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97/01Öffentliches AuftragswesenNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung eines Antrags auf Nichtigerklärung der – gesondert anfechtbaren – Entscheidung, mit einem anderen Unternehmer eine Rahmenvereinbarung abzuschließen; Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens durch Partei ausreichend klar bezeichnet und vor dem Hintergrund des Verfahrensstadiums unzweifelhaftSpruch
I. Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Beschluss wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Justiz) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die beschwerdeführende Partei hat sich an einem von der Republik Österreich (Bund) im Oktober 2020 ausgeschriebenen offenen Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Videonachfahreinrichtungen für die Bundespolizei beteiligt.
Mit Schreiben vom 8. Februar 2021, amtssigniert am 15. Februar 2021, wurde der beschwerdeführenden Partei mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, mit einem anderen Unternehmer die Rahmenvereinbarung abzuschließen.
Mit Schriftsatz vom 23. Februar 2021 begehrte die beschwerdeführende Partei beim Bundesverwaltungsgericht ein Nachprüfungsverfahren und beantragte, "das Bundesverwaltungsgericht möge […] die Zuschlagsentscheidung der Republik Österreich, Bundesministerium für Inneres, vom 15.02.2021 im Vergabeverfahren 'Videonachfahreinrichtungen für die Bundespolizei' (Rahmenvereinbarung)[…] für nichtig erklären". Weiters stellte die beschwerdeführende Partei den Antrag, "das Bundesverwaltungsgericht möge gemäß §351 BVergG 2018 eine einstweilige Verfügung dahingehend erlassen, dass das gesamte Vergabeverfahren der Republik Österreich, Bundesministerium für Inneres, 'Rahmenvereinbarung Videonachfahreinrichtungen für die Bundespolizei[…]', insbesondere aber die Zuschlagserteilung hinsichtlich der Vergabe des nachprüfungsverfahrensgegenständlichen Lieferauftrages bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über eine Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung vorübergehend ausgesetzt wird bzw allfällig sonst geeignete Maßnahmen angeordnet werden, dass seitens des Auftraggebers Republik Österreich, Bundesministerium für Inneres, der Zuschlag in gegenständlichem Vergabeverfahren bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Nichtigerklärung der Zuschlagserteilung nicht erteilt werden kann".
2. Mit Beschluss vom 8. März 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht sowohl den Nachprüfungsantrag gemäß §342 BVergG 2018 (Spruchpunkt 1.A.) als auch den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß §350 BVergG 2018 (Spruchpunkt 2.A.I.) zurück. Zudem wies es den Antrag auf Ersatz der entrichteten Pauschalgebühren gemäß §341 BVergG 2018 ab (Spruchpunkt 2.A.II.).
Die Zurückweisung des Nachprüfungsantrages begründet das Bundesverwaltungsgericht damit, dass die beschwerdeführende Partei einen Antrag "auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung vom 15.02.2021" gestellt habe. Die Auftraggeberin habe aber am 15. Februar 2021 "die Entscheidung, mit welchem Unternehmen die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll," erlassen. Eine Zuschlagsentscheidung habe die Auftraggeberin in diesem Verfahren nicht erlassen, weshalb die beschwerdeführende Partei eine gesondert anfechtbare Entscheidung anfechte, die nicht existiere. Gegenstand eines Nachprüfungsantrages gemäß §342 Abs1 BVergG 2018 könne aber nur eine gesondert anfechtbare Entscheidung des Auftraggebers sein, die auch erlassen wurde und somit existent sei. In diesem Sinne sei auch §344 Abs2 Z1 BVergG 2018 zu verstehen. Demnach sei ein Nachprüfungsantrag jedenfalls unzulässig, wenn er sich nicht gegen eine gesondert anfechtbare Entscheidung richte. Dies sei dem gegenständlichen Fall der nicht existenten gesondert anfechtbaren Entscheidung gleichzuhalten. Ein "lediglich irrtümliches Vergreifen in der Wortwahl im Schreiben der Antragstellerin vom 23.02.2021 kann ausgeschlossen werden, da in diesem Schreiben mehr als 20 [M]al das Wort 'Zuschlagsentscheidung' vorkommt". Aus diesem Grund sei ein amtswegiges Umdeuten des verfehlten Begehrens der beschwerdeführenden Partei nicht möglich, weshalb ein Vorgehen nach §13 Abs3 AVG nicht in Frage komme. Auch der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß §350 Abs1 BVergG 2018 sei zurückzuweisen, da kein das Nachprüfungsverfahren einleitender zulässiger Antrag vorliege.
