TE Vfgh Beschluss 2022/2/28 G36/2022

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Veröffentlicht am 28.02.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)

Norm

B-VG Art44 Abs3, Art140 Abs1 Z1 litd
ZPO §464
VfGG §7 Abs2, §62a

Leitsatz

Zurückweisung eines nach Ablauf der Berufungsfrist gestellten Parteiantrags auf Aufhebung einer Wortfolge des Art140 B-VG; Einbringung eines Parteiantrags nach Fristablauf erfolgt nicht "aus Anlass" eines erhobenen Rechtsmittels; keine Baugesetzwidrigkeit der Verfassungsbestimmung

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Mit Urteil vom 23. November 2021, 28 Cga 38/21d, wies das Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht die Klagebegehren der klagenden Partei (die Antragstellerin im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof), festzustellen, dass das Dienstverhältnis zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei ungeachtet der Entlassung über den 7. Oktober 2021 hinaus weiter bestehe und dass das Dienstverhältnis ungeachtet der gemäß §30 Abs3 Vertragsbedienstetengesetz (VBG) vorgesehenen Eventualkündigung über die Kündigungsfrist und damit über den 7. Februar 2022 hinaus weiter bestehe, ab.

1.1. Gegen dieses Urteil erhob die klagende Partei – vertreten durch einen anderen Rechtsvertreter – mit Schriftsatz vom 24. Jänner 2022 Berufung an das Oberlandesgericht Linz.

1.2. Mit vorliegendem, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag, der beim Verfassungsgerichtshof per ERV am 8. Februar 2022 eingebracht wurde, begehrt die Antragstellerin, die "Wortfolge ', aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels' in Art140 Abs1 Z1 litd des Bundes-Verfassungsgesetzes, BGBl 1/1930 (WV) i.d.F. BGBl I 114/2013, wegen Verstoßes gegen das (ua in Art13 MRK zum Ausdruck kommende) rechtsstaatliche Grundprinzip" als verfassungswidrig aufzuheben. Im Antrag wird zur Rechtzeitigkeit Folgendes ausgeführt:

"1.2. Gegen das Urteil hat die Antragstellerin rechtzeitig Berufung erhoben.

Im gegenständlichen Fall gilt zwar die Bestimmung über die gerichtsfreie Zeit ausnahmsweise nicht. Dies jedoch nur vor dem Hintergrund, dass in Arbeits- und Sozialrechtssachen eine rasche Entscheidung getroffen werden soll, nicht jedoch Fristen verkürzt werden.

Angesichts der Tatsache, dass das Urteil von der Vorsitzenden am 23.11.2021 erlassen wurde, dann aber dessen schriftliche Ausfertigung und Zustellung insgesamt länger als die Gesamtdauer der Rechtsmittelfrist für die Berufung, nämlich 5 Wochen, in Anspruch nahm, zeigt sich, dass das gegenständliche Antragsvorbringen nach den folgenden Ausführungen objektiv als rechtzeitig anzusehen sein muss.

[…]

2.2. Aus diesem Gesetzestext [Art140 Abs1 Z1 litd B-VG] ergibt sich in Verbindung mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2.7.2016, G95/2016, RN 56, Folgendes:

'Daraus folgt, dass ein solcher Antrag durch den Rechtsmittelwerber grundsätzlich dann rechtzeitig ist, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist gestellt wird, und für den Rechtsmittelgegner – jedenfalls bei zweiseitigen Rechtsmitteln – der Parteiantrag während der Frist zur Beantwortung des Rechtsmittels erfolgt.'

Insgesamt resultiert daraus, dass ein sog 'Parteienantrag auf Normenkontrolle' nur dann als rechtzeitig gewertet wird, wenn dieser innerhalb der Rechtsmittel- bzw Rechtsmittelbeantwortungsfrist gestellt wurde bzw umgekehrt: dass außerhalb dieser Frist gestellte Normprüfungsanträge a limine wegen Verspätung zurückzuweisen sind.

