligten Spielern vereinbarten Auszahlungsbedingungen ausgezahlt wurden. Der von der Beklagten als Abwicklungstreuhänderin und Zahlstelle einbehaltene Anteil sei unabhängig von einem aleatorischen Moment, dies im Gegensatz zu sogenannten Bankhalterspielen (Roulette, Black Jack udgl); die Beklagte partizipiere nicht als Partei am Spiel. Ein Glücksvertrag bestehe nur zwischen den Spielern, wobei angesichts des Treuhandvertrags und der Einordnung als „Geschäft für den, den es angeht“, die fehlende Offenlegung der konkreten Vertragspartner unschädlich sei.
[19] 2. Wie das Berufungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat (§ 510 Abs 3 ZPO), sind die in der Entscheidung 6 Ob 118/12i angestellten Überlegungen zur (bereicherungsrechtlichen) Passivlegitimation von Lokalbetreibern, die lediglich einen Raum für Glücksspielautomaten oder Kartenspiele zur Verfügung stellen, mangels Vergleichbarkeit der zugrunde liegenden Sachverhalte nicht übertragbar. Während dort mangels Feststellung, dass die Lokalbetreiberin selbst auch Betreiberin bzw Aufstellerin des Automaten gewesen wäre, kein Vertragsverhältnis zwischen der Lokalbetreiberin als Anbieterin des Pokerspiels und den Spielern konstruiert werden konnte, fungiert die Beklagte vorliegend gerade als Anbieterin des Online-Pokerspiels.
[20] 3.1. Gemäß § 2 Abs 1 und 4 in Verbindung mit § 4 Abs 1 GSpG ist bereits das konzessionslose Veranstalten, Organisieren, Anbieten oder Zugänglichmachen von Glücksspiel durch einen Unternehmer verboten; dies auch dann, wenn er nicht selbst am Spiel teilnimmt und etwa die Gewinne stellt, sondern nur auf sonstige Weise an der Durchführung des Spiels mitwirkt. Das wurde durch die Neufassung der Legaldefinition der „Ausspielung“ in § 2 GSpG im Rahmen der GSpG-Novelle 2008, BGBl I 54/2010, noch einmal bewusst verdeutlicht. In diesem Sinne führen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (ErläutRV 658 BlgNR 24. GP 5) aus: „Die Veranstaltung/Organisation/das Angebot kann sich beispielsweise durch Mischen und Teilen der Karten, Festlegung von Spielregeln, Entscheidung von Zweifelsfällen, Bewerbung der Möglichkeit zum Spiel, Bereitstellen von Spielort, Spieltischen oder Spielpersonal äußern“). Dies entsprach aber bereits der zuvor geltenden Rechtslage (vgl § 2 Abs 4 GSpG idF BGBl I 69/1997; allgemein zur Behandlung von Hilfs-, Neben- bzw Vorbereitungsgeschäften für Glücksverträge Stefula in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1267 ABGB Rz 5 mwN; siehe weiters – zu einem verbotenen Pyramidenspiel – 5 Ob 506/96). Zudem kommt es nicht darauf an, ob (auch) der Vertragsbeziehung zwischen den Streitteilen ein aleatorisches Element zugrunde liegt oder (nur) zwischen den Teilnehmern des Online-Pokerspiels untereinander Glücksverträge zustande gekommen sind.
[21] Vor diesem Hintergrund kann keinem Zweifel unterliegen, dass der vorliegend zwischen den Streitteilen geschlossene Vertrag, mit dem dem Kläger die Teilnahme an Online-Pokerspielen auf der Website der Beklagten ermöglicht wurde, nach § 879 Abs 1 ABGB nichtig ist.
