Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan mangels Auseinandersetzung mit dem - insbesondere in der Beschwerdeverhandlung - vorgebrachten FluchtvorbringenSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt A) I. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird in diesem Umfang aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zur schiitischen Religion. Er stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 1. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er bei der Erstbefragung vor der Sicherheitsbehörde an, die Taliban seien mehrmals in sein Geschäft gekommen und hätten ihn aufgefordert, sich ihnen anzuschließen. Die Taliban hätten zudem seinen Cousin getötet. Bei seiner Einvernahme am 17. Jänner 2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte der Beschwerdeführer aus, seine Frau und er seien von dem Ex-Verlobten bzw Cousin seiner Frau bedroht worden. Dieser habe dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er hätte seine Frau entführt und sei ein Verräter. Der Ex-Verlobte habe auch Kontakte zu den Taliban. Aus diesem Grund sei der Beschwerdeführer von seinem Cousin nach Kabul gebracht worden und habe flüchten wollen. Der Ex-Verlobte seiner Frau habe seinen Cousin entführt und dem Beschwerdeführer gedroht, er werde den Cousin umbringen, wenn er nicht zurückkomme. Am nächsten Tag habe er einen Anruf von seinem Onkel erhalten, der zu ihm gesagt habe, sein Cousin sei seinetwegen umgebracht worden. Aus diesem Grund sei der Beschwerdeführer geflüchtet.
2. Mit Bescheid vom 25. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer nicht (Spruchpunkt III.), sondern erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Zudem legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.). Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
3. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 17. September 2021 eine mündliche Verhandlung durch. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wiederholte der Beschwerdeführer laut dem Verhandlungsprotokoll ausführlich seine bereits in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geschilderten Fluchtgründe.
4. Mit Erkenntnis vom 14. Oktober 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten) ab [Spruchpunkt A) I.], gab der Beschwerde jedoch hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides statt, erkannte dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu [Spruchpunkt A) II.] und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsgenehmigung für die Dauer von einem Jahr [Spruchpunkt A) III.].
Das Bundesverwaltungsgericht stellte in Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers fest, dieser habe keine individuelle, asylrelevante Verfolgung geltend gemacht. Aus einer Gesamtschau der Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren ergebe sich, dass dieser keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bestehende Verfolgungsgefahr glaubhaft gemacht habe.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, die der Beschwerdeführer zusammengefasst wie folgt begründet:
Die Behauptung des Bundesverwaltungsgerichtes, der Beschwerdeführer habe eine asylrelevante Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft gemacht, vermöge eine konkrete Beweiswürdigung hinsichtlich der asylrelevanten Feststellungen nicht zu ersetzen. Im Übrigen bestehe die rechtliche Beurteilung weitgehend nur in aus anderen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes kopierten Standardfloskeln und Fundstellenzitaten. Die Entscheidungsbegründung des angefochtenen Erkenntnisses habe mit dem konkreten Sachverhalt nichts gemein.
6. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor, sah jedoch unter Verweis auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung von der Erstattung einer Gegenschrift ab und beantragte, die Beschwerde abzuweisen.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten richtet, begründet.
1.1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
Wie der Verfassungsgerichtshof weiter zu dem aus dem Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander folgenden Willkürverbot in Zusammenhalt mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen ausgesprochen hat, müssen die für die angefochtene Entscheidung maßgeblichen Erwägungen aus ihrer Begründung hervorgehen, weil nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (vgl jeweils mwN VfSlg 20.267/2018; VfGH 13.12.2017, E940/2017; 23.2.2021, E4376/2020; 22.6.2021, E1690/2021 ua).
1.2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten unterlaufen:
1.2.1. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat der Beschwerdeführer – wie der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes selbst zu entnehmen ist – angegeben, dass er fürchte, vom Ex-Verlobten seiner Ehefrau verfolgt zu werden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hielt der Beschwerdeführer unverändert an diesem Vorbringen fest.
Das Bundesverwaltungsgericht stellt in seiner – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen – Entscheidung in der Beweiswürdigung pauschal fest, dem Vorbringen einer privaten Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers könne keine konkrete, individuelle und asylrelevante Verfolgung entnommen werden. Sodann führt das Bundesverwaltungsgericht aus, es könne weder eine konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete asylrelevante Verfolgung festgestellt werden noch seien im Verfahren Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine mögliche Verfolgung im Herkunftsstaat für wahrscheinlich erscheinen ließen.
1.2.2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach festgestellt hat, kann die Zugehörigkeit zu einem Familienverband den Verfolgungstatbestand der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe iSd Art1 Abschnitt A Z2 GFK erfüllen, und zwar auch dann, wenn die Verfolgung auf Grund der Angehörigeneigenschaft von privater Seite droht, der Staat aber nicht fähig oder willig ist, dem Verfolgten Schutz zu gewähren. Eine derartige asylrelevante Verfolgung ist gegeben, wenn eine Person auf Grund ihrer Angehörigeneigenschaft zu einem Familienmitglied verfolgt wird, dem seinerseits aus anderen Konventionsgründen, etwa wegen seiner politischen Gesinnung, Verfolgung droht, mithin die Verfolgung auf das Familienmitglied "durchschlägt" (vgl VfSlg 19.900/2014 mwN; VfGH 11.3.2015, E1168/2014). Der Fluchtgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie ist aber auch dann erfüllt, wenn der einzige Grund für die Verfolgung einer Person ihre Angehörigeneigenschaft zu einem Familienmitglied ist, bei dem selbst entweder gar keine asylrelevante Verfolgung oder ebenfalls nur die Zugehörigkeit zum Familienverband als Anknüpfungsmerkmal iSd GFK vorliegt (VfSlg 19.900/2014). Die Asylgewährung setzt nicht voraus, dass bereits in der Vergangenheit, dh vor Verlassen des Herkunftsstaates, Verfolgungshandlungen gegen die Person des Antragstellers gesetzt wurden (vgl Schrefler-König, §3 AsylG 2005, in: Schrefler-König/Szymanski [Hrsg.], Fremdenpolizei- und Asylrecht, rdb.at, Stand 1.6.2016, Anm. 17).
1.2.3. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich in seiner Entscheidung an keiner Stelle mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinander, wonach diesem auf Grund der Verlobung mit seiner Ehefrau von deren Ex-Verlobten (der nach den Angaben des Beschwerdeführers in Afghanistan sehr einflussreich sei und Kontakte zu den Taliban unterhalte) Blutrache drohe und er somit wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie iSd Art1 Abschnitt A Z2 GFK verfolgt werde.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung Feststellungen zur Frage der "Blutrache und Ehrenmord" in Afghanistan trifft. Wie der Verfassungsgerichtshof nämlich in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, müssen "die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen [...] aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen" (vgl zB VfGH 13.12.2017, E940/2017; 23.2.2021, E4376/2020; 22.6.2021, E1690/2021). Das Bundesverwaltungsgericht hat weder auf die entsprechenden Feststellungen Bezug genommen noch hat es sich in ausreichender und nachvollziehbarer Weise in der Begründung der Entscheidung mit der Frage einer möglichen Blutrache auseinandergesetzt.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt A) I. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung, Verhandlung mündlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E4181.2021Zuletzt aktualisiert am
30.03.2022