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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §21 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des O L, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9. August 2021, I408 2243552-1/4E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein italienischer Staatsangehöriger, hält sich seit September 2008 durchgehend in Österreich auf. Am 19. Februar 2009 wurde ihm eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ausgestellt.
2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22. Dezember 2020 wurde er wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 4 Z 3 SMG, des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 erster Satz, erster und zweiter Fall, sowie Abs. 2 SMG, des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z 1 und 2 Waffengesetz sowie des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach den §§ 146, 147 Abs. 2 und 148 erster Fall StGB zu einer (in Vollzug befindlichen) dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Dieser Verurteilung lag zugrunde, er habe zwischen Juli 2018 und Juli 2020 anderen Personen in zahlreichen Angriffen 1.033 g Kokain, 2.425 g Cannabiskraut und 1.496 g Speed überlassen, wodurch er einen Umsatz von insgesamt rund 75.000 Euro erzielt habe. Am 10. Juli 2020 sei er zudem mit dem Vorsatz, das Suchtgift in Verkehr zu setzen, im Besitz von 995,8 g Kokain, 1.791,8 g Speed und 372 Ecstasy-Tabletten gewesen. Weiters habe er unbefugt zwei Revolver und eine Pistole samt Munition, drei Gehstöcke mit versteckter Klinge und eine Teleskopschlagrute mit aufgeschraubter Stahlkugel besessen. Zwischen November 2018 und März 2020 habe er die Republik Österreich darüber hinaus gewerbsmäßig durch die wahrheitswidrige Vorgabe, einkommens- und vermögenslos zu sein, also betrügerisch, zu Notstandshilfezahlungen im Betrag von insgesamt 8.700 Euro verleitet.
3 Im Hinblick auf diese Straftaten erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber mit Bescheid vom 4. Mai 2021 gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 9. August 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Dabei ging das BVwG davon aus, dass der Revisionswerber bereits vor seiner Einreise nach Österreich dreizehnmal in Italien und zweimal in Deutschland, unter anderem wegen Handelns mit Suchtgiften und unerlaubten Waffenbesitzes, zu - zuletzt mehrjährigen - Freiheitstrafen verurteilt worden sei. In Österreich sei er in verschiedenen Gastronomiebetrieben kurzfristig beschäftigt gewesen, habe jedoch wiederholt Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Krankengeld bezogen. Er sei kinderlos, verfüge jedoch über soziale Anbindungen und Bekanntschaften, etwa zu seiner geschiedenen Ehefrau und zu einem Patenkind, es liege allerdings kein Familienleben vor.
Rechtlich bejahte das BVwG, insbesondere unter Hinweis auf das einschlägig getrübte Vorleben, vor allem aber auf die - der letzten Verurteilung zugrunde liegende - enorme Menge des vom Revisionswerber insgesamt gehandelten Suchtgifts, die Höhe des dadurch erzielten Umsatzes von rund 75.000 Euro, den langen Tatzeitraum und den unter Verwirklichung schweren gewerbsmäßigen Betruges erfolgten Bezug von Notstandshilfe, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme einer durch seinen Verbleib im Bundesgebiet bewirkten nachhaltigen und maßgeblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich nach dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG. Ein für die Annahme eines Gesinnungswandels maßgebliches Wohlverhalten des Revisionswerbers in Freiheit - nach dem Vollzug der Haftstrafe - liege gegenständlich auf Grund des laufenden Strafvollzuges noch nicht vor.
Im Rahmen der Abwägung nach § 9 BFA-VG hob das BVwG das große öffentliche Interesse an der Verhinderung insbesondere von Suchtmitteldelikten hervor, das die privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich überwiege. Die Aufrechterhaltung bestehender Kontakte sei telefonisch, auf elektronischem Weg oder durch Besuche möglich. Das Aufenthaltsverbot erweise sich daher insgesamt als dringend geboten, auch seine Dauer erscheine angemessen.
Von der Durchführung der - in der Beschwerde beantragten - mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG abgesehen werden können. Der Sachverhalt erscheine nämlich aus der Aktenlage in Verbindung mit dem Beschwerdevorbringen, das dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde gelegt worden sei, geklärt. Selbst bei einem positiven Eindruck vom Revisionswerber wäre in diesem eindeutigen Fall eine Reduzierung der Dauer oder gar ein Entfall des verhängten Aufenthaltsverbotes nicht möglich gewesen.
6 Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision erweist sich als unzulässig.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
9 Dem Revisionswerber ist zum gerügten Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung einzuräumen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt darauf hingewiesen hat, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung besondere Bedeutung zukomme, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG kann bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, bei denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. etwa VwGH 11.11.2021, Ra 2020/21/0277, Rn. 12, mwN).
10 Von einem derartigen eindeutigen Fall durfte das BVwG - entgegen der Meinung in der Revision - allerdings im Hinblick auf die dargestellten, vom Revisionswerber jeweils in Bezug auf besonders große Suchtgiftmengen begangenen massiven Verbrechen des Suchtgifthandels und von dessen Vorbereitung in Verbindung mit den von ihm verübten Vergehen nach dem Waffengesetz und des schweren gewerbsmäßigen Betrugs, die zur rezenten Verhängung einer dreijährigen (im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses unbestritten noch in Vollzug befindlichen) Freiheitsstrafe geführt haben, in der vorliegenden Konstellation ausgehen, zumal schon wegen der genannten Umstände die Annahme des BVwG zum Vorliegen einer Gefährdung im Sinne des fünften Satzes des § 67 Abs. 1 FPG nicht zu beanstanden ist. Dieser Annahme wird in der Revision auch nicht konkret entgegengetreten. In diesem Zusammenhang verwies das BVwG im Übrigen auch zu Recht darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug der Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat, und dass bei derart schweren Verbrechen nach dem SMG weder ein langjähriger Aufenthalt in Österreich noch eine - hier gar nicht vorliegende - sonst vollkommene soziale Integration im Inland einem Aufenthaltsverbot entgegenstehen (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0066, Rn. 18/19, mwN).
11 Vor diesem Hintergrund kommen den vom BVwG dem Revisionswerber zusätzlich zur Last gelegten früheren, in Italien und Deutschland ergangenen Verurteilungen für den Ausgang des Verfahrens keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu. Den diesbezüglich in der Revision geltend gemachten Ermittlungs- und Begründungsmängeln fehlt daher die Relevanz; sie führen somit nicht zur Zulässigkeit der Revision.
12 Eine - lediglich abstrakt für den Fall einer Rückkehr nach Italien behauptete - Gefährdungssituation wurde weder (ungeachtet der eingeräumten Möglichkeit zur Äußerung) im Verfahren vor dem BFA oder in der schon vom rechtsanwaltlichen Vertreter des Revisionswerbers verfassten Beschwerde an das BVwG noch gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof in der Revision ausreichend inhaltlich konkretisiert dargelegt. Auch mit dem diesbezüglichen Vorbringen wird daher kein relevanter Verfahrensmangel aufgezeigt. Im Übrigen verpflichtet ein (durchsetzbares) Aufenthaltsverbot grundsätzlich nur zum (unverzüglichen) Verlassen des österreichischen Bundesgebietes (vgl. § 70 Abs. 1 FPG).
13 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 22. Februar 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021210297.L00Im RIS seit
01.04.2022Zuletzt aktualisiert am
12.04.2022