[22] 3.2. Die zivilrechtliche Unerlaubtheit des Spiels setzt entgegen dem Standpunkt der Revision im vorliegenden Verfahren nicht zwingend voraus, dass diese gleichzeitig strafbar iSd § 168 StGB ist (vgl auch RS0102178), auch wenn die (Legal-)Definition in § 168 Abs 1 StGB eines Glücksspiels als Spiel, bei dem Gewinn und Verlust ausschließlich oder überwiegend vom Zufall abhängen, ebenso wie die Definition in § 1 Abs 1 GSpG eine Auslegungshilfe für diesbezügliche zivilrechtliche Regelungen (etwa § 1174 Abs 2 ABGB; RS0038378; RS0102178; 6 Ob 124/16b; 7 Ob 225/16p) darstellt. In diese Richtung weist bereits der Wortlaut des § 1272 S 2 ABGB, der deutlich zwischen Verbot und Sanktion differenziert (arg „Welche Spiele überhaupt, oder für besondere Klassen verboten; wie Personen, die verbotene Spiele treiben, und diejenigen, die ihnen dazu Unterschleif geben, zu bestrafen sind, bestimmen die politischen Gesetze“). Die dargelegten Erwägungen treffen daher prinzipiell ebenso auf jene Fälle zu, in denen auf Basis der bis 31. 12. 2010 geltenden Fassung des Glücksspielgesetzes unzulässigerweise (verwaltungs-)straf-
rechtliche Sanktionen erlassen wurden.
[23] 4. Die Rechtsfolgen der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts wegen Verbots- und Sittenwidrigkeit richten sich nach einer Analogie zu § 877 ABGB (Pletzer in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON § 877 Rz 6). Die Rückforderbarkeit wird daher in der Regel nicht durch die Kenntnis des Leistenden von der Nichtschuld ausgeschlossen (Pletzer aaO mwN). Nach neuerer Auffassung kommt hier dem Verbotszweck maßgebliche Bedeutung zu: Erfordert der Verbotszweck eine Rückabwicklung, etwa weil das Verbot den Schutz einer Partei bezweckt oder sich gegen den Leistungstausch an sich wendet, sind ausgetauschte Leistungen stets, also in Abweichung zu §§ 1431 ff ABGB auch bei Kenntnis von der ungültigen Verpflichtung zurückzustellen (Koziol/Spitzer in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB5 Vor §§ 1431 Rz 2 mwN; Pletzer aaO Rz 6 ff mwN). Will das Verbotsgesetz dagegen nur die Entstehung einer durchsetzbaren Verpflichtung verhindern, begründet die Nichtigkeit für sich allein noch keinen Rückforderungsanspruch. In Hinblick auf die Zielsetzung des Glücksspielgesetzes kann keinem Zweifel unterliegen, dass der Gesetzgeber hier gerade den Schutz der Spieler und nicht bloß die Verhinderung des Entstehens klagbarer Verbindlichkeiten bezweckt.
[24] Nach § 877 ABGB ist der erlangte Vorteil herauszugeben (Pletzer aaO Rz 19). Darunter ist zu verstehen, was in jemandes unbeschränkte Verwendungsmöglichkeit gelangt ist, gleichgültig, ob davon in der Folge ein nützlicher oder allenfalls verlustbringender Gebrauch gemacht wurde und ob davon noch ein Nutzen vorhanden ist oder nicht (Pletzer aaO Rz 19 mwN). Ein späterer Wegfall eines einmal eingetretenen Nutzens befreit den Bereicherungsschuldner demnach nicht (9 Ob 98/04h; Pletzer aaO Rz 19).
[25] 5. Die Passivlegitimation der Beklagten ergibt sich schon daraus, dass diese Empfängerin der Leistung des Klägers war. Schon durch die Einzahlung auf ihr Konto kommt es daher zu einer bewussten und zweckgerichteten Vermögensverschiebung zugunsten der Beklagten auf Grundlage der (unwirksamen) vertraglichen Vereinbarung zwischen ihr und dem Nutzer; von einer (Vorab-)Zahlung zur Abwicklung eines allfälligen, im Einzahlungszeitpunkt noch gar nicht abgeschlossenen Glücksvertrags mit einem künftigen Mitspieler kann keine Rede sein. Durch die wiederkehrenden Geldüberweisungen des Klägers wurde die Beklagte daher sehr wohl unmittelbar bereichert, ganz unabhängig davon, dass es sich dabei jeweils noch nicht um die Leistung eines Spieleinsatzes im Rahmen eines unerlaubten Glücksvertrags (dazu RS0025607 [T1, T4]; 1 Ob 190/17v) handelte.