2.3. Dem gegenüber liegt jedoch auf der Hand, dass allzu eng ausgelegte bzw praktisch zu restriktiv gehandhabte Prozessvoraussetzungen – und zwar ungeachtet ihres formalen Ranges innerhalb des Stufenbaus der Rechtsordnung – zu einer Verletzung des in Art13 MRK garantierten Rechts auf einen effektiven Rechtsbehelf und so unmittelbar zu einer materiellen Beeinträchtigung des Rechtsstaatsprinzips führen können. Dies hat der Europäische Gerichtshof bereits in zahlreichen Entscheidungen klargestellt (vgl zB EGMR v 6.9.1978, 5021/71; v 26.3.1987, 9248/81; v 27.3.1999, 33985/96; v 8.7.2003, 36022/97; v 7.7.1989, 14038/88; v 30.10.1991, 13163/87).

2.4. Vor diesem Hintergrund erweist sich insbesondere in solchen Konstellationen die Rechtsmittelbefugnis der Stellung eines Normenprüfungsantrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG als de facto ineffektiv, in denen die Rechtsmittelfrist ex lege derart kurz bemessen ist, dass der Partei in Wahrheit keine ausreichende Zeit dafür bleibt, um ihre Normbedenken entsprechend fundiert zu begründen, zumal zugleich auch die akzessorischen Formalvoraussetzungen (wie zB insbesondere in Bezug auf die präjudizielle Fassung der bedenklichen Gesetzesstelle und die Weite des Anfechtungsumfanges) vom VfGH entsprechend restriktiv gehandhabt werden.

[…]" (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

2. Der Antrag ist unzulässig:

2.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

2.2. Nach der Aufhebung bestimmter Teile des §62a VfGG durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Juli 2016, G95/2016 (VfSlg 20.074/2016), ist das zeitliche Verhältnis zwischen der Erhebung eines Rechtsmittels bzw der Rechtsmittelbeantwortung und dem Parteiantrag vor dem Verfassungsgerichtshof unmittelbar vor dem Hintergrund des Art140 Abs1 Z1 litd B-VG zu beurteilen. Demnach ist ein Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG durch den Rechtsmittelwerber rechtzeitig, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist gestellt wird (VfSlg 20.074/2016, 20.152/2017; vgl auch VfGH 2.7.2015, G257/2015; 26.9.2016, G62/2016). Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit ist die Einbringung des Antrages beim Verfassungsgerichtshof (VfGH 30.11.2016, G535/2015; 23.2.2017, G356/2016).

2.3. Da der vorliegende Antrag erst am 8. Februar 2022 – und somit jedenfalls nach Ablauf der vierwöchigen Frist gemäß §464 ZPO für die Einbringung der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht – beim Verfassungsgerichtshof eingebracht wurde, ist der Antrag nicht mehr "aus Anlass" eines erhobenen Rechtsmittels iSd Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erfolgt. Es mangelt der Antragstellerin daher an der Legitimation zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG.

2.4. Soweit die Antragstellerin die Verfassungswidrigkeit einer Wortfolge in Art140 Abs1 Z1 litd B-VG behauptet, ist sie darüber hinaus auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Überprüfung von Bundesverfassungsgesetzen anhand von einfachem Bundesverfassungsrecht nicht zulässig ist (vgl zB VfSlg 13.116/1992, 15.334/1998, 17.239/2004; VfGH 20.9.2012, G54/12). Der Verfassungsgerichtshof kann auch keine Baugesetzwidrigkeit (Art44 Abs3 B-VG) erkennen.

2.5. Bei diesem Ergebnis hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob weitere Prozesshindernisse bestehen.

2.6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Parteiantrag, VfGH / Fristen, Berufungsfrist, VfGH / Legitimation, VfGH / Aufhebung Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:G36.2022

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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