Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §45 Abs3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schramel, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. April 2020, W241 2229933-1/3E, betreffend Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG und Rückkehrentscheidung (mitbeteiligte Partei: E G, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der 1988 geborene Mitbeteiligte, ein mongolischer Staatsangehöriger, hielt sich auf Basis einer vom 1. Februar 2012 bis 29. Dezember 2019 gültigen Aufenthaltsbewilligung als Student in Österreich auf. Am 30. Dezember 2019 stellte der Mitbeteiligte einen Antrag auf Erteilung eines „Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005.
2 Mit Schreiben vom 7. Jänner 2020 forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Mitbeteiligten in Verbindung mit entsprechenden Rechtsbelehrungen auf, ein gültiges Reisedokument und die Geburtsurkunde im Original binnen zwei Wochen vorzulegen, und es gab dem Mitbeteiligten Gelegenheit, den Antrag binnen derselben Frist durch Beantwortung eines Fragenkatalogs ergänzend zu begründen.
3 Daraufhin erstattete der Mitbeteiligte eine von seinem rechtsanwaltlichen Vertreter verfasste Stellungnahme vom 9. Jänner 2020, in der er darauf hinwies, dass eine Verlängerung seines Aufenthaltstitels mangels Studienerfolges nicht möglich gewesen sei. In seiner Heimat verfüge er über keine Existenzgrundlage und er sei auch nicht mehr in der Lage, sich eine solche aufgrund seines langjährigen Aufenthaltes in Österreich aufzubauen. Er sei strafrechtlich unbescholten und spreche ausgezeichnet Deutsch, wobei er zum Beweis dafür ein B1-Prüfungszeugnis vom 20. Dezember 2019 vorlegte. Bei Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels könne er - wie der mit dem Antrag bereits vorgelegte Arbeitsvorvertrag beweise - umgehend eine unselbständige Erwerbstätigkeit aufnehmen.
4 Schließlich beantwortete der Mitbeteiligte in einer weiteren schriftlichen Stellungnahme vom 4. Februar 2020 die im Schreiben vom 7. Jänner 2020 gestellten Fragen und gab unter anderem an, in Österreich über keine Familienangehörigen, durchaus aber über einen großen Freundeskreis zu verfügen. Seine Eltern und sein jüngerer Bruder, zu denen er nur sporadischen Kontakt habe, würden in der Mongolei leben.
5 Dem Auftrag zur Vorlage des Reisedokumentes und der Geburtsurkunde im Original kam der Mitbeteiligte nicht nach.
6 Hierauf wies das BFA den Antrag des Mitbeteiligten vom 30. Dezember 2019 mit Bescheid vom 18. Februar 2020 gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 wegen der Nichtvorlage erforderlicher Dokumente zurück (Spruchpunkt I.) und es erließ unter einem gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt II.). Des Weiteren stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung des Mitbeteiligten „nach“ Mongolei fest (Spruchpunkt III.) und gewährte eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
7 Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Beschluss vom 7. April 2020 den Bescheid des BFA vom 18. Februar 2020 auf und es verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:
9 Zur Zulässigkeit der Amtsrevision macht das BFA im Sinne des Begründungserfordernisses nach § 28 Abs. 3 VwGG zusammengefasst geltend, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur eingeschränkten Möglichkeit einer Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen (Hinweis auf das grundlegende Erkenntnis VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, und daran anschließende Judikate). Dieser Einwand trifft - wie die weiteren Ausführungen zeigen - zu, weshalb sich die Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt erweist.
10 Das BVwG erachtete die Voraussetzungen für die von ihm ausgesprochene Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor allem deshalb für gegeben, weil das BFA dem Mitbeteiligten im Zusammenhang mit der zur Begründung der Rückkehrentscheidung vorgenommenen Interessenabwägung nur schriftlich Parteiengehör eingeräumt und eine persönliche Einvernahme des Mitbeteiligten „völlig“ unterlassen habe.
11 Dieser Umstand berechtigt aber schon deshalb nicht zur Zurückverweisung, weil es grundsätzlich immer auch Aufgabe des BVwG ist, sich vor Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Rahmen einer mündlichen Verhandlung selbst einen persönlichen Eindruck vom Fremden zu verschaffen, sofern nicht ausnahmsweise ein eindeutiger Fall gegeben ist (vgl. VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0247, Rn. 8, mwN, und zuletzt VwGH 22.2.2022, Ra 2021/21/0308, Rn. 9, mwN).
12 Das durchgeführte, nur schriftliche Parteiengehör lässt - entgegen der Auffassung des BVwG - die Annahme einer bloß ansatzweisen Ermittlung durch das BFA nicht zu (vgl. dazu etwa auch VwGH 22.12.2020, Ra 2020/21/0438, Rn. 12, mwN, und zuletzt VwGH 22.2.2022, Ra 2021/21/0308, Rn. 10, mwN). Das BVwG hat aber sonst nicht dargelegt, welche krassen (also besonders gravierenden) Ermittlungslücken vorliegen, die eine Aufhebung und Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA zur Durchführung notwendiger Ermittlungen rechtfertigen könnten (vgl. etwa VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0372, Rn. 8, mwN).
13 Darüber hinaus führte das BVwG ins Treffen, dass sich das BFA „in keiner Weise“ mit dem Privat- und Familienleben des Mitbeteiligten auseinandergesetzt habe.
14 Diesbezüglich ist mit der Amtsrevision zu erwidern, dass das BFA auf Basis der Angaben des Mitbeteiligten, die dieser infolge des mit Schreiben vom 7. Jänner 2020 übermittelten Fragenkatalogs gemacht hatte, dessen private Interessen am Verbleib im Bundesgebiet darlegte und dem öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung im Rahmen einer Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG gegenüberstellte, um zum Ergebnis zu gelangen, dass die Rückkehrentscheidung nicht unverhältnismäßig sei (siehe insbesondere Seite 24 f des Bescheides des BFA). Es kann daher nicht gesagt werden, das BFA habe sich mit dem Privat- und Familienleben nicht auseinandergesetzt.
15 Da das BVwG nach dem Gesagten somit zu Unrecht mit einer Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgegangen ist, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 24. Februar 2022
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Parteiengehör Allgemein VerfahrensbestimmungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020210171.L00Im RIS seit
01.04.2022Zuletzt aktualisiert am
12.04.2022