[26] Ein Belassen der Zahlung oder die Anwendung der § 1174 Abs 1 Satz 1, § 1432 ABGB, auch wenn die Zahlung nicht geleistet wird, um das verbotene Spiel unmittelbar zu bewirken, sondern „nur“ um am Spiel überhaupt teilnehmen zu können, widerspräche überdies dem Verbotszweck der §§ 2 Abs 1 und 4 iVm § 4 Abs 1 GSpG (Krejci/Böhler in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1274 Rz 81; vgl auch 6 Ob 124/16b; 7 Ob 225/16p). Dies muss umso mehr dann gelten, wenn – wie im vorliegenden Fall – dem Kläger die Identität der anderen Spieler völlig unbekannt war. Die Argumentation der Beklagten liefe vielmehr darauf hinaus, den Kläger auf faktisch nicht durchsetzbare Ansprüche zu verweisen.
[27] Die Rolle der Beklagten geht zudem auch insofern über jene einer bloßen „Abwicklungstreuhänderin“ hinaus, als ein Nutzer, um überhaupt an den von der Beklagten angebotenen Online-Glücksspielen – nicht bloß am Poker – teilnehmen zu können, zuvor eine Einzahlung auf ein Konto der Beklagten tätigen muss, woraufhin ihm von der Beklagten ein entsprechendes „Spielguthaben“ eingeräumt wird. Nur in dessen Umfang kann er sich mit Einsätzen an den Spielen, unter anderem am Poker, beteiligen.
[28] 6. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass der Kläger sein Begehren ausdrücklich auch auf Schadenersatz gestützt hat. Dass das Vorgehen der Beklagten rechtswidrig war, wurde bereits ausgeführt. Wird ein Schadenersatzanspruch auf die Verletzung eines Schutzgesetzes gestützt, dann hat der Geschädigte den Schadenseintritt und die Verletzung des Schutzgesetzes als solche zu beweisen. Für Letzteres reicht der Nachweis aus, dass die Schutznorm objektiv übertreten wurde (RS0112234).
[29] Die Kausalität des Verhaltens der Beklagten für den eingetretenen Schaden liegt zudem auf der Hand, hätte der Kläger doch bei Unterbleiben der verbotenen Veranstaltung bzw Organisation von Glücksspielen durch die Beklagte den gegenständlichen Schaden in seiner konkreten Form nicht erlitten. Dafür, dass der Kläger diesfalls bei einem anderen rechtmäßigen Anbieter Verluste in derselben Höhe erlitten hätte, träfe nach allgemeinen Grundsätzen die Beklagte die Beweislast (RS0027364). Die von der Revision in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung zur hypothetischen Alternativveranlagung bei Anlegerschäden (siehe bloß 4 Ob 67/12z) ist nicht einschlägig, weil sie nicht verbotene iSd § 879 ABGB Geschäfte, sondern grundsätzlich zulässige Anlageformen betrifft.
C. Ergebnis und Kostenentscheidung
[30] Zusammenfassend erweist sich somit die Rechtsansicht der Vorinstanzen als frei von Rechtsirrtum, sodass der unbegründeten Revision ein Erfolg zu versagen war.
[31] Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Der Streitwert im Revisionsverfahren beträgt jedoch nicht – wie verzeichnet – 21.615,65 EUR, sondern lediglich 16.879,28 EUR, sodass nur die Ansätze für letzteren Betrag zuzuerkennen waren.
Textnummer
E134277European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00229.21A.0202.000Im RIS seit
04.04.2022Zuletzt aktualisiert am
04.04.2022