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die beschwerdeführende Partei ua die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt. Sowohl aus dem gesamten Vorbringen der beschwerdeführenden Partei in ihrem Antrag vom 23. Februar 2021 als auch aus den vergaberechtlichen Unterlagen zu dem gegenständlichen Vergabeverfahren ergebe sich eindeutig, welche gesondert anfechtbare Entscheidung der Auftraggeberin aus welchen Gründen bekämpft worden sei. Indem das Bundesverwaltungsgericht den Antrag dennoch mit der Begründung zurückgewiesen habe, dass keine existente gesondert anfechtbare Entscheidung angefochten worden sei, habe es Willkür geübt. Dieses Vorgehen sei darüber hinaus auch rechtsmissbräuchlich. Weiters sei die beschwerdeführende Partei in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, weil das Bundesverwaltungsgericht zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert habe.
4. Das Bundesverwaltungsgericht hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen. Der Bundesminister für Inneres hat die Vergabeakten vorgelegt.
5. Die Republik Österreich (Bund – Bundesminister für Inneres), vertreten durch die Finanzprokuratur, hat als mitbeteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes im angefochtenen Beschluss beitritt.
II. Rechtslage
Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz 2018 – BVergG 2018), BGBl I 65/2018, idF BGBl II 91/2019 lauten auszugsweise wie folgt:
"Begriffsbestimmungen
§2. Im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes sind folgende Begriffsbestimmungen maßgebend:
1. […]
15. Entscheidung ist jede Festlegung eines Auftraggebers im Vergabeverfahren.
a) Gesondert anfechtbar sind folgende, nach außen in Erscheinung tretende Entscheidungen:
aa) […]
jj) bei der Rahmenvereinbarung: hinsichtlich des zum Abschluss der Rahmenvereinbarung führenden Verfahrens die gesondert anfechtbaren Entscheidungen gemäß sublitaa), bb), dd) oder ee) mit Ausnahme der Zuschlagsentscheidung; die Entscheidung, mit welchem Unternehmer bzw mit welchen Unternehmern die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll; der erneute Aufruf zum Wettbewerb; das Ausscheiden eines Angebotes; die Widerrufsentscheidung; die Zuschlagsentscheidung;
kk) […]
2. Abschnitt
Nachprüfungsverfahren
Einleitung des Verfahrens
§342. (1) Ein Unternehmer kann bis zur Zuschlagserteilung bzw bis zur Widerrufserklärung die Nachprüfung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung des Auftraggebers im Vergabeverfahren wegen Rechtswidrigkeit beantragen, sofern
1. er ein Interesse am Abschluss eines dem Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes unterliegenden Vertrages behauptet, und
2. ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
(2) […]
Inhalt und Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages
§344. (1) Ein Antrag gemäß §342 Abs1 hat jedenfalls zu enthalten:
1. die Bezeichnung des betreffenden Vergabeverfahrens sowie der angefochtenen gesondert anfechtbaren Entscheidung,
2. […]
(2) Der Antrag ist jedenfalls unzulässig, wenn
1. er sich nicht gegen eine gesondert anfechtbare Entscheidung richtet, oder
2. […]
3. Abschnitt
Einstweilige Verfügungen
Antragstellung
§350. (1) Das Bundesverwaltungsgericht hat auf Antrag eines Unternehmers, dem die Antragsvoraussetzungen nach §342 Abs1 nicht offensichtlich fehlen, durch einstweilige Verfügung unverzüglich vorläufige Maßnahmen anzuordnen, die nötig und geeignet erscheinen, um eine durch die behauptete Rechtswidrigkeit einer gesondert anfechtbaren Entscheidung entstandene oder unmittelbar drohende Schädigung von Interessen des Antragstellers zu beseitigen oder zu verhindern.
(2) […]"
III. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn es in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Das Bundeverwaltungsgericht begründet die Zurückweisung des Nachprüfungsantrages damit, dass die beschwerdeführende Partei einen Antrag auf Nichtigerklärung der "Zuschlagsentscheidung" vom 15. Februar 2021 gestellt habe, obwohl die Auftraggeberin in diesem Verfahren keine "Zuschlagsentscheidung", sondern eine "Entscheidung, mit welchem Unternehmen [richtig: Unternehmer] die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll", erlassen habe. Die beschwerdeführende Partei fechte somit eine gesondert anfechtbare Entscheidung an, die nicht existiere. Im Sinne des §344 Abs2 Z1 BVergG 2018 sei der Nachprüfungsantrag jedenfalls unzulässig, wenn er sich nicht gegen eine gesondert anfechtbare Entscheidung richte. Eine Umdeutung des Begehrens entgegen dem erklärten Willen der beschwerdeführenden Partei sei nicht möglich, ein Vorgehen nach §13 Abs3 AVG komme nicht in Frage.
