TE Vwgh Beschluss 2022/3/1 Ro 2020/21/0014

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Veröffentlicht am 01.03.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §25a Abs1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §34 Abs1a

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des S H, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 6. April 2020, G314 2229833-1/2E, betreffend Abweisung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 sowie Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der 1980 geborene Revisionswerber, ein kosovarischer Staatsangehöriger, hielt sich im Zeitraum von 2010 bis 2019 als Saisonarbeiter jeweils auf der Grundlage eines für diesen Zweck von der österreichischen Botschaft Skopje erteilten Visums D immer wieder in Österreich auf. Er reiste jeweils kurz nach dem Beginn der Gültigkeitsdauer der Visa in das Bundesgebiet ein und kehrte kurz vor deren Ablauf wieder in den Kosovo zurück, wo seine Ehefrau und seine 2004, 2005 und 2007 geborenen drei Kinder leben. Während der Saisonarbeit kam es auch vor, dass er das Bundesgebiet verließ, um seine Familie im Kosovo zu besuchen.

2        Gemäß den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) war er von September bis Dezember 2010 erstmals als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter tätig und hielt sich in den Jahren 2011 bis 2016 jeweils von März bis August, im Jahr 2017 von Ende März bis Mitte September, 2018 von April bis September und 2019 von Februar bis November zwecks Saisonarbeit in Österreich auf. Nach Ablauf der zuletzt erteilten Visa D, die von Februar bis November 2019 gültig waren, verblieb der Revisionswerber ohne entsprechende Genehmigung im Bundesgebiet. Am 14. November 2019 stellte er einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005.

3        Mit Bescheid vom 17. Februar 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG erließ das BFA gegen den Revisionswerber unter einem eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt II.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig sei, ohne dass ein Zielstaat für die Abschiebung genannt wurde (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG bestimmte das BFA als Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

4        Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 4. April 2020 nur insoweit statt, als es die Spruchpunkte III. und IV. neu fasste, wobei es hinsichtlich der Feststellung gemäß § 52 Abs. 9 FPG den Herkunftsstaat des Revisionswerbers als Zielstaat für die Abschiebung sowie ferner festlegte, dass der Lauf der vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise mit 1. Mai 2020 zu laufen beginne. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

5        In seiner Begründung stellte das BVwG unter anderem die in Rn. 2 erwähnten Zeiträume des Aufenthaltes des Revisionswerbers im Bundesgebiet sowie ferner fest, dass er eine Vollzeitbeschäftigung bei seinem bisherigen Arbeitgeber in Aussicht habe. Der Revisionswerber verfüge über einen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich und stehe in regelmäßigem Kontakt zu seinem hier lebenden Bruder. Sein Verhältnis zu seiner im Kosovo lebenden Ehefrau sei aufgrund häufiger Abwesenheiten und einer außerehelichen Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin, mit der er jedoch nicht zusammenlebe, belastet.

6        Rechtlich ging das BVwG davon aus, dass ein Familienleben des Revisionswerbers in Österreich mangels gemeinsamen Haushaltes mit seiner österreichischen Freundin nicht bestehe. Es verwies auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach bei einem mehr als zehn Jahre dauernden Inlandsaufenthalt regelmäßig ein Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich anzunehmen sei, wenn dem nicht Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib sprechende öffentliche Interesse verstärken oder die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Solche Umstände seien im vorliegenden Fall gegeben, weil sich der Revisionswerber zwar schon fast zehn Jahre lang regelmäßig, aber nicht durchgehend als Saisonarbeiter im Bundesgebiet aufhalte. Sein Aufenthalt habe jeweils nur rund die Hälfte des Jahres betragen und es habe ihm sein unsicherer Aufenthaltsstatus stets bewusst sein müssen. Die Möglichkeit, nach mehreren Aufenthalten als Saisonarbeitskraft eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 AsylG 2005 zu erlangen, würde die zeitliche Befristung von Saisonarbeit unterlaufen. Daher wiege das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen schwerer als die privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib in Österreich.

7        Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe unterbleiben können, weil der Sachverhalt geklärt erscheine und es sich um einen eindeutigen Fall handle, in dem bei Berücksichtigung aller zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Fakten auch nach Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten sei.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - nach Ablehnung der Behandlung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde und ihrer Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof (VfGH 8.6.2020, E 1373/2020-5) - fristgerecht ausgeführte ordentliche Revision, zu der keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde und die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.