2.2. Auf Grund dieser, die Rechtslage grob verkennenden Rechtsauffassung hat das Bundesverwaltungsgericht zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert:
Nach §344 Abs1 Z1 BVergG 2018 hat ein Antrag gemäß §342 Abs1 BVergG 2018 jedenfalls die Bezeichnung des betreffenden Vergabeverfahrens sowie der angefochtenen gesondert anfechtbaren Entscheidung zu enthalten. Dabei soll bei der Bezeichnung der gesondert anfechtbaren Entscheidung, wie die Erläuterungen hervorheben, "kein übertrieben strenger Maßstab angelegt werden" (Erläut zur RV des Vergaberechtsreformgesetzes 2018, 69 BlgNR 26. GP, 198 f.; vgl VwGH 30.6.2004, 2004/04/0028; vgl auch VfSlg 17.988/2006; Ziniel, §344, in: Schramm/Aicher/Fruhmann [Hrsg.], BVergG 20183, 1. Lfg. 2020, Rz 23 mwN).
Die mitbeteiligte Partei hat als Auftraggeberin der beschwerdeführenden Partei mit Schreiben vom 8. Februar 2021, amtssigniert am 15. Februar 2021, mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die Rahmenvereinbarung mit einem anderen Unternehmer abzuschließen. Dabei handelt es sich unstrittig um eine im Rahmen des zum Abschluss der Rahmenvereinbarung führenden Verfahrens (siehe §154 BVergG 2018) getroffene gesondert anfechtbare Entscheidung iSd §2 Z15 lita sublitjj BVergG 2018, nämlich um die "Entscheidung, mit welchem Unternehmer bzw mit welchen Unternehmern die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll" (eine "Zuschlagsentscheidung" iSd §2 Z15 lita sublitjj BVergG 2018 kann erst nach Abschluss und auf Grund der Rahmenvereinbarung getroffen werden, siehe §155 BVergG 2018).
Wenn die beschwerdeführende Partei in ihrem auf §342 Abs1 BVergG 2018 gestützten Nachprüfungsantrag begehrt, die"Zuschlagsentscheidung der Republik Österreich, Bundesministerium für Inneres, vom 15.02.2021 im Vergabeverfahren 'Videonachfahreinrichtungen für die Bundespolizei' (Rahmenvereinbarung)" für nichtig zu erklären, bezieht sie sich vor dem Hintergrund des konkreten (Stadiums des) gegenständlichen Vergabeverfahrens unzweifelhaft (es wurde in diesem Verfahren noch keine Rahmenvereinbarung abgeschlossen, weshalb eine Zuschlagsentscheidung in einem Verfahren nach §155 BVergG 2018 noch gar nicht möglich war) auf die "Entscheidung, mit welchem Unternehmer bzw mit welchen Unternehmern die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll". Die beschwerdeführende Partei hat somit gemäß §344 Abs1 Z1 BVergG 2018 die gesondert anfechtbare Entscheidung ausreichend klar bezeichnet. Damit erweisen sich die Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes, der Antrag der beschwerdeführenden Partei richte sich iSd §344 Abs2 Z1 BVergG 2018 nicht gegen eine (bereits erlassene) gesondert anfechtbare Entscheidung, sowie die weiteren darauf aufbauenden Ausführungen als denkunmöglich.
2.3. Indem das Bundesverwaltungsgericht somit den Inhalt des §344 Abs1 Z1 und Abs2 Z1 BVergG 2018 grob verkannt und deswegen eine Sachentscheidung verweigert hat, verletzt es die beschwerdeführende Partei im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (siehe VfSlg 17.988/2006). Der angefochtene Beschluss ist daher – auf Grund des untrennbaren Zusammenhanges der weiteren Spruchpunkte – zur Gänze aufzuheben.
IV. Ergebnis
1. Die beschwerdeführende Partei ist somit durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Beschluss ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88a Abs1 iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Vergabewesen, VfGH / Verwerfungsumfang, RechtsschutzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E1531.2021Zuletzt aktualisiert am
01.04.2022