9        Nach dieser Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision in dieser Hinsicht ist der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a VwGG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Auch in einer vom Verwaltungsgericht für zulässig erklärten (ordentlichen) Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem erwähnten Gesichtspunkt maßgeblichen Gründe zur Zulässigkeit der Revision anzusprechen. Diesbezüglich genügt es, wenn in der Revision auf eine zutreffende und ausreichende Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichtes in erkennbarer Weise Bezug genommen wird. Weitere Voraussetzung ist allerdings, dass der Revisionswerber der vom BVwG zu der als grundsätzlich erachteten Rechtsfrage vertretenen Auffassung argumentativ entgegentritt (vgl. VwGH 11.5.2017, Ra 2015/21/0240, Ro 2015/21/0042, Ro 2016/21/0004, Rn. 7 iVm Rn. 10, mwN).

11       Das BVwG hat die Revision zugelassen, weil Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, unter welchen Voraussetzungen einem Fremden, der sich in den letzten zehn Jahren als Saisonarbeitskraft im Bundesgebiet aufgehalten habe, ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 zu erteilen sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe zwar bereits ausgesprochen, dass die Rechtsprechung, derzufolge bei einem mehr als zehn Jahre dauernden Inlandsaufenthalt regelmäßig ein Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich anzunehmen sei, auch in Fällen eines einmalig für wenige Monate unterbrochenen Inlandsaufenthaltes zum Tragen komme. Die Frage, ob dies auch für Fälle eines regelmäßig für mehrere Monate unterbrochenen Aufenthaltes als Saisonier gelte, sei noch nicht Gegenstand höchstgerichtlicher Beurteilung gewesen.

12       Die Revision weist auf diese Begründung hin, tritt aber der dazu vom BVwG vertretenen Auffassung (siehe oben Rn. 6) inhaltlich nicht entgegen; eine diesbezügliche, bloß pauschale Verweisung auf Entscheidungen des BVwG und des BFA, deren Inhalt nicht nachvollziehbar dargestellt wird, genügt dafür nicht.

13       Im Übrigen sieht die Revision eine grundsätzliche Rechtsfrage darin, dass das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, indem es von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen habe.

14       Entgegen diesem Vorbringen war es aber nicht unvertretbar, dass das BVwG im vorliegenden Fall im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG von einem aus der Aktenlage geklärten Sachverhalt ausgegangen ist. Die festgestellten Zeiträume des Aufenthaltes des Revisionswerbers im Bundesgebiet als Saisonarbeiter aufgrund eines befristeten Visums sowie der Verbleib seiner Ehefrau und seiner Kinder im Kosovo standen nicht in Frage. Die lediglich der Saisonarbeit dienenden Aufenthalte in Österreich waren bei gleichzeitiger Beibehaltung des Lebensmittelpunktes in seiner Heimat stets auf einige Monate im Jahr beschränkt, weshalb von einem langjährigen durchgehenden Aufenthalt im Bundesgebiet, auf den sich die vom BVwG angesprochene Judikaturlinie bezieht, keine Rede sein kann (vgl. dazu VwGH 22.1.2021, Ra 2020/21/0457, Rn. 11). Da das BVwG die Angaben des Revisionswerbers zu seinen Lebensverhältnissen im Bundesgebiet den Feststellungen zugrunde legen konnte, stellte sich der Fall als so eindeutig dar, dass es auch nicht der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bedurfte (vgl. etwa VwGH 21.12.2021, Ra 2020/21/0161, Rn. 13, mwN).

15       Der überdies in der Revision vorgebrachte Begründungsmangel, dem Erkenntnis der „belangten Behörde“ sei nicht zu entnehmen, von welchen konkreten Feststellungen sie ausgehe, ist - wie die Ausführungen in Rn. 2 und 5 zeigen - nicht ersichtlich. Auch die Behauptung in der Revision, das BVwG habe eine antizipierende Beweiswürdigung vorgenommen, wird weder durch konkrete Hinweise auf entsprechende Erwägungen des BVwG näher begründet, noch ist eine solche erkennbar.

16       Soweit der Revisionswerber noch vorbringt, dass das angefochtene Erkenntnis „der belangten Behörde“ der Judikatur des BVwG in ähnlich gelagerten Fällen widerspreche, ist darauf hinzuweisen, dass eine uneinheitliche Rechtsprechung eines oder mehrerer Verwaltungsgerichte für sich genommen nicht den Tatbestand des Art. 133 Abs. 4 B-VG erfüllt (vgl. VwGH 14.9.2020, Ra 2020/21/0335, Rn. 14, mwN).

17       Die Revision war daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 1. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RO2020210014.J00

Im RIS seit

01.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

12.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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